II[20] te Reise des Vaters mit den beyden Kindern nach Wien.

Schon während der Reise nach Wien schrieb der Vater an den Kaufmann Hagenauer nach Salzburg unter andern Folgendes:


(Leopold Mozarts Brief No. 1.)


Linz, 3. October 1762.


Haben Sie nicht geglaubt, wir wären schon in Wien, da wir doch noch in Linz sind? Morgen, wenn Gott will, gehen wir dahin ab. – – – Wir wären schon in Wien, wenn wir nicht in Passau fünf ganze Tage hätten sitzen müssen. Diese Verzögerung, woran der dasige Bischof Schuld war, ist[20] mir um achtzig fl. Schade, die ich in Linz eingenommen hätte, wenn ich früher gekommen wäre, da ich mich nun mit etlichen vierzig fl. begnügen muss, die mir aus dem vorgestern gegebenen Concerte geblieben sind. Wolfgang hatte die Gnade, sich bey dem erwähnten Fürsten zu produciren, und dafür bekam er einen ganzen Ducaten.

In Passau waren wir den 20. September angekommen. Am 26. Sept. reisten wir mit dem Domherrn Grafen Herberstein hieher, und trafen an demselben Tage ein. Die Kinder sind lustig und überall wie zu Hause. Der Bube ist mit allen Leuten, besonders mit Offizieren, so vertraulich, als wenn er sie schon seine ganze Lebenszeit hindurch gekannt hätte. Meine Kinder seyn übrigens alle in Verwunderung, sonderheitlich der Bube.

Graf Herberstein und Graf Schlick, der hiesige Landeshauptmann, wollen uns in Wien einen grossen Lärm vorangehen lassen. Allem Ansehen nach werden unsere Sachen gut gehen. Gott erhalte uns nur, wie bisher, gesund. Ich bitte Sie, auf unsere Intention vier heilige Messen zu Maria-Plain1 zu veranstalten, und zwar so bald es möglich ist – –


(Leopold M. Brief No. 2)


Wien, 16. Octbr. 1762.


Am Feste des heil. Franziscus sind wir von Linz abgereist und in Matthausen angelangt. Den folgenden (Dienstag) Erchtag kamen wir nach Ips, wo zwey Minoriten und ein Benedictiner, die unsere Wasserreise[21] mitgemacht hatten, heilige Messen lasen, unter welchen unser Woferl2 sich auf der Orgel so herum tummelte und so gut spielte, dass die Franziscaner Patres, die eben mit einigen Gästen an der Mittagstafel sassen, sammt ihren Gästen das Essen verliessen, dem Chore zuliefen und sich fast zu Tode wunderten. Nachts waren wir zu Stein, und am Mittwoch langten wir hier an. Auf der Schanzelmauth wurden wir ganz geschwind abgefertigt, und von der Hauptmauth gänzlich dispensirt. Das hatten wir unserm Herrn Woferl zu danken, denn er machte sogleich Vertraulichkeit mit dem Mauthner, zeigte ihm das Clavier, machte seine Einladung, spielte ihm auf dem Geigerl ein Menuett.

