[207] Neun und zwanzigstes Schreiben.

Von des Königs in Sardinien Kriegesverfassung.

Mein Herr!


Ich komme auf des Königs von Sardinien Kriegesverfassung. Die Lage seines Landes in terra ferma bringt es mit sich, daß er bey allen Unruhen, die zwischen dem Hause Oesterreich und Bourbon bisher entstanden, auf seiner Hut seyn müssen; er hat aber auch sowohl als seine Vorfahren bey allen bisherigen Kriegen seit hundert und mehr Jahren seinen Vortheil davon zu ziehen gewußt. Rand links: Kriegesverfassung des Königs. Je kostbarer es sowohl den Franzosen als deutschen Kaisern ist, in Italien Kriege zu führen, desto theurer hat das Haus Savoyen seine Hülfe und Freundschaft anzubringen gewußt. Rand links: Interesse des Königs von Sardinien. Das Herzogthum Savoyen steht den Franzosen stets offen, und ist bey vorfallenden Mishelligkeiten ohne den geringsten Widerstand in feindlichen Händen, weil es seit dem letztern Kriege weder mit inländischen noch Gränzfestungen versehen ist. Gegen Frankreich ist auch nichts zu gewinnen, sowohl wegen der Macht der französischen Monarchie, als wegen der Beschaffenheit und der Gebirge des Landes, welche nicht zulassen, daß der König von Sardinien seine Gränzen auf dieser Seite viel erweitere. Anbey ist Frank. eich im Stande, dem Könige von Sardinien wider alle seine Feinde genugsamen Beystand zu leisten. Auf der andern Seite hält es schwer, mit Gewalt dem Hause Oesterreich etwas abzunehmen, und seine Macht dadurch zu verstärken; daher man noch allezeit gesucht durch Bündnisse und Verträge sich etwas auszudingen, bis man nach und nach Gelegenheit gefunden, fast ganz Montferrat und etliche andere benachbarte Gegenden unter savoyische Bothmäßigkeit zu ziehen. Was zu Anfange des itzigen Jahrhunderts paßiret, wird dem Hause Savoyen zur Warnung dienen, daß es nicht so leicht mehr in offenbaren Krieg mit Frankreich verfalle, sonderlich wenn England und Holland nicht mit ihrem Gelde beytreten; es wird aber der König von Sardinien bey vorfallender Gelegenheit nicht unterlassen, sich auch seine Neutralität von dem Hause Oesterreich theuer genug bezahlen zu lassen. Der König unterhält itzt zwanzig bis zwey und zwanzigtausend Mann regulirte Truppen, ohne die Garde zu Pferde und Artillerie, desgleichen ohne funfzehn Nationalregimenter oder wohlgeübten Landausschuß, von welchen letztern der König einem jeden die Kleidung und täglich einen Sol, der etwan drey Pfenninge austrägt, reichet. Rand links: Landmiliz. Diese Leute bleiben stets zu Hause, und können durch Arbeit im Lande ihr Brodt verdienen; zweymal aber des Jahres werden sie gemustert und in Waffen geübet, bey welcher Gelegenheit sie etliche Wochen beysammen bleiben, und in währender solcher Zeit wie die regulirten Völker bezahlt werden. Solche funfzehn Regimenter machen etwan sechstausend Mann aus. Der König hatte ehemals ein Regiment, bey welchem alle Officiere Chevaliers de Malthe waren, daher man es le Regiment de la Croix blanche nennte. Rand links: Regiment de la Croix blanche. Es war dieses etwas prächtiges für jeden großen Herrn; allein der König fand bald, daß ihm mit einem andern Regimente besser gedienet sey. Durch etliche Aufbothe des Großmeisters befand sich das besagte Regiment auf eine Zeitlang ohne alle Officiere: und weil diese auch lauter vornehme Leute waren, so ließen sie sich nicht in einer gar zu genauen Kriegeszucht halten; daher kam es endlich, daß sie der König nach und nach gänzlich abgehen ließ. Er unterhält vier Regimenter[208] auswärtiger und meist deutscher Truppen, welche bey fünftausend Mann ausmachen, und nicht nur seiner Gewalt in seinem eigenen Lande ein mehreres Gewicht geben, sondern auchdazu dienen, daß die savoyischen und piemontesischen Soldaten ein Muster von wohleingerichteter Kriegesdisciplin vor sich sehen und davon lernen können. Rand rechts: Auswärtige Truppen. Ueber dieses hat der König den Vortheil, daß mehr Leute beym Landbaue in seinem Gebiethe bleiben, wenn ein solcher ansehnlicher Theilder Kriegesmacht aus fremden Nationen aufgerichtet und ergänzet wird. Was für ein großer Nutzen es sey, das Land in Friedenszeiten mehr mit Bauern, als mit Soldaten zu besetzen, solches hat der vorige König von England, Georg der erste, wohl eingesehen; daher er in seinen deutschen Provinzen verordnet, daß man für zehn Thaler einen jeden Soldaten seiner Kriegesdienste erlassen soll, wenn dieser ein Bauer werden, und einen Hof annehmen will. Rand rechts: Jusmultorum liberorum. Der König von Sardinien hat gleichfalls vor kurzer Zeit ein Gesetz, welches die Herzoginn Christina im Jahre 1648 als Vormünderinn gegeben, und die Ausbreitung des menschlichen Geschlechts zum Endzwecke hat, erneuert. Kraft dessen sind alle Aeltern, die zwölf eheliche Kinder haben, lebenslang frey von allen Auflagen auf ihre Güter, die sie vor der Geburt des zehnten Kindes erworben, oder durch Erbschaft hernach erlangen, desgleichen von allem Zoll und Licent der inländischen Waaren, und zahlen sie allein das Brücken-Weg- und Hafengeld. In die Zahl der zwölf Kinder rechnet man nicht nur die Söhne vom ersten Grade, sondern auch die Enkel, deren Vater vor ihrem Großvater gestorben, nebst denen, welche unter den Kriegesvölkern wider die Feinde ihr Leben verlohren haben. Von den auswärtigen Regimentern des Königs in Sardinien gehört das erste dem General von Rhebinder, und das andere dem Obersten von Schulenburg. Jedes besteht aus zwölfhundert Mann: und weil sie besondere Capitulationen haben, so genießt ein Oberster von dergleichen Regimente jährlich auf zehn bis zwölftausend Thaler, wie ich solches aus dem Munde des Generalfeldmarschalls, Herrn Grafen von Schulenburg habe, der ehedessen das Regiment gehabt, so diesen Namen führet. Rand rechts: Rhebinderisches Regiment. Rand rechts: Von dieses Generals Bekehrung. Das rhebinderische Regiment bestund ehemals aus lauter Protestanten; es hat sich aber darinnen nach der Religionsveränderung des Generals vieles verändert. Die Generalinn rühmet sich, nach ihrer Meynung, eines sonderbaren Glückes, nämlich, daß dieses ihr zweyter Mann ist, welchen sie der römischen Kirche zuführet; wiewohl es das Ansehen nicht hat, daß der letzte jemals einen großen Eiferer oder blinden Verfechter seiner neuen Religion abgeben werde. Unter seinem Regimente sind nur noch fünf evangelische Officiere; dreyzehn haben auf einmal abgedankt, da man ihnen den evangelischen Prediger nahm. Als im Jahre 1710 eine starke Anzahl neugeworbener Leute für dieses Regiment nach Piemont kam, waren darunter viele gemeine Soldaten, die zwey bis dreymal katholisch wurden, wenn sich Gelegenheit fand, oftmals in neue Garnisonen, wo man sie nicht kannte, zu kommen. Die Ursache solches Zulaufes zur päbstlichen Religion war kein heiliger Eifer oder eine Gewissensüberzeugung, sondern die Summe von fünf Livres, welche man einem jeden, der zur römischen Kirche übertrat, auszahlete, außer dem was sie von Klöstern oder andern gutherzigen Leuten, die sich über den Anwachs ihrer Glaubensgenossen freueten, bekamen. Unter diesen neugeworbenen war ein ehrlicher Schwabe so treuherzig, daß er allenthalben in Turin herum gieng, und in seiner Muttersprache fragte: wo das Kloster sey, da man fünf Livres kriegte, wenn man katholisch würde?

