[192] Sechs und zwangzigstes Schreiben.

Von des Königs in Sardinien Residenzschlosse zu Turin.

Mein Herr!


Ich schreite nun zur Beschreibung der königlichen Schlösser sowohl inn- als außerhalb der Stadt Turin. Rand links: Königliches Schloß zu Turin. Was die Residenz in Turin anlanget, so besteht solche aus zwey Hauptgebäuden, so durch eine Galerie aneinander gehängt sind. Das erste liegt an der Place du Chateau, und ist von Madame Royale bis an ihr Ende bewohnt worden, anitzo aber sowohl an Personen als Meublen ganz ledig. Die vörderste Seite ist nach dem Dessein des Don Philipp Juvara, itzigen königlichen Baumeisters, sehr prächtig gebauet worden, die andere Seite aber zeuget noch durch ihre großen runden Thürme von ihrem Alterthume. Aus der großen und schönenPlace du Chateau kömmt man durch ein Thor in den rechten Schloßhof, aus welchem man durch das Corps de Logis noch in den hintern Hof gegen den Garten fahren kann. Linker Hand findet man die Haupttreppe, und auf derselben[192] die metallene Statue des Herzogs Victor Amadeus auf einem weißen Pferde, so aus einem Stücke Marmor mit großer Kunst gehauen ist. Rand rechts: Metallene Statue Victor Amadeus. Die Unterschriften sind von dem berühmten Comte Emanuel Thesauro verfertiget, und liest man an der vördersten Seite:


Divi Victoris Amadei

Bellicam Fortitudinem

Et inflexum Justitiæ Rigorem

Metallo expressum vides.

Totum Animum videres,

Si velox Ingenium

Flexilemque Clementiam

Exprimere Metallum posset.


Die gegenüber an der Wand stehende Seite enthält die Worte:


D. Victori Amadeo

Quod unum rapere fata potuerunt

Regiam oris Majestatem

Æerna vindicat hæc imago.

In Regias virtutes & heroica gesta

Jus nullum fatis reliquit fama.


Die Gedanken sind sinnreich, ich zweifele aber, ob man inflexum wohl setze für inflexibile, weil auch beym VIRGILIO III Æeid. v. 631. inflexa cervix das jenige ist, was beym STATIO, I. Achill. v. 382. reflexa cervix genannt wird. Wenigstens ist es zweydeutig. Die Säle vor des Königs Zimmern und andern Kammern sind mit großen Tapeten, die das Leben Cyri vorstellen, behängt. Rand rechts: Kostbare Tapeten. Jacob van Zeunen, ein Niederländer, hat solche verfertiget, Kaiser Karl der fünfte hat sie an das Haus Savoyen geschenket, und werden sie sowohl wegen der Kunst und des Alterthums, als wegen der Menge der Stücke für unschätzbar gehalten. Die Zimmer des Königs sind wohl meublirt, und in seinem Schlafgemache ist die Schlacht ad Brancum deletis Lotharingicis etc. (wie die Unterschrift lautet) vortrefflich in einer Tapete vorgestellt. Die Zimmer der verstorbenen Königinn gehen auf den Schloßplatz hinaus, und stehen itzt ledig. Man findet darinnen noch gute Portraite von den königlichen Familien, nebst sieben großen Stücken von weißen und verguldeten dresdenischen Porzellan, so als ein Geschenk vom Könige Augustus gekommen sind. An diesen Zimmern geht man linker Hand in eine Galerie, die in den Pallast der verstorbenen Madame Royale führet. Rand rechts: Galerie von Statuen. In gedachter Galerie sieht man das schöne marmorne Brustbild des Kardinals Morigi, aus dem Hause Savoyen, das hölzerne Modell der Karthause, welche drey piemontesische Meilen von Turin liegt, und endlich, was das vornehmste ist, über dreyhundert meist alte marmorne Statuen, so die beyden Seiten der Galerie bekleiden. Rand rechts: Galerie von Sculpture und Antiquitäten. Der König wohnet auch in diesem andern Stockwerke, aber gegen dem Hofe zu. Das Zimmer, wo er mit seinen Ministern arbeitet, ist nahe bey seinem Audienzsaale. Aus seinen Zimmern geht man in eine schöne Galerie von Gemälden, davon die größten und besten von der Hand des Paolo Veronese sind. Rand rechts: Gemälde. Die Frescoarbeit an der Wand und vornehmlich an der Decke ist vortrefflich, und vom Chevalier Daniel, einem Deutschen, der in des Königes Diensten gestorben ist.

