XVIII.
(Ueberschau.)

Das deutsche Lied feiert in Franz Schubert seinen größten, genialsten Meister. Er hat sich wohl in allen zu seiner Zeit bekannten Musikgattungen versucht, und als Einer der Ersten hervorgethan: das Eigenthümlichste und Vollendetste aber, was wir von ihm besitzen, ist das Lied. Kein Tondichter hat ihn darin erreicht, geschweige denn übertroffen, und so wird er allenthalben als Fürst im Liederreich begrüßt und hochgehalten.

Die Anfänge des Liedes, dieser so recht dem Innersten der Menschenbrust entsprießenden Pflanze, reichen bis in die erste Zeit der Ausbreitung des Christenthums zurück, durch welches der Reichthum der Innerlichkeit zuerst erschlossen, und damit auch die Sangeslust geweckt und gefördert wurde. Jahrhunderte aber zogen vorüber, bis es die mannigfachen Phasen seiner Fortbildung durchlaufen hatte, und – erst in unseren Tagen – jenen künstlerischen Höhepunkt erreichte, auf welchem wir nunmehr dasselbe als eine in sich abgeschlossene bedeutungsvolle Kunstgattung erblicken, und von dem aus sein eigenartiges Wesen die ganze Tonwelt belebend und befruchtend durchdringt.[485]

Die Entwicklungsgeschichte des deutschen Liedes weist darauf hin, daß dasselbe erst dann die feste Grundlage für seine Weiterbildung gewann, als es sich aus den Banden des syllabisch recitirenden alten Kirchenliedes und der Sprachmelodie der Minne- und Meistersinger1 losgerungen und dem energisch vordringenden Volksgeist anvertraut hatte, unter dessen belebendem Hauch die liebliche Knospe des Liedes, das Volkslied, emporkeimte.

Das Volk sang eben seine eigenen Lieder. Diese gingen von Mund zu Mund und Niemand aus der Menge dachte daran, die Lieblingsweisen in Notenzeichen festzuhalten. Musikalische Meister, als sie der unverwüstlichen Macht dieses weltlichen, wesentlich melodischen Schatzes gewahr wurden, bemächtigten sich seiner, und schufen durch contrapunktische Bearbeitung das Volkslied zum Kunstlied um, an welchem im Gegenhalt zu der instinktmäßig sich aussprechenden Volksweise sofort die glattere Form, mitunter auch ein[486] tieferes Erfassen des Inhaltes zu Tage trat, doch ohne daß das Lied ein individuelles Gepräge erhalten hätte2.

Dieses subjective Moment gelangte, einen entscheidenden Wendepunkt in dem Fortschreiten des Liedes bezeichnend, erst dann zur Geltung, als im Gefolge der Oper, der Cantate, des Oratoriums und Concertes die Instrumentalmusik ein gewisses Maß von Selbstständigkeit gewonnen hatte, und die damit in Verbindung stehende Arie allmälig wieder auf das (von den Meistern mittlerweile vernachlässigte) Lied zurückführte, welchem nun auch die reicheren Mittel der dramatischen und der Instrumentalmusik zu seinen Zwecken ungeschmälert zu Statten kamen3.[487]

Neuer und mächtiger Impuls wurde ihm (im sechzehnten Jahrhundert) durch die in Folge der Reformation veränderte Bedeutung des Kirchengesanges4, durch die Gründung von Singchören, durch die Cultivirung des einstimmigen Liedes in Schule und Haus, durch die Verwendung der Laute als Begleitungsinstrument und namentlich auch durch die eingehende Pflege, welche das lyrische Lied in der Poesie fand5, dem sich nun die Componisten mit erneuertem Eifer zuwendeten.

In dem Maße aber, als die Musik überhaupt ihre Herrschaft über die Nation immer mehr ausbreitete, begann das ursprüngliche Volkslied abzublühen. Die fortschreitende musikalische Bildung drängte den Volksgesang immer entschiedener[488] in die festgefügten Formen des kunstgemäßen Gesanges und es entfaltet sich als neue Blüthe das völksthümliche Lied, die Mitte haltend zwischen dem eigentlichen Volksgesang, von welchem es die leichtere Faßbarkeit des Inhaltes, und dem Kunstlied, von dem es die ausgebildetere Form entlehnt.

Hatte schon das alte Volkslied durch seine Naivetät und den unversiegbaren Reichthum des Volksgemüthes, aus dem es schöpfte, eine Fülle mannigfacher Gestaltungen hervorgezaubert, so schwoll diese selbstverständlich noch üppiger unter der Hand jener Künstler, die es verstanden, volksthümliche Gesänge in des Wortes höherem Sinn zu schaffen. Ist es doch eben dieses volksthümliche Element in seiner edelsten Bedeutung, welches, künstlerisch durchgebildet, so vielen Werken der größten musikalischen Meister, und namentlich auch der Schubert'schen Muse, ihre allgemein durchgreifende Wirkung gesichert hat und deren Lebensfähigkeit auch für die Zukunft gewährleistet6.[489]

Die Pflege des Kunstliedes hatte bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein überwiegend der deutsche Norden auf sich genommen, wo seit geraumer Zeit eine ungezählte Schaar von Componisten7 sich für die Fortbildung desselben thätig erwies, während in dem größeren Theil von Süddeutschland, und insbesondere auch in Wien, das im Gesang dem Virtuosenthum (italienischer Gesang) huldigte, die Bedeutung des Liedes eine kaum nennenswerthe war. Im Norden übte die italienische Oper noch keinen übermächtigen Einfluß aus. Dort war es vielmehr das Singspiel, welches fördernd und umgestaltend auf das Lied einwirkte. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstanden aber auch in Norddeutschland die bescheidenen Anfänge der deutschen lyrischen Poesie, vertreten durch die Liederdichter Weiße8, Gleim, Hagedorn, Jakobi u.a.m., denen sich Adam Hiller als Liedercomponist und Vorläufer noch anderer Componisten beigesellte9. Als dann Herder den Sinn für das Volkslied neu geweckt hatte, und mit Goethe's lyrischen Gedichten ein neuer[490] Liederfrühling aufgegangen war, begann auch für das gesungene Lied die neue Periode, in welcher Melodie und Begleitung, inniger dem Wort sich anschließend, die geheimen Züge des menschlichen Herzens prägnanter, als es bisher geschehen, zum Ausdruck brachten.

Im Norden Deutschlands schlossen Klein10, Berger11, Reichhardt12 und Zelter13 (die beiden Letzteren beinahe ausschließlich der Goethe'schen Poesie huldigend) die ihnen vorhergegangene Reihe von Liedercomponisten zu einer Zeit ab, als Franz Schubert's Gestirn schon im Aufgehen begriffen war; im Süden waren Haydn, Mozart und Beethoven auch im Lied seine unmittelbaren Vorläufer. Die obengenannten, der Berliner Schule angehörenden Liedercomponisten bestrebten sich wenigstens in einigen ihrer Gesänge, die Innigkeit des Volksliedes mit der Poesie des Volksausdruckes zu verbinden, und überhaupt die musikalischen Darstellungsmittel für das neuentstandene lyrische Gedicht (insbesondere das Goethe'sche) bestimmter zu bezeichnen. Was die Tonheroen Haydn, Mozart und Beethoven im Lied geschaffen, steht zwar in keinem Verhältniß zu ihren Schöpfungen auf dem Gebiet der Oper und der Instrumentalmusik;[491] aber der Genius ließ sich auch hier sein Recht nicht rauben, und so finden sich denn auch unter ihren Gesangscompositionen mehrere Meisterstücke vor, welche an melodischer und harmonischer Schönheit alles vordem in dieser Art Geschaffene überragen.

Die Lieder Mozart's sind entweder in der ganz einfachen Weise des volksthümlichen Gesanges gehalten, oder sie sind, wo ein ideellerer Inhalt vorliegt, scenisch erweitert14. Die einzelnen Züge des Gedichtes erscheinen da in einer gewissen Selbstständigkeit musikalisch wiedergegeben, und es tritt eine Liedform zu Tage, in welcher der poetische Inhalt rückhaltloser zum Ausdruck gelangt, als dies bei der zusammengefaßten Art des streng lyrischen Liedes der Fall ist.

Gleichwie Mozart, dem Zug seiner künstlerischen, zum Drama hindrängenden Individualität folgend, das Lied scenisch erweiterte, war es dem Beethoven'schen Genius beschieden,[492] dasselbe auf instrumentalem Wege – durch reichere und bedeutendere harmonische Grundlage in der Begleitung15 – weiter auszubilden und in eine höhere Sfäre zu heben. Die Begleitung des Gesanges gewinnt bei ihm hie und da eine Reichhaltigkeit, die schon auf das folgende Stadium hinweist, in welches das Lied mit Schubert eintreten sollte.

Beethoven hat übrigens (gleich Josef Haydn) die schönsten Lieder in den Adagio's seiner Instrumentalmusik gesungen; diese sind tiefer gedacht und empfunden, als seine mit Textworten versehenen Gesänge; dessen nicht zu gedenken, daß letztere zum großen Theil noch nach Mozart'schem Vorbild geschaffen, für Beethoven's Größe in keiner Weise als Maßstab dienen können16.

Nachdem die wieder erblühte lyrische Dichtung zu festerem Anschluß an des Dichters Wort und dadurch zu intensiverer Verwendung der musikalischen Ausdrucksmittel hingedrängt hatte, nachdem der Vater der Instrumentalmusik, Josef[493] Haydn, Lieder in volksthümlich instrumentalem Sinn geschrieben, Mozart und Beethoven, jeder in seiner Art, das Lied zu künstlerischer Bedeutung erhoben, und so viele andere große und kleine Meister an seiner Fortbildung den regsten Antheil genommen hatten, ohne daß es Einem derselben gelungen wäre, alle Bedingungen zur Vollendung des Ideales in sich zu vereinen; ward einem Sohn des deutschen Südens, dem armgebornen Schullehrerskinde in der klang- und sangreichen Stadt am Donaustrande, einer Künstlernatur, deren Organismus in seiner Art so reich und tief angelegt war, als jener Mozart's oder Beethoven's, die wunderbare Gabe verliehen, das Innige des Volksliedes mit der Prägnanz des Wortausdruckes und dem ganzen Zauber des Vocalen und Instrumentalen zu verschmelzen, und durch das Zurückgehen auf die knapp gegliederte und künstlich in einander gefügte Liedform jenes musikalische Kunstwerk zu schaffen, in dessen engebegrenztem Rahmen eine Welt sich wiederspiegelt und in wunderbar vielgestaltiger Abwechslung die zartesten und leidenschaftlichsten Regungen des menschlichen Herzens zu vollem und wahrem Ausdruck gelangen.

Dieser Meister, dessen auf unerschöpflicher Erfindungsgabe und reichster Fantasie beruhende Eigenthümlichkeit im Lied schlechterdings kein Vorbild kennt, ist Franz Schubert, und mit ihm erreichte die seit Jahrhunderten gehegte Planze ihre erste und höchste Blüthezeit.

Bei Nennung seines Namens steht das deutsche Lied mit seiner ganzen unwiderstehlichen Kraft vor unserer Seele. Er ist der Schöpfer des, auf den Urstamm des Volksthümlichen gepfropften Liedes, und eben dieses volksthümliche Element in Verbindung mit der vollendeten[494] künstlerischen Durchbildung ist es, was demselben eine so große Wirkung sichert, und – wie ein begeisterter Verehrer der Schubert'schen Muse sich ausdrückt, – bei voller Befriedigung des geistigen Bedürfnisses und veredelten Geschmackes, immerdar an jene Urempfindung anklingt, die uns das ganze Leben hindurch an ein großes Ganzes, an eine lebendige Gemeinschaft verwandter Elemente bindet. »Das Schubert'sche Lied wirkt mit dem Zauber, den nur geniale Schöpfungen ausüben; er hat Tonweisen in seiner Fantasie gefunden, die der Menschenseele ihre tiefsten Geheimnisse offenbaren, und ebenso neu und überraschend in ihrer Erscheinung, als vertraut und heimisch in ihrem innersten Wesen die Offenbarung des Wahren im Schönen siegreich vertreten. Bei den Klängen seiner Lieder erwacht die Sehnsucht nach einer schöneren Heimat, dem Ideal, in unserer Brust, und Schmerz und Trauer lösen sich in jene süße Wehmuth auf, die der Aufblick zum Himmel und das Gefühl der Befähigung gibt, sich in seine lichten Räume empor zu schwingen. Er lauschte der menschlichen Stimme, die als Werkzeug der Tonkunst mehr als jedes andere eine ungeahnte Fülle des Ausdruckes und der Schönheit entfaltet, mit wunderbarem Instinct ihren subjectiven Zauber, ihr gleichsam persönliches Seelengeheimniß ab, und verstand es andererseits, durch das Relief einer bedeutenden instrumentalen Begleitung den Gesang zu beleben und charakteristisch bedeutsam zu gestalten.«

Im Gegensatz zu den vereinzelten Liedercompositionen anderer Meister bilden Schubert's Lieder durch ihre ungewöhnlich große Zahl und ihren geistigen Zusammenhang, der [495] die ganze Schaffensperiode des Meisters durchzieht und ausfüllt, in ihrer Gesammtheit eine neue umfassende Schöpfung, eine volle Welt dessen, was die Menschenbrust an Freud' und Leid, an Hoffen und Sehnen, an Liebe und Haß, Trotz und Ergebung und den mannigfaltigen Gefühlen, wie diese im Leben zum Durchbruch kommen, in sich schließt und ausströmt.

Die bis jetzt bekannt gewordenen Lieder Schubert's erreichen die Zahl von beiläufig sechshundert17. Viele deutsche und auch mehrere fremde Dichter lieferten dazu ein größeres oder kleineres Contingent von Gedichten, und ragt unter den Ersteren Goethe als derjenige hervor, dessen lyrische Gedichte in dem Schubert'schen Liederkranz nach jeder Seite hin die erste Stelle für sich beanspruchen dürfen18. Der größte deutsche Dichter wurde auch der Schöpfer des modernen gesungenen Liedes. So wie vor ihm Beethoven, nach ihm Mendelssohn und Schumann, wendete sich auch Schubert in der zweiten Periode seines Schaffens mit Vorliebe der Goethe'schen Lyrik zu19. Quillt doch das Lied Goethe's so unmittelbar aus dem reichen, tiefbewegten Innern des Dichters hervor, daß der Musiker schon eine bezaubernde Sprachmelodie vorfindet, die er sofort mit Tönen umkleidet.[496] Die formelle Abrundung des Goethe'schen Gedichtes zügelte auch Schubert's überschäumende Fantasie, und so sind denn seine Compositionen dieser Gedichte ihrer Mehrzahl nach dem Vollendetsten anzureihen, was er im Lied geschaffen hat20. Weniger günstig mußte sich Schubert's Verhältniß zu dem anderen deutschen Dichterfürsten Friedrich von Schiller gestalten. Der ideale Geistesflug dieses Meisters, der reflektirende Zug, welcher viele seiner Poesieen durchweht, läßt diese nicht in dem Maße für die musikalische Behandlung geeignet sein, als es die lyrischen Weisen Goethe's sind, die, wie er selbst sagt, »ungesucht und ungerufen sich bei ihm einstellten, und durch die Wirklichkeit angeregt, in dieser ihren Grund und Boden haben.« Ohne Zweifel war auch Schubert, in dessen Hände die Schiller'schen Gedichte frühzeitig gelangten, von jenem schwärmerischen Enthusiasmus erfüllt, mit welchem namentlich jugendliche Gemüther die Balladen und die leidenschaftlichen[497] Poesieen aus des Dichters Sturmperiode zu verschlingen pflegen, und so entstanden schon in den Jahren 1813–1815 die umfangreichen Compositionen: »Die Bürgschaft«, »der Taucher« und »Ritter Toggenburg«, sowie mehrere Lieder, die zwar mit den später auf Goethe'sche Worte entstandenen den Vergleich nicht aushalten, immerhin aber von der außerordentlichen Begabung des jungen Tondichters glänzendes Zeugniß geben. Es tritt eben hier die Wahrnehmung zu Tage, daß Schubert schon in früher Zeit einzelne Lieder geschaffen hat, die vermöge ihrer Vollendung der reifsten Periode seines künstlerischen Wirkens angehören könnten21.

Eine eigenthümliche musikalische Behandlung erheischten die antikisirenden Gedichte Mayrhofer's, wie: »Memnon«, »Antigone und Oedip«, »Ifigenie«, »Aus Heliopolis«, »Filoktet«, »Orest auf Tauris«, »Der entsühnte Orest«, »Freiwilliges Versinken«, »Lied des Wanderers an die Dioskuren« u.s.w. Schubert's hohe Begabung, für jedweden ihm dargebotenen poetischen Vorwurf den rechten Ton anzuschlagen und den innersten Kern der Sache zu treffen, tritt gerade bei diesen mehr in heroischem Styl gehaltenen, als lyrischempfundenen Gedichten mit schlagender[498] Wirkung hervor22. Die obengenannten Lieder zählten zu jenen, mit welchen Vogl's dramatische Vortragsweise die größten Effecte erzielte. Diesen Gesängen reihen sich (in der Zahl von achtzehn) die in Tönen verklärten Lieder Franz von Schober's an, durchweg in der Blüthezeit des Componisten entstanden, von welchen »Jägers Liebeslied«, »Pilgerweise«, »Viola«, »Schatzgräbers Begehr«, »Todtenmusik« und das »pax vobiscum« aus den geistlichen Liedern zu den schönsten und verbreitetsten gehören23.

Specielle Beachtung verdienen jene Gesänge, welche der Tondichter entweder gleich ursprünglich als einen Kranz sich aneinander reihender Lieder, wie ihn eben der Dichter gewunden hat, darstellte, oder die, wenn auch nicht unmittelbar ineinander verschlungen, durch die darin herrschende einheitliche Stimmung zu einem Ganzen verwebt und verbunden erscheinen. Es sind dieß die Müllerlieder, die Gesänge Ossians, jene aus W. Scott's »Fräulein am See«, die geistlichen Lieder, die Winterreise[499] und – zum Theil – der »Schwanengesang«24. Die zuerst genannten umfassen den unter dem Titel: »Die schöne Müllerin« bekannten Ciklus von Gesängen nach Gedichten von Wilhelm Müller25. Der Liederkranz enthält[500] unter der Aufschrift: »Die schöne Müllerin, im Winter zu lesen« fünfundzwanzig Gedichte, von welchen Schubert zwanzig componirt hat26. Müller's Lyrik ist von naivem Charakter, wahr im Gefühl und poetisch in der Anschauung; kein Wunder, daß sich Schubert von dem Duft der Lieder angezogen fühlte. Beethoven hat in dem schön empfundenen Liederkreis: »An die entfernte Geliebte« innerlich verbundene Gedichte auch äußerlich miteinander verknüpft, und so mit dieser Gattung thatsächlich den Anfang gemacht. Von Schubert's Müllerliedern ist jedes für sich abgeschlossen; der Meister war darauf bedacht, mit lyrischer Beschaulichkeit in jedem einzelnen die Stimmung vollständig zu erschöpfen, gleichwohl bildet jedes derselben den Theil eines Ganzen und gewinnt dadurch seine wahre Bedeutung. Mit inniger Theilnahme folgen wir dem Müller durch Freud und Leid, Hoffnung und Entsagung, und stimmen am Schluß tiefbewegt in »Des Baches Wiegenlied« mit ein. Der im besten Sinn des Wortes volksthümliche Charakter dieser Gesänge hat sie schon seit geraumer Zeit zu einem unschätzbaren Gemeingut aller am Lied sich erfreuenden Menschen gemacht.

Der Reichthum der Formen vom einfachen Strofenlied bis zum durchcomponirten, rhythmisch und deklamatorisch bedeutsamen27,[501] die seine, der jeweiligen Situation und Stimmung entsprechende Charakteristik in der Begleitung28 und eine Fülle harmonisch schöner Einzelzüge verleiht dieser Reihe innerlich verwandter Lieder auch einen hohen musikalischen Werth. Die vollendet künstlerische Verarbeitung reizend erfundener, wie aus dem Volksgemüth tönender Weisen ist hier in genialster Weise vollzogen.