Im schulenburgischen Regimente sind nur zween römischkatholische Officiere, welche erst nach erhaltener Bedienung zu der römischen Kirche übergetreten sind.

Das Regiment des Obersten Hackbret besteht meistentheils aus Schweizern, ist nebst[209] seinem Haupte der protestantischen Lehre zugethan, und genießt eines besondern Accords. Der König giebt für jeden Mann monatlich achtzehn Livres, und werden auch die Capitaine, Lieutenante und Fähndriche nicht höher gerechnet. Der Oberste ist gleichsam das Haupt seiner Republik, er wirbt, nimmt an, danket ab, und kleidet seine Leute nach eigenem Gefallen, und hat ihm niemand bey der Besetzung der Officierstellen etwas einzureden.

Das Regiment von La Porte, welches gemeiniglich in der turinischen Citadelle liegt, machet keinen Unterschied der Nationen; indessen besteht der meiste Theil desselben aus französischen Flüchtlingen. Rand links: Regiment von La Porte Die Capitulation ist auf Protestanten gerichtet, und itzt nur ein einziger römischkatholischer Officier darunter, welcher seiner Frau zu Gefallen übergetreten ist, nachdem er schon lange unter dem Regimente gewesen war. Rand links: Wie es die protestantischen Soldaten wegen des Venerabilis machen. Dieses Regiment hatnoch nicht nachgegeben, daß die Soldaten selbst, indem sie auf den Posten stehen, niederknieen, wenn das Venerabile vorbey getragen wird. Hingegen haben das rhebinderische und schulenburgische sich schon darein ergeben; wiewohl von dem ersten sieben bis acht Hauptleute lieber abgedanket, als daß sie sich zu solcher Verehrung entschlossen. Das hackbretische Regiment geht hierinnen gleichsam noch einen Mittelweg. Die gemeinen Soldaten, so auf der Wache sind, knieen nieder, und die Officiere machen sich auf die Seite, wenn das Venerabile vorbeygetragen wird. Dergleichen Gewissensscrupel eräugen sich nur bey den Soldaten, die auf Commando stehen; denn übrigens wird in diesen Landen weder auf der Straße noch in den Kirchen jemand zum Niederknieen gezwungen, selbst in des Königs Kapelle nicht, obgleich er und der ganze Hof nebst der Wache bey der Elevation auf die Kniee fallen. Der General Rhebinder hat außer seinem Regimente dreyßigtausend Livres Pension. Rand links: General Rhebinder. Er ist von Geburt ein Liefländer, und stund vorher in churpfälzischen Diensten. Sein Titel ist: S. Excell. Bernard Otto, Baron de Rhebinder, Chevalier de l'Ordre de l'Annonciada, General d'Artillerie dans les Armées de Sa Maj. le Roy de Sardaigne, Gouverneur de la Ville & Province de Pignerol & Vallées conquises; Colonel d'un Regiment d'Infanterie Allemande & Commandant en Chef les Armées du Roy.

Zu Erhaltung guter Kriegeszucht und Ordnung hilft viel, daß die Regimenter abwechseln, um in Turin als des Königs Garde zu Fuße zu dienen. Rand links: Disciplin unter den Truppen. Das gegenwärtige Auge des Königs macht viele sorgfältiger, als sie vielleicht sonst würden gewesen seyn. Es ziehen täglich zur Ablösung der Wache bey hundert und achtzig Mann auf, darunter vier und zwan. zig Granadierer, acht und zwanzig bis dreyßig Reuter, und ohngefähr hundert und dreyßig Musketierer sind.