Der König geht aus seinen Zimmern durch eine Treppe, und der Kronprinz gerades Fußes in die Bibliothek und das Archiv. Rand rechts: Bibliothek des Königs. In jener ist zwar die Anzahl der Bücher so gar groß nicht, nachdem man siebentausend Bände nebst den Manuscripten zur Universitätsbibliothek daraus abgegeben; allein die noch vorhandenen Werke sind sowohl in der Historie, als dem deutschen Jure publico auserlesen gut. Um die Mensam Isiacam, die ManuscriptaLIGORII und die äußerliche Einrichtung des Archives in Augenschein zu nehmen, muß man[193] mit einem schriftlichen Befehle des Königs an den Archivarium versehen seyn. Die Ursachen, warum man aus diesen Dingen ein solches Geheimniß machet, mögen wohl folgende seyn: In den Archivzimmern, worinnen auch obgemeldte gelehrte Sachen befindlich, sind zwar alle Schränke verschlossen; allein es arbeiten beständig einige Secretarien daselbst, und fürchtet man, es möchte ein listiger Fremder bisweilen im Vorbeygehen etwas lesen, so manverborgen zu halten Ursache hätte. Hiezu kömmt dasjenige, was mit dem Herrn Kanzler Pfaff im Jahre 1712, da er als Präceptor bey dem Erbprinzen von Würtemberg in Turin war, vorgefallen ist. Rand links: Begebenheit des Herrn Kanzlers Pfaff. Der damalige Bibliothecarius sollte die Bibliothek in Ordnung bringen, und einen Catalogum von ihren gedruckten und geschriebenen Werken verfertigen. Er verstund wenig von griechischen, hebräischen und arabischen Manuscripten; in allen diesen aber war Herr Pfaff wohl erfahren. Auf diese Weise lag dem Bibliothecario an des Herrn Pfaffen Freundschaft: und dieser fand auch seinen Vortheil dabey, weil er die Manuscripte nach Gefallen durchsehen, excerpiren und etliche Dinge abschreiben konnte. Insbesondere traf er in einem Codice des fünften Jahrhunderts die vordem gar mangelhafte Epitomen Institutionum divinarumLACTANTII vollständig an, welche er nebst dreyen andern Tractaten im Jahre 1713 zu Paris in Octav drucken ließ. Eben dieser Gelegenheit und Bemühung hat man des IRENAEIfragmenta ἀνέκδοτα danken, die mit einer lateinischen Uebersetzung in Holland herausgegeben wurden. Man fing schon an mistrauisch zu werden, als er sich noch hier befand: und die letzte Zeit hatte er bey weitem nicht mehr die Freyheit, sich der Bibliothek nach Belieben zu bedienen, sonderlich da Herr Maffei dergleichen verlangte. Allein das meiste Aufsehen entstund erst, nachdem Herr Pfaff die fragmentaIRENAEI edirte; denn ob er gleich nicht ungemeldet gelassen, daß die Manuscripte davon in der königlichen turinischen Bibliothek vorhanden seyn: so war es doch höchstmisfällig, daß man einem sogenannten Ketzer die Freyheit gelassen, in ihren gelehrten Rüstkammern die Waffen wider ihre eigene Religion auszusuchen. Dieses ist kürzlich der Verlauf, wie Herr Kanzler Pfaff Gelegenheit gehabt, sich der turinischen Bibliothek zu bedienen. Ich weis, daß sowohl in seinem Vaterlande, als auswärts viele Zusätze gemacht, und gar wunderliche Historien von seiner Abreise aus Turin erzählet werden; allein ich muß der Wahrheit zu steuer melden, daß alle verhaßte Nebenumstände lauter erdichtete Verleumdungen gegen ihn sind, davon hie im Lande niemand, sondern vielmehr jedermann das Gegentheil, weis.

