VII.
(1819.)

Schon zu jener Zeit, als Schubert sich mit der Composition von Singspielen und kleineren Opern befaßte, war das glänzende Gestirn Rossini's am theatralischen Himmel aufgegangen. Wie epochemachend dieser geniale Mann plötzlich in den Vordergrund des italienischen Opernwesens trat, welche Triumfe seine einschmeichelnde Muse allenthalben feierte, nachdem sie sich im Sturmlauf sämmtlicher größerer Bühnen bemächtigt hatte, und wie es gerade das sinnlich leicht erregbare Wien war, wo zu Ehren des »Reformators« ein geradezu bedenklicher Cultus getrieben wurde, lebt noch frisch in dem Gedächtniß jener Theaterfreunde, welche die damalige Zeit miterlebt und jenen Verein von Gesangskünstlern geschaut haben, welchem seither kein zweiter, gleich trefflicher mehr gefolgt ist, und dessen eminente Leistungen zu gutem Theil die Suprematie Rossinischer Opernmusik für längere Zeit begründen halfen. Der nach dieser Richtung hin gedrängte einseitige Geschmack des großen Publikums und die zunehmende Verwälschung der Oper in Wien, welche unter Barbajas und Duport's Regiment, besonders aber, als 1822 Rossini selbst seine Sängergesellschaft in die Residenz geleitete, ihren Höhepunct[150] erreichte1, wurde in der Folge auch Schubert's dem Theater zugewendeten Bestrebungen wenigstens mittelbar verderblich und vereitelte schließlich die von ihm fortan genährte Hoffnung, endlich eine seiner zwei großen Opern (von welchen »Fierrabras« bereits für die Aufführung censurirt war) auf der Bühne dargestellt zu sehen2. Ungeachtet dieser peinlichen Wahrnehmungen säumte der neidlose, die wirklichen Verdienste Anderer mit vollster Unbefangenheit würdigende Schubert keinen Augenblick, der glänzenden Begabung des Pesaresen volle Anerkennung zu zollen; ja er geberdete sich als ein aufrichtiger Bewunderer des melodieenreichen Maestro, besuchte häufig die wälsche Oper und machte kein Hehl daraus, daß er dem leichtbeschwingten Rossini in der Kunst zu instrumentiren so manchen seinen Zug abgelauscht[151] habe. Folgerecht verwarf er auch die Ansicht jener Excentriker, die in dem italienischen Componisten ausschließlich nur den Geschmackverderber sehen zu müssen glaubten3.

Ein Schreiben Schuberts4 an Anselm Hüttenbrenner in Graz (datirt vom 19. Mai 1819) enthält eine Andeutung über des Ersteren Verhältniß zur italienischen Oper, insbesondere zu Rossini's Musik und außerdem auch über die gegen die Aufführung seiner eigenen musikalisch-dramatischen Werke bestehenden Kabalen5, wobei der sonst so geduldige Schubert seinem Unmuth in unzweideutigen Ausdrücken Luft macht. Der Brief lautet:

»Ein Schelm bist Du, das ist richtig. Ein Jahrzehend verfließt schon, ehe Du Wien wieder siehst. Bald sitzt ihm das, bald jenes Mädchen im Kopf. Ei so hol' der Teufel alle Mädchen, wenn Du Dich gar so von ihnen besiegen läßt. Heirate in Gottes Namen, so hat die Geschichte ein Ende. Freilich kannst Du auch sagen wie Cäsar: Lieber in Graz der erste, als in Wien der zweite. Nun, dem sei wie immer, ich bin fuchsteufelswild, daß Du nicht da bist. Cornet6 erfährt obiges Sprichwort noch mehr. Gott gesegne ihm's. Ich werde zuletzt auch nach Graz kommen und[152] mit Dir rivalisiren. Neues gibt's hier weniges; wenn man was Gutes hört, so sind es immer alte Sachen.