Bis jetzt sind wir, trotz des abscheulichsten Wetters, schon bey einer Akademie des Grafen Collalto gewesen, und die Gräfin Sinzendorff hat uns zu dem Grafen Wilschegg und den 11. zu dem Reichs-Vicekanzler Grafen von Colloredo geführt, wo wir die ersten Minister und Dramen zu sprechen die Gnade hatten, namentlich den ungarischen Kanzler, Grafen Palffy, den böhmischen Kauzler, Grafen Chotek, den Bischof Esterhazy. Erwähnte Gräfin ist sehr für uns bemüht, und alle Damen sind in meinen Buben verliebt. Nun sind wir schon aller Orten in Ruf. Als ich am 10. October in der Oper war, hörte ich den Erzherzog Leopold aus seiner Loge in eine andere hinüber erzählen: es sey ein Knabe in Wien, der das Clavier so trefflich spiele etc. Selbigen Abend um 11 Uhr erhielt ich Befehl, am 12. nach Schönbrunn[22] zu kommen. Am folgenden Tage ward ich aber auf den 13. bestellt, weil am 12. der Maximilians- und folglich ein Galla-Tag wäre, und man die Kinder in Bequemlichkeit hören will. Alles erstaunet ob dem Buben, und ich habe noch Niemand von ihm sprechen hören, der nicht sagte, dass seine Fähigkeit unbegreiflich ist. Der Baron Schell bemüht sich sehr für mich, und erkennt mit dankbarem Gemüthe die Güte, die er in Salzburg genossen hat, welches ich dem gnädigen Herrn Chiusolis anzurühmen bitte; ich hatte an ihn ein Schreiben von dem Grafen Daun zu meinen Gunsten. Er macht mir gute Hoffnung, und es scheint, dass er es darf, da der Hof uns zu hören verlangt hat, ehe wir uns gemeldet haben. Dieses ist so zugegangen: Ein junger Graf Palffy ging durch Linz, als eben unser dortiges Concert anfangen sollte. Er wartete der Gräfin Schlick auf, die ihm von dem Knaben erzählte und ihn bewog, die Post vor dem Rathhause halten zu lassen und mit ihr in das Concert zu gehen. Er hörte es mit Erstaunen an und machte bey seiner Anherkunft die Erzählung dem Erzherzoge Joseph, der sie der Kaiserin wiederholte. So bald es nun bekannt war, dass wir in Wien wären, erging der Befehl an uns, bey Hofe zu erscheinen. – Ich hätte Ihnen sogleich berichtet, wie unsere Erscheinung ausfiel, wenn wir nicht schnurgerade von Schönbrunn zum Prinzen von Hildburghausen hätten fahren müssen. Es überwogen solchergestalt sechs Ducaten das Vergnügen, Ihnen unverzüglich zu schreiben. Noch heute lässt mir die Zeit nicht zu, Ihnen mehr zu sagen, als dass wir von den Majestäten so[23] ausserordentlich gnädig aufgenommen worden sind, dass man meinen Bericht für eine Fabel halten würde. Der Woferl ist der Kaiserin auf den Schooss gesprungen, hat sie um den Hals genommen und rechtschaffen abgeküsst. Wir sind von 3 bis 6 Uhr bey ihr gewesen, und der Kaiser kam selbst in das zweyte Zimmer hinaus, mich hinein zu holen, um die Infantin auf der Violine spielen zu hören. Gestern, als am Theresien-Tage, schickte die Kaiserin uns durch den geheimen Zahlmeister, der in Gala vor unsere Wohnung gefahren kam, zwey Kleider, eins für den Buben, eins für das Mädel. Der geheime Zahlmeister wird sie immer nach Hofe abholen. Heute Nachmittag müssen sie zu den zwey jüngsten Erzherzögen, dann zu dem genannten Grafen Palffy. Gestern sind wir bey dem Grafen Kauniz und vorgestern bey der Gräfin Kinsky und dem Grafen Udefeld gewesen.


(Leopold M. Brief No. 3.)


Wien, 19. October 1762.


– – – – Heute wurde ich zum geheimen Zahlmeister gerufen. Er empfing mich mit der grössten Höflichkeit und fragte im Namen des Kaisers: ob ich mich nicht hier noch einige Zeit aufhalten könnte? Meine Antwort war: dass ich mich Seiner Majestät zu Füssen legte. Der Zahlmeister händigte mir darauf 100 Ducaten ein, mit dem Beysatze: dass Seine Majestät uns bald wieder rufen werden. Ich mag es betrachten, wie ich es immer will, so sehe ich vor, dass ich vor dem Advent kaum nach Hause kommen werde; allein ich werde schon vorher noch[24] wegen Verlängerung der Erlaubniss bitten. Denn ich muss, wenn ich auch in vierzehn Tagen oder drey Wochen von hier weggehen könnte, wegen der Kinder langsam reisen, damit sie zu Zeiten ein paar Tage ausruhen und nicht, krank werden.