Ganz anderer Art als diese, sind die in Schubert's Nachlaß vorgefundenen »Gesänge Ossians«. Einige derselben, wie: »Loda's Gespenst«, »Shilrik und Vinvela«, »Das Mädchen von Inistore« und »Kolmas Klage« gehören schon dem Jahre 1815 – also einer Zeit an, in welcher Schubert, vielleicht durch Zumsteeg's29 Balladen, die er wohl kannte, angeregt,[502] sich mit Vorliebe in dieser Gesangsform versuchte. Die Ossian'schen Gesänge nähern sich eben auch – mit wenigen Ausnahmen – durch ihre epische Breite und die rhapsodisch-musikalische Behandlung des Gedichtes entschieden mehr der Ballade und »Rhapsodie« als dem lyrisch empfundenen Liede.

Was Schubert im Gebiet der eigentlichen Ballade und der ihr verwandten »Romanze«30 geschaffen hat, ist[503] seiner Zeit schon angedeutet worden. Durch den großen Reichthum an Darstellungsmitteln, der ihm zu Gebote stand, durch die dem Genius verliehene Gabe, aus dem Innersten des Dichters heraus zu schöpfen und die einzelnen Momente der Dichtung sein und charakteristisch auszugestalten, war er immerhin berufen, auch in dieser Gesangsweise einen bedeutsamen Schritt über Zumsteeg und die – ihm wahrscheinlich ganz unbekannten – Berliner Componisten Reichardt und Zelter hinaus zu thun, und so manches Gedicht für alle Zeiten in Tönen wiederzudichten. Dagegen bleibt aber auch die Thatsache unbestritten, daß er es, trotz eines »Erlkönig« und anderer Balladen in dieser eigenthümlichen Gattung nicht zu jener idealen Vollendung, wie in dem lyrischen Liede gebracht hat. Wenn Schubert in der meisterhaften Zeichnung der in den großen Balladen enthaltenen einzelnen Bilder, und in der ergreifenden Wahrheit, mit welcher er die lyrischen Momente behandelt, noch immer unerreicht dasteht, so ist doch im großen Ganzen die Palme auf diesem Gebiet Carl Loewe zu reichen, der, schöpferisch auftretend, in seinen besten Balladen diese Gesangsgattung auf ihren Höhenpunkt hinstellte, indem er durch enges Zusammenfassen eines volksthümlichen Gesanges für die episch sich entwickelnde Erzählung jenen Grundton gewinnt, der, je nach der Situation melodisch, harmonisch und rhythmisch modificirt, das Bedeutsame der einzeln heraustretenden Partieen bestimmt und die ganze Ballade stimmungsvoll durchzieht31.[504]

Von den Gesängen Ossians sind die zwei großen Tondichtungen »Loda's Gespenst«32 und »die Nacht« in freier Form (rapsodisch) behandelt, während »Das Mädchen von Inistore« und »Ossians Lied nach dem Falle Nathos« sich mehr der gewöhnlichen Liedform nähern, letzteres übrigens und in noch höherem Grad »Kolma's Klage« und »Kronaar« in großartigem Styl gehalten sind. Musikalisch bedeutend sind sie alle, und der Zug des Dämonisch-Geisterhaften, der durch die Gesänge des Dichters geht, und die über ödem Heideland und zackigem Fels liegende Nebelnacht mit fantastischen Luftgebilden bevölkert, gelangt in der charakteristischen Weise, in welcher Schubert's musikalischer Genius sich in die Situation versenkt, zu vollem tiefem Ausdruck.

Verstand es Schubert, in den eben erwähnten Tongebilden die Zuhörer schon durch den Klang der ersten Accorde in eine ihnen fremde Welt zu versetzen und fantastisch anzuregen, so tummelte er in den, auf Walter Scott's Gedichte componirten Liedern33 das beflügelte Rößlein in dem Lande der Romantik gar geschickt herum, und so weht dann wieder durch die »geistlichen Lieder« – die übrigens unter sich[505] nicht gleich bedeutend sind34 – der weihevolle Odem religiöser Betrachtung.

Der zweite Lieder-Cyklus, der sich seiner äußeren Gestalt und Anlage nach jenem der Müllerlieder zur Seite stellt, ist der, unter dem Namen »Winterreise« bekannte Liederkreis von Wilhelm Müller.

Die in den drei Liederkränzen35: Reiselieder genannt, herrschende Stimmung ist, wenn sie auch alle das ruhelose Umherschweifen in der Welt und das Sehnen nach einem geliebten Gegenstande zu ihrem gemeinsamen Inhalte haben, eine wesentlich verschiedene; denn während in der »Große Wanderschaft« und den weiter dazu gehörigen Liedern, sowie auch in den »Wanderlieder« sich eine, nur selten und da nur flüchtig von einem Wehmuthshauche getrübte Heiterkeit ausspricht, schildert die Winterreise ein in Folge getäuschter Liebe blutendes Herz, das mit seiner eigenen Qual zu scherzen sich unterfängt, und über die wieder durchbrechende Zärtlichkeit sich in[506] spottender Ironie gefällt36. Ein Hauch tiefer Schwermuth und Trostlosigkeit zieht durch diese düsteren Gesänge, der Stern des Lebens scheint erbleicht, und ein kalter, trauriger Winter starrt uns entgegen. Die Lieder der »Winterreise«, in Schubert's letzten Lebensjahren entstanden, stellen sich den »Müllerliedern« ebenbürtig zur Seite; ja es läßt sich von ihnen sagen, daß sie an Zusammenfassung des lyrischen Ausdruckes zu voller Schlagfertigkeit, und an einfacher und einheitlicher Gliederung die meisten seiner Lieder übertreffen, und daß in der Führung der Melodie und in der Clavierbegleitung Eigenthümlichkeiten zu Tage treten, die selbst im Schubert'schen Liede einen Wendepunkt bezeichnen, und gleichsam den Schatten jener Phase vorauswerfen, in welche das Lied nach Schubert einerseits durch eine gewisse Selbstständigkeit der Melodie und andererseits durch das entschiedener sich geltend machende Uebergewicht der Clavierbegleitung über den Gesang eingetreten ist37.

Noch ist des »Schwanengesang« zu erwähnen, einer Reihe von vierzehn, äußerlich mit einander verbundenen Gesängen, zu welchen Heine, Rellstab und Gabriel Seidl die Worte liehen.

[507] Heine's erstes Auftreten als deutscher Dichter fällt in Schubert's letzte Lebensjahre, und so war es diesem nur noch beschieden, mit wenigen Liedern die neue Aera einzuweihen, die auch für die musikalische Darstellung mit Heine beginnen sollte, und von den zwei bedeutendsten Liedercomponisten nach Schubert – Mendelssohn und Schumann – namentlich aber von Letzterem, in erschöpfender Weise weitergeführt wurde38.

Daß die stimmungsvolle, in kleinem Rahmen zusammengefaßte Lyrik des Heine'schen Gedichtes der künstlerischen Individualität Schubert's zusagte, darf mit Grund angenommen werden, und wie treu der Componist dem Dichter nachbildet, und das in den Worten bisweilen mehr Angedeutete als Ausgeführte auch musikalisch in ein gewisses verschwimmendes[508] Dämmerlicht hüllt, bezeugen die Lieder: »Ihr Bild«, »Die Stadt« und der von unvollständigen, in unklarer Tiefe sich bewegenden Accorden begleitete »Doppelgänger«. Auch hier ist es wieder ganz vorzugsweise die charakteristische Clavierbegleitung, welche dem Musikstück die rechte Stimmung verleiht und die Bedeutung des Gesanges erhöht. Der Lieder Rellstab's und G. Seidl's »Taubenpost« wurde schon früher gedacht. Sowohl die heiteren darunter, als auch jene düsteren Tongebilde, in welchen Schubert so tiefergreifende Saiten anzuschlagen verstand, wie solche weder vor noch nach ihm erklungen sind, zählen zu seinen glücklichsten Inspirationen, und so hält sich der »Schwanengesang«, was Anmuth der Melodie und Reichthum der Erfindung anbelangt, auf gleicher Höhe mit den erwähnten Liederkreisen.

In Mitte dieser hier aufgeführten Liedergruppen liegt ein reicher Schatz von Gesängen verschiedenster Art, voll schöner Melodien, voll dramatischen Lebens, hervorragend durch Originalität der musikalischen Auffassung und mit jener schlagfertigen Bestimmtheit hingezaubert, die eben das Schubert'sche Lied charakterisirt und ihm seine tiefe Wirkung auf den Zuhörer sichert.

Die Zahl der durch den Stich veröffentlichten Lieder Schubert's beträgt derzeit beiläufig dreihundert und sechzig. Er hat aber, wie erwähnt – in der That nahezu an sechshundert Lieder geschrieben, die theils als Manuscript, theils in Abschrift erhalten sind.

Unter den veröffentlichten Liedern befinden sich welche, (allerdings wenige), deren Nichterscheinen von den Freunden der Schubert'schen Muse leicht verschmerzt werden konnte. Anderseits steht wieder die Thatsache fest, daß so manches[509] Kleinod, würdig an's Tageslicht gezogen zu werden, noch im Verborgenen ruht39, und es wird demnach die dankenswerthe Aufgabe der Besitzer unveröffentlichter Lieder sein, nach sorgfältig getroffener Auswahl die besten darunter dem großen Publikum zugänglich zu machen40.

Nach Schubert haben zwei Meister ersten Ranges sich dem Lied mit Vorliebe zugewendet, und auch auf diesem Gebiete, welches man schon für abgeschlossen hielt, neue Bahnen aufgethan.

Das Lied Mendelssohn's und jenes Schubert's stellt sich – gleich den anderen Werken dieser beiden Meister – in[510] Form und Inhalt so grundverschieden dar, daß zu einem Vergleich derselben sich schlechterdings kein Anhaltspunkt bietet. Das schön gestaltete, edel empfundene, von volksthümlichen Anklängen durchzogene Lied Mendelssohn's trägt allenthalben den rein lyrischen Charakter an sich und bewegt sich in gewissen Formen, deren wesentliche Züge häufig wiederkehren. Die Schubert'sche Weise dagegen verläßt, wenn es die Situation erheischt, den lyrischen Grundtypus und eignet sich epische und dramatische Elemente an; an Reichthum melodischer Erfindung aber, an Mannigfaltigkeit der Form und des Ausdruckes ragt sie über das Mendelssohn'sche Lied in dem Maße hinaus, als überhaupt Schubert's reich und tief angelegte Individualität die zwar ungewöhnlich durchbildete und harmonisch geklärte, aber auch einseitig ausgeprägte und auf ein bescheideneres Materiale angewiesene Künstlernatur Mendelssohn's entschieden überragt41.

Anders verhält es sich mit Robert Schumann, der, von der Composition für das Clavier sich plötzlich dem Lied zuwendend, in ununterbrochener Folge eine große Anzahl von Gesängen zu Tage förderte und sich unbedingt als den genialsten, reichstbegabten Nachfolger Schubert's manifestirte. Er schlug in der That neue, noch nicht vernommene Töne[511] an, und verstand es, mit diesen allen Phasen des Gemüthslebens vom einfach Naiven, vom Heiter-Humoristischen und Sanftbewegten bis zum Dämonisch-Wilden, tief Pathetischen und dunkel Aufgewühlten geistvollen Ausdruck zu geben. Deklamation, Rhythmus und harmonischer Reichthum in der Begleitung treten in seinen Liedern in prägnanter Weise hervor. Während aber bei Schubert der Schwerpunkt immerdar in der Melodie liegt, sucht Schumann sein weniger reiches Erfindungsvermögen durch das Streben nach charakteristischem Ausdruck auszugleichen. Greift man die Elemente, durch welche Schumann als schaffender Künstler nach dieser Richtung hin aufgetreten ist, einzeln heraus, so läßt sich von einem Fortschreiten des Liedes über Schubert hinaus sprechen; keineswegs aber dann, wenn man die Totalität und das innerste Wesen des Liedes in's Auge faßt. Eine Steigerung in dieser Musikgattung ist seit Schubert ebenso wenig eingetreten, als in der Sinfonie seit Beethoven. Denn Keiner hat es wie Schubert verstanden, die Stimmungen, das Weben und Walten in einem Gedicht in so herzergreifenden, reichpulsirenden Melodien zu verkörpern, bei Keinem ist die Uebereinstimmung von Wort und Weise so ungezwungen, blühend und doch wieder so zwingend, als bei ihm. Sein Lied schwebt dem Adler gleich hoch in den Lüften, und in dieser Freiheit von allem Erdendruck, in der Leichtigkeit und krystallhellen Klarheit seiner Gebilde liegt – auch dem Schumann'schen Lied gegenüber – seine unbesiegbare Kraft42.[512]

Das einstimmige Lied verlassend, wenden wir uns den mehrstimmigen Gesängen Schubert's zu.

Er hat deren eine große Anzahl geschaffen, für Frauenstimmen, für Männer- und gemischten Chor, theils rein vocaler Art, theils mit Instrumental-, namentlich Clavierbegleitung43. War es ihm nicht beschieden, auf diesem Gebiet so epochemachend wie im einstimmigen Lied zu wirken, so lag der Grund davon nicht etwa in der Beschränkheit seines Könnens, sondern nur in äußeren Verhältnissen; – denn es ist ihm auch hier gelungen einige Meisterwerke hinzuzaubern, die unbedingt dem Schönsten beizuzählen sind, was an mehrstimmigem Gesang bis jetzt geschaffen wurde.

Gleichwie Franz schon in früher Zeit Lieder, Streichquartette, Clavierstücke u.s.w. componirte, schrieb er auch in jungen Jahren mehrstimmige Gesänge, die übrigens – mit Schubert'schem Maß gemessen – nicht bedeutend sind, und deren Zahl im Vergleich zu seinen anderen Compositionen eine verschwindend kleine ist. In späterer Zeit (1821) hatte er wohl mehrere Freunde und Bekannte44 um sich,[513] für die er gelegentlich ein Terzett45 oder Quartett flüchtig zu Papier brachte; von einem nach heutigen Begriffen zahlreichen46 und wohlgeschulten Chor war weder damals, noch auch in den darauffolgenden Jahren die Rede, daher es ihm im Allgemeinen an einem spontanen Zug für die Composition großer mehrstimmiger Gesänge fehlte, und in der That die meisten und bedeutendsten seiner Chorlieder nur über besondere Veranlassung entstanden sind. Dennoch schuf er (um[514] 1820) den schon früher erwähnten Männerchor: »Gesang der Geister über den Wassern«, eine der eigenthümlichsten, großartigsten Compositionen dieser Gattung, welche auch in neuerer Zeit zu voller Anerkennung gelangt ist. Die bald darauf entstandenen Vocalquartette: »Das Dörfchen«, »Die Nachtigall« und »Geist der Liebe« bezeichnen jene erste Periode, in welcher Schubert für Gesangsdilettanten mehrstimmige Gesänge zum Gebrauch in Concerten schrieb, wo sie, mit günstigstem Erfolg produzirt, den Ruf des damals noch wenig gekannten Meisters in weitere Kreise trugen. Seine Thätigkeit auf diesem Feld währte indessen nur kurze Zeit. Die eben erwähnten Vocalquartette, deren Styl – namentlich was die kanonartig behandelte Schlußstrofe anbelangt – dem heutigen Geschmack nicht mehr zusagen will, verloren auch damals allmälig ihre Anziehungskraft, und ein Paar Versuche nach derselben Richtung hin verfehlten ihre Wirkung, eine Thatsache, welche dem Tondichter nicht entging und ihm vorläufig die Luft benahm, noch weiters derlei Gesänge zu schreiben. Diese Abneigung ging so weit, daß der sonst so bereitwillige Schubert dem von Dr. Leopold von Sonnleithner an ihn gestellten Ansinnen, zu einem Musikvereins-Concert neue Vocalquartette, jedoch in einer, von der bisher beobachteten verschiedenen Form zu componiren, nicht nachkommen zu dürfen glaubte, und seine Ablehnung in folgendem Schreiben47 motivirte:


»Lieber Herr von Sonnleithner!


Sie wissen selbst, wie es mit der Aufnahme der späteren Quartette stand; die Leute haben es genug. Es könnte[515] mir freilich vielleicht gelingen, eine neue Form zu erfinden, doch kann man auf so etwas nicht sicher rechnen. Da mir aber mein künftiges Schicksal doch etwas am Herzen liegt, so werden Sie, der, wie ich mir schmeichle, auch daran Theil nimmt, wohl selbst gestehen müssen, daß ich mit Sicherheit vorwärts gehen muß, und keineswegs mich der so ehrenvollen Aufforderung unterziehen kann; es müßte denn sein, daß der löbl. Gesellschaft mit der Romanze aus der Zauberharfe48, von Jäger vorgetragen, gedient wäre49; dann würde sich beruhigt fühlen Ihr ergebenster

F. Schubert.«


Er schrieb auch kein neues Quartett zu Concert-Zwecken; während aber der bescheidene Künstler meinte, es könnte ihm vielleicht gelingen, neue Formen zu erfinden, hatten sich diese in seiner Fantasie bereits ausgeprägt; denn die Quartette: »Widerspruch« und »Der Gondelfahrer«, das Quintett: »Mondenschein« u.s.w., welche kurz darauf entstanden, bekunden schon die neue Phase, in welche Schubert getreten, und der eine (für den Männergesang) noch glänzendere folgen sollte.

Intensiver gestaltete sich in demselben Zeitraume (1820 bis 1822) seine Thätigkeit für die Composition von Frauenchören und von solchen für gemischte Stimmen. Er schrieb die ersteren ausschließlich für einen kleinen aber geschulten Verein[516] von Zöglingen des Wiener Conservatoriums, der sie in den sogenannten Donnerstags-Concerten im alten Musikvereinssaal zu wiederholten Malen zur Aufführung brachte.

Bei derlei Anlässen, wenn es galt, seinem Namen Ehre zu machen, wenn ein gut geleiteter Chor für das Gelingen der Aufführung einige Bürgschaft bot50, oder etwa gar (wie dieß später der Fall war) Grillparzer dem von ihm hochverehrten Tondichter die Textworte übermittelte, welche dieser mit Musik umkleiden sollte51, warf sich auch Schubert in's Zeug, und stellte durch bedeutende Tondichtungen den schlagenden Beweis her, daß er auch auf diesem Gebiet Unvergängliches zu schaffen im Stande sei.

In den letzten drei Jahren seines Erdenwallens war es ihm, gleichwie in der Instrumentalmusik, so auch in dem mehrstimmigen Lied, beschieden, seinen Leistungen darin durch einige Compositionen von echt Schubert'scher Größe und Eigenart die Krone aufzusetzen. Es sind dieß: »Nachtgesang im Wald«, »Nachthelle«, »Ständchen«, und »Der doppelchorige Schlachtgesang«, Tondichtungen verschiedensten Charakters, die beiden ersten von jenem sinnig träumerischen Hauch durchzogen, wie uns dieser aus so vielen Schöpfungen des Meisters entgegenweht, das »Ständchen« von reizender Anmuth, »Der Schlachtgesang« das Gepräge mannhafter Entschlossenheit und Gottvertrauens an sich tragend. In den drei erstgenannten ist die[517] Clavierbegleitung wesentlich und Trägerin der Harmonie. Schubert's bekannte Art, einen Rhythmus, eine Begleitungsfigur vom Anfang bis zu Ende festzuhalten, tritt in denselben klar zu Tage und verleiht den zarten Gesängen einen ganz eigenthümlichen Zauber.

Zu den mehrstimmigen Gesängen zählen im weiteren Sinn auch die Cantaten und Hymnen. Unter den ersteren ist – abgesehen von dem verschollenen »Prometheus« und der »Ostercantate« (Lazarus) – der »Siegesgesang Mirjams«, Gedicht von Grillparzer, die bedeutendste.