Letzthin wurde bei uns ›Othello‹ von Rossini gegeben. Von unserm Radichi7 wurde alles recht gut exequirt. Diese Oper ist bei weitem besser, d.h. charakteristischer, als Tancred. Außerordentliches Genie kann man ihm nicht absprechen. Die Instrumentation ist manchmal höchst originell, und der Gesang ist es manchmal, und außer den gewöhnlichen italienischen Gallopaden und mehreren Reminiscenzen aus Tancred läßt sich der Musik nichts vorwerfen.

Trotz eines Vogl's ist es schwer, wieder die Canaille von Weigl, Treitschke etc. zu manövriren. Darum gibt man statt meiner Operette andere Luder, wo einem die Haar zu Berg stehen8. ›Semiramis‹ von Catél wird nächstens gegeben[153] werden mit einer unendlich herrlichen Musik9. Herr Stamm, Tenorist von Berlin, welcher schon in mehreren Opern sang, wird auch hier debutiren. Seine Stimme ist ziemlich schwach, keine Tiefe, beständige Falset-Höhe. Nun weiß ich nichts mehr. Componire fleißig und lass' uns was zu Theil werden.

Lebe recht wohl.


Dein wahrer Freund Franz Sch.«10.
[154]

Im Sommer dieses Jahres begab sich Franz zum ersten Male nach Oberösterreich, wo er in Linz, Salzburg und Steyr kurzen Aufenthalt nahm. Dieses letztere, reizend gelegene Städtchen spielt in Schubert's Leben, insbesondere in seiner Wanderzeit, eine hervorragende Rolle. Schon als Heimatsstätte Mayrhofer's, Stadler's und Vogl's11 stellte es sich zu Schubert in ein näheres Verhältniß; abgesehen davon befanden sich daselbst mehrere Familien, welchen er innig befreundet wurde und denen wir sechs Jahre später abermals begegnen.

Die Namen Paumgartner, Koller, Dornfeld und Schellmann stehen mit Schubert's Lebensgeschichte in eben so naher, wenn auch minder folgereicher Verbindung, als jener Michael Vogl's, durch welchen er zuerst in diese bürgerlich bescheidenen Kreise eingeführt wurde12.

Silvester Paumgartner (gest. am 23. Nov. 1841) war hauptgewerkschaftlicher Vicefactor und Hausbesitzer in Steyr. Einer der leidenschaftlichsten und »splendidesten« Musikenthusiasten, und auf dem Violoncell selbst auch ausübender[155] Musiker13, öffnete er die Pforte seines Hauses jedem Künstler von Ruf, und heranreifende Talente fanden bei ihm ergiebige Unterstützung. Es läßt sich darnach ermessen, mit welch freudigem Hochgefühl er die beiden Musensöhne Schubert und Vogl bei sich beherbergte. Da wurde dann auf das fleißigste musicirt und componirt, zumal der Hausherr (ein Junggeselle) sich im Besitz einer werthvollen Musikalien- und Instrumentensammlung befand, auf deren Bereicherung er fortan bedacht war14. Als Vogl in Pension getreten war, nahm er ebenfalls wieder längere Zeit hindurch bei Paumgartner seine Wohnung.

Josef v. Koller, Kaufmann und Eisenhändler in Steyr, war durch Brandeschi in Wien (Eisenindustrieller) mit Vogl bekannt geworden. Seine Tochter Josefine, die »Pepi« genannt, sang und spielte Clavier und pflegte bei der Aufführung Schubert'scher Compositionen den Sopranpart zu übernehmen15. Ihrer sowie auch der »Frizi« Dornfeld16 – älteste Tochter des ehemaligen Kreishauptmanns[156] Dornfeld in Steyr – wird in Briefen aus diesem Jahre und dem Jahre 1825 wiederholt Erwähnung gethan. Bei diesem ersten Besuch in Steyr nahm Vogl bei Koller sein Absteigquartier und er und Schubert waren daselbst täglich zu Tische geladen. Vater Koller und »die Pepi« leben beide noch, ersterer hochbetagt in Steyr, letztere – mit dem Oberverwalter der fürstlich Wilhelm Auersperg'schen Güter, Franz Krakowitzer, verehlicht – in Wels, wo sie schon seit vielen Jahren ihren Aufenthalt genommen hat.