Heute waren wir bey dem französischen Botschafter, und morgen sollen wir zu einem Grafen Harrach. Aller Orten werden wir durch die herrschaftlichen Wagen mit einem Bedienten abgeholt und zurückgeführt. Von sechs bis neun Uhr sind wir für sechs Ducaten zu einer grossen Akademie veraccordirt, wobey die grössten Virtuosen, die dermal in Wien sind, sich produciren werden. Man bestellt uns vier, fünf, sechs, bis acht Tage voraus, um nicht zu spät zu kommen; so bey dem Oberst-Postmeister, Grafen Paar, auf den Montag. Einmal sind wir um halb drey bis gegen vier Uhr an einem Orte gewesen. Da liess uns der Graf Hardegg mit seinem Wagen holen und zu einer Dame in vollem Galopp führen, wo wir bis halb sechs Uhr blieben; dann ging es zum Grafen Kauniz, bey dem wir bis gegen neun Uhr waren.

Wollen Sie wissen, wie des Woferls Kleid aus sieht? Es ist vom feinsten Tuche, lillafarben; die Weste von Moir, nämlicher Farbe; Rock und Camisol mit doppelten und breiten Gold-Borten. Es war für den Erzherzog Maximilian gemacht. Der Nannerl ihr Kleid war das Hofkleid einer Erzherzogin. Es ist weiss brochirter Taffent, mit allerhand Garnirungen. – – – – –


[25] (Leopold M. Brief No. 4.)


Wien, 30. October 1762.


– – – – Glück und Glas, wie bald bricht ein Essigkrug! Ich dachte es fast, dass wir vierzehn Tage nach einander zu glücklich waren. Gott hat uns ein kleines Kreuz zugeschickt, und wir danken seiner unendlichen Güte, dass es noch so abgelaufen ist. Den 21. waren wir Abends um sieben Uhr abermals bey der Kaiserin. Woferl war schon nicht recht wie sonst. Später zeigte es sich, dass der Woferl eine Art Scharlach-Ausschlag hatte. Die Herrschaften hatten nicht nur die Gnade, sich täglich um die Umstände des Buben erkundigen zu lassen, sondern sie empfahlen ihn auf das Eifrigste dem Arzte der Gräfin Sinzendorf, Bernhard, der auch sehr besorgt war. Jetzt nähert sich die Krankheit sehr dem Ende. Indessen ist sie mir, gering gerechnet, funfzig Ducaten Schade. Ich bitte, dass drey heilige Messen zu Loretto bey dem heiligen Kindel, und drey dito in Bergl bey dem heil. Franz de Paula gelesen werden mögen. – – – – –


(Leopold M. Brief No. 5.)


Wien, 6. November 1762.


Die Gefahr meines Woferls und meine Angst sind, Gottlob! überstanden. Gestern haben wir unsern guten Arzt mit einer Musik bezahlt. Einige Herrschaften haben indess zu uns geschickt, um sich nach Wolfgangerl zu erkundigen und ihm zum Namenstage Glück zu wünschen. Das war aber auch Alles; nämlich der Graf Ferdinand Harrach, Graf Palffy, der französische Botschafter, Gräfin Kinsky,[26] Baron Prohmann, Baron Kurz, Gräfin Paar. Wäre er nicht schon bald vierzehn Tage zu Hause gewesen, so würde es nicht ohne Geschenke abgegangen seyn. Jetzt müssen wir sehen, dass die Sache wieder in ihren Gang kommt, der rechtschaffen gut war.– – – –


(Leopold M. Brief No. 6.)


Wien, 10. November 1762.


– – – – – Beyliegende Reime wurden mir in dem Concerte, das gestern bey der Marquisin Pacheco war, von dem Grafen Collalto überreicht; ein gewisser Puffendorf hat sie bey Anhörung meines Buben niedergeschrieben.


Auf den kleinen sechsjährigen Clavieristen aus Salzburg.

Wien, den 25. December 1762.


Ingenium coeleste suis velocius annis

Surgit, et ingratae fert male damna morae.


OVIDIUS.