Mirjams Preis des Höchsten nach dem Uebergange der Israeliten durch das rothe Meer, und der Jubelgesang des aus der Sclaverei befreiten Volkes über seine Rettung und den Untergang der Feinde, ein jedenfalls erhabener Stoff, scheint sowohl den Dichter als den Componisten begeistert zu haben; denn der Erstere verfaßte ein gelungenes Gedicht und der Letztere eine seiner herrlichsten Compositionen.

Die erste Strofe: »Rührt die Zimbel, schlagt die Saiten«, ist in breitem Rhythmus und in einem, wie man annehmen darf, absichtlich Händel's Weise nachgeahmten Styl gehalten, der sodann in der zweiten Strofe bei dem Bilde, daß der Herr wie ein Hirt, den Stab zur Hut, vor seinem Volke aus Egypten einhergezogen sei, den Ton sanfter Rührung und Vertrauens annimmt. Herrlich sind sodann in der dritten die Schauer des Wunderbaren während des Zuges durch das aufgethürmte Meer musikalisch ausgedrückt. Von hier ab beginnt die fantasievolle Schilderung des Nahens der Feinde, drohender Gefahr und des Untergangs Pharao's mit seinem Heere, und nachdem die Ruhe des Meeres wiedergekehrt ist, wiederholt sich der[518] Eingangschor und eine kräftige Fuge schließt das Tongemälde ab.

Von den Psalmen und Hymnen ragt die Hymne »An den h. Geist« (op. 154) (für achtstimmigen Männerchor, mit Begleitung von Blasinstrumenten) durch großen erhabenen Styl über alle andern hervor; ihr reihen sich an: »Gebet vor der Schlacht«, »Gott ist mein Hirt«, »Gott im Ungewitter«, »Gott in der Natur« und »Hymne an den Unendlichen52

Schubert's Originalität, sein reiches Gestaltungsvermögen, die ihm eigene Gabe feinster Charakterisirung und der melodisch harmonische Zauber, der sich in der Verbindung der Oberstimme mit den Unterstimmen eigenthümlich klangvoll ausprägt, kennzeichnen auch die bedeutendsten seiner mehrstimmigen Gesänge, insbesondere die noch an der Neige seines Lebens entstandenen, und blühte nicht schon der Lorbeer auf seiner Stirn für das viele Schöne, das er sonst geboten, er müßte ihm für solche Meisterschaft freudig gereicht werden.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß, während dem Liedercomponisten Schubert schon bei seinen Lebzeiten Lob und Ehre gezollt wurde, seine Instrumentalwerke – mit geringen Ausnahmen – verhältnißmäßig wenig beachtet worden sind, und daß es auch nach seinem Tode noch geraumer[519] Zeit bedurfte, um den Clavierwerken, der Kammermusik und den großen Instrumental-Compositionen nach und nach bei dem Publikum Eingang zu verschaffen. Und doch kann derzeit kein Zweifel mehr darüber obwalten, daß Schubert im Gebiet der Instrumentalmusik eine fast ebenso intensive Thätigkeit wie im Lied entwickelte, wie denn mit seinen ersten Liedern auch schon die Erstlinge seiner Streichquartette der Zeit nach zusammenfallen.

Der göttliche Funke, der in ihm lebte, und den kaum dem Knabenalter Entwachsenen Melodien erfinden und ausführen hieß, die durch Schönheit und Eigenthümlichkeit eine noch unbekannte Welt erschlossen, befähigte ihn auch, sich ohne systematische Anleitung die complicirteren Formen der Instrumentalmusik selbst eigen zu machen, und schon in früher Zeit auf dem Gebiet der Kammermusik Werke zu schaffen, die bei ihrer Aufführung selbst in unseren Tagen noch immer anregend, ja stellenweise ergreifend wirken53. Ein Gleiches läßt sich auch von seinen übrigen Instrumentalcompositionen behaupten.

Franz Schubert, der Vertreter der neuen musikalischen Lyrik, wurde, gleich anderen Meistern der Tonkunst, von dem Vocalen naturgemäß zu dem Instrumentalen hingezogen, nur daß bei ihm der Einfluß des Liedes auf die Instrumentalmusik noch prägnanter hervortritt, als dieß bei andern Tondichtern der Fall ist. Die Tiefe und Innigkeit seines[520] Gemüthes, der Reichthum seiner Fantasie drängten ihn schon in seinen Vocalwerken zu einer ausgedehnten Verwendung des Instrumentalen, in welchem das geheime Weben und Walten des Geistes erschöpfender und unmittelbarer zur Darstellung gelangt, als in dem durch das Wort gebundenen, daher nicht so unbedingt und rückhaltlos sich aussprechenden Vocalen54. Seine lyrische Beschaulichkeit war allerdings weniger geeignet, große und weit angelegte Instrumentalformen zu schaffen und durch Gruppirung zu einem geschlossenen Ganzen dem Kunstwerk jene plastische Gestalt zu geben, die ihm andere, selbst weniger geniale Meister zu verleihen wußten. Nicht wenige der Schubert'schen Instrumentalwerke und darunter auch die größeren setzen sich vorwiegend aus einer Reihe, freilich wunderbar empfundener und ausgeführter Züge zusammen, die zwar mit allem seiner Musik eigenthümlichen Zauber anregen und ergreifen, aber jene gedrungene Form, jene zusammengefaßte Kraft vermissen lassen, welche wieder das Erbtheil anderer Meister sind. Diese aus seiner ganzen musikalischen Organisation entspringende Eigenthümlichkeit, die von Vertheidigern des »strengen Satzes« und »großen Styles« als ein Mangel gedeutet wird, hinderte ihn aber keineswegs, auch auf dem Gebiet des Instrumentalen nicht nur selbstschöpferisch aufzutreten, sondern in allen Zweigen desselben neben minder vollkommenen Werken solche zu schaffen, die den Meisterarbeiten ersten Ranges unbedingt an die[521] Seite zu stellen sind55. Mit den bekannten kleineren lyrischen Clavierstücken aber56 hat er eine, wenn auch nicht neue, so doch seit langer Zeit verlassene Bahn wieder betreten und diesen Formen durch die freie originelle Behandlung, die er, einem schwelgerischen Spiel sich hingebend, ihnen angedeihen ließ, eine künstlerische Bedeutung gesichert, welche von seinen begabtesten Nachfolgern – insbesondere von Mendelssohn, Schumann und Chopin – erfaßt, den Anstoß zu einer Reihe von ähnlichen lyrischen Ergüssen gab, in welchen der Erstgenannte sich noch entschiedener als Schubert auf die Seite des Liedes stellt, wogegen Schumann's Fantasiegebilde für Clavier fast ausschließlich den Charakter rein instrumentaler Kunstwerke an sich tragen57.

In Schubert's Instrumentalmusik nehmen die zweihändigen Claviercompositionen eine hervorragende Stelle ein. Einige derselben, wie die Impromptus, Momens musicals und die gesammte Tanzmusik sind in knapperen Formen gehalten, die Fantasieen und Sonaten dagegen stellen sich als freier behandelte, umfangreiche Tondichtungen dar. Die gesammte Claviermusik Schubert's beansprucht aber an sich einen hohen Werth und reiht sich überhaupt dem Bedeutendsten[522] an, was in dieser Musikgattung geschaffen wurde, woran die Thatsache, daß sie verhältnißmäßig wenig zu öffentlicher Aufführung gelangt, nichts zu ändern vermag58.

Es wird allerdings keinem Unbefangenen in den Sinn kommen, unsers Meisters Tondichtungen für Clavier den gleichartigen Werken jenes Musikheroen gegenüberstellen zu wollen, der gerade in seinen »Sonaten« so wunderbare, aus tiefem Geistesschacht gehobene Schätze niedergelegt hat. Was Schubert in dieser Musikgattung geschaffen, läßt sich weder dem Umfang noch dem geistigen Gehalt nach den Claviercompositionen Beethovens als ebenbürtig an die Seite setzen; aber der Genius regt sich doch gewaltig auch in Schubert's Tongebilden, und wenn Beethoven in vielen seiner Sonaten die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele aufwühlt, ergreifend und erschütternd wirkt und den Flug seines Geistes durch die ausgebildetste Form derart zu bannen weiß, daß er Kunstwerke im höchsten Sinn des Wortes schafft; so treten in Schubert's Claviermusik wieder Eigenthümlichkeiten zu Tage, die denselben einen ganz besonderen Reiz verleihen, und jene zündende Kraft der Anregung in sich tragen, die vielleicht keinem Tondichter in so hohem Grad eigen ist, als eben ihm59 Der lyrische Charakter herrscht wohl auch in[523] diesen Tonstücken vor; das Lied drängt unwiderstehlich, und wo man es am wenigsten erwartet, mitten durch, auch fehlt es nicht hie und da an bedeutungslosen Frasen und Verrückung des Ebenmaßes durch Ausspinnen zahmer Gedanken und Empfindungen; – die vielen frappant rhythmisirten Motive aber, die eben so kühnen als originellen Modulationen, das Hineinziehen und Verarbeiten volksthümlicher Elemente, die weiche, träumerische, mitunter von einem Hauch des Fantastischen angewehte Stimmung, die so manches dieser Tongebilde durchzieht, sichern denselben im großen Ganzen eine unverwüstliche Anziehungskraft60. Der Reichthum musikalischer Schöpfungskraft[524] dringt auch hier in blühender Weise hervor, und die Claviertechnik erscheint durch die Anwendung gebrochener Accorde, durch die Verdopplung der Stimmen und jene volle, so recht aus dem Grund tönende orchestrale Behandlung des Tasteninstrumentes in mannigfacher Art bereichert und vervollkommt.

Zu den Klavierstücken kleinerer Art zählen die Impromptus, Momens musicals, eine große Anzahl von Tänzen (Walzer, Deutsche, Ländler, Galoppe und Ecossaisen) und einige da und dort zerstreute (zumeist nicht bedeutende) Compositionen61. Unter diesen nehmen die Impromptus (op. 90 und 142 zusammen acht Stücke enthaltend) durch ihre verhältnißmäßig breitere Anlage und abgerundete Form eine hervorragende Stelle ein. Schön und bedeutend in jeder Beziehung sind die beiden Impromptus Nr. I aus op. 90 und Nr. IV aus op. 142 (beide in C-Moll), von welchen das erste, von einer elegischen Stimmung ausgehend, im weiteren Verlauf aber immer bewegter, und endlich sich zum Jubel steigernd, das letztere (Allegro scherzando) eine ungarische Weise – feurig durchgeführt, voll kühner Harmonien, herrlich gearbeitet – jedes für sich ein kleines Meisterstück darstellt. Auch die übrigen Impromptus, namentlich jenes in As (Nr. II, op. 142), enthalten eine Fülle origineller seiner Züge und tritt in ihnen die technische Behandlung des Klaviers neu und bedeutend[525] hervor. Kaum weniger anziehend als die eben erwähnten Tonstücke sind die Momens musicals (6 Stücke in 2 Heften, op. 93), von welchen besonders jene in Cis-Moll (Nr. IV) und in As-Dur (Nr. 6) durch überraschende Modulationen, durch Klangschönheiten, volle Harmonien und träumerisch elegischen Ausdruck großen Reiz gewähren. Im Ganzen genommen bilden die einen und die anderen einen Schatz liebenswürdiger Launen und Eigenthümlichkeiten des Componisten, der gerade in diesen gleichsam improvisirten Klavierstücken sich rückhaltlos dem geistvollen Spiel seiner Fantasie hingeben wollte62.

Unter den Tänzen sind es insbesondere die Polonaisen, welche durch lebhaften Rhythmus und so manchen seinen Zug erfreuen; aber auch in den deutschen Tänzen, Ländlern, Ecossaisen u.s.w., deren Form eine knappere ist, blüht es allenthalben, und der glücklichen Erfindung an reizenden Melodien ist da kein Ende63.[526]

Was die Fantasien anbelangt, so stellt sich die bekannte große Fantasie in C (op. 15) als eines der bedeutendsten wenn auch nicht anziehendsten Klavierwerke dar. Der Bau des ersten und letzten Satzes erscheint zwar etwas ungeschlacht; das Musikstück ist aber reich an melodisch-harmonischen Schönheiten und genialen Einzelzügen, nur weist es als freies Fantasiespiel die Forderungen einer geschlossenen Form noch entschiedener zurück, als dieß bei andern Instrumentalwerken Schubert's der Fall ist. Anderseits ist mit Ausnahme der in der Mitte eingewobenen Liedstelle die ganze Anlage und Behandlung der Fantasie so einladend zur Orchestrirung, daß Franz Liszt, in richtiger Erkenntniß ihres simfonischen Charakters, mit jener Meisterschaft, welche ihm für derlei Bearbeitungen eigen ist, die Orchesterbegleitung dazu componirte, in welcher Form denn auch das Tonstück zu wiederholten Malen zur Aufführung gelangte.

In directem Gegensatz zu diesem steht die Fantasie – Sonate in G64 (op. 78). Eine träume risch-idyllische[527] Stimmung, die in den ersten zwei Sätzen und dem Trio des Menuetto liedartig zum Ausdruck gelangt, und nur in dem letzten Satz einem neckischen Spiele weicht, durchzieht das eigenthümliche, zartgewobene Tonstück, dessen Vortrag einen ebenso technisch fertigen als feinfühlenden Künstler verlangt. Von den Sonaten ist jene in A-Moll (op. 42) eine der verbreitetsten und beliebtesten. Sie ist aber auch eines der vollendetsten Klavierstücke; – der erste Satz, von einer gewissen Unruhe und umheimlichen Aengstlichkeit, erzeugt durch Fermaten, Pausen, namentlich durch unisone Bässe; der zweite ein Lied, von reizenden Variationen umrankt; der dritte ein, in Beethoven' scher Weise gebildetes Scherzo mit schönem Trio; der letzte Satz (Rondo) eine rasch dahinbrausende ungarische Tanzweise, interessant durch rhythmische und modulatorische Kühnheit, – das Ganze, ein aus Einem Guß hervorgegangenes Meisterstück65.

Kaum weniger anziehend als diese erscheint auch die zweite A-Moll Sonate (op. 143, von den Verlegern Mendelssohn gewidmet). Die Einleitung des ersten Satzes und der ganze letzte Satz sind in großem Styl gehalten, während in dem ernsten Andante wieder eine jener unheimlichen, fantastisch wirkenden Figuren auftaucht. Die schon erwähnten[528] Eigenthümlichkeiten der Schubert'schen Klaviermusik, insbesondere jene, welche den Fortschritt der Klaviertechnik bekunden, treten auch hier in prägnanter Weise hervor.

Ein Gegenstück zu diesen beiden Sonaten bildet die von Muth und trotziger Kraft erfüllte in D-Dur (op. 53, von Schubert seinem Freund Karl Maria von Bocklet zugeeignet). Sie ist die in der Ausführung schwierigste, und an rhythmischen und Klangeigenthümlichkeiten, sowie an Kontrasten reichste aller Schubert'schen Sonaten. Der zweite Satz derselben gehört wohl zu dem Bedeutendsten, was die moderne Klaviermusik geschaffen hat66. Minder groß angelegt sind die[529] Sonaten in Es (op. 122), in H-Dur (op. 147 von den Verlegern Thalberg gewidmet) und in A-Dur (op. 120), doch fehlt es auch in diesen nicht an bedeutenden Zügen, und ist namentlich die zuletzt genannte in hohem Grad anregend.

Noch erübrigen die drei großen, von den Verlegern Robert Schumann gewidmeten Sonaten, ferner dasAdagio und Rondo (op. 145) und eine nur zum Theil vollendete Sonate in C.

Für die ersteren, als Schubert's »allerletzte« Compositionen veröffentlichten Sonaten konnte sich Schumann, der sogar über die Walzer (op. 9) seines Lieblings (mit Ausnahme des ihm verhaßten Sehnsuchtswalzers)67 in Entzücken[530] gerieth, nicht in dem Grad erwärmen, wie für andere Klavierwerke.

»Die Sonaten«, sagt Schumann, »sind als das letzte Werk68 Schubert's bezeichnet, und merkwürdig genug. Vielleicht daß anders urtheilen würde, wem die Zeit der Entstehung fremd geblieben wäre – wie ich selbst sie vielleicht in eine frühere Periode des Künstlers gesetzt hätte, und mir immer das Trio inEs-Dur als Schubert's letzte Arbeit69, als sein Unabhängigstes und Eigenthümlichstes gegolten hat. Uebermenschlich freilich wäre es, daß sich immer steigern und übertreffen sollte, wer wie Schubert, so viel und täglich so viel componirte, und so mögen auch diese Sonaten in der That die letzten Arbeiten seiner Hand sein. Ob er sie auf dem Krankenlager geschrieben, ob nicht, konnte ich nicht erfahren, aus der Musik selbst scheint man auf das erstere schließen zu dürfen. Wie dem sei, so scheinen mir diese Sonaten auffallend anders, als seine anderen, namentlich durch eine viel größere Einfalt der Erfindung, durch ein freiwilliges Resigniren auf glänzende Neuheit, wo er sich sonst so hohe Ansprüche stellt, durch Ausspinnung von gewissen allgemeinen musikalischen Gedanken, anstatt er sonst Periode auf Periode neue Fäden verknüpft. Als könne es gar kein Ende haben, nie verlegen um die Folge, immer musikalisch und gesangreich, rieselt es von Seite zu Seite weiter, hier und da durch einzelne heftigere Regungen unterbrochen, die sich aber schnell wieder beruhigen. So wirkten sie auf mich. Wohlgemuth und leicht und freundlich[531] schließt er denn auch, als könne er Tags darauf von Neuem beginnen.«

Schumann's musikalische Individualität fühlte sich eben von dem rhapsodischen Charakter, den kühnen Springen und Modulationen, den schroffen Gegensätzen und dem unläugbaren Glanz der Neuheit in den früheren Sonaten in höherem Grad angezogen und erregt, als von der harmonischen, in schönstem Ebenmaß sich darstellenden Gliederung und ruhigeren Entwicklung, welche nach unserer Ansicht gerade diesen Sonaten den Stempel der Reise und Gediegenheit aufdrücken, und insbesondere jene in C-Moll und B-Dur als echte Kunstwerke erscheinen lassen.

Das Fragment (op. 145) besteht aus einemAdagio (E-Dur 3/4) und einem in gleicher Tonart sich anschließendem Rondo (Allegretto 2/4). Ersteres ist eine in ernstem Charakter gehaltene Introduction, deren Styl übrigens weit eher auf einen der älteren Meister, als auf Schubert, schließen läßt70; letzteres dagegen ein in kurzer Form gefaßtes anmuthiges Thema von echt Schubert'schem Gepräge. Aus zwei Theilen bestehend, die beim ersten Mal im Vortrag wiederholt werden, leitet es unmittelbar auf ein neues, in rascherem Zeitmaß sich bewegendes Motiv hinüber, welches, mit Passagen in der rechten und linken Hand reich ausgestattet, sich wie eine Umschreibung des zweiten Theiles des Rondothemas[532] darstellt; dieses kehrt am Schluß wieder, und nachdem auch das rascher bewegte Motiv beinahe in der gleichen Durchführung wie beim ersten Mal wiederholt worden ist, schließt das ganze Stück mit dem ersten Satz des Thema's ab. Das »Fragment« reicht nicht an die Höhe der Sonaten hinan und das Passagenwerk darin leidet an überflüssigem Ballast; die Introduction und das Thema aber verfehlen nicht eines guten Eindruckes, und da das letztere in graziöser Weise den Schluß bildet, so ist die Wirkung des ganzen Clavierstückes immerhin eine befriedigende.