Dr. Albert Schellmann senior (gest. am 4. März 1844), Hausbesitzer in Steyr, fungirte daselbst als Landes- und Berggerichts-Advocat; sein Sohn,Dr. Albert Sch. (gest. am 29. Nov. 1854), wurde als Advocat und Wechselnotar Amts- und Besitznachfolger seines Vaters. Das Schellmann'sche Haus (Nr. 117, auf dem Platz gelegen)17 hatte zwei Stockwerke, von welchen das erste die Familie Schellmann, mit fünf Töchtern gesegnet, bewohnte, das zweite aber der damalige Kreiscassier mit drei Töchtern, dann Albert Stadler und seine Mutter (Schwägerin des älteren Schellmann), endlich auch Schubert, dessen Zimmer hart an Stadler's Wohnung anstieß. Diese acht Mädchen18 sind es, auf welche Franz in dem hier folgenden Brief an seinen[157] Bruder Ferdinand hinweist. Derselbe ist datirt aus Steyr, 15. Juli 1819, und lautet:


»Lieber Bruder!


Ich glaube wohl, daß Dich dieser Brief in Wien treffen wird und Du Dich gesund befindest. Ich schreibe Dir eigentlich, mir das Stabat mater, welches wir hier aufführen wollen19, so bald als möglich zu schicken. Ich befinde mich bis jetzt recht wohl, nur will das Wetter nicht günstig sein. Es war hier gestern den 12. ein sehr starkes Gewitter, welches in Steyr einschlug, ein Mädchen tödtete und zwei Männer am Arme lähmte. In dem Hause, wo ich wohne, befinden sich acht Mädchen, beinahe alle hübsch. Du siehst, daß man zu thun hat. Die Tochter des Herrn v. Koller, bei dem ich und Vogl täglich speisen, ist sehr hübsch, spielt brav Clavier und wird verschiedene meiner Lieder singen.

Ich bitte Dich, beiliegenden Brief weiter zu fördern. Du siehst, daß ich nicht gar so treulos bin, als Du vielleicht glaubst.

Grüße mir Eltern und Geschwister, Deine Frau und alle Bekannten. Vergesse ja nicht auf das Stabat mater.

Dein ewig treuer Bruder

Franz.


Die Gegend um Steyr ist über allen Begriff schön.«


Ein zweiter Brief, am 19. August 1819 aus Linz an J. Mayrhofer in Wien gerichtet, ist folgenden Inhaltes:
[158]

»Lieber Mayrhofer!


Wenn es Dir so gut geht wie mir, so bist Du recht gesund. Ich befinde mich gegenwärtig in Linz, war bei den Spauns, traf Kenner, Kreil20 und Forstmayer21, lernte Spaun's Mutter kennen und den Ottenwald22, dem ich sein von mir componirtes Wiegenlied sang. In Steyr hab ich mich und werd' mich noch sehr gut unterhalten. Die Gegend ist himmlisch, auch bei Linz ist es sehr schön. Wir, d.h. Vogl und ich, werden nächster Tage nach Salzburg reisen. Wie freu' ich mich nach –. Den Ueberbringer dieses Briefes, einen Studenten von Kremsmünster, Namens Kahl, welcher durch Wien nach Idria zu seinen Eltern reist, empfehle ich Dir sehr, und bitte Dich, ihm durch die Tage, die er hier zubringt, mein Bett zu überlassen. Ueberhaupt wünsche ich, daß Du Dich seiner freundschaftlich annimmst, denn er ist ein sehr braver, lieber Mensch.

Die Frau v. S.23 lasse ich herzlich grüßen. – Hast Du schon was gemacht? Ich will's hoffen. – Vogl's Geburtsfest feierten wir mit einer von Stadler gedichteten und von mir componirten Cantate, die recht gut ausfiel. Jetzt lebe wohl bis auf den halben September.


Dein Freund

Franz Schubert,


Herr v. Vogl läßt Dich grüßen. Grüße mir den Spaun.«
[159]

Um die Mitte September nahmen die beiden Musensöhne Abschied von Steyr. Darauf deuten zwei Stammbuchblätter hin, die sie am 14. September für die »Kathi« Stadler, Schwester des Albert Stadler, welche damals im Kollerschen Hause lebte, mit Prosa und Versen beschrieben24.