Die Compagnie des Gardes du Roy trägt sechs und zwanzigtausend Livres ein. Rand links: Les Gardes du Roy. Die Gemeinen sind meistentheils Edelleute. Jeder hat monatlich vier und zwanzig Livres. Vier halten zusammen einen Knecht, dem jeder monatlich fünf Livres Kostgeld und einen Livre Lohn giebt. Also bleibt zu großen Ausgabenwenig übrig. Die Montierung haben sie vom Könige, ausgenommen die großen gelben Knöpfe, so sie selbst hergeben oder von alten behalten müssen, obgleich ein solcher Knopf nicht mehr als vier Sols kostet. Der König fährt sehr stark, und also haben sie beschwerliche und starke Ritte. Von Turin nach der Venerie fährt man eine starke Stunde, wenn gleich die Pferde immer im Trabbe gehen; nach Rivoli sind drey Stunden; der König aber legt jenen Weg allezeit in einer Vierthelstunde, und diesen in drey Vierthelstunden zurück. Die Pferde, so crepiren, kommen den Hauptleuten zum Schaden. Vor dem Königereitet allezeit der Marechal du Logis nebst fünfen von der Garde du Corps, und eilfe folgen hinter der Kutsche. Fährt der Prinz oder die Prinzeßinn, so reitet ihr Marechal du Logis oder ein Ecuyer neben dem Wagen.[210]

Bey den übrigen Truppen hat ein Cornet achthundert und vier und achtzig Livres und für anderthalb Pferde Portion. Rand rechts: Unterhalt der Truppen. Ein Hauptmann bekömmt monatlich hundert und zehn Livres, und hat der König genau ausgerechnet, was sie für sich und einen Knecht brauchen; sie müssen sich aber gar sparsam behelfen. Es ist wahr, daß dergleichen Officiere in Turin Gelegenheit finden, zweymal des Tages für fünf und zwanzig Livres monatlich zu speisen; allein die Tafel ist solchergestalt beschaffen, daß sie nicht Ursache haben zu fürchten, sie möchten gar zu fett dabey werden. Rand rechts: Was eigentlich eine Beförderung zuwege bringe? Der König hat ein genaues Verzeichniß aller seiner Officiere, und bemerket an jedem seine Tugenden und Fehler. Er erkundiget sich von Zeit zu Zeit nicht nur bey einem, sondern mehrern, ob dieser sein Laster noch an sich habe, ob jener noch seine guten Qualitäten besitze? und was dergleichen Dinge noch mehr sind. Nach solcher seiner Einsicht befördert er die Leute, und bindet sich nicht an die Zeit und Jahre, welche sie in seinen Diensten zugebracht haben. Monsieur de Martiniere war kürzlich noch jüngster Capitain unter einem Regimente, itzt hat ihn der König, dem seine gute Aufführung bekannt war, auf einmal zum Lieutenant de la Garde, der sonst Oberstenrang hatte, gemacht. Der König will auch, daß man alle Bedienungen für gleich hoch bey ihm halte, weil er sie selbst vergiebt und nach Gefallen erhöhet. Ein Staatsminister bath einsmals die Stelle eines Lieutenants oder Fähndrichs für seinen Sohn aus, comme un petit employ; der König aber antwortete: je n'ay point de petits emplois à donner. Man findet deswegen aus den vornehmsten und reichsten Familien auch einzige Söhne, welche Fähndriche und Lieutenante sind; und hält man diese Bedienungen allhier viel höher als unter andern Truppen. Die Comtesse de Carpené, eine Dame von vielem Verstande, erzählte neulich, daß, als der Prinz Eugen in diesen Landen gewesen, einsmals nebst ihr zwanzig Damen bey Hofe erschienen, welche der König mit folgenden Worten dem Prinzen präsentiret: Ce sont les Dames de la premiere qualité de mon païs, l'une est femme d'un Capitaine & les autres le sont de Cornets. Der Prinz Eugen sagte weiter nichts, als in Deutschland sey es ganz anders. Es hilft aber hiezu vieles, daß, wie ich oben erwähnet, auch zu Hofbedienungen niemand gelanget, der nicht vorher in Kriegesdiensten gestanden ist.

Die Disciplin wird unter den Truppen streng in Acht genommen: und muß ich allhier ein Exempel erzählen, so in verwichenem Winter vorgefallen ist, und bey dem gemeinen Manne einen großen Haß wider das ketzerische Regiment von Schulenburg erwecket hat. Rand rechts: Exempel der scharfen Kriegesdisciplin. Es lag solches zur Garde des Königs in Turin: und fügte es sich, daß ein Unterofficier einem gemeinen Soldaten, der wider ausdrücklichen Befehl ins Wirthshaus gegangen war, daselbst etliche Schläge mit dem Stocke über den Kopf gab. Dieses trug der Musketier dem Officier nach: und als die Wache etliche Tage hernach auf- und vor der Ecke der Franciscanerkirche vorbey zog, schoß der Soldat den voran marschirenden Unterofficier von hinten zu übern Haufen, als sey ihm von ohngefähr das Gewehr losgegangen, und entsprang er darauf in die Kirche. Rand rechts: Wie weit der König die Asyla gelten lasse? Der itzige Oberste von Schulenburg gieng in Abwesenheit seines Vetters des Generals zum Könige, und stellte vor, was für üble Folgen auch gegen die höhern Officiere es haben könnte, wenn dergleichen Verbrechen nicht aufs schärfste bestrafet würde. Indessen war das Kloster und die Kirche mit Soldaten umringet, und der König verlangte von dem Erzbischofe die Auslieferung des Missethäters. Die Clerisey berief sich auf ihre Kirchenfreyheit, und war in Furcht, die Officiere des schulenburgischen Regiments möchten den Missethäter in der ersten Hitze gleich aufhängen lassen, da die Pfaffen ihn doch desto mehr durchzuhelfen suchten, weil er ansehnlich von Person und der römischkatholischen Religion zugethan war. Endlich gab der König sein Wort an den Erzbischof: es sollte den[211] Kirchenrechten nichts zum Nachtheile gereichen, die Auslieferung in des Königs Gewalt auch nur zu dem Ende geschehen, damit die Sache desto ordentlicher untersucht werden könnte: und sollte der Musketier wieder in die Kirche frisch und gesund geliefert werden, wenn es sich fände, daß er des Juris Asyli genießen könnte. Nach dieser Zusage befahl der Erzbischof dem Kloster, den Musketier an zwölf Granadierer des schulenburgischen Regiments, welche, um ihn abzuholen, geschickt wurden, auszuantworten. Die Mönche aber gaben vor, sie wüßten nicht, wo er sey. Hierauf gieng der abgeschickte Lieutenant mit etlichen seiner Leute in die Kirche, durchsuchte alles, und fand endlich den gemeldten Musketier in einer unterirdischen kleinen Kammer oder ledigem Grabe. Er wollte nicht heraus; daher legten vier Granadierer Gewalt an, zogen ihn an das Tageslicht, schleppten ihn durch die Kirche, und trugen ihn endlich fort. Das gemeine Volk lief zusammen, schrye, es wäre um die ganze Religion gethan, man ließe den Ketzern zu, daß sie das Heiligthum verunehrten, ja so viel man thun könne, kreuzige man Christum noch einmal. Die Furcht vor den König uno die gewaffneten Begleiter des Missethäters hielten das Volk ab, daß sie in ihrem Tumulte nicht weiter giengen; indessen wurde der Gefangene nach der Schloßwache gebracht und ihm der Proceß gemacht. Solches geschah in Beyseyn des königlichen Fiscals. Das Protocoll wurde jederzeit dem Erzbischofe mitgetheilet; und weil sich der Gefangene selbst verrieth, daß der Schuß mit seinem wohlbedachten Willen geschehen: so wurde das Urtheil gesprochen, daß er die rechte Hand verlieren, viermal mit glüenden Zangen gezwicket und hernach gehenkt werden sollte. Dem Könige selbst kam dieser Spruch anfänglich hart vor, und verlangte er die Ursachen für und wider denselben. Solche brachte ihm der itzige Oberste von Schulenburg, und der König ließ es dabey bewenden. Den Abend vor Vollziehung des Urtheils wurde der Missethäter aus der Schloßwache nach der Citadelle gebracht, weil darinnen das erste Bataillon vom schulenburgischen Regimente lag. Das Volk lief zwar zusammen; allein weil sie glaubten, der Gefangene würde wieder nach der Kirche, woraus er genommen war, und welche auf selbigem Wege liegt, gebracht: so regte sich niemand sonderlich. Des andern Morgens wurde vor der Citadelle ein besonderes Gerüste verfertiget, und darauf das Urtheil vollstrecket, mit großer Standhaftigkeit des Verurtheilten, welcher unter seinem beständigen vermeynten Gebethe dabey blieb, erhabe recht gethan, undwürde es nochmals also machen, wenn ihm dergleichen begegnete.