Die Claviersonate in C ist als »Reliquie« in neuester Zeit bei Whistling in Leipzig erschienen. Sie trägt das Datum April 1825, gehört also Schubert's reifster Zeit an. Von den vier Sätzen ist nur der erste (Moderato C-Dur 4/4) und das Andante (C-Moll 8/9) vollständig componirt; der Menuett mit Trio (As-Dur 2/4) und das Finale (Rondo Allegro C-Dur 2/4) sind Bruchstücke geblieben. Die Sonate ist umfangreich und in den ersten zwei Sätzen groß angelegt, vermag aber nicht in dem Grad wie andere Schubert'sche Claviersachen zu fesseln. Uebrigens ist das über einem liedartigen Thema aufgebaute Andante nicht nur das beste Stück dieser Sonate, sondern überhaupt eine Schubert's vollkommen würdige Arbeit71.[533]

Unter den Clavierstücken zu vier Händen nimmt die Fantasie in F-Moll durch Reichthum und Schönheit der Melodien, überraschende Modulationen und ein gewisses Maßhalten in Verarbeitung der Themen eine hervorragende Stelle ein. Schubert hat kein zweites Musikstück dieser Art geschrieben, welches der Fantasie als ganz ebenbürtig zur Seite zu setzen wäre.

Ihr zunächst kommen die Beethoven gewidmeten Variationen über ein französisches Lied72. Das Andante favori mit Variationen (op. 30), ein zartes sinniges Musikstück; einige Märsche – insbesondere die inop. 40 enthaltenen – und das Duo in A-Moll (richtiger C-Dur) op. 140.

Dieses letztere stellt sich seiner Anlage und Durchführung nach als eine Composition dar, welche die Eigenschaften eines orchestralen Werkes (mit Anklängen an Beethoven's Sinfonien) in auffallender Weise an sich trägt. Als ein solches erkannte es auch R. Schumann73, und diese[534] seine Ansicht begegnet derzeit kaum einem Widerspruch. Von den reizenden Märschen sind einige von Franz Liszt[535] für Orchester bearbeitet worden und in dieser Form zur Aufführung gelangt74.

Nach dem über Schubert's Claviermusik im Allgemeinen Gesagten bedarf es kaum mehr des Hinweises, welch' werthvolle Schätze er auch in seinen vierhändigen Claviercompositionen niedergelegt hat. Um aber der Wahrheit die volle Ehre zu geben, darf die Thatsache nicht verschwiegen werden, daß er in keiner andern Musikgattung seiner Neigung zu einem gewissen Sichgehenlassen und zahmer frasenhafter Gedankenausspinnung[536] in solchem Maße nachgegeben hat, als dieß in einigen der vierhändigen Clavierstücke stellenweise der Fall ist75.

Franz Schubert's Compositionen für Orchester bestehen in für sich abgeschlossenen Ouverturen, in Ouverturen zu seinen Opern und in Simfonien.

Der Ouverturen76 wurde schon bei verschiedenen Gelegenheiten gedacht.

Von den Sinfonien ist die erste derselben inD-Dur (comp. 1813), wie es kaum anders sein konnte, noch unter dem Einfluß der vorausgegangenen Meister – Haydn und Mozart – deren sinfonische Werke Franz im Convict genau kennen lernte, entstanden, wogegen in den später componirten Schubert's Originalität schon entschiedener hervortritt, aber auch das Hereinstürmen des Sinfonienheros Beethoven auf[537] ihn nicht zu verkennen ist. Schubert sollte aber kurze Zeit vor seinem Tod ein großes orchestrales Werk schaffen, um auch in dieser Musikgattung sein selbstschöpferisches Talent zu bekunden, und dieses Werk ist die (siebente) Sinfonie in C, welche ihre eigene Geschichte hat.

In der kritischen Beleuchtung einer Sinfonie (op. 4)77 von H. Berlioz sprach Robert Schumann78 den Gedanken aus, daß nach der »Neunten« von Beethoven, dem äußerlich größten vorhandenen Instrumentalwerk, Maß und Ziel erschöpft schien, daß aber Franz Schubert, »der fantasiereiche Maler, dessen Pinsel gleich tief vom Mondesstrahl, wie von der Sonnenflamme getränkt war, nach den Beethoven'schen neun Musen vielleich eine zehnte geboren hätte.« – Diese zehnte Sinfonie war damals schon vorhanden, aber noch nicht gekannt. Die Partitur derselben ruhte, seitdem sie im Jahr 1828 unbenützt bei Seite gelegt worden war, still und unangetastet in der Notenkammer Ferdinand Schubert's. Als Schumann im Jahre 1838 Wien und die Gräber der zwei großen Tondichter besuchte, fiel ihm beim Nachhausegehen vom Währinger-Kirchhof ein, daß ja Franzen's Bruder, Ferdinand Schubert, noch lebe, auf den Ersterer große Stücke gehalten. »Bald darauf – so erzählt er79 – suchte ich ihn auf. Er kannte mich aus meiner Verehrung für seinen Bruder, wie ich sie oft öffentlich ausgesprochen, und erzählte und zeigte mir vieles, wovon auch früher unter der Ueberschrift ›Reliquien‹ mit seiner Bewilligung in der Zeitschrift mitgetheilt wurde. Zuletzt ließ er mich auch von den Schätzen[538] sehen, die sich noch von Franz Sch.'s Compositionen in seinen Händen befinden. Der Reichthum, der hier aufgehäuft lag, machte mich freudeschauernd; wo zuerst hingreifen, wo aufhören! Unter andern wies er mir die Partituren mehrerer Simfonien, von denen viele noch gar nicht gehört worden sind, ja oft vorgenommen als zu schwierig und schwülstig zurückgelegt wurden. Man muß Wien kennen, die eigenen Concertverhältnisse, die Schwierigkeiten, die Mittel zu größeren Aufführungen zusammenzufügen, um es zu verzeihen, daß man da, wo Schubert gelebt und gewirkt, außer seinen Liedern von seinen größeren Instrumentalwerken wenig oder gar nichts zu hören bekommt80. Wer weiß wie lange auch die Sinfonie, von der wir heute sprechen, verstäubt und im Dunkel liegen geblieben wäre, hätte ich mich nicht bald mit Ferdinand Sch. verständigt, sie nach Leipzig zu schicken an die Direction der Gewandhaus-Concerte oder an den Künstler selbst, der sie leitet, dessen seinem Blicke ja kaum die schüchtern aufknospende Schönheit entgeht, geschweige denn so offenkundige, meisterhaft strahlende. So ging es in Erfüllung. Die Sinfonie kam in Leipzig an, wurde gehört, verstanden, wieder gehört und freudig, beinahe allgemein bewundert. Die thätige Verlagshandlung Breitkopf und Härtel kaufte Werk und Eigenthum an sich und so liegt sie nun fertig in den Stimmen vor uns, vielleicht auch bald in Partitur, wie wir es zu Nutz und Frommen der Welt wünschten.«

Am 22. März 1839 wurde diese neue Erscheinung am musikalischen Himmel in dem letzten Gewandhaus-Concert[539] dem mit gespannter Aufmerksamkeit lauschenden Publikum unter Mendelssohn's Leitung zum ersten Mal vorgeführt und mit ungewöhnlichem Beifall aufgenommen. Auch die kritischen Stimmen waren ihres Lobes voll, und während Wilhelm Fink81 in seiner Besprechung der Sinfonie durch eine detaillirte Zergliederung derselben ihren hohen Werth darzuthun versuchte82, rief der hochbeglückte, von Schubert's Muse überschwänglich angeregte Schumann folgende enthusiastische Worte in die Welt hinaus:[540]

»Sag' ich es gleich offen: wer diese Sinfonie nicht kennt, kennt noch wenig von Schubert, und dies mag nach dem,[541] was Schubert bereits der Kunst geschenkt, allerdings als ein kaum glaubliches Lob angesehen werden. Es ist so oft und zum Verdruß der Componisten gesagt worden ›nach Beethoven abzustehen von sinfonistischen Plänen‹, und zum Theil auch wahr, daß außer einzelnen bedeutenderen Orchesterwerken, die aber immer mehr zur Beurtheilung des Bildungsganges ihrer Componisten von Interesse waren, einen entschiedenen Einfluß aber auf die Masse, wie auf das Fortschreiten der Gattung nicht übten, das meiste andere nur mattes Spiegelbild Beethoven' scher Weisen war, jener lahmen langweiligen Sinfonienmacher nicht zu gedenken, die Puder und Perrücke von Haydn und Mozart passabel nachzuschatten die Kraft hatten, aber ohne die dazu gehörigen Köpfe. Berlioz gehört Frankreich an und wird nur als interessanter Ausländer und Tollkopf zuweilen genannt. Wie ich geahnt und gehofft hatte, und mancher vielleicht mit mir, daß Schubert, der formenfest, fantasiereich und vielseitig sich schon in so vielen anderen Gattungen gezeigt, auch die Sinfonie von seiner Seite packen, daß er die Stelle treffen würde, von der ihr und durch sie der Masse beizukommen, ist nun in herrlichster Weise eingetroffen. Gewiß hat er auch nicht daran gedacht, die neunte[542] Sinfonie von Beethoven fortsetzen zu wollen, sondern, ein fleißigster Künstler, schuf er unausgesetzt aus sich heraus, eine Sinfonie nach der andern, und daß jetzt die Welt gleich seine siebente zu sehen bekömmt, ohne der Entwickelung zugesehen zu haben und ihre Vorgängerinnen zu kennen, ist vielleicht das Einzige, was bei ihrer Veröffentlichung leid thun könnte, was auch selbst zum Mißverstehen des Werkes Anlaß geben wird. Vielleicht daß auch von den andern bald der Riegel gezogen wird; die kleinste darunter wird noch immer ihre Franz Schubert'sche Bedeutung haben; ja die Wiener Sinfonien-Ausschreiber hätten den Lorbeer, der ihnen nöthig war, gar nicht so weit zu suchen brauchen, da er siebenfach in Ferdinand Schubert's Studierstübchen in einer Vorstadt Wiens übereinander lag83. Hier war einmal ein würdiger Kranz zu verschenken. So ist's oft; spricht man in Wien z.B. von – –, so wissen sie des Preisens ihres Franz Schubert kein Ende; sind sie aber unter sich, so gilt ihnen weder der Eine noch der Andere etwas besonderes. Wie dem sei, erlaben wir uns nun an der Fülle Geistes, die aus diesem kostbaren Werke quillt. Es ist wahr, dies Wien mit seinem Stefansthurme, seinen schönen Frauen, seinem öffentlichen Gepränge, und wie es von der Donau mit unzähligen Bändern umgürtet, sich in die blühende Ebene hinstreckt, die nach und nach zu immer höherem Gebirge aufsteigt, dies Wien mit all' seinen Erinnerungen an die größten deutschen Meister, muß der Fantasie[543] des Musikers ein fruchtbares Erdreich sein. Oft, wenn ich es von den Gebirgshöhen betrachtete, kam mir's in Sinn, wie nach jener fernen Alpenreihe wohl manchmal Beethoven's Auge unstät hinübergeschweift, wie Mozart träumerisch oft den Lauf der Donau, die überall in Busch und Wald zu verschwimmen scheint, verfolgt haben mag und Vater Haydn wohl oft den Stefansthurm sich beschaut, den Kopf schüttelnd über so schwindlige Höhe. Die Bilder der Donau, des Stefansthurms und des fernen Alpengebirgs zusammengedrängt und mit einem leisen katholischen Weihrauchduft überzogen, und man hat eines von Wien, und steht nun vollends die reizende Landschaft lebendig vor uns, so werden wohl auch Saiten rege, die sonst nimmer in uns angeklungen haben würden. Bei der Sinfonie von Schubert, dem hellen, blühenden, romantischen Leben darin, taucht mir heute die Stadt deutlicher als je wieder auf, wird es mir wieder recht klar, wie gerade in dieser Umgebung solche Werke geboren werden können. Ich will nicht versuchen, der Sinfonie eine Folie zu geben; die verschiedenen Lebensalter wählen zu verschieden in ihren Text- und Bilderunterlagen, und der 18jährige Jüngling hört oft eine Weltbegebenheit aus einer Musik heraus, wo der Mann nur ein Landesereigniß sieht, während der Musiker weder an das Eine, noch an das Andere gedacht hat, und eben nur seine beste Musik gab, die er auf dem Herzen hatte. Aber daß die Außenwelt, wie sie heute strahlt, morgen dunkelt, oft hineingreift in das Innere des Dichters und Musikers, das wolle man nur auch glauben, und daß in dieser Sinfonie mehr als bloßer schöner Gesang, mehr als bloßes Leid und Freud, wie es die Musik schon hundertfältig ausgesprochen, verborgen liegt, ja daß sie uns in eine Region führt,[544] wo wir vorher gewesen zu sein uns nirgends erinnern können, dies zuzugeben, höre man solche Sinfonie. Hier ist, außer meisterlicher musikalischer Technik der Composition, noch Leben in allen Fasern, Colorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall, schärfster Ausdruck des Einzelnen, und über das Ganze endlich eine Romantik ausgegossen, wie man sie schon anderswoher an Franz Schubert kennt. Und diese himmlische Länge der Sinfonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen. Wie erlabt dies, dies Gefühl von Reichthum überall, während man bei Anderen immer das Ende fürchten muß und so oft betrübt wird, getäuscht zu werden. Es wäre unbegreiflich, wo auf einmal Schubert diese spielende, glänzende Meisterschaft, mit dem Orchester umzugehen, hergenommen hätte, wüßte man eben nicht, daß der Sinfonie sechs andere vorausgegangen waren, und daß er sie in reifster Manneskraft schrieb84. Ein außerordentliches Talent muß es immer genannt werden, daß er, der so wenig von seinen Instrumentalwerken bei seinen Lebzeiten gehört, zu solcher eigenthümlichen Behandlung der Instrumente, wie der Masse des Orchesters gelangte, die oft wie Menschenstimmen und Chor durcheinandersprechen. Diese Aehnlichkeit mit dem Stimmorgan habe ich außer in vielen Beethoven'schen, nirgends so täuschend und überraschend angetroffen; es ist das Umgekehrte der Meyerbeer'schen Behandlung der Singstimme. Die völlige Unabhängigkeit, in der die Sinfonie zu denen[545] Beethoven's steht, ist ein anderes Zeichen ihres männlichen Ursprungs. Hier sehe man, wie richtig und weise Schubert's Genius sich offenbart. Die grotesken Formen, die kühnen Verhältnisse nachzuahmen, wie wir sie in Beethoven's spätern Werken antreffen, vermeidet er im Bewußtsein seiner bescheideneren Kräfte; er gibt uns ein Werk in anmuthvollster Form, und trotz dem in neuverschlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunkt wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend. So muß es Jedem erscheinen, der die Sinfonie sich öfters betrachtet. Im Anfange wohl wird das Glänzende, Neue der Instrumentation, die Weite und Breite der Form, der reizende Wechsel des Gefühllebens, die ganze neue Welt, in die wir versetzt werden, den und jenen verwirren, wie ja jeder erste Anblick von Ungewohntem; aber auch dann bleibt noch immer das holde Gefühl etwa wie nach einem vorübergegangenen Märchen- und Zauberspiel; man fühlt überall, der Componist war seiner Geschichte Meister und der Zusammenhang wird dir mit der Zeit wohl auch klar werden. Diesen Eindruck der Sicherheit gibt gleich die prunkhaft romantische Einleitung, obwohl hier noch alles geheimnißvoll verhüllt scheint. Gänzlich neu ist auch der Uebergang von da in das Allegro; das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet, wissen nicht wie. Die einzelnen Sätze zu zergliedern, bringt weder uns, noch Andern Freude; man müßte die ganze Sinfonie abschreiben, vom novellistischen Charakter, der sie durchweht, einen Begriff zu geben. Nur vom zweiten Satze, der mit so gar rührenden Stimmen zu uns spricht, mag ich nicht ohne ein Wort scheiden. In ihm findet sich auch eine Stelle, da wo ein Horn wie aus der Ferne ruft, das scheint mir aus anderer Sphäre herabgekommen zu sein. Hier lauscht[546] auch Alles, als ob ein himmlischer Gast im Orchester herumschliche.

Die Sinfonie hat denn unter uns gewirkt, wie nach den Beethoven'schen keine noch. Künstler und Kunstfreunde vereinigten sich zu ihrem Preise, und vom Meister, der sie auf das Sorgfältigste einstudirt, daß es prächtig zu vernehmen war, hörte ich einige Worte sprechen, die ich Schubert'en hätte bringen mögen, als vielleicht höchste Freudenbotschaft für ihn. Jahre werden vielleicht hingehen, ehe sie sich in Deutschland heimisch gemacht hat; daß sie vergessen, übersehen werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Jugendkeim in sich«85.

In Wien sollte sie endlich am 15. December 1839 in dem zweiten Gesellschaftsconcert jenes Jahres vollständig aufgeführt werden. Allein schon in der ersten Orchesterprobe weigerten sich die bezahlten »Künstler« die zu einer guten Aufführung nöthigen Proben mitzumachen, und so geschah es, daß, ungeachtet die Aufführung der ganzen Sinfonie angekündigt war, nur die beiden ersten Sätze, und diese getrennt durch eine italienische Arie, gegeben wurden86. Nach diesem mißglückten Versuch ruhte das Werk abermals durch eilf Jahre, bis es am Schluß des Jahres 1850 in einem Gesellschaftsconcert (unter Herrn Josef Hellmesbergers Leitung) in Wien zum ersten Mal vollständig, doch nur mit mäßigem Beifall aufgenommen,[547] zur Aufführung gelangte87. In der Vaterstadt des Tondichters hat nämlich dieses, von Mendelssohn und Schumann als die bedeutendste orchestrale Schöpfung nach den Beethoven'schen anerkannte88, und insbesondere auch seiner Form wegen hochgehaltene Werk bis zur Stunde nicht jenen Erfolg erzielen, jene Anerkennung erringen können, deren es in so hohem Grad würdig ist, wenn auch jetzt die Thatsache constatirt werden muß, daß es sich in Folge wiederholter Aufführungen einer liebevolleren Aufnahme zu erfreuen beginnt. Die breite Ausspinnung der Sätze (daher auch die lange Dauer der Sinfonie) und Formmängel werden ihr noch fortan zum Vorwurf gemacht, und so hat sich denn das seltsame Schauspiel begeben, daß die sinfonischen Fragmente aus früher entstandenen Sinfonien89, namentlich das reizende, übrigens an Beethoven's Art gemahnende Scherzo der sechsten Sinfonie, und der letzte.[548] Satz der zweiten in D-Dur ihrer concisen Form und anregenden Motive wegen sich eines so lebhaft-aufrichtigen Beifalls zu erfreuen hatten, wie ein solcher der durch und durch originellen, ungleich bedeutenderen und in Schubert's reifster Zeit entstandenen »siebenten« noch nie zu Theil geworden ist. Der, in zwei Sätzen vollendeten, bis jetzt unbekannten Sinfonie in H-Moll, welche sich seit 1822 in Händen des Herrn Anselm Hüttenbrenner in Gratz befinden und sehr Schönes enthalten soll, wurde schon früher gedacht; deßgleichen der Skizze einer Sinfonie in E (1821), welche (nach Ferd. Schubert) im Jahre 1845 in den Besitz Mendelssohn's übergegangen ist90.[549]

Wie schon im Beginn dieser Darstellung erwähnt worden, hat sich Schubert frühzeitig auf dem Gebiete der Kammermusik versucht. Streichquartette, die er noch im Convict oder in der nächsten Zeit nach seinem Austritt aus der Anstalt componirte, kamen im väterlichen Haus zur Aufführung, und einige derselben sind jetzt noch als Manuscript erhalten91. Er selbst betrachtete diese Compositionen als Uebungen, und hielt, wie dieß eine bereits angeführte Briefstelle bezeugt, jedenfalls viel weniger von ihrem Werth, als seine Verwandten und Freunde, welchen sie vorgeführt wurden. In späterer Zeit, als er sich fast ausschließlich dem Lied und der Claviermusik hingab, hat er diese Musikgattung mehrere Jahre hindurch nicht weiter cultivirt; desto energischer und erfolgreicher waren die, in die letzte Zeit seines Lebens fallenden Bestrebungen, auch auf diesem Feld Bedeutendes zu schaffen. Wenn von Schubert's Leistungen in der Kammermusik die Rede ist, werden in erster Reihe die beiden Trio (in B und[550] in Es), die Streichquartette in D-Moll und G-Dur und das Streichquintett in C als maßgebend hervorzuheben sein. Die beiden Trio, noch bei Lebzeiten des Componisten in Privatkreisen aufgeführt, zählen zu Schubert's bekanntesten Werken. In ihrem Entstehen nur durch eine kurze Spanne Zeit von einander geschieden, fallen sie in des Tondichters letzte Schaffensperiode92 und erfreuen durch alle schon zu wiederholten Malen bezeichnete Eigenthümlichkeiten und Reize der Schubert'schen Muse, nur daß diesen beiden Compositionen der Stempel künstlerischer Reise und intensiverer Arbeit aufgedrückt ist. Breiter angelegt, kräftiger durchgeführt, form- und fantasiereicher erscheint im Ganzen genommen das Es-Trio93, auf[551] welches selbst der bescheidene Künstler nicht ohne innere Befriedigung blickte. Namentlich sind die ersten drei Sätze schöngestaltet und bedeutend, während das mit einem unbedeutenden Motiv beginnende und breit ausgesponnene Finale zwar in seinem Verlauf viel des Schönen bietet, den gedrungenen Bau der vorhergehenden Sätze aber vermissen läßt94.