Von größeren Compositionen, welche Schubert in diesem Zeitraume schuf, sind zu erwähnen: Das bekannte Clavierquintett op. 114 mit dem Lied »Die Forelle« als Thema des vorletzten Satzes und den Variationen über dasselbe. Schubert componirte es auf Stadler's Zuthun und über besondere Bestellung Paumgartner's, dem die herausgeschriebenen Stimmen (ohne Partitur) übergeben wurden; ferner eine Ouverture für Clavier zu vier Händen inF-Moll25, (»im November in Herrn Josef Hüttenbrenner's Zimmer im Bürgerspital innerhalb drei Stunden geschrieben und darüber das Mittagsmahl versäumt«) und eine Gelegenheits-Cantate. Im August schrieb nämlich Schubert, wie auch aus seinem Brief an Mayrhofer zu ersehen ist, während[160] seines Aufenthaltes in Steyr zu Vogl's Geburtstag eine von A. Stadler gedichtete Cantate für Sopran, Tenor und Baß mit Clavierbegleitung26. Von unveröffentlichten Compositionen sind noch zu verzeichnen: Ein Vocalquartett27, ein Salve regina (in A-Dur) für Sopran, mit Begleitung von Streichinstrumenten, drei Hymnen von Novalis28, ein Vocalquintett (für zwei Tenore und drei Bässe) auf das viel besungene Lied: »Nur wer die Sehnsucht[161] kennt«, und ein Vocalquartett für zwei Tenore und zwei Bässe29.

Unter den vielen Liedern, welche Schubert bis zu dieser Zeit aus seinem reichen Füllhorn mit verschwenderischer Luft ausgestreut hatte, ragen insbesondere die auf Goethe'sche Gedichte componirten durch vollendete Schönheit der Form und tiefe musikalische Auffassung über die anderen hervor. Der Gedanke lag nahe, dem in Weimar thronenden Dichterfürsten durch die Zusendung einiger der gelungensten Gesänge zu erfreuen, und ihm Kunde von der Begeisterung zu geben, mit welcher ein junger Wiener Tondichter seine poetischen Gebilde erfaßt und in Tönen wieder gedichtet hat. Schubert selbst dürfte wohl kaum den ersten Anstoß zu diesem Unternehmen gegeben haben; – sein schüchternes in sich gekehrtes Wesen spricht entschieden dagegen – wohl aber mag er auf die von einem wohlwollenden Rathgeber angeregte Idee des gefahrlosen Versuches bereitwillig eingegangen sein, und so sendete er in der That ein geschriebenes Heft seiner Compositionen Goethe'scher Gedichte – ohne Zweifel die dem Dichter gewidmeten Lieder: »An Schwager Kronos«, »An Mignon« und »Ganymed« – zugleich mit einem ehrfurchtsvollen[162] Geleitschreiben nach Weimar30. Der Altmeister, dessen Haus dem musikalischen Vergnügen und sowohl ausübenden als schaffenden Künstlern freundlichst geöffnet war, während auf ihn selbst die Musik nur »gelegentlich« wirkte31, hat entweder von den Liedern überhaupt keine Notiz genommen, und sie sammt dem Dedicationsschreiben den vielen anderen Widmungen und Zusendungen, wie solche fast täglich an ihn gelangten, als »schätzbares Materiale« beigelegt, oder es grundsätzlich vermieden, mit einem ihm persönlich unbekannten, zu jener Zeit noch ohne Ruf dastehenden Menschen, in ein näheres Verhältniß zu treten. Weder in Goethe's Werken, noch in seinem Briefwechsel mit Zelter, noch in den Gesprächen mit Eckermann wird Schubert's auch nur mit Einer Silbe Erwähnung gethan, obwohl der Dichter zu wiederholten Malen in der Lage war, Schubert'sche Compositionen seiner Gedichte, von ausgezeichneten Künstlern vorgetragen, zu hören. Diese befremdende Thatsache findet eben darin ihre Erklärung, daß die in Norddeutschland beliebten und heimisch gewordenen Strofengesänge von Reichardt, Zelter, Eberwein dem mit ihnen aufgewachsenen, damals bereits siebenzigjährigen Goethe mehr zusagten, als die in größerem[163] Styl gehaltenen, nicht selten durchcomponirten Lieder des Wiener Barden32.