Die letzten vierzig Jahre haben erst die Piemonteser in Kriegessachen recht aufgeweckt, und währender dieser letzten Kriege hat man unter ihren Völkern etliche so heldenmüthige Thaten gesehen, daß sich auch die alten Römer daraus eine Ehre würden gemacht haben. Rand links: Heldenthat des Comte des Santena. Als zu Ende des vorigen Jahrhunderts Catinat in das piemontesische Gebieth einbrach, lag dem itzigen Könige und damaligen Herzoge viel daran, nur etwas Zeit zu gewinnen, um in Turin bessere Anstalten zu machen. Zu diesem Ende sandte er den Major und nachmaligen General, Comte de Santena, mit etlichen hundert Mann in das drey deutsche Meilen vor Turin gelegene alte Schloß zu Veillane, woraus das Thal und der Weg von Suse bestrichen werden konnte. Als die französische Armee, welche dreyßigtausend Mann stark war, vorbey wollte, beschoß sie Santena mit der wenigen Artillerie, so er bey sich hatte. Catinat, dem dieses fremd vorkam, schickte hinauf in das Schloß, und drohete, den Commendanten henken zu lassen. Dieser antwortete: solches sollte wenigstens an seinem lebendigen Leibe nicht geschehen, und übergebe er das Castel nicht, bis Canonen davor kämen. Catinat voller Zorn ließ eine Batterie aufwerfen, und foderte das Schloß noch einmal auf. Santena antwortete: es müßte erst Bresche geschossen werden; und als der Anfang dazu gemacht[212] worden, erboth er sich zur Uebergabe. Catinat schickte einen Lieutenant in das Castel; um den Accord zu schließen; allein unter keiner andern Bedingung, als daß die gemeinen Soldaten Kriegesgefangene seyn, und die Officiere gehenkt werden sollten. Santena führte den abgeschickten Lieutenant in sein Zimmer, schloß die Thür hinter ihnen beyden zu, und brachte ihn zwischen zwo Tonnen voll Pulver, bey welchen zwo brennende Lunten lagen. Die eine davon ergriff Santena, setzte sich auf die eine Tonne, und vermahnte den Lieutenant dergleichen zu thun, weil es doch gestorben seyn müßte, und würde noch mancher Franzos mit in die Luft springen, ehe alle Piemonteser im Schlosse umkämen. Dem Lieutenant war bey diesem Compliment mcht wohl zu Muthe, bath daher den Santena, seinen Vorsatz zu ändern, mit dem Versprechen, alles mögliche zu thun, daß der Besatzung eine gute Capitulation gegeben würde. Mit dieser Versicherung ließ ihn der Commendant wieder in das Lager. Catinat, da er dieses hörte, sagte: er müsse diesen Mann sehen, und gab ihm die Capitulation, daß er nebst seinen Leuten mit Untergewehre frey abziehen durfte. Als Santena vor ihm vorbey gieng, redete ihn der Marschall an: er (Santena) verdiene zwar, daß er gehenkt würde; allein erwolle ihm doch zeigen, daß er die Tapferkeit auch in seinen Feinden hoch halte, und sollte er mittags mit ihm speisen. Ueber der Tafel rieben sich etliche französische Officiere an den Santena sonderlich damit, daß sein Herzog gleichwohl Bündnisse mit den Ketzern wider den allerchristlichsten König gemacht habe. Nachdem er lange geschwiegen, fragte er endlich den Marschall: ob ihm erlaubt sey, frey zu antworten? Als ihm Catinat solches zugestanden, versetzte er: es sey wahr, daß sein Herr zu seiner Selbsterhaltung die Waffen wider den König von Frankreich ergriffen, und Bündnisse mit Ketzern, nämlich England und Holland gemacht habe, dieses gestehe er alles, ja noch dazu, daß sein Herzog viel weiter gegangen, und es noch schlimmer machen wollen, indem er nach Constantinopel geschickt, um ein Bündniß mit den Türken zu machen; allein es sey nichts daraus geworden, weil sichs gefunden habe, daß ihm der allerchristlichste König in diesem Stücke schon zuvor gekommen sey. Catinat lachte die andern, die sich solche Antwort auf den Hals gezogen hatten, aus, und gab ihnen die Lehre: sich niemals mit Railterlen an Leute zu machen, die einigermaßen in ihrer Gewalt und im Unglücke wären. Santena war indessen bey allen diesen Umständen so glücklich, daß er seinem Herrn eine Zeit von etlichen Tagen gewann.