Vortrefflich in jeder Beziehung, anregend und stellenweise ergreifend sind die beiden Streichquartette in G-Dur und D-Moll95; beide überragt an Breite der Anlage und Tiefe der Conception das Streichquintett in C, ein Juwel im Gebiet der Kammermusik, von durch und durch Schubert'schem Gepräge, theilweise aber auch (wie im Adagio und in dem[552] Trio des Scherzo) von Beethoven' scher Größe96. Ihnen reihen sich an: Das Streichquartett in A-Moll (op. 29)[553] und jene in E-Dur und Es-Dur (op. 125), von welchen das erstgenannte als das bedeutendste öfter zur Aufführung gelangt; sodann die drei Sonatinen für Violine und Pianoforte, das Duo für Piano und Flöte (op. 160), ein Notturno für Pianoforte, Violine und Cello (op. 148), die beiden Duo für Pianoforte und Violine in C und A (op. 159 und 162), das Rondeau brillant für Pianoforte und Violine in H-Moll (op. 70) mit einer in großem Styl gehaltenen Introduction – überhaupt das gelungendste der drei Duos – das im Jahre 1824 componirte große Octett, dessen (so wie auch des op. 160) schon früher erwähnt worden ist, endlich das melodiöse aber zahme Clavierquintett (op. 114) mit dem Lied: »Die Forelle« als Thema des zweiten Satzes.

[554] Das Duo (op. 159), »Fantasie« betitelt, und das Notturno sind schwierig auszuführende und doch minder anregende Compositionen dieser Gattung. Ersteres besteht aus einer Introduction (Andante moto C-Dur 6/8), an welches sich ein knapp gehaltenes, ungarisch schillerndes Motiv (Allegretto A-Moll 2/4) anreiht. Den zweiten Satz (Andantino As-Dur 3/4) bildet das schöne Schubertlied: »Sei mir gegrüßt« (von Rückert) mit Variationen, nach welchen die Introduction wiederkehrt, und ein Allegrosatz (C-Dur 4/4) das Musikstück abschließt. Die »Fantasie«, allerdings keine der bedeutenderen Compositionen unseres Tondichters, aber auch nichts weniger, als eine verwerfliche Arbeit, stand bei Schubert's Lebzeiten ihrer »Verworrenheit« wegen in so üblem Geruch, daß Publikum und Verleger vor ihr, wie vor einem musikalischen Popanz, scheuten97.[555]

Einen directen Gegensatz zu den erwähnten Duos bilden die (wenig gekannten, im Jahre 1816 entstandenen) drei Sonatinen für Clavier und Violine98 (op. 137), welche sich durch eine fast befremdende Einfachheit der Behandlung auszeichnen, aber auch das Schubert'sche Gepräge nur in geringem Maß an sich tragen. Die anziehendste unter den Sonatinen ist wohl die zweite in A-Moll.

Die Kenntniß der Schubert'schen Kammermusik ihrem ganzen Umfang nach ist – wie noch am Schluß dieser Darstellung gezeigt werden wird – in der Vaterstadt des Componisten eine Errungenschaft der neueren Zeit, in welcher man sich nicht mehr damit begnügte, die wenigen, schon lange bekannten Werke in möglichster Vollkommenheit zu produciren, sondern rühmlichst bestrebt war, auch Compositionen aus des Tondichters frühester Schaffensperiode99 und einige »vergraben gewesene« aus seiner Blüthezeit aus Tageslicht zu ziehen um dadurch die volle Würdigung Schubert's auch nach dieser Seite hin zu ermöglichen100.[556]

Der Opern wurde bereits ausführlicher gedacht. Im Ganzen genommen sind Schubert's für das Theater geschriebene Werke noch immer »ein unbekanntes Land«; denn nur wenige davon, und diese durchaus kleinerer Art, sind zur Aufführung gekommen101 und so lange nicht die beiden in größerem Styl gehaltenen Opern von der Bühne herab gehört worden sind, läßt sich über Schubert's Befähigung, auch auf dramatischem Feld erfolgreich zu wirken, kein bestimmt lautendes Urtheil fällen. Wie beinahe alle großen Meister, so fühlte auch er schon in jungen Jahren den Drang, sich in dramatisch-musikalischen Arbeiten zu versuchen, und in seinem sechzehnten Lebensjahre hatte er schon die Composition von »Des Teufels Lustschloß« in Angriff genommen. In seinem achtzehnten Lebensjahre hielt seine Thätigkeit auf dem Feld der Oper gleichen Schritt mit jener in der Composition von Liedern, und war nach beiden Seiten hin erstaunlich fruchtbar. Dann trat eine längere, nur hie und da durch vereinzelte Melodrame und Singspiele unterbrochene Pause ein, bis in der Blüthezeit des Tondichters die beiden großen Opern »Alfonso und Estrella«, »Fierrabras« und die Operette »Die Verschwornen« entstanden, mit welchen seine Leistungen nach dieser Richtung hin ihren Abschluß erhielten. Seine Luft, weiters noch Opern zu schreiben, dauerte aber ungeachtet der nicht eben erfreulichen Erfahrungen und der Hoffnungslosigkeit, dieselben auf dem Theater aufgeführt zu sehen, ungeschwächt fort. Mehrere Stellen in seinem brieflichen[557] Verkehr mit Schober, Schwind und Bauernfeld, das verbürgte Geständniß, welches er nach Ueberreichung der großen Sinfonie in C ablegte, »daß er jetzt ganz in der Sinfonie und Oper sitze«, sein Verlangen nach einem Operntext während der Zeit seiner Krankheit, endlich mehrere Textbücher und Entwürfe, mit denen er sich in der That schon beschäftigte102, deuten in unverkennbarer Weise darauf hin, daß, wäre es ihm vergönnt gewesen noch länger zu leben, die musikalische Welt um einige größere Werke reicher wäre, ja daß Schubert in der Oper reformatorisch auftreten und der Gründer eines echt deutschen musikalischen Drama werden konnte. Daß er das Zeug dazu in sich hatte, wird von Vorurtheilslosen kaum bestritten werden; denn selbst zugegeben (wogegen übrigens mehrere großangelegte Musikstücke in seinen zwei »romantischen« Opern zeugen), daß er sich die breiteren, dramatisch wirksamen Formen des Opernstyles, als seiner musikalischen Organisation widerstrebend, nicht angeeignet haben würde, so bewegte er sich in[558] dem eigentlichen Singspiel mit einer Grazie, Leichtigkeit und Sicherheit in Behandlung der Singstimmen und des instrumentalen Theiles, die ihn wohl befähigten, gerade nach dieser Richtung hin Dauerndes zu schaffen103. Ob seine größeren Opern dem Geschmack und den Anforderungen der Jetztzeit Stand halten würden, ist allerdings zweifelhaft. Nicht ohne Grund bemühten sich Schubert und seine Freunde, die Darstellung derselben auf irgend einem Theater durchzusetzen, da sie wohl einsahen, daß nur auf dem Weg praktischer Erfahrung die Luft zu weiteren Arbeiten dieser Art erhöht, und die etwa vorhandenen Mängel in nachfolgenden Werken vermieden werden konnten. In späterer Zeit, als gegen die Verwälschung der Oper die naturgemäße Reaction eintrat, möchte ihm auch die Erfüllung dieses seines Wunsches gelungen sein; sein frühzeitiger Tod aber vernichtete vollends jede Hoffnung einer Aufführung seiner Opern und Operetten, und gab überhaupt manches seiner Werke, darunter namentlich auch die für das Theater geschriebenen bis auf diese Tage der Vergessenheit anheim.

Als Curiosum und zugleich als Beweis, zu welchen Ungeheuerlichkeiten sich wohlmeinende aber unberufene Rathgeber versteigen können, möge hier noch erwähnt werden, daß vor mehreren Jahren in einem Aufsatz in den »Unterhaltungen am häuslichen Herd« allen Ernstes der Vorschlag gemacht wurde, aus den acht Schubert'schen Opern, da ja von[559] diesen keine für sich zur Aufführung geeignet sei, Eine einzige herzustellen, und diese wunderbare Quintessenz im Theater dem Publikum vorzuführen.

Auch die Kirchenmusik verdankt dem Genius unseres Tondichters mehrere durch Originalität und tiefes Erfassen des religiösen Inhaltes hervorragende Tonstücke. Seine erste Messe entstand bereits im Jahre 1814, die letzte im Jahre 1828, kurze Zeit vor seinem Tod. In Mitte dieser beiden Kirchenwerke liegen fünf Messen104, zwei Stabatmater, ein großes Magnificat, ein Hallelujah und eine bedeutende Anzahl von Kirchenmusik-Einlagen verschiedener Art.

Der innere Werth dieser Compositionen erhebt sich freilich nicht bei allen zu gleicher Höhe; denn während die Offertorien, die Graduale u.s.w. sich als leicht hingeworfene, wenngleich in melodiöser Beziehung reich ausgestattete Tonstücke von minderer Bedeutung darstellen, beanspruchen mehrere Messen wenigstens zum Theil vermöge ihrer Schönheit in der Form und ihres echt religiösen Ausdruckes die volle Beachtung des Kunstfreundes. Schubert war eben nicht der Mann, der längere Zeit in irgend welchem Gebiet seiner Kunst verweilt hätte, ohne darin unverkennbare Spuren seines Genie's zurückzulassen.

Die, im Ganzen genommen, bedeutendste der (bekannt gewordenen) Schubert'schen Messen ist jene in G105,[560] componirt im Jahre 1815 von dem damals achtzehnjährigen Jüngling und darum vor Allem geeignet, von der wunderbar rasch entwickelten Reise unseres Tondichters, die sich – merkwürdig genug – gerade in einem Tonwerk religiösen Charakters manifestiren sollte, glänzendes Zeugniß zu geben.

Das Kyrie der G-Messe beginnt vierstimmig mit einer jener unscheinbaren Weisen, wie sie Schubert auch anderwärts vorzuführen liebt, um sie allmählig schön und breit sich ausgestalten zu lassen. Ungeachtet der G-Dur-Tonart ist die in dem Kyrie eleison waltende Stimmung eine vorwiegend wehmüthige, und gewinnt nur flüchtig – in Folge einer Wendung von der Tonica zu ihrer Dominante – eine etwas heitere Färbung. Das erste Thema, an das bekannte Segenlied »Heilig« gemahnend, tritt in den Vordergrund und tönt in G-Dur aus. Nun intonirt jede der vier Gesangsstimmen selbstständig eine in der Moll-Tonart sich bewegende Melodie, der Klageruf des Kyrie steigert sich zu sehnsüchtigem Drang, bis er in chromatischer Bewegung auf dem Dominantorgelpunkt in D anlangt, dessen die Melodie führende Oberstimme vom Baß tactweise nachgeahmt wird. Sofort leitet das Musikstück wieder in die Haupttonart über, der bereits vorübergezogene Inhalt kehrt abermals wieder, um in beschwichtigend ruhigen Accorden diesen ersten Theil abzuschließen. Das Gloria hält sich vorwiegend in conventionellem Kirchenstyl; das Gratias darin erfreut durch eine jener lieblichen Melodieen, wie solche Schubert's Füllhorn entströmen; das »Qunoniam« aber, an sich musikalisch schön, trägt. Mozart-Haydn'sches Gepräge und dieser ganze Theil, etwas flüchtig und ängstlich ausgeführt und nur hie und da die Eigenthümlichkeit des Tondichters hervorkehrend, schließt in unverkennbar[561] gezwungener Weise ab. Nun folgt das Credo, ein mächtiger, lang und breit gestreckter Choral, der, obschon piano vorzutragen, doch mit sanfter Gewalt voll und kräftig aus dem Innern tönt. Die contrapunktische Behandlung des Tonstückes, das Arbeiten der übrigen Stimmen gegen den Choral, die Chor und Orchesterbegleitung zu dem von Tact zu Tact sich steigernden Gesang, die sinnige Charakterisirung der einzelnen Theile des Glaubensbekenntnisses von sanfter Klage bis zu lautem Jubel, endlich die schöne Umkehr zu dem Hauptthema und seiner vollständigen Entwicklung in der schon dagewesenen Art, so mancher werthvollen Einzelzüge nicht zu gedenken, machen dieses Kirchenstück zu einem der bedeutendsten, die geschrieben worden sind.

Das Sanctus bietet keine hervorragenden Momente; dagegen stellt sich das Benedictus, ein inniger Lobgesang, an welchem in kanonischer Stimmführung Alle, mit Ausnahme der Altstimme, theilnehmen, als ein Tongewebe von zartem lieblichen Charakter dar, das selbst unter Schubert's schönen lyrischen Ergüssen eine hervorragende Stelle behauptet. Auf gleicher Höhe, wie das Benedictus, erhält sich das Agnus Dei, dessen an Rückungen und Vorhalten reiches Vorspiel einer andächtig elegischen Stimmung schönen Ausdruck verleiht, der durch den Wechselgesang der Solisten noch gesteigert wird. Die merkwürdige Folge der Tonarten, welche das Agnus durchläuft, die charakteristische Begleitung (namentlich das Seufzen der tief gehaltenen Bratschen), die homophone Weise des Klageliedes, welche sodann dem mehrstimmigen Gesang weicht, endlich das freudig erregte Dona nobis und der Abschluß des Ganzen durch das Kyrie der Messe sichern auch diesem letzten Theil ein ungeschmälert hohes Interesse.[562]

Nebst der G-Messe sind auch jene in B und in As von nicht zu unterschätzendem musikalischen Werth. Das Gloria und Agnus in dem erstgenannten Kirchenwerk, vor Allem aber das Credo, und in diesem wieder das Incarnatus in der, As-Messe, erheben sich in jeder Beziehung weit über die Kirchencompositionen gewöhnlichen Schlages; das Incarnatus in der As-Messe reiht sich unbedingt dem Bedeutendsten an, was die moderne katholische Kirchenmusik aufzuweisen hat.

Schubert's letzte große Kirchencomposition ist die Messe in Es. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß dieses in der reifsten Schaffensperiode entstandene Kirchenwerk sich den übrigen aus eben dieser Zeit herrührenden ausgezeichneten Schöpfungen als in seiner Art ebenbürtig zur Seite stelle; die besagte Messe ist aber bis jetzt eine in der Vaterstadt des Componisten – und auch anderwärts – beinahe ganz unbekannte Arbeit unseres Tondichters geblieben. Vielleicht ist es der nächsten Zukunft vorbehalten, derselben eine würdige Aufführung in der Kirche oder im Concertsaal zu bereiten106.

1

Der Minnesang blühte um 1100–1500. Der berühmte Wettstreit auf der Wartburg fand im Jahre 1207 statt. Einer der letzten Minnesänger: Oswald von Wolkenstein, starb 1445. – Die Blütezeit der Meistersinger fällt in die Jahre 1300–1600. Der Meistersinger Hans Sachs starb 1576. Sein völliges Ende fand der Meistersang erst im Jahre 1839, wo die letzten vier Mitglieder der Ulmer Singschule ihr Innungszeichen ablegten. Der Meistersänger hohe Schul' war (nach Wagenseil) vornehmlich in Nürnberg, ihr Sammelplatz in Mainz. – S.A. Reißmann: »Das deutsche Lied in seiner historischen Entwicklung«, Kassel 1861. – A.W. Ambros: »Geschichte der Musik«, II. Bd. S. 258 u. ff.

2

»Eine große Zahl deutscher, körniger, aber schon weit seiner belebter wärmerer herzlicher Volkslieder, welche in der Zeit zwischen 1480 und 1550 eben beliebt waren, ist in den tüchtigen kunstreichen Bearbeitungen derselben durch die Meister der damaligen Schule deutscher Tonsetzer erhalten, zu welcher Männer zählten, wie Heinrich Finck, Lorenz Lemlin, Heinrich Isaak u.a.m. Neben solchen Meistern waren auch die Lautenisten bedacht, für ihr Publikum beliebte Volksweisen in Lautentabulatur zu bringen, und die Organisten dergleichen auf ihrem Instrumente hören zu lassen. Das Volkslied, einer Feldblume gleich, die am Morgen in stiller Lieblichkeit dasteht, und Niemand weiß zu sagen, wer sie gepflanzt hat, wurde so in den Kunstgarten der höheren Musik versetzt und entfaltete sich zu Blüten von oft wunderbarer Pracht und Fülle«. – Ambros Geschichte der Musik, Bd. II., S. 281 u. ff.

3

Die Arie, als der lyrische Ausdruck einer festgehaltenen Stimmung, ruht wohl auf derselben Basis wie das Lied, geht aber über die Liedform in dem Maß hinaus, als das darzustellende Gefühlsobject weiter und bedeutender wird und jenes des Liedes überragt. Die deutschen Meister (Händel, Bach, Gluck) bewirkten diese Erweiterung durch reichere harmonische Anlage, wogegen die Italiener in dem figurirten Gesang und dadurch zu erzielenden Theatereffect die Hauptsache erblickten. Graun, Hasse, Telemann, Benda. Doles und Quanz neigten der italienischen Weise zu; an die deutsche hielten sich Marpurg und die Schüler Seb. Bach's, diese durchweg der norddeutschen Schule angehörig, deren Spuren auch in die Jetztzeit noch hereinragen. – S. Reißmann: »Das deutsche Lied«.

4

Hier kommt insbesondere der Choral in Betracht, der auf Grund der protestantischen Lebensanschauung zu einem guten Theil aus dem Volkslied sich entwickelte, dieses aber hinwieder mannigfach umgestaltete. Der reichere Rhythmus des Volksliedes mußte diesem nicht selten abgestreift werden, damit es evangelisches Kirchenlied wurde.

5

So entstand zu Anfang des 17. Jahrhunderts der Palmenorden, um 1643 die Zesen'sche deutschgesinnte Gesellschaft in Hamburg und 1656 der Schwanenorden an der Elbe – Vereine, die es sich zur Aufgabe machten, der deutschen Poesie den Weg zu schönster Entfaltung zu bahnen. In dem »Palmenorden« ragten als Dichter die Schlesier: Martin Opitz und Christian Hofmann, sodann Flemming, Gryphius und Kaspar von Lohenstein hervor.

6

So beruht die Größe und Unvergänglichkeit der Händel'schen Oratorien ganz hauptsächlich noch auf dem volksthümlichen Zug, der die Chöre durchweht; wie mächtig der Volksgesang in die Instrumental- und Gesangsmusik Haydn's und selbst S. Bach's hineinragt, bedarf keiner weiteren Ausführung; und eben dieses Volksthümliche ist es, welches den künstlerisch so vollendeten Dramen Mozart's, Weber's u.s.w. unverwüstliche Jugendfrische und Anziehungskraft verleiht. – In der Geschichte der europäisch-abendländischen Musik – bemerkt Ambros – (Geschichte der Musik II. Bd. S. 276) ist das Volkslied von höchster Wichtigkeit; es bildet neben dem Gregorianischen Gesang die zweite Hauptmacht. Es war der unerschöpfliche Hort, aus dem die größten Meister des Tonsatzes die Melodien entnahmen, welche sie nicht blos weltlich zu kunstvollen mehrstimmigen Liedern umbildeten, sondern auf welche sie selbst geistliche Tonstücke der größten ernstesten Art aufbauten.