Bewund'rungswerthes Kind, dess Fertigkeit man preis't,

Und Dich den kleinsten, doch den grössten Spieler heisst,

Die Tonkunst hat für Dich nicht weiter viel Beschwerden:

Du kannst in kurzer Zeit der grösste Meister werden;

Nur wünsch' ich, dass Dein Leib der Seele Kraft aussteh',

Und nicht, wie Lübeck's Kind3, zu früh zu Grabe geh'.


[27] (Leopold M. Brief No. 7.)


Wien, den 24. November 1762.


– – – – Wir müssen mit Geduld abwarten, unsere Sachen in den guten alten Gang bringen zu können. Es fürchtet sich nämlich die hiesige Noblesse sehr vor Blattern und allen Gattungen des Ausschlags, Folglich hat uns die Krankheit des Buben fast vier Wochen zurückgeschlagen. Denn, obwohl wir, seitdem er gesund ist, 21 Ducaten eingenommen haben, so ist's doch nur eine Kleinigkeit, weil unsere Ausgaben täglich nicht unter einem Ducaten zu bestreiten sind. Unterdessen leben wir sonst guten Muthes. Die Gräfin Theresia Lodron hat uns mit ihrer Loge bedient, und meinem Woferl Schuhschnallen verehrt, die goldne Platten haben. Am Elisabethtage haben wir die Gallatafel gesehen. Die Ehren und Gnaden, die uns da von der Noblesse widerfahren sind, waren ausnehmend, und es kann Ihnen genügen, zu wissen, dass die Kaiserin mich von der Tafel weg angerufen, ob der Bube nun recht gesund sey. Bey dem Capellmeister Reitter und Herrn v. Wohlau sind wir für immer eingeladen; allein es möchte der Gesundheit meiner Kinder schädlich seyn, oft davon zu profitiren. – – –


(Leopold M. Brief No. 8.)


Wien, den 29. December 1762.


– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wir sind von einer Reise nach Pressburg zurück, die wir am 11. angetreten hatten. Da die Gräfin Leopold Kinsky täglich sich nach uns hatte erkundigen lassen, so eilte ich bald zu ihr. Sie hatte mit[28] Schmerzen auf uns gewartet, und eine Tafel verschoben, die sie dem Feldmarschall Daun geben wollte, der uns zu kennen wünschte. Diese Tafel ist gegeben, und am Freytage kehre ich zu Ihnen zurück.


Eine verehrungswürdige Dame, die damals am Hofe war, versicherte mich (schreibt Professor Niemtscheck), dass beyde Kinder ein allgemeines Erstaunen erregt haben; man konnte kaum seinen Augen und Ohren trauen, wenn sie sich producirten. Vorzüglich hat der verewigte Schätzer der Künste, Kaiser Franz I., an dem kleinen Hexenmeister (wie er ihn scherzweise nannte) viel Wohlgefallen gefunden. Er unterhielt sich vielmal mit ihm.

Kaiser Franz sagte unter andern im Scherze zu dem Sohne: »es sey keine Kunst, mit allen Fingern zu spielen; aber nur mit einem Finger und auf einem verdeckten Claviere zu spielen, das würde erst Bewunderung verdienen.« Anstatt durch diese unerwartete Zumuthung betroffen zu werden, spielte der Kleine sogleich mit einem Finger so nett, als es möglich ist; liess sich auch die Claviatur bedecken, und spielte dann mit solcher bewunderungswürdigen Fertigkeit, als wenn er es schon lange geübt hätte. Das Lob der Grossen machte schon als Kind keinen solchen Eindruck auf ihn, um darauf stolz zu werden. Schon in seinen damaligen Jahren spielte er nichts als Tändeleyen und Tänze, wenn er sich vor Personen musste hören lassen, die nichts von Musik verstanden.