Wie lange und tapfer der Marquis d'Entreyve in dem letzten Kriege Verua gegen die Franzosen vertheidiget, ist genugsam bekannt. Rand rechts: Schöne That des Marquis d'Entreyve. Die Alliirten hatten ein Lager nahe dabey am Po, und ließ der itzige König von Sardinien öfters mit Louisd'or gefüllte Bomben in Verua schmeißen, um die Besatzung destomehr aufzumuntern; allein der Hunger und Mangel von Lebensmitteln machte endlich, daß sie sich ergeben mußte. Bey dem Abzuge ließ d'Entreyve ein Commißbrodt auf einer Pike vor sich hertragen, und da er vor dem französischen Generale vorbeygieng, sagte er ihm: dieses Stück Brodt sey der einzige Proviant, welcher in der Festung übrig geblieben; wenn er nur noch auf zween Tage mit Lebensmitteln versehen gewesen wäre, sollte es mit der Uebergabe noch weitläuftig ausgesehen haben.

Auch unter auswärtigen Truppen haben sich die Piemonteser durch ihre Tapferkeit hervorgethan, und findet man davon ein lebendiges Exempel an dem kaiserlichen General St. Amour1. Rand rechts: Von dem General St. Amour. Als er Oberster wurde und ein Regiment bekam, gab es vieles Sticheln der adelichen Officiere wider ihn, der nur ein Bauernsohn ist, und mußte er sich gegen vier seiner Capitains schlagen, die auch alle vier auf dem Platze blieben. Bey dem letzten sagte[213] er: nun seyn noch acht übrig; diese aber ließen es dabey bewenden. Es verdienet dieser Mann alle Hochachtung, nicht nur wegen seiner Herzhaftigkeit, sondern auch wegen der Bescheidenheit, welche ihn seiner niedrigen Ankunft niemals vergessen macht. Er hatte einsmals in Piemont die vornehmsten Generale zu Gaste, als sein Vater kam und sich ansagen ließ; St. Amour wußte sich gleich zu finden, sagte es seinen Gästen, mit dem Zusatze; er wisse wohl, was er ihnen schuldig sey, bäthe aber um die Erlaubniß, daß er mit seinem Vater in dem nächsten Zimmer allein essen dürfte; welches auch geschah, obgleich die Gästesehr anhielten, daß er seinen Vater mit an ihre Tafel setzen möchte. Auf diese Art fand er Mittel, seine Schuldigkeit sowohl gegen den Vater als die vornehmen Fremden zu beobachten. In dem Dorfe, woraus er gebürtig ist, hat er zwo sehr löbliche Stiftungen von Capitalien gemacht; die eine ist für arme Mägdchen, um solche auszusteuren, und die andere, daß alle Bauern ohne ihre Unkosten im Schreiben und Lesen sollen unterrichtet werden.

Wegen des Generals Rostallerie, welchen mein Herr ehemals gekannt hat, muß ich berichten, daß er noch in gutem Andenken sey, und seine Tapferkeit in den Belagerungen von Verua und Turin sich bey verschiedenen Gelegenheiten gezeiget habe. Rand links: Vom General Rostallerie. Denen Deutschen war er nicht allzugünstig, wegen einer Verdrießlichkeit, die er noch als kaiserlicher Haupte mann gehabt hatte. Es fiel ihm ein Pferd im Stalle um, welches er todt durch seine Knechte heraus ziehen ließ. Diese mochten es nicht recht machen, und da trat ihr Herr zu, legte Hand an, und half an dem Stricke ziehen, wie die Italiener und Engländer aus solchen Dingen nichts machen. Darüber bekam er vielen Verdruß mit den übrigen Hauptleuten, welche nicht mit ihm dienen wollten. Der Herzog von Lothringen, als Generalissimus, ließ bey der Parole befehlen, ihm desfalls keine Schwierigkeit zu machen, ja er ließ ihn selbst mit sich speisen; allein es half alles nichts; wollte er Ruhe haben, so mußte er die Dienste quitiren.

Ich kann nicht umhin noch eine That eines Piemontesers anzuführen, welche wenigstens vor der Welt sehr groß scheinen, und ihrem Urheber zu desto größerm Lobe gereichen muß, jeweniger dieser weder von solchen Vorfahren entsprossen, noch solche Erziehung gehabt, welche ihm die ehrgeizigen Gedanken, woraus sonst viele große oder sogenannte edle Thaten zu entspringen pflegen, hätten einflößen können. Rand links: Merkwürdige That eines Minirers, Mica. In der Belagerung von Turin 1706 waren die Franzosen auf eine der großen unterirdischen Galerien von der Citadelle gekommen, und hatte der Ingenieur, welcher diesen Gang entdeckt, zweyhundert Louis d'or Belohnung empfangen, weil die Franzosen sich gewisse Hoffnung gemacht, dadurch bis in das innerste des Castels zu gelangen, dahersie auch gleich mit zweyhundert Granadierernsich daselbst festsetzten. Dieses sah einer, Mica genannt, von Geburt ein piemontesischer Bauer, der aus Noth zum Miniren war gebraucht worden, mit seinem natürlichen Verstande und durch die Uebung aber in dieser Arbeit es so weit gebracht hatte, daß er Corporal unter den Minirern worden. Er arbeitete damals eben mit zwölf bis zwanzig Mann an diesem Orte, um eine Mine in vollkommenen Stand zu setzen. Sobald er die Franzosen über sich und beschäfftiget vermerkte, um sich der Galerie recht zu bemächtigen: so sah er wohl, daß sein Werk hernach unbrauchbar seyn, und die Feinde einen Ort besetzen würden, der den Belagerten[214] höchst nachtheilig werden müßte. Er sah auch, daß ersterben müßte, wenn er solches verhindern wollte, weil seine Mine noch keinen Saucisson oder Wurst hatte, wodurch er sie mit geringerer Gefahr hätte anzünden können. Viel Bedenkzeit war nicht vorhanden: also fassete er geschwind seinen Entschluß. Um die Leute, so bey ihm waren, zu erhalten, gab er ihnen Befehl, sich alsbald aus den Gewölbern zu machen, und ihm, wenn sie in Sicherheit wären, ein Zeichen vermittelst eines Büchsenschusses zu geben, dem Könige aber zu sagen, daß Mica um Brodt für seine Frau und Kinder bäthe. Sobald er das Zeichen gehöret, steckte er die Mine in Brand, und sprengete dadurch sich und die zweyhundert französischen Granadiererin die Luft. Ich überlasse meinem Herrn, das Urtheil über diese That nach Belieben zu fällen, und setze nur dieses hinzu, daß der König nicht nur der Witwe mit ihren Kindern den nöthigen Unterhalt, sondern auch den Nachkommen dieses Mica jährlich sechshundert Livres auf alle folgende Zeiten verordnet hat.