Es mag nun aber anitzo die Ursache des allzuvielen Mistrauens seyn, welche sie wolle: so ist doch gewiß, daß man Menssam Isiacam und des LIGORIIManuscripta ohne besondere königliche Erlaubniß nicht zu sehen bekommen kann. Rand links: Mensa Ifiaca. Was das erste Stück belanget: so ist solches eine ziemlich große länglich-viereckichte Kupfertafel, auf welcher viele ägyptische Götzenbilder und hieroglyphica mit Silber und einem blauen, vielleicht vermischten Metalle, das als angelaufener Stahl aussieht, eingeleget sind. Peter Bembus hat sie ehedessen besessen, aus dessen Händen ist sie an die Herzoge von Mantua gekommen, da dann LaurentiusPIGNORIVS im Jahre 1604 seine Erklärung in einer Schrift in Quart herausgegeben, nebst einer genauen Abzeichnung aller Figuren und der ganzen Tafel in ihrer eigentlichen Größe. Im Jahre 1630 als Mantua geplündert wurde, kam diese Tafel auch hinweg und in die Hände des Kardinals Pava, der sie an den damaligen Herzog von Savoyen geschenket hat. In des P. MONTFAUCON erstem Werke, ao l'Antiquité expliquée, T. II, p. 331. sind wegen dieser Tafel verschiedene grobe Fehler eingeschlichen, indem er nicht nur den Kupferstich Pignorii (den er sehr ins kleinere gebracht) umgekehrt vorstellt, sondern auch meldet,[194] daß diese Rarität in der mantuanischen Plünderung gänzlich verlohren gegangen sey. In dem Register findet man wegen des letzten Irrthums einige Verbesserung.

Was die Opera ManuscriptaPyrrhiLIGORII, Patritii Neapolitani & Civis Romani anlanget: so bestehen dieselben itzt in dreyßig Folianten, welche mancherley Alterthümer und Inscriptionen, die er erkläret und mit eigener Hand sehr wohl gezeichnet hat, in sich halten. Rand rechts: Pyrrhi Ligorii MSta. Er lebte im sechszehnten Jahrhunderte, und hielt sich meisten theils in Rom auf, woselbst er nach dem Berichte, welchen er in der Vorrede giebt, fünf und dreyßig Jahre lang an dem obgedachten Werke gearbeitet hat. Dieser langen darauf gewandten Zeit ungeachtet, hält man dasselbe nicht für gar accurat, und manche gehen noch weiter in ihrem Urtheile, indem sie des Pyrrhi LIGORII Aufrichtigkeit und bonam fidem in Anführung verschiedener alten Monumente in Zweifel ziehen.