So geschah es denn auch, daß ihm das musikalische Verständniß des Schubert'schen »Erlkönig«, welche Ballade er schon einmal singen gehört hatte, erst in seinen letzten Lebensjahren durch den hinreißend dramatischen Vortrag der Wilhelmine Schröder-Devrient in herrlicher Weise erschlossen wurde33.[164]

Fühlte sich Goethe von keinem Zug künstlerischer Sympathie zu Schubert angeweht, so schwelgte dieser um so lieber in dem, durch den Dichterfürsten erschlossenen Liederfrühling. Mehr als ein halbes Hundert Goethe'scher Gedichte, und unter diesen viele seiner schönsten, hat er durch sinniges Erfassen ihres poetischen Inhaltes musikalisch verherrlicht, und, das Dichterwort mit Tönen umkleidend, in eine höhere Sfäre emporgehoben.

Als Curiosum möge hier noch erwähnt werden, daß zu Anfang dieses Jahres (am 28. Februar 1819, und nicht erst im Jahr 1821, wie man anzunehmen pflegt) ein Schubert'sches Lied in einem Concert in Wien zum ersten Mal öffentlich vorgetragen wurde. Der Tenorist Jäger34 sang nämlich an jenem Tag (und am 12. April abermals) das bekannte: »Schäfer's Klagelied« in einem, von dem Violinspieler Jäll im Gasthof »Zum römischen Kaiser« veranstalteten Concert.[165] Das Lied wurde, wie es scheint, mit lebhaftem Beifall aufgenommen35.

Um diese Zeit wurde auch in dem Hause des Dr. Ignaz von Sonnleithner (im Gundelhof) die Cantate: »Prometheus« (wohl zum letzten Mal) zu Gehör gebracht, wobei der Hausherr, der sich im Besitz einer schönen kräftigen Baßstimme befand, den Part des »Prometheus« sang.

Im Augarten sollte dieselbe Cantate im Jahr 1820 unter Schubert's persönlicher Leitung aufgeführt werden; die Proben fielen aber so unbefriedigend aus, daß Schubert die Partitur zurückzog36.

Seit der erwähnten Aufführung im Privatkreise hat in Wien keine mehr stattgefunden, und des geheimnißvollen Schicksales dieser Composition ist bereits gedacht worden.

1

Die italienische Oper begann am 13. April 1822 mit Rossini's »Zelmira«, und schloß im Juli mit »Corradino«. – »Von Vorstellung zu Vorstellung steigerte sich der ungezügelte Enthusiasmus, bis er in einen entschiedenen Sinnentaumel ausartete, der seinen Stachel lediglich in der Virtuosität der Sänger fand, ohne auf den Werth oder Unwerth des vorgetragenen Musikstückes Rücksicht zu nehmen. In der letzten Vorstellung schien es, als ob die ganze Versammlung von einer Tarantel gestochen wäre; das Jauchzen Evviva- und Fora-Brüllen nahm kein Ende. Das Jahr 1823 sah den Taumel in Fanatismus übergehen. Der kleine Rest von Achtung für deutsche Gesangskunst war ganz geschwunden, und aus diesem Jahr datiren die jammervollen Zustände in aller und jeder Musik, die sich Jahrzehende hindurch über die österreichische Hauptstadt verbreitet haben.« (So A. Schindler: Beethoven II Theil S. 57–59.)

2

In Briefen von und an Schubert aus den Jahren 1822–1825 wird wiederholt der Ungunst der Zeiten bezüglich der Aufführung seiner Opern erwähnt.

3

Sch's. Sympathie für Rossinische Musik wurde mir von allen Personen, welche ich darüber befragt habe, bestätigt.

4

Herr Josef Hüttenbrenner in Wien besitzt es in Abschrift.

5

Die Operette »Die Zwillingsbrüder« gelangte übrigens im darauffolgenden Jahre zur Aufführung im Operntheater.