Die Gardes du Corps bestehen aus drey Compagnien, nämlich der savoyischen, der piemontesischen und der sicilianischen. Rand rechts: Gardes du Corps,

Ehemals hatten die Capitains derselben den Rang als Generalfeldmarschalllieutenante, die Lieutenants als Obersten, und die Cornets als Oberstlieutenante; welches itziger Zeit nicht mehr ist. Indessen ob ihnen gleich kein besonderer Rang angewiesen ist, werden sie doch immer unter die Vornehmsten des Hofes gerechnet.

Was die Festungen des Königs von Sardinien in dem fußfesten Lande anlanget: so hat sich deren Anzahl seit den letzten zween Kriegen sehr verringert, nachdem die Franzosen alle haltbare Plätze, so in ihre Gewalt gekommen, als Montmelian, Casal, Verua, Verceil etc. in die Luft gesprenget haben. Rand rechts: Festungen des Königs: Indessen ist Piemont noch wohl verwahret, wenn man die Seite gegen Mayland ausnimmt. In diesem itzigen Jahre hat man bey Alexandria an dem Flusse Taner einige Werke angeleget; weil sich aber der Kaiser dawider reget, so nennet man sie nur Reparationes. Rand rechts: Alexandria. Gegen Frankreich wird itzt Fenestrelle stark befestiget. Rand rechts: Fenestrelle. Von dem trefflichen Fort la Brunette, bey Suse, woran man schon funfzehn Jahre arbeitet, habe ich meinem Herrn schon anderwärts Bericht abgestattet, und ist die Hauptstadt Turin mit ihrer Citadelle noch übrig zu beschreiben2. Rand rechts: Citadelle von Turin. Um in dieser sich recht umzusehen, wird besondere Erlaubniß vom Gouverneur erfodert, und dennoch wird man nicht auf die Wälle und Bastionen gelassen. Sie ist ein Pentagonum regulare oder un Fort à cinq Bastions Royaux, unter deren jeder ein gewölbter tiefer Ziehbrunnen ist, also, daß man ihnen das Wasser nicht benehmen kann. Uebrigens kann man in Ansehung der Menge von unterirdischen Gewölbern und Werken wohl sagen, daß die ganze Citadelle gleichsam in der Luft stehe. Die Lage ist etwas weniges erhöheter als die umliegende Gegend, und kann man kein Wasser in die Gräben und niedrige Werke leiten, worinnen ihre vornehmste Stärke besteht, weil sonst die Minen und Souterrains wenig helfen würden. Sie ist auch wohl befestiget und unterminiret gegen die Stadt zu, an welcher sie noch näher liegt als die Citadelle zu Mayland. Der letzten gereichet diese allzu genaue Nachbarschaft zu großem Nachtheile, weil die Stadt Mayland gar nicht befestiget ist: Hingegen in Turin ist es anders bewandt, und geben beyderseits Befestigungen einander nur desto größere Stärke. Man geht über etliche Brücken[215] und Gräben von der Stadtseite durch ein Thor, dessen Ueberschrift anzeigt, daß der itzige König im ein und zwanzigsten Jahre seines Alters dieses Castel in festen Stand gesetzt habe. Ferner kömmt man durch einen Donjeon oder großen runden Thurm, welchen allein man von außen mit seinem sehr platten Dache sieht. In diesem sind die Magazine für Lebensmittel nebst einem Theile der Kriegesmunition. Seine Gewölber sind so dick, daß sie allen Bomben widerstehen, und haben die Franzosen in der Belagerung 1706 viele hundert derselben vergeblich darauf geworfen. Die Bombons oder großen Bomben von siebenhundert bis achthundert Pfund schwer, deren die Franzosen bisweilen in einer Nacht drey bis vier warfen, würden diesen Thurm ohne Zweifel ruinirt haben, wenn sie darauf gefallen wären; allein wegen ihrer Last kamen sie nicht so weit und fielen die meisten in die Mitte des Schloßplatzes fünf bis sechs Fuß tief in die Erde, und zwar mit solcher Gewalt, daß man es auf den umliegenden Bergen hören konnte. Dieser Thurm hat seine unterirdischen Abschnitte auch gegen die andern Bastionen, also daß in allem Nothfalle, wenn gleich diese in feindliche Hände kämen, derDonjeon alleinsich noch wohl vierzehn Tage länger halten, und noch capituliren könnte. Hier ist die Hauptwache, und linker Hand gegen den Schloßplatz soll inskünftige der Commendant, rechter Hand aber der Gouverneur wohnen. Beyde Gebäude, deren das erste schon fertig ist, werden ein artiges Amphitheater gegen den großen Schloßplatz vorstellen. Rand links: Treffliche Souterrains der Citadelle. Am Ende dieses Platzes linker Hand ist die große Casarme, und wird man daselbst mit Fackeln in die wunderwürdigen Souterrains geführet, bey deren Eingange für funfzig Pferde Stallung in Gewölbern ist. Nachdem man etwan hundert und dreyßig Schritte abwärts gegangen und noch vierzig bis funfzig Schritte unter dem Hauptgraben zurück geleget hat, kömmt man unter die Contregarde, in welcher abermals Platz für funfzig Pferde, welche durch den Hauptgraben dahin gebracht werden können. Die unterirdischen Gänge vertheilen sich hernach weiter, einer bis an den Po, andere sonst zwo bis drey piemontesische Meilen (deren jede eine starke halbe Stunde austrägt) in die Ferne, nicht sowohl um einige Ausgänge zu haben, sondern um zu den vielen Minen, die allenthalben angelegt sind, zu führen. Rand links: Mangel bey der letzten Belagerung. Diese würden den Franzosen im Jahre 1706 genug zu schaffen gemacht, und sie allerdings verhindert haben, so nahe an die Citadelle zu kommen, wenn man mit der gehörigen Menge Pulvers wäre versehen gewesen. Allein in den vorher ausgestandenen Belagerungen vonMontmelian, Yvrée, Chivas, Verne etc. war dasselbe sehr drauf gegangen, und endlich in Turin so rar wor den, daß man das Pfund mit einem Speciesthaler oderEcû bezahlte. Alle Morgen beym Abzuge der Nachtwache mußten die Soldaten ihr übriges Pulver liefern und wurde genau nachgesuchet, ob sie etwas verborgen hielten, um es hernach zu verkaufen. Wenn bey einem über zween Schüsse Pulver wären gefunden worden, hätte er den Galgen zur Belohnung bekommen. Die Franzosen hatten eine Batterie von vier und zwanzig Canonen, die sechszig Pfund schwer schossen, gerade über einer Mine der Citadelle angelegt, und hätte die ganze Batterie in die Luft fliegen müssen, wenn die Mine ihre Wirkung recht gethan hätte; allein der Mangel des Pulvers machte, daß nur eine einzige Canone in die Luft flog, welche man auch vermittelst eines Ausfalles vollends in die Stadt und vor das Haus des damaligen obersten Befehlshabers, Grafen von Daun, brachte. Auf der obangeführten Gegend der Galerie sieht man den Ort, wo der Sergeant Mica zum besten seines Vaterlandes sein Leben willig aufgeopfert hat, und ist itzt aller Schaden wieder ausgebessert. Indessen hatten sich die Franzosen sehr geirret, da sie sich eingebildet, es sey eine so leichte Sache, vermittelst der großen Galerie, in welcher man in Ansehung ihrer Breite mit einem Wagen herum fahren könnte, Meister von der Citadelle zu werden.[216]