7

S. Reißmann: »Das deutsche Lied«, S. 96 u. ff.

8

Weiße wollte durch seine Opern die Deutschen zum geselligen Gesang anhalten, und in der That wirkte die Operette auf die Ausbildung des Liedes zurück. – S. Otto Jahn: Mozart, Bd. III. S. 342 ff.

9

Neefe, Reichhardt und Gluck componirten auch Klopstock'sche Oden, doch ohne damit durchgreifenden Einfluß zu gewinnen. Auch Schubert versuchte sich an den Oden und zwar mit größerem Erfolg.

10

Klein (Bernhard), geb. 1794 zu Köln, gest. 1832 als Musikdirector an der Universität in Berlin.

11

Berger (Ludwig), geb. 1777 in Berlin, gest. daselbst 1839.

12

Reichardt (Friedrich), geb. 1751 zu Königsberg, wurde Hofkapellmeister in Berlin, später in Kassel, und starb 1814 in Giebichstein.

13

Zelter (Carl Friedrich), geb. in Berlin 1758, gest. daselbst 1832, wenige Monate nach Goethe.

14

Unter den einundvierzig bekannt gewordenen Mozart'schen Liedern (aus welchen übrigens einige Arietten und mehrstimmige Gesänge auszuscheiden sind) ragen: »Das Veilchen«, »Abendempfindung«, »Trennung«, »An Chloe« und »Unglückliche Liebe« durch schönen Ausdruck und Formvollendung über die anderen hervor. Die beiden erst genannten sind scenisch erweitert. Das Lied: »An Chloe« nähert sich der Art einer italienischen Canzonette; »Unglückliche Liebe« ist dramatisch leidenschaftlich gehalten. Alle übrigen Lieder sind, wenn auch nicht ohne Reiz, so doch musikalisch unbedeutend. Die Gedichte von Weiße, Hagedorn, Jakobi, Blumauer, Hermes, Hölty, Günther, Kanitz und Claudius boten keinen Anlaß zu größeren Compositionen, die lyrische Poesie Goethe's aber, aus welcher die späteren Liedersänger so reichlich geschöpft haben, scheint Mozart nicht bekannt gewesen zu sein. Was er daraus gemacht haben würde, zeigt das einzige, von ihm in Musik gesetzte, Goethe'sche Lied: »Das Veilchen«.

15

In den »Schottischen« und »Irischen Liedern« sind nebst dem Clavier auch Streichinstrumente verwendet.

16

Unter den achtundvierzig veröffentlichten Liedern und Arietten Beethoven's behaupten die geistlichen Lieder (op. 32), die Cantate (op. 48) »Adelaide«, »Sehnsucht«, »Wonne der Wehmuth«, »Mit einem gemalten Band«, »Das glückliche Land«, »Der Wachtelschlag«, »Neue Liebe neues Leben« und der herrliche Liederkreis: »An die ferne Geliebte« eine hervorragende Stelle. Beethoven war mit der Goetheschen Lyrik wohl vertraut, er componierte zehn Gedichte von Goethe, darunter »Sehnsucht« vier Mal. Der »Liederkreis« ist eine musikalische Form, welche Schubert in den »Müllerliedern« und der »Winterreise« noch weiter ausbildete. Die Lieder Klärchen's aus »Egmont« sind, namentlich das »Freudvoll und leidvoll« scenisch erweiterte.

17

So viele Lieder enthält (in Abschrift) die Witteczek'sche Sammlung.

18

In frühesten Zeit (1811–1815) wählte Schubert hauptsächlich die zahmen sentimentalen Poesien von Hölty, Mathisson, Kosegarten Salis u.s.w., wie diese eben damals beliebt waren und dem Schulgehilfen in die Hände fielen. Später wirkten Mayrhofer, Vogl und Schober auf seine Wahl von Gedichten ein.

19

Er hat an 60 Goethe'sche Gedichte in Musik gesetzt.

20

Dahin gehören: Die Gesänge aus »Wilhelm Meister« und jene aus »Westöstlicher Divan«; »Ganymed«, »Schwager Kronos«, »Rastlose Liebe«, »Erlkönig«, »Willkommen und Abschied«, »Grenzen der Menschheit«, »Gretchen am Spinnrad«, »Der Musensohn«, »Erster Verlust«, »Wanderers Nachtlied«, »Geheimes«. – In dem »Nachtlied« (op. 4) ist auf kleinem Rahmen ein verhältnißmäßig großer Reichthum von Rhythmen entwickelt und das Metrum findet fast in jeder Strofe eine andere Darstellung. In einigen Liedern wie: »Der Fischer«, »Heidenröslein«, »Nähe der Geliebten«, »Jägers Abendlied« ist die einfachste Liedconstruction fest gehalten, und es ist hauptsächlich die Melodie, die den Zauber der Worte zu einheitlichem Zug zusammenfaßt; dagegen tritt bei anderen die Clavierbegleitung in bedeutender und charakteristischer Weise hervor (wie z.B. »Gretchen am Spinnrad«). Wunderbar duftig sind die Suleika-Lieder.

21

So gehört das schöne tiefempfundene Lied: »Thekla eine Geisterstimme« dem Jahre 1813, »des Mädchens Klage« (eines der echt lyrischen und darum auch sangbarsten Schiller'schen Gedichte) dem Jahre 1815 an. Auch die Lieder: »Emma«, »Hectors Abschied«, »der Kampf«, »die Erwartung«, »Laura am Clavier«, »Entzückung an Laura« u.s.w. stammen aus dieser früheren Periode. – Sch. hat im Ganzen zwanzig und einige Gedichte von Schiller in Musik gesetzt, von welchen nebst den oben zuerst genannten zwei Liedern noch: »Gruppe aus dem Tartarus« und »Dythirambe« als musikalisch werthvoll hervorzuheben sind.

22

Auch Goethe's antikisirende Gedichte: »An Schwager Kronos«, »Ganymed« und »Grenzen der Menschheit« sind musikalisch bedeutend wiedergegeben. – Von »Memnon« pflegte Mayrhofer zu sagen, daß dieser erst durch Schubert's Töne sich ihm vollends aufgeklärt habe. – Unter den übrigen Liedern (auf Mayrhofer'sche Dichtungen) ragen »Der zürnenden Diana« und »Nachtstück« durch großartige und tiefsinnige Auffassung hervor. – Die Zahl der von Schubert in Musik gesetzten Gedichte von Mayrhofer beträgt ungefähr dreißig, darunter der »Gondelfahrer«, welchen Schubert auch als Vocalquartett componirte.

23

Auch das wirksame komische Terzett: »Der Hochzeitsbraten« und das schöne Männerquintett »Mondenschein« sind auf Schober'sche Gedichte componirt.

24

Als im Publicum der Wunsch laut wurde, Schubert möchte doch auch einige heitere Lieder componiren, setzte er Castelli's »Echo« und sogenannte »Refrainlieder« (op. 95) von G. Seidl in Musik, denen noch andere folgen sollten. Schubert fühlte sich aber für diese Art wenig geeignet, und seine »komischen« Lieder gehören auch zu den minder gelungenen. Eine Composition humoristischer Art ist auch die Nr. 3 aus den, dem Sänger Lablache gewidmeten drei italienischen Canzonen (op. 83). – Die von Schubert auf italienische Textworte componirten Gesänge tragen durchweg mehr den Charakter der Arie als des Liedes an sich. Dieß ist namentlich der Fall bei dem »Traditor deluso« (Nr. 2 des op. 83), der mit einem Recitativ beginnend, dem Verzweiflungsgefühl des getäuschten Verräthers bedeutsamen musikalischen Ausdruck verleiht. Die Form erinnert, sowie auch jene der italienischen Sopran-Arie (s. Seite 130) an Mozart'sche Concertarien.

25

Wilhelm Müller, geb. in Dessau am 7. October 1795, Sohn eines bemittelten Handwerkers, studirte im Jahre 1812 in Berlin Philologie und Geschichte, schlug im Jahre 1813 die Schlachten des Befreiungskrieges im preußischen Heere mit, und kehrte 1814 nach Berlin zu seinen Studien zurück. Im Jahre 1817 reiste er nach Italien, 1819 wurde er an die neuorganisirte Gelehrtenschule in Dessau berufen und später zugleich Bibliothekar an der dortigen herzoglichen Bibliothek. Im Jahre 1827 eben von einer Erholungsreise zurückgekehrt, starb er wenige Tage darauf zu Dessau am 1. October 1827, also gerade um jene Zeit, als Schubert den zweiten Theil seiner »Winterreise« in Musik setzte. Müller galt als einer der edelsten Menschen, als Gelehrter von umfassenden Kenntnissen und als einer der bedeutendsten lyrischen Dichter. Er schrieb: »Rom und Römerinnen« (1820), »Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines Waldhornisten« (1821–1824) und »Lyrische Spaziergänge« (1827). Eine Sammlung seiner vermischten Schriften hat Gustav Schwab im Jahre 1830 in 5 Bänden herausgegeben.

26

Nicht componirt sind außer dem Prolog und Epilog noch die Lieder: »Das Mühlenleben«, »Erster Schmerz«, »Letzter Scherz« und »Blümlein Vergißmeinnicht«.

27

So sind die Lieder: »Das Wandern« (Nr. 1), »Gute Ruh« (Nr. 20) strofisch und im Volkston gehalten; »Der Feierabend« (Nr. 5) und »Der Neugierige« (Nr. 6) enthalten Recitativstellen; in »Ungeduld« ist es das rhythmische Spiel, welches demselben großen Reiz verleiht; in andern Liedern, wie »Morgengruß«, »Die liebe« und »Die böse Farbe«, – die bei aller Einfachheit interessante harmonische Behandlung.

28

Das Begleitungsmotiv, dem Rauschen des Wassers abgelauscht, erscheint in sinniger Umgestaltung und vorwiegend in der tieferen Clavierlage sich bewegend, die so trefflich zur Stimmung paßt, in mehreren Müllerliedern (wie in Nr. 1–4, Nr. 11–19) bald zart und ruhig, dann wieder, wenn es die Situation erheischt, tonreicher und lebendig-energischer.

29

Johann Rudolf Zumsteeg, geb. 1760 im ehemaligen Ritter-Canton Odenwald, erhielt seine musikalische Ausbildung in der herzoglich Würtembergischen Hofkapelle. Er trat frühzeitig als schaffender Künstler auf, wozu er hauptsächlich durch Schiller aufgemuntert wurde, der ihm gerne die Composition seiner Lieder übertrug. Zumsteeg schrieb viele Lieder, Balladen, Cantaten, Opern und Singspiele, auch Instrumentalsätze. Im J. 1792 wurde er herzogl. Kapellmeister und Operndirector und starb am 27. Jänner 1802. Er war ein Mann von vielem Wissen, sein musikalisches Talent aber mehr ein geistvoll combinirendes, als selbstschöpferisches. So haben denn auch seine Compositionen derzeit nur mehr historisches Interesse und selbst in der Ballade, die eigentlich seinen Ruf begründete, ist er von Schubert, Schumann, und Carl Loewe weit überflügelt worden.

30

Von der Ballade sagt Goethe: »Der Ballade kommt eine mysteriöse Behandlung zu, durch welche das Gemüth und die Fantasie des Lesers in diejenige ahnungsvolle Stimmung versetzt wird, wie sie sich der Welt des Wunderbaren und den gewaltigen Naturkräften gegenüber im schwächeren Menschen nothwendig entfalten muß.« – Die eigentliche Ballade – bemerkt Reißmann dazu – hat nach einer gewissen Geschlossenheit der Form zu ringen – wie diese auch in den mustergiltigen Balladen zu Tage tritt – und unterscheidet sich dadurch von der in freieren Formen sich bewegenden Rhapsodie und der dem lyrischen Gedicht zunächst stehenden Romanze. Die Abgrenzung dieser eben erwähnten episch-lyrischen Dichtungsformen wurde übrigens bei deren musikalischer Behandlung gewöhnlich außer Acht gelassen, und reine Balladen als Rhapsodien oder, wie beispielsweise Goethe's »Fischer« und »Sah ein Knab' ein Röslein steh'n« als Romanzen dargestellt. – In Schubert's Opern spielt die eigentliche Romanze eine hervorragende Rolle.

31

s. Reißmann: »Das deutsche Lied«. S. 245 ff.

32

Der Schlußgesang in »Loda's Gespenst«: »Heil Morvens König« u.s.w. ist, einer verbürgten Mittheilung zufolge, nicht Schubert's Composition, sondern wurde von einem erfahrenen Musikdilettanten »zum Zweck der Abrundung« dem Tonstücke hinzugefügt.

33

Außer den Gesängen aus W. Scott's »Fräulein vom See« sind dahin auch zu zählen: »Richard Löwenherz« (aus Ivanhoe), »Lied der Anna Lyle« (aus Montrose) und »Gesang der Norna« (aus »Pirat«).

34

Die schönsten darunter: »Pax vobiscum«, »Vom Mitleiden Mariä« und »Fest Allerseelen« wurden von Herrn Herbeck für gemischten Chor arrangirt und erschienen in dieser Form im Stich.

35

Sie enthalten: Reiselieder I. »Große Wanderschaft« eines rheinischen Handwerksburschen mit den Ueberschriften: 1. Auszug, 2. Auf der Landstraße, 3. Einsamkeit, 4. Brüderschaft, 5. Abendweihe, 6. Morgen, 7. Frühlingsgruß, 8. Entschuldigung, 9. Hier und dort, ferner: Des Postillons Morgenlied, bei der Bergschenke, der Prager Musikant, Ein anderer, Die Prager Musikantenbraut, Seefahrers Abschied, und: Schiff und Vogel; – Reiselieder II. »Die Winterreise«, und Reiselieder III. »Wanderlieder«, bestehend aus den Gedichten: Der ewige Jude, Der Mondsüchtige, Der Apfelbaum, Die Bäume, Heimkehr, und: Der Wanderer in Welschland.

36

So ist gleich der erste Gesang: »Gute Nacht« voll Bitterkeit; in der »Wetterfahne« verhöhnt sich der wandernde Bursche, daß er das Spiel derselben auf seines Liebchens Haus nicht früher schon bemerkt habe u.s.w. Die Kritik hatte zur Zeit des Erscheinens der »Winterreise« unter anderm auch das Formgebrechen auszusetzen, daß im »Wegweiser« und »Wirthshaus« der Gesang mit dem letzten Achtel des fünften Taktes anfange, da doch die ungerade Taktzahl im Periodenbau aus der Musik verbannt sei – ein Vorwurf, der heut zu Tage sich sehr sonderbar ausnimmt.

37

Dieß gilt namentlich von dem Lied R. Schumann's, des genialsten Nachfolgers Schubert's.

38

Die von Schubert componirten Lieder Heine's sind: »Der Atlas«, »Ihr Bild«, »Die Stadt«, »Am Meer«, »Der Doppelgänger« und »Das Fischermädchen«. In ihnen gelangt nur die Liebesandacht und das tragische Moment zu schönem ergreifenden Ausdruck. Schumann dagegen, durch seinen Bildungsgang befähigt, erfaßte den ganzen Heine und kehrte auch die skeptisch-ironische Seite der Heine'schen Lyrik mit vollendeter Meisterschaft heraus, was dem unter der Herrschaft eigenen überströmenden Empfindens stehenden Schubert ebensowenig gelungen wäre, als es der abgeschlossenen, einseitig ausgeprägten Individualität Mendelssohn's gegeben war, über eine formal schöne und abgerundete Gestaltung des Heine'schen Liedes hinaus zu gelangen. Eine Vergleichung der Composition des Liedes: »Ihr Bild« und »Allmächtig im Traume«, durch Schubert, Schumann und Mendelssohn, zeigt die verschiedene Auffassungsweise ein und desselben Gedichtes seitens dieser Meister. – »Das Fischermädchen« hat bekanntlich Meyerbeer in einer, von dem Schubert'schen Lied ganz verschiedenen, leidenschaftlich gehaltenen Art componirt. Es ist dieß wohl das gelungenste Lied, das Meyerbeer geschrieben.

39

So wären beispielsweise die im Jahre 1815 componirten, noch als Manuscript erliegenden Balladen, dann »Hagar's Klage«, »Der Jüngling und der Tod«, »Ihr Grab«, »Die Sterbende«, »Täglich zu singen«, »Daphne am Bach«, »Vollendung«, »Mein Frieden«, »Ammenlied«, »Es träumen die Wolken«, die »Italienische Canzone«, »Das Wallfahrtslied« (Lunz), anderer Lieder nicht zu gedenken, werth veröffentlicht zu werden. – Hier möge auch die Bemerkung Platz finden, daß im Verlauf dieser chronologisch fortschreitenden Darstellung aller jener Compositionen keine Erwähnung geschehen konnte, deren Entstehungszeit nicht sichergestellt ist. Zu den aus diesem Grund übergangenen zählt unter andern auch »Die Schlacht« von Schiller, ein in größeren Dimensionen angelegtes, unvollendet gebliebenes Gesangsstück mit Clavierbegleitung, bestehend aus einem marschartigen Vorspiel, Recitativen und Chor, welch' letzterer bei den Worten: »Was blitzt da« und »Auch du Franz, Gott befohlen Victoria« einfällt. Die Singstimme ist nicht vollständig ausgeschrieben; der Marsch ist kein anderer, als Schuberts »Marches heroïques« ohne Trio (op. 27). Die Composition besitzt (in Abschrift von Ferd. Schubert's Hand) Frhr. Josef v. Spaun in Wien.

40

In neuester Zeit hat die Verlagshandlung Spina die »Altschottische Ballade« und mehrere andere Lieder im Stich herausgegeben.

41

Dagegen sind die vierstimmigen Lieder: »Lieder im Freien zu singen« eine eigenthümliche und herrliche Blüte des liebenswürdigen feinfühlenden Künstlergeistes Mendelssohn's, dessen, an Händel und Bach herangebildeter Chortechnik und im Kleinen so feinsinnig ordnender Hand sich hier ein reiches Feld fruchtbarer Thätigkeit eröffnete. In diesen Chorliedern gelangte er zu einer Mannigfaltigkeit des Ausdruckes, wie sonst in keiner andern Musikgattung.

42

s. Debrois van Bruyk's: »Robert Schumann« in den »Stimmen der Zeit« 1857.

43

Die Guitarre war zu Schubert's Zeit als selbstständiges und noch mehr als Begleitungsinstrument beliebt. Er schrieb auch einige mehrstimmige Gesänge mit Guitarrebegleitung; die Vocalquartetteop. 11 haben nebst dem Clavier auch ein Guitarre-Accompagnement; der »Gesang der Geister« und »Sieg der Deutschen« ist von Streichinstrumenten begleitet; dem »Nachtgesang im Wald« ist Hornbegleitung beigegeben.

44

Diese Schubertsänger waren: Tieze, Barth, Umlauff, Götz, Nejebse, Weinkopf, Frühwald, Heitzinger, Rauscher, Ruprecht, Seipelt und Johann Nestroy.