Die ersten siebenzehn oder achtzehn Folianten gehen die Städte und Plätze nach alphabetischer Ordnung durch. Hernach folgen die Werke, de famliis antiquis; Explicatio Draconis; it. Sigillorum & vocum, quæ in veteribus Monumentis occurrunt; de magistratibus veterum Romanorum; de terræ motibus; historia picturæ & sculpturæ; seine eigenen Zeichnungen und Risse, und sonderlich die drey schönsten Theile, davon der erste de Numismatibus Imperatorum; der andere de aliis numismatibus Romanorum dictis Medaillen; der dritte de re navali veterum handelt. Alle diese Werke sind in weißem Pergament gebunden mit rothen Titeln, sauber in italienischer Sprache geschrieben und nett gezeichnet, also daß sie dieOperaLeonardiVINCI, so in der ambrosischen Bibliothek zu Mayland aufgehoben werden, in vielen Stücken übertreffen. An beyden aber würde vieles auszusetzen seyn, wenn sie in öffentlichem Drucke er schienen, weil man seit den Zeiten dieser gelehrten Männer viel mehr Licht in Entdeckung der Alterthümer bekommen. Der Kardinal Richelieu und Ludwig der dreyzehnte, sollen für LIGORII Werk vieles Geld gebothen haben; man hat solches aber allezeit als einen Schatz bey der savoyischen Familie behalten wollen. Man sagt, der Herzog Karl Emanuel habe fürLIGORII Werk achttausend Ducaten bezahlt, und die Königinn Christina auch eine Copie davon gehabt, welche itzt in des Kardinals Ottoboni Bibliothek anzutreffen sey. In der vaticanischen Bibliothek sind auch etliche Bände davon, welche ein Secretär des päbstlichen Nuntii in Turin, in währender Minderjährigkeit des itzigen Königs, aus der turinischen Bibliothek wegpracticiret haben soll, gleichwie man auch einen genfer Buchhändler bezüchtiget, daß er vor ohngefähr einem Jahre vier Blätter von Zeichnungen oder Rissen allhier gemauset habe.

Das königliche Archiv ist in eichenen verschlossenen Schränken wohl geordnet mit vorgesetzten theils gedruckten Titeln, z. E. Lettres de Milan, de Rome etc. Ceremoniel & Prerogatives de la Maison de Savoye; Negociations à la Cour de Rome; avec la France, l'Empire etc. Vicariat du St. Empire en Italie; Justifications des reliques etc. Rand rechts: Königliches Archiv. Was die einheimischen Sachen anbetrifft, sind solche nach den Provinzen und Städten eingetheilt. In jedem Schranke liegt ein besonderes Verzeichniß aller darinnen verwahrten Stücke, also daß der Archivarius in einem Augenblicke haben kann, was er suchet. Zu Ende eines jeden Jahres müssen die Minister diejenigen Schriften, so sie nicht mehr brauchen, ins Archiv senden.

Der König hatte ehemals auch ein kostbares Medaillenkabinet; allein nach und nach wurde es an dieComtesse de Verüe verschenkt, welche es mit nach Frankreich genommen, und hernach an den Herzog Regenten sehr theuer verkaufet hat. Rand rechts: Medaillenkabinet.[195]

Etliche Reisebeschreibungen geben vor, in dem Schlosse zu Turin sey eine kleine mit sechs Pferden bespannte Kutsche, desgleichen ein kleines Castel mit seiner ganzen Befestigung und Artillerie, alles von gediegenem Golde mit Edelgesteinen besetzt, zu sehen. Allein solches ist entweder niemals gewesen, oder wenigstens itzt nicht mehr vorhanden: es würden auch die letzten nothdürftigen Zeiten zu Anfange dieses Jahrhunderts nicht erlaubt haben, daß man einen solchen Schatz unangetastet gelassen hätte.

Linker Hand im Schlosse geht man aus dem andern Stockwerke des Flügels, so nach dem Garten sieht, in die Kapelle du S. Suaire, welche wegen des traurigen Heiligthums, das darinnen aufbehalten wird, ganz aus schwarzgrauem Marmor gebauet ist. Rand links: Schloßkirche. P. Guarini hat den Bau angegeben, und soll er vierthalb Millionen Livres de Piemont gekostet haben. Die Leinwand, worein Christus, nach dem Vorgeben der hiesigen Geistlichkeit, nach seinem Tode gewickelt worden, und welche auf zwoen Seiten die Statue eines Menschen in Blut eingedrückt vorstellet, wird in der Mitte der Kapelle in einem Tabernakel mit einem eisernen Gitter verwahret, und nur bey großen Solennitäten, wie z. E. die Vermählungen des Kronprinzen waren, öffentlich gezeiget. Rand links: Sudarium Christi.