Denn durch die kleinere Galerie, welche über der größern geht, und ihre vielfältige wirkliche Abschnitte hat, (aus welche nman vorwärts gegen die Feinde schießen kann) werden im Falle der Noth eiserne Schutzgattern in den untern großen Gang gelassen, Feuer, Granaten und Bomben durch dazu verfertigte Oeffnungen hinein geworfen, und also die große Galerie von etwan dreyßig zu dreyßig Schritten immer aufs neue vertheidiget, ohne der vielen Minen, so drunter liegen, zu gedenken. Eigentlich sind vier Galerien über einander, davon die unterste hundert und siebenzehn Fuß unter der Erde ist. In diese läßt man nur Deutsche, als bisherige beständige Freunde des Hauses Savoyen, und fragt deswegen der herumführende Officier die Fremden allezeit nach ihrer Landsmannschaft. Die Menge von Minen, Contreminen und andern Werken wird nicht ohne Verwunderung angesehen. Die untersten Gänge sind mit Luftlöchern versehen, trocken, und findet man an wenigen Orten salpetrische Feuchtigkeiten. Aus den unterirdischen Werken dieser einen Bastion kann man auch von den vier andern urtheilen; unter einer jeden ist ein Backofen, Brunnen und Magazin zur Munition. Rand rechts: Großer Brunnen. Rechter Hand des Hofes ist ein tiefer großer Brunnen, der itzt offen ist, nachdem schon vor der Belagerung ein nicht weit davon gestandenes Pulvermagazin durch den Blitz in Feuer gerathen, und nicht nur die dabey gestandenen Gebäude (worunter auch des Gouverneurs Wohnung war), sondern auch das Bombenmagazin, so über diesem Brunnen war, übern Haufen geschmissenworden. In währender Belagerung ist eine Bombe hinein gefallen, welche gleichfalls vieles ruiniret hat, also, daß der Brunnen nicht völlig im Stande ist. Das Quellwasser ist sehr helle, und des Sommers, da der Commendant oder Gouverneur ein Zelt darüber aufrichten lassen kann, sehr kühl, und angenehm daselbst zu speisen. Der Diameter des untern Platzes, da man bequem um den Brunnen herum gehen kann, ist von zwölf Schritten, unddie Treppe hinunter etwan vier Stockwerke hoch. Die deutsche Uebersetzung von des MISSON Reisebeschreibung giebt eine wunderliche Nachricht von diesem Brunnen, wie nämlich die Pferde in demselben auf- und absteigen, ohne daß eines dem andern begegnet, und zwar dergestalt, daß die doppelte Treppe ohne Stuffen sich so oft herum wendet, als der Abgang erleichtert wird3. Rand rechts: Sonderbare Treppe zu demselben. Eigentlich sind es zween unterschiedene übereinander angelegte gewölbte Gänge, die im Parallele Spirallinien hinunter führen, also daß beyde Schneckentreppen ihre besondern Ein- und Ausgänge haben, und es daher nicht zu verwundern, daß die auf- und absteigenden Menschen oder Thiere einander nicht sehen oder begegnen. Auf gleiche Art sieht man zu Paris bey den Bernhardinern in ihrer alten Kirche eine steinerne Windeltreppe, deren Stuffen in dem Centro der Treppe zusammen kommen. Leute, so zu gleicher Zeit hinauf oder herab steigen, begegnen einander nicht, und ist der eine Eingang aus der Kirche, der andere aus der Sacristey.

Die Belagerung von Turin hat vierthalb Monate gewähret; die Bresche gegen die Stadt an der Seite der Citadelle gegen die Pforte von Susa war schon so weit, daß ein Bataillon en Front hätte anmarschiren können, und half man sich damit, daß man daselbst ein großes Feuer stets brennend unterhielt. Alle Vorrathshäuser von Holze wurden dazu verbraucht, und deckte man an vielen Orten der Stadt die Häuser ab, um das Holzwerk von Dächern dazu zu gebrauchen. Durch solches Mittel wurde besagte Bresche sechs und dreyssig Tage lang zum Entsatze erhalten.[217]

Des Marschall de Marsin Begräbniß ist eine halbe Stunde vor der Stadt am Wege nach der Venerie in dem Kloster der Capucins de nôtre Dame linker Hand in der Kirche, weil nicht weit von diesem Orte das französische Retranchement angegriffen worden, undder verwundete Marschall allhier seinen Geist aufgegeben hat. Rand links: Begräbniß des Marschall de Marsin. Unter zween Fischen, welche vermuthlich sein Wapen vorstellen, liest man an der Wand folgende Schrift:


Ferdinando de Marsin

Franclæ Marescallo

Supremi Galliæ Ordinis Equiti Torquato

Valencenarum Gubernatori

Quo in loco

7. 7bris Ann. Dom. 1706.