45

Unter den Terzetten figurirt auch das bekannte: »Die Advokaten«, Text von Rustenfeld (der Name Engelhart, der auf einem geschriebenen Exemplar angegeben war, ist durchstrichen und an seiner Statt Rustenfeld gesetzt) für zwei Tenore und eine Baßstimme mit Clavierbegleitung. Der Styl, in welchem »Die Advokaten« componirt sind, läßt kaum auf Schubert als Verfasser rathen und in der That rührt letzteres Terzett nicht von ihm, sondern von einem gewissen Fischer her (vielleicht Anton Fischer, der, 1782 zu Augsburg geboren, längere Zeit in Wien lebte und an ein Dutzend Opern, darunter »Raoul der Blaubart« schrieb) und wurde von Schubert nur überarbeitet und mit reicherer Clavierbegleitung ausgestattet, – wohl das einzige Beispiel einer von ihm unternommenen Verbesserung einer fremden Arbeit. Die Fischer'sche Composition erschien bei Eder in Wien im Stich; der noch am Leben befindliche kais. Rath Wenzel Nejebse (einer von den Quartettsängern aus der Schubertperiode 1821–1823 und mein Gewährsmann in dieser Sache) wirkte in den Dreißiger-Jahren bei dem Advokaten Dr. Biela in Brünn zum ersten Mal in dem Terzett mit und ein zweites Mal bei dem Kameralrath Bannerth in Wien, der den Sängern zu ihrer Ueberraschung das Eder-Fischer'sche Exemplar zeigte, während sie glaubten, eine Original-Composition von Schubert gesungen zu haben. – Auch Frhr. Josef v. Spaun erinnert sich der Fischer'schen »Advokaten« und der Umarbeitung derselben durch Schubert.

46

Den »Gesang der Geister« trugen acht Sänger mit Instrumentalbegleitung vor.

47

Dasselbe besitzt Herr Josef Hüttenbrenner.

48

Das erwähnte Melodram, welches im Theater an der Wien im Jahre 1820 aufgeführt wurde und zu welchem Schubert die Musik componirt hatte.

49

Von dieser Arie wurde kein Gebrauch gemacht.

50

So entstanden der 22. Psalm, »Gott in der Natur« u.a.m., diese auf Ersuchen des Frl. Anna Fröhlich; – ferner die drei Hymnen op. 112 u.s.w.

51

Wie dieß bei »Ständchen« und »Mirjams Siegesgesang« der Fall war.

52

Die Cantaten, welche als op. 146, 158, 157 und 128 schon vor langer Zeit veröffentlicht wurden, sind derzeit noch so viel wie unbekannt; jene zu Ehren Vogels, Salieri's, Vater Schubert's und die »Italienische Cantate« sind noch Manuscript; die Cantate: »Glaube, Hoffnung und Liebe« (1828), existirte nur in wenigen Exemplaren. Bedeutend ist keine darunter.

53

So z.B. das Streichquartett in B, eine der frühesten Compositionen Schubert's (1814), welche das Hellmesberger'sche Quartett vor ein paar Jahren zum ersten Mal in Wien vortrug; ferner das G-Moll-Quartett aus dem Jahr 1815.

54

In diesem Sinn – meint Reißmann – läßt sich auch das Schubert'sche Clavierstück als Ergänzung seines Liedes bezeichnen; es gibt gleichsam von jenem Gefühlsüberschuß ab, der im Lied nicht zur Erscheinung kommen kann. Siehe Reißmann: »Das deutsche Lied«. S. 283 ff.

55

Dahin kommen zu zählen: Die große C-Sinfonie, die Streichquartette in G-Dur und D-Moll, das Streichquintett in C, die Sonaten op. 42 und 78, die drei letzten Sonaten, die beiden Trios u.s.w.

56

Impromptus, Momens musicals, Märsche, Tänze, Variationen u.s.w.

57

Man vergleiche Mendelssohn's »Lieder ohne Worte«, die in der That des Textes nicht bedürfen, und die vielen, in kleineren Formen sich bewegenden Clavierstücke Schumann's.

58

Bei Schubert's Lebzeiten und auch noch geraume Zeit nach seinem Tod mag das Vorurtheil gegen Schubert, den Claviercomponisten, und wohl auch die Schwierigkeit der Ausführung davon abgeschreckt haben, Gründe, die derzeit ihre Geltung verloren haben. So viel steht fest, daß Schubert's größere Claviercompositionen – wenigstens in Wien – beinahe gar nicht auf Concertprogrammen figuriren.

59

»Schubert – sagt R. Schumann von ihm – Schubert wird immer der Liebling der Jugend bleiben; er zeigt, was sie will, ein überströmend Herz, kühne Gedanken, rasche That; erzählt ihr, was sie am meisten liebt, von romantischen Geschichten, Mädchen und Abenteuern; auch Witz und Humor mischt er bei, aber nicht so viel, daß dadurch die weichere Grundstimmung getrübt würde. Dabei beflügelt er des Spielers eigene Fantasie, wie außer Beethoven kein anderer Componist. Anklänge an diesen finden sich allenthalben, aber auch ohne ihn wäre Schubert kein anderer geworden; seine Eigenthümlichkeit würde vielleicht nur später durchgebrochen sein. Gegen Beethoven gehalten, ist Schubert ein Mädchen-Charakter, bei weitem geschwätziger, weicher und breiter; gegen jenen ein Kind, das sorglos unter Riesen spielt. Zwar bringt auch er seine Kraftstellen, bietet auch er Massen auf, doch verhält es sich immer wie Weib zum Mann, der befiehlt, wo jenes bittet und überredet; dies alles aber nur im Vergleich zu Beethoven; gegen andere ist er noch Mann genug, ja der kühnste und freigiebigste der neueren Musiker.«

60

Einen Zug der Beethoven'schen Romantik – meint R. Schumann – den man den provençalischen nennen könnte, bildete Schubert in eigenstem Geist zur Virtuosität aus. Auf diese Basis stützt sich, ob bewußt oder unbewußt, eine neue, noch nicht entwickelte Schule, von der sich erwarten läßt, daß sie eine besondere Epoche in der Kunstgeschichte bezeichnen wird. (S. gesammelten Schriften I. Band. S. 69.)

61

Solche kleine Clavierstücke sind: »Zehn Variationen« (comp. 1815), ein Scherzo und Trio (1817), Alegretto (zur Erinnerung an Herrn Walcher 1827), ein Marsch mit Trio, ein schönes Adagio (wahrscheinlich der Anfang einer Sonate), dessen Original in meinem Besitz ist. Spaun und Stadler besitzen ebenfalls Bruchstücke von Claviercompositionen.

62

Daß Schubert die oben bezeichneten Clavierstücke so benannt hat, wie sie jetzt heißen, ist kaum anzunehmen. Bezüglich der beiden ersten Impromptu's op. 142 ist Schumann der Meinung, daß sie Schubert so nicht überschrieben habe, und daß das erste zweifellos der erste Satz einer Sonate sei, das zweite aber der zweite Satz derselben Sonate, deren Schlußsätze entweder nicht componirt wurden oder abhanden gekommen sind; das vierte, obgleich entschieden nicht dazu gehörig, wäre dann als Finale anzuschließen. Tiefer Ansicht wird von Andern widersprochen und darauf hingewiesen, daß thematische Arbeit und Durchführung, wie solche in den Sonaten vorkommen, hier durchaus fehlen.

63

Die »Erste Walzer« begrüßte der für Schubert immer begeisterte Schumann: »Kleine Genien, die ihr nicht höher über der Erde schwebt als etwa die Höhe einer Blume ist, – zwar mag ich den Sehnsuchtswalzer, in dem sich schon hundert Mädchengefühle abgebadet, und auch die drei letzten nicht, die ich als ästhetischen Fehler im Ganzen ihrem Schöpfer nicht verzeihe; – aber wie sich die übrigen um jenen herumdrehen, ihn mit duftigen Fäden mehr oder weniger einspinnen und wie sich durch alle eine so schwärmerische Gedankenlosigkeit zieht, daß man es selbst wird, und beim letzten noch im ersten zu spielen glaubt – ist gar gut.« (II. Bd. S. 9 u. 10.) – Die schönsten der »Deutschen Tänze« hat Herr Johann Herbeck für Streich- und Blasinstrumente arrangirt, in welcher Form sie im Februar 1863 und dann wiederholt in Wien unter großem Beifall aufgeführt wurden.

64

Die Sätze sind betitelt: »Fantasie, Andante, Menuetto und Allegretto. Der Unterschied zwischen Fantasie und Sonate kommt bei Schubert's freier Behandlung dieser letzteren gar nicht in Betracht«.

65

Als die Sonate op. 42 veröffentlicht wurde, urtheilte die Leipziger Musikzeitung (Jahrg. 1826, Nr. 9) darüber, »daß dieselbe dem Ausdruck und der Technik nach zwar in rühmlicher Einheit beharre, aber in den abgesteckten Grenzen sich so frei und eigen, so keck und mitunter so sonderbar bewege, daß das Werk auch Fantasie heißen und in dieser Hinsicht wohl nur mit den größten und feinsten Sonaten Beethoven's verglichen werden könne.«

66

»Wie wir denn«, sagt Schumann über die G-Dur-, A-Moll- und D-Dur-Sonate, »alle drei Sonaten ohne tausend Worte, geradezu nur ›herrlich‹ nennen müssen, so dünkt uns doch die Fantasie-Sonate seine vollendetste in Form und Geist. Hier ist alles organisch, athmet alles dasselbe Leben. Vom letzten Satz bleibe weg, der keine Fantasie hat, seine Räthsel zu lösen.

Ihr am verwandtesten ist die in A-Moll. Der erste Theil ist so still, so träumerisch; bis zu Thränen könnte es rühren; dabei so leicht und einfach aus zwei Stücken gebaut, daß man den Zauberer bewundern muß, der sie so seltsam in- und gegeneinander zu stellen weiß.

Wie anderes Leben sprudelt in der muthigen ausD-Dur, – Schlag auf Schlag packend und fortreißend! Und darauf ein Adagio, ganz Schubert angehörend, drangvoll, überschwänglich, daß er kaum ein Ende finden kann. Der letzte Satz paßt schwerlich in das Ganze und ist possirlich genug. Wer die Sache ernstlich nehmen wollte, würde sich sehr lächerlich machen. Florestan nennt ihn eine Satire auf den Pleyel-Zanhal'schen Schlafmützenstyl; Eusebius findet in den contrastirenden starken Stellen Grimassen, mit denen man Kinder zu erschrecken pflegt. Beides läuft auf Humor hinaus.

Wenn Schubert in seinen Liedern sich vielleicht noch origineller zeigt, als in seinen Instrumentalcompositionen, so schätzen wir diese als rein musikalisch und in sich selbständig eben so sehr. Namentlich hat er als Componist für das Klavier vor Andern, im Einzelnen selbst vor Beethoven etwas voraus (so bewunderswürdig sein dieser übrigens in seiner Taubheit mit der Fantasie hörte), – darin nämlich, daß er Claviergemäßer zu instrumentiren weiß, das heißt, daß Alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus, während wir z.B. bei Beethoven zur Farbe des Tones erst vom Horn, der Hoboe u.s.w. borgen müssen. – Wollten wir über das Innere dieser seiner Schöpfungen im Allgemeinen noch etwas sagen, so wär' es dieses.

Er hat Töne für die feinsten Empfindungen, Gedanken, ja Begebenheiten und Lebenszustände. So tausendgestaltig sich des Menschen Dichten und Trachten bricht, so vielfach die Schubert'sche Musik. Was er anschaut mit dem Auge. berührt mit der Hand, verwandelt sich zu Musik; aus Steinen, die er hinwirft. springen, wie bei Deukalion und Pyrrha lebende Menschengestalten. Er war der ausgezeichnetste nach Beethoven, der, Todfeind aller Philisterei, Musik im höchsten Sinne des Wortes ausübte.«

67

Schumann hat übrigens, wie Wasielewski erwähnt, eben diesen Trauerwalzer mit Variationen geschmückt. Diese Composition ist noch unveröffentlicht.

68

Als allerletzte Compositionen wurden die Sonaten von den Verlegern bezeichnet, womit noch nicht constatirt ist, daß sie es auch waren.

69

Das Es-Trio ist im November 1827 entstanden.

70

Eine mir vorliegende, wie es scheint, von Ferd. Schubert verfaßte, thematische Zusammenstellung von Clavier- und Kammermusik seines Bruders Franz, führt nur das Rondo Allegretto an, und es liegt die Vermuthung nahe, daß die Einleitung von anderer Hand herrühre, um das Stück mehr abzurunden und »gangbarer« zu machen.

71

Eine eingehende kritische Beurtheilung des größten Theiles der zweihändigen Claviermusik ist in Nr. 4, 5 u. 6 der »Wiener Deutsche Musikzeitung«, III. Jahrg. 1862 enthalten. – In der »Niederrheinische M.Z.«, X. Jahrg. 1862, findet sich ebenfalls ein Aufsatz über die bei Holle in Wolfenbüttel erschienenen Schubert'schen Claviercompositionen.

72

Das französische Lied (mit Text) ist einem Heft geschriebener Romanzen entnommen, welches Schubert im J. 1818 bei der Familie Esterhazy in Zeléz vorfand. Dasselbe ist derzeit im Besitz der Gräfin Rosine Almasy in Wien

73

Schumann's Urtheil darüber (s. gesammelte Schriften, Bd. II., S. 235) fällt insoferne auf, als er dem Enthusiasmus für seinen Liebling hier (so wie auch bei Besprechung der letzten drei Sonaten) die Zügel anlegt. Seine Worte lauten: »Es gab eine Zeit, wo ich nur ungern über Schubert sprechen, nur Nächtens den Bäumen und Sternen von ihm vorerzählen mögen. Wer schwärmt nicht einmal! Entzückt von diesem neuen Geist, dessen Reichthum mir maß- und grenzenlos dünkte, taub gegen Alles, was gegen ihn zeugen könnte, sann ich nichts, als auf ihn. Mit dem vorrückenden Alter, den wachsenden Ansprüchen wird der Kreis der Lieblinge kleiner und kleiner; an uns liegt es, wie an ihnen. Wo wäre der Meister, über den man sein ganzes Leben hindurch ganz gleich dächte! Zur Würdigung Bach's gehören Erfahrungen, die die Jugend nicht haben kann; selbst Mozart's Sonnenhöhe wird von ihr zu niedrig geschätzt: zum Verständniß Beethoven's reichen blos musikalische Studien ebenfalls nicht aus, wie er uns ebenfalls in gewissen Jahren durch ein Werk mehr begeistert als durch das andere. So viel ist gewiß, daß sich gleiche Alter immer anziehen, daß die jugendliche Begeisterung auch am meisten von der Jugend verstanden wird, wie die Kraft des männlichen Meisters vom Mann.«

»Vor zehn Jahren also würde ich diese zuletzt erschienenen Werke ohne Weiteres den schönsten der Welt beigezählt haben, und zu den Leistungen der Gegenwart gehalten sind sie mir das auch jetzt. Als Compositionen von Schubert zähle ich sie aber nicht in die Classe, wohin ich sein Quartett in D-Moll für Streichinstrumente, sein Trio in Es-Dur, viele seiner kleinen Gesangs- und Clavierstücke rechne. Namentlich scheint mir das Duo noch unter Beethoven'schem Einfluß entstanden, wie ich es denn auch für eine auf das Clavier übertragene Sinfonie hielt, bis mich das Original-Manuscript, in dem es von seiner eigenen Hand als ›vierhändige Sonate‹ bezeichnet ist, eines Anderen überweisen wollte. ›Wollte‹, sag' ich; denn noch immer kann ich nicht von meinem Gedanken Wer so viel schreibt wie Schubert, macht mit Titeln am Ende nicht viel Federlesens, und so überschrieb er sein Werk vielleicht Sonate, während es als Sinfonie in seinem Kopfe fertig stand; des gemeineren Grundes noch zu erwähnen, daß sich zu einer Sonate doch immer eher Herausgeber fanden, als für eine Sinfonie, in einer Zeit, wo sein Name erst bekannt zu werden anfing. Mit seinem Styl, der Art seiner Behandlung des Claviers vertraut, dieses Werk mit seinen andern Sonaten vergleichend, in denen sich der reinste Claviercharakter ausspricht, kann ich mir es nur als Orchesterstück auslegen. Man hört Saiten- und Blasinstrumente, Tutti's, einzelne Soli's, Paukenwirbel; die großbreite sinfonische Form, selbst die Anklänge an Beethoven'sche Sinfonien, wie im zweiten Satz an das Andante der zweiten von Beethoven, im letzten an den letzten der A-Dur-Sinfonie wie einige blassere Stellen, die mir durch das Arrangement verloren zu haben scheinen, unterstützen meine Ansicht gleichfalls. Damit möchte ich das Duo aber gegen den Vorwurf schützen, daß es als Clavierstück nicht immer richtig gedacht sei, daß dem Instrument etwas zugemuthet wird, was es nicht leisten kann, während es als eine arrangirte Sinfonie mit andern Augen zu betrachten wäre. Nehmen wir es so, und wir sind um eine Sinfonie reicher.«

Concertdirector Joachim hat das Duo instrumentirt, und in dieser Form liegt dasselbe bei Spina. Das Autograf der Sonate besitzt Frau Klara Schumann.

74

Lißt's Instrumentirung der Märsche op. 121 undop. 40 (welche bis jetzt in Wien zur Aufführung kamen) ist im Ganzen genommen eine glänzend geistreiche, mitunter aber etwas freie. Manche seine Züge treten allerdings in der orchestralen Behandlung prägnanter hervor, als dieß auf dem Clavier der Fall ist, doch sind die Märsche in ihrer ursprünglichen Gestalt interessant genug, um jeder Bearbeitung entrathen zu können.

75

So z.B. in der Sonate in B (op. 30), in dem Divertissement hangrois (op. 54), in »Lebensstürme« (op. 144), in dem Divertissement op. 63.

76

Es sind die Ouverturen »im italienischen Styl« (inC und D 1817), die er als eine Nachahmung Rossinischer Ouverturen schrieb, dann jene in B-Dur, E-Moll (comp. 1819) und in C-Moll, welche nach Schubert's Tod in den Concerten seines Bruders Ferdinand mit Beifall zur Aufführung kamen; ferner die Ouverture zu »Alfonso und Estrella« (op. 69), welche im Jahre 1823 dem Drama »Rosamunde« vorherging, jene zur »Zauberharfe« (als op. 26 und zwar unrichtig als Rosamunde-Ouverture veröffentlicht), jene zu »Teufels Lustschloß«, »Fierrabras«, »die Zwillingsbrüder«, »die Freunde von Salamanka«, »Fernando«. Die bedeutendsten Opern-Ouverturen sind die zwei zuerst genannten und jene zu »Fierrabras«.

77

Episode de la vie d'un artiste.

78

Gesammelte Schriften I. Band, Jahr 1835, S. 119

79

Gesammelte Schriften III. Band, S. 196 u. 197.

80

Obige Beurtheilung der C-Sinfonie ist geschrieben unter dem noch frischen, keineswegs vortheilhaften Eindruck, welchen Schumann bei seiner ersten Anwesenheit in Wien, im Jahre 1838, also in einer Zeit traurigster musikalischer Stagnation, von dort mit sich genommen hat.

81

Fink (Gottfried Wilhelm), geb. 1783 zu Sulza an der Ilm, gest. 1846, war in mehreren wissenschaftlichen Zweigen, und insbesondere als Musikrecensent und Redacteur der allg. musik. Zeitung in Leipzig literarisch thätig. Seine detaillirte Kritik der C-Sinfonie von 2. Sept. ist enthalten im Band 42, Nr. 36, S. 737 der allg. musik. Zeitung. – Weitere Beurtheilungen erschienen im Band 10, J. 1839, Nr. 34, S. 138 der »Neue Zeitschr. f. M.« und in der allg. musik. Zeitung J. 1839, Nr. 51, S. 1034, diese letzteren nach der wiederholten Aufführung im Dec. 1839. – Schubert's Sinfonie ist seit jener Zeit ein Liebling des Gewandhaus-Concertpublikums geworden, und kommt daselbst häufig zur Aufführung.