Das vorgegebene Schweißtuch Christi wird zu Mainz, Lissabon und an mehr als zwölf Orten der römischkatholischen Christenheit gezeiget, und hilft man sich damit, daß vielerley Tücher und Leinwand zur Einwicklung eines Todten gebraucht worden, wie aus der Historie des auferweckten Lazari zu sehen sey. Nun hätte diese Ausflucht zwar statt bey kleinen Winden, die um die Arme, Füße, oder den Kopf können gedienet haben1, keinesweges aber bey großen Decken und Stücken, worauf der ganze Körper eines Menschen abgebildet ist, man müßte denn sagen, daß ohne alle Noth so große Tücher genommen worden, da man mit viel kleinern hätte auskommen können, und daß der Heiland nach seiner Auferstehung durch ein besonderes Wunder auf ein jedes solcher Tücher seine vollkommene Gestalt gedrückt habe, wie die Geistlichkeit zu Besançon nothwendig diesen Satz behaupten muß, indem sie sich eines Schweißtuches rühmet, welches zwar nur um das Haupt Christi soll gewickelt gewesen seyn, indessen aber doch die ganze Gestalt des Heilandes vom Scheitel des Hauptes bis auf die Fersen, in einer Länge von sechs geometrischen Schuhen weniger drey Finger breit, eingedrücket zeiget. Der P. Jac. Langelle aus dem Benedictinerorden, hat für das große Sudarium, welches der Kaiser Carolus Calvus der Abtey S. Cornelii zu Compiegne geschenkt haben soll, eine besondere Schrift heraus gegeben. Ein gleiches hat Philibertus PINGONIVS in seinem im Jahre 1581 gedrucktenSindone Evangelica gethan. Für die Ehre des turinischen Heiligthums hat Joh. JacobusCHIFFLETIVS de linteis sepulch. Christi cap. 28 die Feder ergriffen, und beruhen seine Gründe theils auf den Wunderwerken, welche durch dasselbe geschehen seyn sollen, theils auf den Bullen der Päbste Sixti des vierten und Julii, wobey er sich noch auf die viele Mühe, so man sich lange Zeit um dasselbe gegeben, beruft.

Keinem von den übrigen heiligen Schweißtüchern fehlet es an dergleichen Beweisgründen, und zeiget man zu Cadoin in Perigord für das daselbst befindliche Sudarium vierzehn päbstliche Zeugnisse und Bullen, an statt daß die Turiner nur vier aufweisen können. Der erste Besitzer dieser letzterwähnten Reliquie war (so viel man weis) Gaufridus de Charny, ein burgundischer Edelmann, welcher sie ums Jahr 1351 in die Marienkirche zu Lireyo[196] gegeben hat. In den drauf erfolgten innerlichen Unruhen des Königreichs Frankreich vertraueten die Einwohner von Lireyo im Jahre 1418 ihr Heiligthum Humberto, Herrn von Lireyo, um es sicher zu verwahren, dessen Frau aber, Margarethe von Charny, wollte es nach ihres Mannes Tode nicht wieder abfolgen lassen, sondern verschenkte es eine Zeitlang hernach, nämlich im Jahre 1452 an Ludwig, Herzogen von Savoyen, der es in Chambery beylegte, bis es im Jahre 1578 vom Herzoge Emanuel Philibert nach Turin gebracht wurde. Wie und woher Gausridus de Charny diese Reliquie bekommen, davon weis man nichts gewisses. Wider seine Verehrung regete sich gleich anfangs der Bischoff Petrus de Arceys, und andere, welche bewähreten, daß dieses Tuch durch Menschenhände gemalet worden, daher man es auch nicht als ein Heiligthum, sondern als ein Gemälde, das die Gestalt des Heilandes vorstellete, zeigen durfte2.

Was die Hochachtung, welche man gegen dasselbe anitzt ungemein weit treibt, anlanget: so hat Philipp der fünfte, König in Spanien bey Gelegenheit seiner Heirath mit der savoyischen Prinzeßinn es nach vielem Anhalten, wiewohl mit großer Mühe, dahin gebracht, daß er es zu Turin durfte copiiren lassen. Es wurden dabey aber viele heilige Ceremonien beobachtet, und unter andern mußte der Maler, so lange er daran malte, stets auf den Knieen liegen, da indessen auf acht Altären von acht Bischöfen Messen gelesen wurden. Eine ganz außerordentliche Ehre und Distinction wiederfuhr dem P. Valfré, als ihm etliche Fäden aus diesem turinischen Sudario gegeben wurden, welche er stets in seinem Brevierverwahrete und aufhob. Dieser Mann verdienet, daß sein Gedächtniß beybehalten werde, ob er gleich nur von geringem Stande, und eines Bauern Sohn war. Rand rechts: Leben desP. Valfré. Als Pater Oratorii erwarb er sich durch seine Demuth und ungefärbte Gottesfurcht, daß man ihm als dem ehrlichsten Manne fast alle Almosen, welche vornehme Leute unbekannt geben wollten, anvertrauete und versichert war, daß sie mit aller Treue und nach fleißiger Untersuchung, wer solcher am meisten würdig oder bedürftig sey, vertheilet würden. Er allein hat das meiste zu der Kirche des heiligen Philippi Neri gesammlet. Er weigerte sich, Beichtvater derComtesse de Verüe zu werden, gleich wie ein Canonicus von St. Jean sie vom Beichtstuhle ausgeschlossen hatte. Diese Aufführung des P. Valfré misfiel zwar anfänglich dem itzigen Könige nicht wenig, gab aber nachmals mehrere Gelegenheit, ihn von dieses Mannes Ehr- und Redlichkeit dergestalt zu überzeugen, daß er ihm auch dafür mit ausdrücklichen Worten Dank sagete, mit dem Zusatze: Valfré habe in diesem Stücke sich als ein frommer und ehrlicher Mann aufgeführet. Bald darauf wollte ihn der König mit aller Gewaltzum Bischofe von Turin haben; Valfré aber weigerte sich, solche Würde anzunehmen, theils unter dem Vorwande seiner geringen Gaben und Verdienste, theils wegen seiner niedrigen Geburt und Unerfahrenheit mit vornehmen Leuten umzugehen. Rand rechts: Seine Demuth. Als diese Entschuldigungen beym Könige nichts verfangen wollten, nahmValfré den Entschluß, daß er eilig auf ein nicht weit von Turin gelegenes Dorf schickte, und von daher seinen Bruder, der ein armer Müller war, in der schlechten Kleidung, wie ihn der Bothe antraf, holen ließ. Mit diesem gieng er des Morgens nach Hofe, stellete ihn mit in die doppelte Reihe des Adels, durch welche der König zu gehen pfleget, wenn er die Messe besuchet: und als der König bey solcher Gelegenheit mit Verwunderung fragte, wer dieser Bauer sey; antwortete der dabey stehende P. Valfré, es sey sein Bruder. Der König versetzte diesesmal weiter nichts, als: Je vous entends, ließ aber nicht nach, noch selbigen Tag viel stärker in den P. Valfré zu dringen, daß er das Bißthum annehmenmöchte; bis dieser endlich sich erklärte: er wolle es lieber auf des Königs Ungnade[197] ankommen lassen, worauf man ihn mit Frieden ließ. Er starb zu Anfange des Jahres 1710, in einem Alter von etlichen und siebenzig Jahren, mit einem so allgemeinen Lobe und Ruhme der Heiligkeit, daß man zu Beförderung seiner künftigen Canonisation vor Notarien und Zeugen eine weitläuftige Inscription und Nachricht von ihm auf einer bleyernen Tafel mit in den Sarg legte. Der König besuchte ihn in seiner letzten Krankheit, bath nochmals um seinen Unterricht und Segen, wobey er gestund, daß er bisher sein Land nicht so glücklich und mit der Gerechtigkeit, als nöthig sey, habe regieren können, es hätten aber die Kriegsunruhen und die Noth viele seiner guten Absichten verhindert. Rand links: Vermahnung an den König.Valfré nahm hiedurch Anlaß, dem Könige gute Vermahnungen zu geben, und ihn insbesondere zu bitten, daß er, sobald es möglich seyn würde, die Auflagen und die daraus entspringenden Seufzer der Unterthanen verringern möchte etc. Nach des Paters Tode war ein großer Zulauf zu seinem Leichname, und jedermann suchte, seinen Rosenkranz oder Schnupftuch an selbigem als an ein Heiligthum zu reiben. Die zween Prinzen und Söhne des Königs mußten auf Befehl ihres Herrn Vaters in die Kirche, wo der Verstorbene zur Parade lag, kommen, und dem Leichname öffentlich die Hände küssen; die Regierungsart aber blieb hernachmals, wie sie vorher war.

Ich wende mich aber wieder zur Schloßkapelle, in welcher der König täglich Messe höret, und geht man daraus hinunter in die Domkirche von St. Jean, an deren Fenstern die Standarten und Fahnen, welche man den Franzosen bey dem Entsatze von Turin abgenommen, in großer Menge und mehr, als der Helle von der Kirche zuträglich ist, herum hängen. Die Tribune zu der Musik nebst der Orgel in der Domkirche, sind von schöner Bildhauerarbeit und verguldet. Des Königs Musici haben ihren Platz oben in den Galerien der Hofkapelle, und verdienen, daß man sie höret, weil vortreffliche Meister darunter sind. Absonderlich wird Herr Somis mit Rechte unter die größten Violinisten unserer Zeit gerechnet, sowohl wegen der Composition, als Fertigkeit und Anmuth, so er seiner Musik zu geben weis.

Ehe ich dieses Schreiben schließe, muß ich des Gartens noch gedenken, welchen der König hinter dem Schlosse in den Befestigungswerken der Stadt sehr bequem anlegen lassen. Rand links: Garten. Die Pyramiden und Taxis sind darinnen sehr schön nebst den Hecken von Buxbaume, die fünf bis sechs Fuß hoch, über zween Fuß dick sind, und von den auf der Seite gemauerten Brustwehren geschützet werden. Eine Allee von Linden wird vor andern hoch gehalten, weil sie ohne Aeste hoch in die Höhe gewachsen, und dann erst in Kronen sich ausbreiten. Die Stämme sind bis an die Krone mit Baste eingebunden, entweder zum Schutze wider die Kälte, oder vielmehr das gerade Wachsthum ohne Aeste zu befördern. Die Linden sind übrigens in diesen Gegenden wenig bekannt, und hat man diese Stämme klein aus Holland gebracht. In dem Garten ist eine kleinere Abtheilung mit einer Taxishecke, welche sieben Fuß in der Höhe und drey Fuß in der Dicke hat, abgesondert. Weil die verstorbene Königinn diesen Platz zu ihrem Spaziergange erwählet hatte, so heißt er noch le Jardin de la Reine.

Weil dieser ganze Platz in der Fortification liegt: so ist auch daraus vermittelst eines breiten Gewölbes ein Ausfall und eine Communication mit den Außenwerken. Itztgedachter Gang geht durch den ganzen Garten; ein Fremder aber wird den Eingang schwerlich finden, wenn er nicht zur Zeit, da die Blätter von allen Hecken und Buschwerke abgefallen sind, mit Fleiße darnach suchet. Die Beschreibung der königlichen Lusthäuser auf dem Lande verspare ich bis künftige Post etc.


Turin, den – – –

Fußnoten

1 Das Wort Sudarium wird auch von kleinen Tüchern, wie heut zu Tage unsere Schnupftücher sind, gebrauchet, und setzet SVETONIVS von Nerone (cap. 51, in vita) er sey ausgegangen ligato circa collum sudario.


2 Conf.CHIFFLET. l. c. &BYNAEIChrist. crucif.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 198.
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