6

Cornet, Tenorsänger im Theater an der Wien, hatte eben ein Engagement an der Prager Bühne angenommen.

7

»Othello« wurde im Kärnthnerthor-Theater von den deutschen Sängern in der ersten Hälfte Mai dargestellt. Frau Grünbaum gab die Desdemona, Forti den Othello, Vogl den Dogen und Radichi den Rodrigo. – Julius Radichi, der 1814 den »Florestan« sang, starb 1846. – Im April 1819 war »Othello« im Theater an der Wien gegeben worden.

8

Diese Bemerkung Schubert's konnte nur Bezug haben auf einige werthlose Operetten und Zauberpossen, welche in den Jahren 1818 und 1819 im Theater an der Wien gegeben wurden, da das Repertoir des Kärnthnerthortheaters vorwiegend classische Opern enthielt. Im Theater an der Wien gelangten im Jahr 1818 folgende musikalische Dramen zur Aufführung: »Aschenbrödel« von Rossini, »Zelmire und Azor« von Gretry, »Lorenz als Räuberhauptmann«, Posse mit Musik von Kinsky, Vicehofcapellmeister am Kärnthnerthortheater, »die Vermählung auf der Zauberinsel«, Quodlibet, »Ser Marc Antonio« von Pavesi, »Odins Schwert«, mit Chören, Musik von Seyfried (ohne Erfolg), »La Dama Soldato«, mit (schlechter) Musik von Orlandi, »Graf Armand« von Cherubini, das Melodram »Samson«, Musik von Tuczek, »Richard Löwenherz« von Gretry, »Euterpens Opfer«, ein Quodlibet (fiel durch), »Das Rosenmädchen«, Oper von Lindpaintner, »Faust« von Spohr, »die Thronfolge« Schauspiel mit Chören von Seyfried, »die Zauberflöte«, »Elisabeth« von Rossini, »das unterbrochene Opferfest« von Winter, »die Proberollen«, eine unbedeutende Operette, »der blöde Ritter«, Pantomine mit Musik von Seyfried, »der neue Don Juan«, Potpourri, »Salmonäa und ihre Söhne«, Melodram mit Musik von Seyfried, »das Schloß Theben«, Zauberoper mit Musik von Kanne (gefiel nicht), »Sultan Wampun«, Quodlibet (gefiel nicht), und »die diebische Elster« von Rossini; – im Kärnthnerthortheater hingegen: »Johann von Paris«, »Medea«, »Talente durch Zufall« von Catél, »Liebe und Ruhm« von Herold und Boildieu, »Tancred«, »das Rothkäppchen« von Boildieu, »Josef und seine Brüder«, »Iphigenie auf Tauris«, »die Vestalin«, »Cyrus« von Mosel (gefiel), »Ein Tag voll Abenteuer« von Mehul, »Sargines«, »Fidelio«, mehrere Opern von Mozart, Spontini's »Cortez« und »Semiramis« von Catél. – Treitschke hatte einen Theil dieser Opern ins Deutsche übersetzt und Weigl dirigirte die Aufführung.

9

Diese Oper war schon im October 1818 als »nachstudirt« aufgeführt worden.

10

Auf der Rückseite dieses Briefes befinden sich einige Zeilen an Heinrich Hüttenbrenner in Graz, welche Josef H. auf den Wunsch Schubert's beifügte, und worin er Heinrich ersucht, für Sch. ein Opernbuch zu schreiben. – »Sags dem Schrökinger«, ruft der immer in Enthusiasmus auflodernde Josef H. seinem Bruder zu. Es fällt auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden in Europa genannt werden. Schubert wird wirklich als ein neuer Orion am musikalischen Himmel glänzen. Schreibe bald wegen Sch. »Deinen Entschluß.« – Schrökinger war als Dichter in Graz bekannt.

11

Auch Capellmeister Süßmayer, der bekannte Famulus Mozart's, der Dichter Blumauer, die Malerin Katharina Gürtler und der Historiker F. Pritz erblickten daselbst das Licht der Welt.

12

Die hier folgenden Mittheilungen verdanke ich Herrn A. Stadler in Salzburg.

13

Seine technische Fertigkeit soll eine äußerst mäßige gewesen sein.

14

Er eilte nicht selten zu Fuß zur Poststation Strengberg, um dem nach Paris reisenden Courier Aufträge zum Ankauf neuer Musikalien oder Instrumente mitzugeben.

15

Bei einer solchen Gelegenheit wurde auf Vogl's Vorschlag der »Erlkönig« von getheilten Stimmen vorgetragen; Vogl sang den Vater, Schubert den Erlkönig und die Pepi den Knaben. Für letztere componirte Sch. ein von Stadler verfaßtes Gelegenheitsgedicht, das sie am Geburtstag ihres Vaters (19. März 1820) sang. Die Composition ist nicht bekannt geworden; das Gedicht besitzt A. Stadler in Wien.

16

Friederike Dornfeld lebt derzeit in Linz.

17

Außerhalb der Stadt Steyr befindet sich die hübsche Schellmann'sche Villa.

18

Von den fünf Mädchen im ersten Stock wurde Serafine (gest. im J. 1857) die Gattin des ehemaligen Convictisten, nachherigen Cameralrathes Leopold Ebner in Innsbruck. – Von den drei Schweßern im zweiten Stock erkor sich A. Stadler die jüngste, Antonie, zu seiner Frau. Diese starb 1863 in Salzburg.

19

Dasselbe scheint aber nicht aufgeführt worden zu sein.

20

Kreil, ein Bruder des pens. Vicepräsidenten Franz v. Kreil in Linz, wurde später Adjunct an der Sternwarte in Prag.

21

Forstmayer Mathias, Regierungs-Praktikant in Linz, ebenfalls aus Steyr gebürtig, war Hausfreund bei Spaun und Ottenwalt.

22

Dr. Anton Ottenwalt, Fiscaladjunkt in Linz, mit Maria von Spaun verheiratet; starb 1845.

23

Wahrscheinlich seine Hausfrau Sanssouci.

24

Schubert schrieb folgenden Moralspruch in das Stammbuch: »Genieße stets der Gegenwart mit Klugheit, so wird Dir die Vergangenheit eine schöne Erinnerung und die Zukunft kein Schreckbild sein.« – Vogl schwang sich zu folgender Zuckerbäcker-Devise empor:

In der Freunde Herzen leben,

Was kann's hienieden Schön'res geben?

Katharina Stadler lebt derzeit als Gattin des Musterlehrers Franz Kozeder in Schwanenstadt. – Die Stammbuchblätter sind im Besitz des Herrn A. Stadler in Wien.

25

Dieselbe befindet sich, mit obiger Aufschrift von Schubert versehen, in Herrn Josef Hüttenbrenner's Besitz.

26

Die Cantate, von welcher Josef v. Spaun und FrauDr. Lumpe in Wien Abschriften besitzen, beginnt mit einem Terzett (C-Dur 4/4); auf dieses folgt ein Sopran-Solo (Allegretto F-Dur 3/4), sodann ein Tenorsolo, und dann abermals ein Sopran- und Tenorsolo. Den Schluß bildet ein Canon (Moderato C-Dur 4/4), Das Gedicht enthält Anspielungen auf Vogl's vorzüglichste Rollen und Leistungen in verschiedenen Opern. Den Sopranpart sang damals Pepi Koller.

27

Das Quartett – eine wahrscheinlich in Steyr entstandene Gelegenheits-Composition – ist für zwei Soprane, Tenor und Baß geschrieben (D-Dur 6/8) auf die Worte:

Im traulichen Kreise

Beim herzlichen Kuß

Beisammen zu leben

Ist Seelengenuß.

28

Es sind die »geistlichen Gesänge«: 1. »Wenige wissen das Geheimniß der Liebe« u.s.f. »Wenn ich ihn nur habe« u.s.f., und 3. »Wenn alle untreu werden« u.s.f. Die erste Hymne in A-Moll 4/4 besteht aus mehreren Theilen und enthält auch Recitative; die zweite und dritte (beide in Des-Dur 2/4) sind kleinerer Art. Tiefe drei Gesänge sind weniger schön, als eigenthümlich. – Die andern zwei Hymnen fallen in die Jahre 1815 und 1820.

29

Ruhe, schönstes Glück der Erde,

Senke segnend dich herab,

Daß es stiller um uns werde,

Wie in Blumen ruht ein Grab.

Die Autografe dieser beiden mehrstimmigen Gesänge besitzt A. Stadler in Wien.

30

Dieser Thatsache erwähnt Herr Dr. Leopold v. Sonnleithner in einem Aufsatz über Schubert, den er mir freundlichst zur Einsicht mittheilte.

31

Als im Jahr 1796 Madame Unger ihm die neuen Lieder von Zelter übersendete, schrieb er an sie: »Musik kann ich nicht beurtheilen, denn es fehlt mir an Kenntniß der Mittel, deren sie sich zu ihren Zwecken bedient; ich kann nur von der Wirkung sprechen, die sie auf mich macht, wenn ich mich ihr rein und wiederholt überlasse.« (Briefwechsel Goethe's mit Zelter I. Bd.)

32

Goethe's Leibmusikus war bekanntlich der Director der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter (geb. in Berlin 1758, gest. daselbst 1832), der alte deutsche Reichscomponist, wie ihn Beethoven nannte. Schon im Jahre 1796 trat er durch Zusendung seiner neuesten Lieder an Goethe zu diesem in ein freundschaftliches Verhältniß, welches in dem, bis in das Jahr 1832 geführten, lebhaften Briefwechsel schönen und bedeutenden Ausdruck fand. Es bildete sich zwischen beiden ein ähnlicher Bund, wie zwischen Mayrhofer und Schubert, nur daß der Liedercomponist Zelter kein Schubert, und Goethe um jene Zeit über die lyrische Epoche schon hinaus war. Zelter componirte über hundert Goethe'sche Lieder, unter diesen beinahe alle Balladen, und schon von den Erstlingen seiner Liedercompositionen sagte Goethe, »daß er der Musik kaum solche herrliche Töne zugetraut hätte.« Im Jahre 1823 sang ihm die Milder-Hauptmann in Marienbad vier kleine Lieder vor, »die sie dergestalt groß zu machen wußte, daß die Erinnerung daran ihm noch Thränen auspresse.« Sollte darunter nicht ein Schubert'sches gewesen sein? Im Jahre 1825 trug die Milder in ihrem Concert in Berlin Schubert's »Suleika« mit großem Beifall vor, wovon aber Zelter keine Erwähnung macht. Die berühmte Sängerin stand damals mit Goethe und Schubert in brieflichem Verkehr, von welchem später noch die Rede sein wird.

33

Als die Schröder im April 1830 auf ihrer Reise nach Paris durch Weimar kam, ließ sie sich von dem Mitglied der dortigen Hofbühne, Eduard Genast, dem Dichtergreise vorstellen und sang ihm unter Andern auch den »Erlkönig« vor. Wiewohl Goethe kein Freund durchcomponirter Lieder war, ergriff ihn doch der hochdramatische Vortrag so sehr, daß er das Haupt der Sängerin in beide Hände nahm und sie mit den Worten: »Haben Sie tausend Dank für diese großartige künstlerische Leistung!« auf die Stirn küßte und sodann fortfuhr: »Ich habe diese Composition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild.« (Alfred Frh. v. Volzogen: Wilhelmine Schröder-Devrient, ein Beitrag zur Geschichte des musikalischen Drama, S. 146.) Im Jahre 1821 wirkte die Schröder in jener »Akademie« in Wien mit, in welcher Vogl zum ersten Mal den »Erlkönig« öffentlich vortrug.

34

Jäger (Franz), 1796 zu Wien geboren, daselbst bis 1826 als Theatersänger thätig, erfreute sich in einigen Rollen großer Beliebtheit. Er ging später, als Singlehrer am Theater, nach Stuttgart, wo er bis an sein Lebensende blieb.

35

Zeitschrift »der Sammler«, J. 1819.

36

Nach einer Mittheilung Herrn Josef Hüttenbrenners.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 149-166.
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