Er zeigte hier schon immer des Künstlers Selbstgefühl und war von Ruhmredigkeit und Verlegenheit[29] gleich weit entfernt. Hingegen war er allezeit ganz Feuer und Aufmerksamkeit, wenn Kenner zugegen waren; desshalb musste man ihn oft hintergehen und seine vornehmen Zuhörer für Kunstverständige ausgeben. Als sich der sechsjährige Knabe beym Kaiser Franz I. an das Clavier setzte, und er vielleicht merkte, dass er von lauter Hofleuten umgeben wäre, die er nicht für Kenner kannte oder hielt, sagte er zu dem Kaiser: »Ist Herr Wagenseil nicht hier? Der soll herkommen; der versteht es.« Der Kaiser liess darauf Wagenseil an seine Stelle ans Clavier treten, zu dem nun der kleine Mozart sagte: »Ich spiele ein Concert von Ihnen; Sie müssen mir umwenden.4

Von dieser Reise hat man noch folgende Anekdote. Als der Knabe einst bey der Kaiserin war, führten ihn zwey der Erzherzoginnen, unter welchen[30] die nachmalige unglückliche Königin von Frankreich, Antoinette, war, herum. Er fiel auf den, ihm ungewohnten, geglätteten Fussboden. Die eine der Prinzessinnen machte sich nichts daraus; die andere, Marie Antoinette, hob ihn auf und that ihm gütig. Er sagte zu ihr: »Sie sind brav; ich will Sie heirathen.« Sie erzählte das der Mutter, und als diese den Wolfgang fragte, wie ihm dieser Entschluss käme, antwortete er: »Aus Dankbarkeit; sie war gut gegen mich, während ihre Schwester sich um nichts bekümmerte.«

Bis jetzt hatte Mozart bloss das Clavier gespielt, und es schien, als wenn man bey der beyspiellosen Fertigkeit, mit welcher er für seine Jahre dieses Instrument behandelte, an einen Knaben keine Forderung, auch andere Instrumente zu spielen, wagen dürfe. Aber der Geist der Harmonieen, der in seiner Seele wohnte, kam allen Erwartungen und allem, Unterrichte bey weitem zuvor. Er hatte aus Wien eine kleine Geige mitgebracht, die er dort geschenkt bekommen hatte, und auf der er, wider Wissen des Vaters, Fortschritte gemacht hatte. Kurz darauf, als die Familie wieder nach Salzburg zurückgekehrt war, kam Wenzl, ein geschickter Geiger und ein Anfänger in der Composition, zu dem Vater Mozart und bat sich dessen Erinnerungen über sechs Trio's aus, die er während der Abwesenheit der Mozart'schen Familie gesetzt hatte.

Schachtner, ein zur selbigen Zeit lebender Hof-Trompeter in Salzburg, den der kleine Mozart besonders[31] liebte, war eben gegenwärtig. »Der Vater,« so erzählt dieser glaubwürdige Augenzeuge, »spielte mit der Viola den Bass, Wenzl die erste Violine, und ich sollte die zweyte spielen. Der kleine Wolfgang bat, dass er doch die zweyte Violine spielen dürfe. Aber der Vater verwies ihm seine kindische Bitte, weil er noch keine Anweisung auf der Violine gehabt hätte und unmöglich etwas Gutes vorbringen könnte. Der Kleine erwiederte: dass, um die zweyte Violine zu spielen, man es ja wohl nicht erst gelernt zu haben brauche; aber sein Vater hiess ihn halb unwillig fortgehen, damit er uns nicht weiter störe. Hierauf fing der Knabe bitterlich zu weinen an und lief mit seiner kleinen Geige davon. Ich bat, man möchte ihn doch mit mir spielen lassen. Endlich willigte der Vater ein und sagte zu Wolfgang: Nun, so geige mit Herrn Schachtner, aber so stille, dass man Dich nicht hört; sonst musst Du gleich fort. Wir spielten, und der kleine Mozart geigte mit mir. Aber bald bemerkte ich mit Erstaunen, dass ich da ganz übrig sey. Ich legte still meine Geige weg und sah den Vater dazu an, dem bey dieser Scene Thränen der gerührten und bewundernden Zärtlichkeit aus den väterlichen Augen über die Wangen rollten. Wolfgang spielte so alle sechs Trio's mit Präcision und Nettigkeit durch. Nach Endigung derselben wurde er durch unsern Beyfall so kühn, dass er behauptete, auch die erste Violine spielen zu können. Wir machten zum Scherz einen Versuch und mussten herzlich lachen, als er auch diese, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmässigen Applicaturen,[32] spielte; doch aber so, dass er wenigstens nie ganz stecken blieb.«

Von nun an zeigte es sich auch, dass das ganze innere Seyn, die eigentliche Individualität des Knaben, der Musik hingegeben und nur durch sie vorhanden war; denn nur Musik beschäftigte ihn, nur Musik war das Mittel, wodurch die Seele im Körper sich kund that. Auch ist es schon aus dieser Periode höchst bemerkenswerth und giebt uns über den Charakter aller seiner Werke einen so höchst befriedigenden Aufschluss, dass seinem Gehöre jeder Missklang, ja sogar schon jeder rauhe, falsche, durch Zusammenstimmung nicht gemilderte Ton ihn unwillkürlich auf die Folter spannte. Die Zartheit seines Gehörs muss ausserordentlich gewesen seyn! Finden wir die Wirkung von diesem, nur für das Schöne der Kunst empfänglichen, Gemüthe nicht in allen Werken Mozarts wieder? Herrscht nicht, trotz der gewohnten Vollstimmigkeit, in jedem Takte derselben eine Klarheit, eine Lieblichkeit, die selbst in ihren kühnsten Uebergängen und Fortschreitungen auch dem ungebildetsten musikalischen Sinne zur Wohllust wird? Bewirkt nicht eben diese klare Verständlichkeit der Mozart'schen Werke, dass sie sämmtlich ohne Ausnahme aufgeführt, gesungen und von Jedermann mit gleichem Entzücken genossen werden?

In dieser Periode der Kindheit und fast bis in das zehnte Jahr hatte Mozart eine unbezwingliche Apathie gegen die Trompete, besonders wenn sie allein geblasen wurde, und es wirkte oft schon feindlich auf ihn, wenn man ihm ein solches Instrument[33] nur vorhielt. Sein Vater wollte ihm diese kindische Furcht benehmen und befahl einmal, dass man, trotz seiner Bitten, auf ihn zu bliese. Aber gleich beym ersten Stosse wurde er bleich und sank zur Erde, und leicht hätte ihm etwas Aergeres widerfahren können, wenn man das Schmettern nicht unterlassen hätte. Um diese Zeit spielte er einmal auf der Geige Schachtners, dieses schon erwähnten Freundes des Mozart'schen Hauses, und lobte sie sehr wegen ihres sanften Tones, wesswegen er sie auch immer nur die Buttergeige nannte. Einige Tage darauf traf Jener den kleinen Mozart an, als er sich eben auf seiner eigenen Geige unterhielt. Was macht Ihre Buttergeige? fragte er ihn sogleich und fuhr dann in seiner Phantasie fort. Endlich dachte er eine kleine Weile nach und sagte dann zu Schachtner: »Wenn Sie Ihre Geige doch so gestimmt liessen, wie sie war, als ich das letzte Mal darauf spielte; sie ist um einen halben Viertelton tiefer, als meine da.« Man lachte über diese genaue Angabe in einer Sache, wo das geübteste Kennerohr kaum einen Unterschied zu bemerken im Stande ist; aber der Vater, der schon mehrere Proben von dem ausserordentlich zarten Tongefühl und von dem Gedächtnisse dieses Kindes hatte, liess die Geige holen und zum allgemeinen Erstaunen traf die Angabe zu.

Ungeachtet er täglich neue Beweise von dem Erstaunen und der Bewunderung der Menschen über seine grossen Anlagen und seine Geschicklichkeit erhielt, so machten ihn diese durchaus nicht selbstsüchtig, stolz oder eigensinnig, sondern er war ein überaus folgsames und gefälliges Kind.[34]

Mozart hatte eine so zärtliche Liebe zu seinen Eltern, besonders zu seinem Vater, dass er eine Melodie componirte, die er täglich vor dem Schlafengehen sang, wozu ihn sein Vater auf einen Sessel stellen und immer die Secunde dazu singen musste. Wenn diese Feyerlichkeit vorbey war, welche keinen Tag unterlassen werden durfte, küsste er dem Vater noch ein Mal mit innigster Zartlichkeit die Nasenspitze und sagte oft: wenn der Vater alt wäre, würde er ihn in einer Kapsel, vorn mit einem Glase, vor aller Luft bewahren, um ihn immer bey sich und in Ehren zu halten. Auch während des Singens küsste er bisweilen die Nasenspitze des Vaters, und legte sich dann mit voller Zufriedenheit und Ruhe zu Bette. Dieses trieb er bis in sein zehntes Jahr. Die Worte waren ohngefähr: oragna figata fa marina gamina fa.


2. Reise des Vaters mit den beyden Kindern nach Wien

Eine Redensart, die er häufig brauchte, war die: Nach Gott kömmt gleich der Papa. Wahrscheinlich war diess nicht allein Ausdruck von Liebe, sondern auch von Bewunderung, weil er wusste, dass der kluge Vater für Alles Rath schaffte.

Niemals bezeigte er sich unzufrieden über einen Befehl seines Vaters, und wenn er sich gleich den ganzen Tag hindurch hatte hören lassen müssen, so spielte er doch noch Jedem ohne Unwillen vor, so[35] bald es sein Vater wollte. Nie hat er sinnliche Strafen verdient. Jeden Wink seiner Eltern verstand und befolgte er, und er trieb die Anhänglichkeit an sie so weit, dass er sich nicht einmal getrauete, ohne Erlaubniss derselben auch nur das Geringste zu essen oder anzunehmen, wenn ihm Jemand etwas bot.

Auch war er für seinen zarten Körperbau vielleicht zu fleissig. Man musste ihn oft mit Ernst von dem Claviere treiben. Diese Vergessenheit seiner selbst blieb ihm bis an sein Ende eigen. Täglich spielte und phantasirte er am Fortepiano, wesshalb man hier behaupten kann, dass das Genie seinen Gegenstand immer allmächtig mit ganzer Seele umfasste.

Am 9. Jun. 1763, also im siebenten Jahre seines Alters, als Mozart nicht allein Blüthen, sondern auch schon Früchte zeigte, machte die Mozart'sche Familie die erste grosse Reise ausser Deutschland, wodurch nun der Ruhm dieses frühen Künstlers sich allgemein verbreitete.

Fußnoten

1 Ein berühmter, eine kleine Stunde von der Stadt entlegener Wallfahrtsort.


2 d.h. Wolfgang.


3 Dieses Wunder von einem gelehrten Kinde, welches ganz Deutschland von sich reden gemacht, und in seinem sechsten Jahre viele Sprachen und Wissenschaften in seiner Gewalt hatte, starb nach etlichen Jahren, und bewies leider mit seinem Beyspiele den Grundsatz: Fructus esse idem diuturnus ac praecox nequit.

Puffendorf.


4 Zu dieser Anekdote lässt sich folgende, freylich in eine viel spätere Zeit gehörende, anführen. Mozarts Gattin hatte einen Hund, der ihr sehr zugethan war. Auf einem Spaziergange im Augarten scherzten sie vor dem treuen Thiere, und sie sagte: »Thue nur, als wenn Du mich schlügest.« Als Mozart diess that, trat der menschenfreundliche Kaiser Joseph aus seinem Sommerhause: Ey, ey, drey Wochen erst verheirathet, und schon Schläge!« Mozart erzählte den Zusammenhang und der Kaiser lachte. In der Unterredung, die er fortsetzte, fragte er Mozarten:

»Erinnern Sie sich noch der Anekdote mit Wagenseil? und wie ich Violine spielte und Sie unter den Zuhörern im Vorzimmer bald Pfui, das war falsch! bald Bravo riefen?«

Ein ander Mal (1785), als viel von der unglücklichen Heirath der Madame Lang (Schwester der Mozart) öffentliche Rede war, und der Kaiser der Mozart begegnete, sagte er zu ihr: »Was für ein Unterschied ist's, einen liebenden Mann zu haben!« –

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Biographie W.A. Mozart's. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991].
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