Inter suorum cladem & fugam

Victoriam, Exercitum, Vitam amisit

Æternum in hoc tumulo

Monumentum.


Er starb zwo Stunden nach der Schlacht, nachdem er öfters die Worte wiederholet: Tout est perdu, mais je n'en suis pas la cause. Von den funfzehn tausend Gefangenen starben fast die meisten vor Hunger und Elend. Rand links: Fehler der Franzosen 1706. Nach verlohrner Schlacht begiengen die Franzosen den größten Fehler, daß sie sich nach Pignerol zurück zogen, und hätten die Alliirten zu ihrem eigenen Vortheile ihnen keinen bessern Weg vorschreiben können. In Mayland hatten die Kaiserlichen eine schlechte Besatzung gelassen, und achtzehntausend Mann Franzosen stunden noch wirklich in Italien, mit welchen die Flüchtlinge sich leichtlich hätten vereinigen und eine neue Armee ins Feld stellen können. Der itzige König von Sardinien hatte nach der Bataille große Luft, die Feinde weiter zu verfolgen; allein der Prinz Eugenius hielt es nicht sur rathsam, weil ihm wohl bewußt war, in was schlechtem Zustande seine Reuterey war, also, daß sie es unmöglich hätte aushalten können. Bey diesen italienischen Feldzügen haben es die Franzosen auch darinnen sehr versehen, daß sie nach Eroberung vonChivas sichmit Verüe lange aufgehalten und nicht gerades Weges auf Turin, welches damals noch nicht in rechten Stand gesetzt war, losgegangen sind. Sie hätten auch an einem andern Orte die Stadt mit mehrerer Macht angreifen und ihre Hauptattaquen nicht gegen die feste Citadelle und die benachbarte Seite der Stadt richten sollen. In der Stadt fehlte es an Soldaten, die so wohl disciplinirt gewesen wären, als sie es hernach in dem fortwährenden Kriege worden sind; daher ich nicht weis, ob ein gewisser vornehmer Officier, der mit in der Citadelle gelegen, unrecht habe, da er mir gesagt: Turin sey übel angegriffen und übel vertheidiget worden. Dem Könige von Sardinien war damals das Messer gleichsam an die Kehle gesetzt, daher er auch nach erhaltenem Siege gesagt haben soll: Er sey nahe dabey gewesen, daß er die kaiserliche Antichambre öfters hätte besuchen müssen. Es ist demnach kein Wunder, wenn der König keine sonderliche Liebe gegen die Krone Frankreich bezeigt, und auch das gemeine Volk allenthalben von einem großen Hasse wider die französische Nation eingenommen ist. Indessen lieben die Piemonteser auch die Deutschen nicht, weil diese mit ihren Durchzügen als Freunde das Land eben so hart sollen mitgenommen haben, als die Franzosen mit ihren feindlichen Absichten. Auch sollen die Franzosen vorher, da sie noch Freunde mit dem Hause Savoyen gewesen, viel verzehret und Geld ins Land gebracht haben, vor welcher Nachrede die deutschen Kriegsvölker sich aller Orten wohl zu hüten wissen.[218]

Zum Beschlusse füge ich noch die Ordnung der Proceßion hiebey, welche jährlich den 8 September, zu Ehren der heiligen Maria und zum Andenken des turinischen Entsatzes, gehalten wird.


  • 1) gehen die Waisenkinder.

  • 2) La Confraternité du S. Maurice, roth gekleidet.

  • 3) La Confraternité du S. Roc, blau.

  • 4) La Confraternité du S. Suaire, weiß.

  • 5) La Confraternité de l'Annonciada, weiß.

  • 6) La Confraternité de la Misericorde, schwarz.

  • 7) La Confraternité de la Trinité, roth.

  • 8) La Confraternité du S. Esprit, gris de fer.

  • 9) La Confraternité de Jesus, weiß.

  • 10) La Confraternité de la Ste. Croix, weiß.


Hierauf folgen die Mönchsorden.


  • 11) La Confraternité de St. Michel, Trinitaires.

  • 12) La Confraternité de S. François de Paole.

  • 13) La Confraternité de Franciscains des Anges.

  • 14) La Confraternité de Augustins de chaussés.

  • 15) La Confraternité de Capucins.

  • 16) La Confraternité de Ste. Marie de Place, Carmes,

  • 17) La Confraternité de Augustins

  • 18) La Confraternité de S. François de l'Observation.

  • 19) La Confraternité de St. François Mineurs.

  • 20) La Confraternité de Jacobins.

  • 21) La Confraternité de Bernardins de la Consola.


Nach diesen kömmt der Hof und


  • 22) die Lackeyen.

  • 23) die Pagen.

  • 24) sechs Trompeter.

  • 25) Viele Cavaliere.

  • 26) wieder sechs Trompeter.

  • 27) Die Chanoines de St. Jean.

  • 28) Die Chanoines de la Trinité.


Fußnoten

1 Er starb den 15 May 1734, in dem kaiserlichen Hauptlager zu St. Benedetto, als Generalfeldmarschalllieutenant.


2 Die Citadelle von Turin hat in Ansehung ihrer Lage und Esplanade viel Gleichheit mit der von Tournay, und noch mehr mit der Citadelle von Lille, welche jedoch innen mehr mit Häusern bebauet ist, und Wasser in den Gräben hat. Lille mußte sich im letzten Kriege wegen Mangel des Pulvers ergeben, gleichwie Tournay wegen Mangel des Wehls. In diesem letzten Orte überlud man die Minen, weil man Pulver im Ueberflusse hatte. Wäre in der Citadelle zu Lille so viel Pulver als zu Tournay gewesen, und im Gegentheile in Tournay so viel Mehl als in Lille: so würden sich beyde Plätze noch lange gehalten haben. Die unterirdischen Werke zu Tournay sind trefflich; die turinischen Souterrains aber geben ihnen gewiß nichts nach, wo sie solche nicht gar übertreffen.


3 Des MISSON Worte, Tom. III, p. m. 50, sind folgende: On y a la commodité d'un bon puits, ou les chevaux mesmes montent & descendent sans se rencontrer; c'est un double escalier sans degrés, qui tourne tant de fois, que la pente en devient aisée.

Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 219.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon