Vorwort.

Nahezu sechs und dreißig Jahre – ein Menschenalter – sind vorübergezogen, seit, Franz Schubert nach kurzem Erdenwallen aus dieser Welt geschieden ist. Während des Verlaufes dieser drei Decennien und darüber, nach seinem Tod, ganz hauptsächlich aber in neuester Zeit, war man rühmlichst darauf bedacht, den reichen Schatz seines inneren Lebens, insoweit dieser in der musikalischen Kunst zur Erscheinung gelangte, allgemach aufzudecken und die volle Würdigung seiner erstaunlichen in ihrer Vielseitigkeit noch zu wenig erfaßten künstlerischen Thätigkeit zu ermöglichen.

Die Schilderung seiner stillen anspruchslosen äußeren Existenz dagegen beschränkte sich bis zur Stunde auf ein Paar dürftige Lebensumrisse, die bald nach des Tondichters Ableben in öffentlichen Blättern dem Publikum geboten wurden, und auf die von dem Verfasser dieses Buches vor drei Jahren herausgegebene »Biographische Skizze«, welcher von wohlwollenden, den Schwierigkeiten eines ersten derartigen Versuches Rechnung tragenden Personen, das Verdienst zugestanden wurde, eingehender, als es bis dahin der Fall war, auf die Lebensverhältnisse und die musikalische Produktivität Schubert's hingewiesen zu haben.

Jene Skizze aber, so bescheiden ausgestattet sie war, barg doch den fruchtbringenden Keim neuen Lebens in sich;[3] denn bald nach ihrem Erscheinen öffneten sich da und dort zwar spärlich fließende, aber dennoch höchst willkommene Quellen, deren Existenz mir entweder gar nicht bekannt war, oder die ich für versiegt gehalten hatte. So sah ich mich denn durch Mittheilungen verschiedener Art, welche theils Neues, theils Berichtigungen thatsächlicher Irrthümer enthielten, sowie durch eigene Bemühung allmälig in dem Besitz eines verhältnißmäßig reichhaltigen Materiales, welches zu benützen und aufs neue zu verarbeiten ich mich durch mehrfache Gründe bestimmen ließ. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß mein innigeres Vertrautwerden mit der Schubertschen Muse und die mir über seine äußeren Verhältnisse mittlerweile gewordenen Aufklärungen auf so manche in der »Skizze« ausgesprochene Ansicht modificirend eingewirkt hatten. Die Schwierigkeiten, mit welchen eine Darstellung von Schubert's Leben zu kämpfen hat, sind freilich in Wesenheit dieselben geblieben. Sie gipfeln in der Unmöglichkeit, ein Leben, »in welchem es nicht Berg nicht Thal, sondern nur gebahnte, Fläche gab, auf der sich unser Tondichter in gleichmäßigem Rhythmus fortbewegte«, – als interessant und bedeutend hinzustellen, ohne dem Leser an Stelle der Wahrheit Phantasiestücke zu bieten, die wohl für den Augenblick Anregung und Erheiterung gewähren mögen, der Sache selbst aber in keiner Weise förderlich sindA1. Eben aus dieser Ursache haben auch Personen, in deren Macht es gestanden, über Schubert's[4] Leben viele und zuverlässige Aufschlüsse zu geben, nach wiederholten Anläufen zu größeren Arbeiten in dieser Richtung, sich schließlich auf die Erklärung zurückgezogen, daß eine Biografie Schubert's ein geradezu unausführbares Unternehmen sei, weil sich dieser Tondichter, dessen äußere Existenz so ganz von alle dem losgelöst war, was geistig in ihm lebte und webte, nur aus seinen musikalischen Inspirationen darstellen und begreifen lasseA2. Es liegt in der That ein Körnchen Wahrheit in dieser Behauptung; – jede Biografie Schubert's wird wegen des Mangels an innigen Wechselbeziehungen zwischen innerem und äußerem Leben mehr oder weniger das Gepräge des Skizzenhaften an sich tragen, und die Aufzählung und Würdigung seiner künstlerischen Leistungen immerdar einen unverhältnißmäßig großen Raum in Anspruch nehmen. Dennoch konnte mich diese Ansicht, da sie eben zu viel behauptet, in keiner Weise abhalten, den verpönten Versuch abermals mit verstärkter Kraft zu wagen und die Lösung der mir gestellten Aufgabe nach Thunlichkeit anzustreben. Es ist meine auf Erfahrung gestützte Ueberzeugung, daß in nicht ferner Zeit bei dem allmäligen Heimgange der noch lebenden Zeugen von Schubert's äußerer Existenz eine Biografie dieses[5] Tondichters schlechterdings zu den Unmöglichkeiten gehören wird, und daß fürder, ungeachtet so mancher unvermeidlicher Lücken, im Wesentlichen kaum ein Mehreres geboten werden dürfte, als in dieser Darstellung enthalten ist, es müßte denn Jemand, auf rein musikalischen Boden sich stellend, Lust und Muse finden, die an die Zahl von Eintausend hinanreichenden Compositionen Schubert's kritisch zu zergliedern.

Für dieses Mal erkannte ich es als eine dringende Aufgabe, von dem allerorts zerstreuten trümmerhaften Materiale, das mir von vielen, in dieser Darstellung namhaft gemachten, Personen mit dankenswerther Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt wurde, zu retten, was zu retten war, und das Gesammelte, in chronologischer Reihenfolge geordnet, nach Möglichkeit zu einem Ganzen zusammenzufassen.

Indem ich das Ergebniß meiner Forschungen der Oeffentlichkeit übergebe, darf ich wohl dem Wunsche Ausdruck verleihen, daß es mir gelungen sein möge, zu der Wiederbelebung von Schubert's Andenken, welche man gerade jetzt theils durch liebevolles Eingehen in seine künstlerische Gesammtwirksamkeit, theils auf monumentalem Wege zu erzielen bestrebt ist, nach meiner Weise erfolgreich mitgewirkt zu haben.


Wien, am Engelbertstag 1864.


Heinrich v. Kreißle.

A1

Derlei poetisch und gemüthlich gefärbte »Phantasien« über Schubert sind auch im Druck erschienen. Ihr Inhalt gehört zum bei weiten größten Theil in das Reich der Fabel, und ist nur geeignet, den Tondichter in einem ganz anderen Licht erscheinen zu lassen, als dieß in Wirklichkeit der Fall war.

A2

Schon im Jahre 1842 begann Herr Philipp Neumann in Wien Materialien zu einer Biografie Schubert's zu sammeln; Anselm Hüttenbrenner übermittelte, wie mir sein Bruder Josef mittheilte, dem Dr. Franz Lißt Aufzeichnungen über Schubert; die Herren Franz Flatz und Ferdinand Luib in Wien waren längere Zeit hindurch mit biografischen Studien nach dieser Seite hin beschäftigt. Die beiden, Freunde Schubert's: Bauernfeld und v. Schober erklärten sich gegen jeden Versuch, eine Biografie dieses Tondichters zu verfassen.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865.
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