82

»So sind denn – heißt es in dieser ebenso gewissenhaft als nüchtern geschriebenen Recension über den ersten Satz – so sind denn die Hauptgesetze, die eine geordnete Compositionslehre deutlich zu machen hat, nämlich Figurenentwicklung und Imitationen, welche uns auch in Wahrheit von unseren besten Meistern aller Zeiten, so lange die Musik eine geordnete Kunst heißen kann, practisch und theoretisch mindestens in der Nachahmungslehre vortrefflich eingeprägt worden sind, wacker befolgt zum Gewinn des Ganzen. Daß der Gebrauch der Modulation, der in dergleichen Bearbeitungen immer galt, stärker und bunter geworden ist, als vor unsern Zeiten, kann jeder Erfahrene im Voraus, ohne sich zu täuschen, annehmen; es liegt im Geschmack der Zeit, dessen zweierlei Seiten wohl eine umsichtige Betrachtung verdienten, die aber für sich nicht als Episode stehen müßte. Hat nun dieser langgeführte erste Satz in seinem Wesen und im Geiste des Tonsetzers den herrschenden Geschmack unserer Tage völlig befriedigt, so wird anderseits kein Musikverständiger übersehen, daß die eigenthümliche Frische und die einheitvolle Abrundung des Ganzen vorzüglich in der gesunden Wahl einfach klarer Themen, und in der gesetzlich und doch frei gehandhabten Tondichtungsweise aller gebildeten Zeiten, ja am meisten der vorhergegangenen, die im Fache der Entwicklung unsere Lehrer und Vorbilder sind, zu suchen ist. Es dürfte daraus wohl folgen, daß ohne gebührende Vorübungen in Figurenentfaltung und im Gesetz der Nachahmung und Stimmenverkettung auch von Begabten nichts Tüchtiges geleistet werden kann. Man sieht, daß Schubert in diesen Hauptzweigen der Composition heimisch war, folglich darin fleißig gearbeitet haben mußte, er hätte sonst nicht so gehalten zu schreiben vermocht, was keinem Einzigen vom Himmel fällt, der wohl die Anlage aber nicht die Ausbildung derselben ohne des Begabten eigene anhaltende Kraftanstrengung schenkt.« Von dem zweiten Satz urtheilt Fink: »Auch hier sind es wieder die Figurenentwicklungen und freien Nachahmungen, die den Satz im Bund mit geschickter Stimmenvertheilung überaus wirksam machen. War der erste Satz schön, so ist es der zweite nur noch in höherem Grad. Wir halten ihn für den schönsten der ganzen Sinfonie.« – Gleich Günstiges wird von dem dritten Satz gesagt, – nur »daß das Trio, anstatt sich in der bisher üblichen Weise in einem sanft dahinfließenden melodischen Satz zu bewegen, die imitatorische und verwebende Arbeit des Hauptsatzes fortsetze, welcher Umstand, sowie das lange Verweilen auf Nebennoten im Gange des Hauptsatzes die Ursache sei, daß dieser sonst trefflich gearbeitete, im neuen Scherzo-Geschmack erdachte Satz weniger innerlich feßle, als die beiden früheren Nummern.« Vom Schlußsatz endlich heißt es: »Schlicht angelegt wie alles Frühere, ist er so mannigfach und reich in gehöriger Breite und voller Instrumentation durchgeführt, daß bei aller Länge an ein Langweilen nicht zu denken ist. Tiefer ist übrigens seiner Anlage und noch mehr der Entwicklung und Verwebung nach ein Opernfinale. Mannigfache Gestalten rauschen vorüber und zuweilen wird man unwillkürlich an die Erscheinung des steinernen Gastes erinnert, der seinen Mörder an den Ort seiner Bestimmung zu schaffen gesonnen ist. Nicht wie eine Nachahmung des Mozart'schen Finale, sondern wie ein Schubert'sches, das an besagtes Moment anklingt und sich darauf in rauschende Luft überwiegenden Lebens wendet. Die ganze Haltung der Sinfonie ist merkwürdig, vielbeschäftigend, durchschlagend, so daß sie werth ist, an allen Orten, die ein gutes Orchester haben, ausgeführt zu werden.«

83

Eine Anspielung auf die »Preissimfonieen«, die der Wiener Musikverein im J. 1836 ausgeschrieben hat, und wobei Franz Lachner in München mit derSinfonia appassionata in C-Moll den Preis davontrug. (S. Schumann's gesammelte Schriften I. Band, S. 224.)

84

Auf der Partitur steht »März 1828«; im November darauf starb Schubert.

85

Und als die Sinfonie am 29. Oct. 1840 wieder gegeben wurde, schrieb er: »So waren wir denn bis zur Sinfonie, der Krone des Abends, gelangt. Tausend Arme hoben daran. Hätte es Schubert mit seinen eigenen Augen gesehen, er müßte sich ein reicher König gedünkt haben.«

86

Die übrigen Stücke des Concertes waren: Arie aus »Lucia«, gesungen von Frln. Tuczek, und der 42. Psalm von Mendelssohn. Die Ouverture zum »Berggeist« von Lindpaintuer fiel ebenfalls aus. – Ferd. Schubert erwähnt einer im J. 1842 vom Conservatorium in Paris versuchten Aufführung der Sinfonie, die aber gleichfalls an der Indolenz der Musiker scheiterte. Im J. 1839 schon wollte sie Mendelssohn der filharmonischen Gesellschaft in London zur Aufführung übersenden und fragte deßhalb bei Ferd. Schubert an, der aber die Antwort darauf schuldig blieb.

87

Seitdem wurde sie im J. 1857 von den Filharmonikern, im J. 1859 in einem Gesellschaftsconcert (unter Hrn. Herbecks Leitung) und im J. 1862 abermals von den Filharmonikern (unter Hrn. Dessoff's Direction) aufgeführt.

88

Es fällt auf, daß in den bisher veröffentlichten Briefen Mendelssohn's der Schubert'schen Sinfonie mit keinem Wort gedacht wird.

89

Es waren dieß die beiden ersten Sätze der »Tragischen« in C-Moll (comp. 1816), der dritte Satz der ersten C-Dur-Sinfonie (1818) und das Finale der zweiten D-Dur-Sinfonie (1815).

90

Welche Verwirrung in den Angaben über die Entstehungszeit, die Zahl und die stattgehabten Aufführungen der Schubert'schen Sinfonieen herrscht, davon gibt Folgendes einen schlagenden Beweis. In dem von Alois Fuchs verfaßten Autografen-Verzeichnisse findet sich eine sechste Sinfonie in C, componirt im Jahre 1816 (!), als in Händen Mendelssohn's befindlich angegeben. Ferd. Schubert erwähnt einer Sinfonie in C aus dem Jahr 1817, und auf dem Concert-Zettel des Wiener Musikvereins (2. Dec. 1860) war als Entstehungszeit des Scherzo der sechsten Sinfonie in C das Jahr 1825 bezeichnet. Alle diese Angaben sind unrichtig, da Franz Schubert auf die (in Händen des Hrn. Dr. Schneider in Wien befindliche) Original-Partitur das Jahr 1818 geschrieben hat, womit freilich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß er das Werk schon im Jahr 1817 begonnen habe, welches dann Ferd. Schubert als das Jahr der Entstehung bezeichnete. Im Jahr 1839 sendete Ferd. Schubert an Felix Mendelssohn-Bartholdy zwei Sinfonieen seines Bruders, darunter die große in C, die am 21. März 1839 in Leipzig gegeben wurde. Von dieser siebenten Sinfonie sagt Bauernfeld in seiner Skizze, sie sei im Jahre 1825 componirt worden, und Ferd. Schubert gibt das Jahr 1826 als deren Entstehungszeit an, während doch auf der Original-Partitur (im Besitz des Wiener Musikvereins) das Datum: März 1828 angegeben erscheint. Von eben dieser (angeblich im Jahr 1826 componirten) Sinfonie meinte Ferd. Schubert, daß sie Mendelssohn in den Jahren 1845 bis 1847 (!) in Leipzig zur Aufführung gebracht, und daß Franz für dieselbe von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien das Ehrengeschenk erhalten habe; lauter unrichtige Daten und Annahmen. Und so fand sich denn die Redaction der »Deutsche Musikzeitung« in Wien anläßlich der Vorführung der sinfonischen Fragmente zu der Frage veranlaßt, welche der beiden C-Sinfonieen denn eigentlich im Jahr 1828 aufgeführt worden sei?

91

Dahin zählen: ein Streichquartett in D- (19. November 1812), ein zweites in B- de dato 23. August 1814, und eines in G-Moll (25. März 1815), deren Autografe der Musikverein besitzt.

92

Das Es-Trio ist, wie aus dem in Händen der Frau Gräfin Almasy in Wien befindlichen Original zu ersehen, im November 1827 entstanden und bald darauf in Leipzig durch den Stich veröffentlicht worden. Das B-Trio wurde vor jenem in Es componirt, aber erst später im Stich herausgegeben.

93

Von dem B-Trio sagt Schumann, nachdem er eben eine Reihe anderer Trio's kritisch abgethan: »Ein Blick auf das Trio von Schubert – und das erbärmliche Menschentreiben flieht zurück und die Welt glänzt wieder frisch. Ging doch schon vor etwa zehn Jahren ein Schubert'sches Trio, wie eine zürnende Himmelserscheinung, über das damalige Musiktreiben hinweg; es war gerade sein hundertstes Werk, und kurz darauf, im November 1828, starb er. Das neuerschienene Trio scheint ein älteres. Im Styl verräth es durchaus keine frühere Periode und mag kurz vor dem bekannten in Es-Dur geschrieben sein. Innerlich unterscheiden sie sich aber wesentlich von einander. Der erste Satz, der dort tiefer Zorn und wiederum überschwengliche Sehnsucht, ist in unserm anmuthig, vertrauend, jungfräulich; das Adagio, das dort ein Seufzer, der sich bis zur Herzensangst steigern möchte, ist hier ein seliges Träumen, ein Auf- und Niederwallen schön menschlicher Empfindung. Die Scherzo's ähneln sich; doch gebe ich dem im früher erschienenen zweiten Trio den Vorzug. Ueber die letzten Sätze entscheid' ich nicht. Mit einem Worte, das Trio in Es-Dur ist mehr handelnd, männlich, dramatisch, unseres dagegen leidend, weiblich, lyrisch. Sei uns das hinterlassene Werk ein theures Vermächtniß! Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie sobald nicht wieder.«

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Das Motiv des zweiten Satzes in dem Es-Trio ist, wie mir Dr. L. v. Sonnleithner mittheilte, eine schwedische Volksweise. Der berühmte Sänger Johann Siboni, zu jener Zeit Director des Conservatoriums in Kopenhagen, hatte nämlich seinen Schüler, den Tenorsänger Berg, jetzt Director im Conservatorium in Stockholm (erster Lehrer der Jenny Lind), als dieser in den Jahren 1827 oder 1828 nach Wien reiste, an die Fräulein Fröhlich's (früher Schülerinnen des Siboni) empfohlen, wo er öfter in kleineren Kreisen sang. Schubert hörte da schwedische Nationallieder, die ihm sehr gefielen, erbat sich eine Abschrift davon und benützte eines davon, ohne ein Hehl daraus zu machen, als Thema in dem Trio.

95

In dem D-Moll Quartett erscheint bekanntlich der Gesang des Todes in dem Lied: »Der Tod und das Mädchen« von Schubert, als Thema des Adagio, das dann in reizender Weise variirt wird.

96

Von dem Quintett in C (für 2 Violinen, Viola und 2 Violoncelli) gab August Rose zu Schnepfenthal im Verlag von C.A. Spina eine vierhändige Bearbeitung heraus. Anläßlich des Erscheinens dieses Arrangements lieh ein nichts weniger als zu falschem Enthusiasmus hinneigender musikalischer Kritiker in der »deutschen Musikzeitung« Nr. 29, II. Jahrgang, seinem Unmuth über das lange Unbekanntbleiben dieses Wertes und seiner Freude an demselben in nachfolgender Weise Ausdruck: »Herz und Gehirn empören sich darüber, daß ein solches Werk an die dreißig Jahre als Manuscript hat todt liegen müssen; denn ich kann auf dieses Werk nur die Worte anwenden, in welche Schumann ausbrach, als er desselben Meisters C-Dur Sinfonie kennen lernte; er meinte nämlich von ihr: wer sie nicht kenne, der kenne überhaupt noch wenig von Schubert. Man wird zugeben, daß dies von dem Schöpfer so zahlloser, in ewigem Verklärungsglanze strahlender Produktionen viel behaupten heißt; ich muß aber jenen kühnen Ausspruch noch entschiedener für dieses Quintett reklamiren, denn jene Sinfonie hat Mängel, die man nicht übersehen, sie hat Rivalen, die sie durch Alles, was sie Schönes und Bedeutendes bietet, nicht vergessen machen kann. Aber dieses Quintett ist ein Himmelswerk, einzig in seiner Art, berauschend bis zur Wonnetrunkenheit durch die wunderbare Schönheit, den unsäglichen Liebreiz, die es von der ersten bis zur letzten Rote ausathmet. Staunend fragt man sich: und das hat ein Mensch gemacht, das ist nicht in einer seligen Sommernacht aus den leuchtenden Gestirnen hernieder geträufelt und hat sich nur erst im Schooße der Erde zu festen Tönen krystallisirt? Ich meinerseits fühle mich weder befähigt, noch bemüßigt, über dieses Werk etwas Weiteres zu sagen: nur eines Satzes, des Adagio nämlich, der Kern von Allen, muß ich noch ganz besonders gedenken und auch dies nur, um in ganz einfachen Worten zu erklären, daß ich in der gesammten musikalischen Literatur, einige Beethoven'sche Adagios ausgenommen, nichts Rührenderes, Erschütternderes, den tiefsten Lebensodem Anfachendes, bis in's innerste Mark schauervoll süß Einschneidenderes kenne, als dieses Adagio. Zugleich ist es durch seinen ganz eigenthümlichen Grundton, durch seine höchst wundersame Rhythmik überhaupt ein Unicum. Ich meine namentlich die ganze Partie vom Eintritt des F-Moll bis zur Wiederkehr des Hauptmotivs. Eine ganze Welt liegt in diesen Tönen, nur daß mich ihr, dornenvolles Leiden verkündendes, dunkles Geheimniß mit Schauer erfüllt, denn nie, seit die Erde steht, ist unter heißen, schmerzlichen Thränen, die auch dem Hörer in's Auge treten und ihm fast die Brust zersprengen müssen, himmlischer gelächelt worden.« Ueber den letzten Satz des Quintetts – und die letzten Sätze in der Schubert'schen Instrumentalmusik machen zuweilen den Eindruck, als ob der Componist sich beeilte fertig zu werden, – bemerkt der Verfasser des Aufsatzes mit Recht: »Sollte ja unter den vier Sätzen dieses Quintetts einer um ein weniges geringer heißen, so wäre es – aber auch nur im Verhältniß zu den übrigen – der letzte. Er schlägt mit seiner muntern Tanzrhythmik fast die Fußspitzen elektrisirend, einen bis zur Lockerheit übermüthigen Ton an und eine Stelle kommt darin vor, welche in der That nahe schon an's Triviale streift; aber der Uebermuth ist doch zugleich mit so viel Liebenswürdigkeit versetzt, daß man ihm nicht gram werden kann.«

97

Als das Duo im Februar 1828 in einer musikalischen Akademie im Kärnthnerthortheater vorgeführt wurde, meinte ein Recensent (in der musikalischen Zeitung), Schubert habe sich darin vollkommen vergallopirt. – Im Sammler (Jahrg. 1828) wird der »Fantasie« in folgender, eigentlich nichts besagender Weise, gedacht: »Das Duo von F. Schubert, welches Herr Slawik, vom Conservatorium in Prag, in seinem Concert (20. Jänner 1828) im landständischen Saal spielte, dehnt sich zu lange über die Zeit aus, welche der Wiener den geistigen Genüssen widmen will. Der Saal wurde immer leerer, und Referent gesteht, daß auch er von dem Ausgang des Musikstückes nichts zu sagen weiß. – Der Musikalienverleger Probst in Leipzig verwahrte sich in seinem Brief an Schubert ausdrücklich gegen die Zusendung dieses Duo. – In neuerer Zeit spielten es namhafte Künstler, wie: Liszt, Egghardt und Hellmesberger (bei einer Schubertfeier in Weimar und in Wien), Letzterer auch in einer Abendunterhaltung des Wiener Männergesang-Vereines) und Ferd. Laub in seinem Abschiedsconcert in Wien (Jänner 1864) mit Herrn Epstein. – Das Duo in A stand auf dem Programm des Schubert-Monument-Concertes (März 1864), fiel aber als letzte Nummer weg.«

98

Nr. 1 in D-Dur 4/4, Nr. 2 in A-Moll 4/4, Nr. 3 inG-Moll 3/4.

99

Dahin gehört das reizende Streichquartett inG-Moll, welches Schubert, wie auf der Original-Partitur zu lesen, im Jahre 1815 und zwar in fünf Tagen (25. März – 1. April) componirt hat; ferner ein Quartett aus dem Jahre 1814 u.s.f.

100

Daß Schubert auch ein Violin-Concert mit Orchesterbegleitung geschrieben hat, bestätigen die Aufzeichnungen Ferdinand Schubert's, der das Manuscript davon besaß.

101

Der vereinzelte, fast spurlos vorübergegangene Versuch mit »Alfonso und Estrella« ist kaum in Anschlag zu bringen.

102

Ein Operntext: »Der Graf von Glenallan«, welchen Schubert nach seines Bruders Ferdinand Aussage zu componiren gedachte, befindet sich in meinem Besitz; von einem anderen Textbuch: » Die Salzbergwerke von*«, verfaßt von Johann Graf Maylath, ist eine Skizze vorhanden. Von der Oper: »Der Graf von Gleichen« (1827) hat sich nach Bauernfeld's Angabe ein »instrumentirter Entwurf« vorgefunden, von welchem ich aber bis jetzt keine Spur entdeckt habe. – »Der Graf von Gleichen« wurde übrigens im Jahre 1922 auch von Traugott Maximilian Eberwein, Componist in Weimar (geb. 1775, gest. 1831), in Musik gesetzt, und der erste Act davon in Goethe's Haus daselbst am 5. December durchprobirt (s. Ekermann's Gespräche mit Goethe, 3. Band). In neuester Zeit (1863) wurde dieselbe Oper, von Dörstling componirt, in Sondershausen aufgeführt.

103

Der guten Opern gibt es in neuester Zeit sehr wenige; werthlose Theatermusik aber wird in Hülle und Fülle vorgeführt. Man möchte da glauben, daß die Schubert'schen Opern es wohl verdienten, auf die Bühne gebracht zu werden. Man würde wenigstens neue und gewiß auch schöne Musik hören. Die Theaterluft ist freilich eine so eigenthümliche, daß manch' schlechtes Gewächs sich darin bei Leben erhält, während die gesündesten Pflanzen rettungslos absterben.

104

Es sind die Messen in B und in G (1815), in C (1816), in As (1822) und die »Deutsche Messe« (1827).

105

Diese Messe gehört (im Gegensatz zu der As- und Es-Messe) zu den kleinen. Sie ist für vier Singstimmen mit Begleitung von Violinen, Viola, Baß (Orgel) und Trompeten und Pauken ad libitum geschrieben. Der umfangreichste Theil (188 Tacte) ist das Credo – Schubert hat die Messe am 2. März begonnen und am 7. März beendet.

106

Die Es-Messe wurde bald nach Franz Sch's. Tod (im Jahre 1829) in der Ulrichskirche in Wien – ohne Zweifel sehr mangelhaft – aufgeführt. Ein Recensent in der allgem. Leipziger Musikzeitung nahm damals den übelsten Eindruck davon mit sich fort. – Das Autograf der Messe, 80 Blätter qu. 4. stark, besitzt die kön. Bibliothek in Berlin. Das Kirchenwerk enthält:Kyrie (Andante con moto quasi Alegretto Es-Dur 3/4), Gloria (Allegro moderato e maestoso B-Dur 4/4), Credo (Moderato Es-Dur 4/4), Sanctus (Adagio Es-Dur 4/4), Benedictus (Andante As-Dur 4/4) und Agnus Dei (Andante con moto C-Moll 3/4).

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 484-563.
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