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[147] Paris 24. März 1778.
Gestern Montag den 23. Nachmittag um 4 Uhr sind wir Gott Lob und Dank glücklich hier angekommen; wir sind also 9 Tage und 1/2 auf der Reise gewesen. Wir haben geglaubt wir können es nicht aushalten, ich habe mich mein Lebetag niemals so ennuyirt. Sie können sich leicht vorstellen, was das ist, wenn man von Mannheim und von so vielen lieben und guten Freunden wegreiset und dann zehnthalb Tage nicht allein ohne diese gute Freunde, sondern ohne Menschen, ohne eine einzige Seele, mit der man umgehen oder reden könnte, leben muß. Nun sind wir Gott Lob und Dank an Ort und End. Ich hoffe mit der Hülfe Gottes wird alles gut gehen. Heute werden wir einen Fiacre nehmen und Grimm und Wendling aufsuchen. Morgen früh werde ich aber zum churpfälzischen Minister Hr. v. Sickingen (welcher ein großer Kenner und passionirter Liebhaber von der Musik ist und an den ich 2 Briefe von Hr. v. Gemmingen und Mr. Cannabich habe) gehen. Ich hab vor meiner Abreise zu Mannheim dem Hrn. v. Gemmingen [Verfasser des deutschen Hausvaters] das Quartett, welches ich zu Lodi Abends im Wirthshaus gemacht habe, und das Quintett und die Variationen von Fischer abschreiben lassen. Er schrieb mir dann ein besonders höfliches Billet, bezeugte sein Vergnügen über das Andenken, so ich ihm hinterlasse, und schickte mir einen Brief an seinen sehr guten Freund Hr. v. Sickingen, mit den Worten: »Ich bin versichert daß Sie mehr Empfehlung für den Brief sein werden, als er es für Sie sein kann.« – Und um die Schreibkosten zu ersetzen, schickte er mir 3 Louisdor. Er versicherte mich seiner Freundschaft und bat mich um die meinige. Ich muß sagen, daß alle Cavaliere, die mich kannten, Hofräthe[147] Kammerräthe, andere ehrliche Leute und die ganze Hofmusik sehr unwillig und betrübt über meine Abreise waren. Das ist gewiß wahr.
Samstag den 14. reisten wir ab und Donnerstag vorher war noch eine Academie Nachmittags bey Cannabich, allwo mein Concert auf 3 Claviere gespielt wurde. Mademoiselle Rosl Cannabich spielte das erste, Mademoiselle Weber das zweite und Mademoiselle Pierron Serrarius, unsere Hausnymphe, das dritte. Wir haben drei Proben gemacht, und es ist recht gut gegangen. Die Mademoiselle Weber hat 3 Arien von mir gesungen, die Aer tranquillo vom Rè pastore39 und die neue Non sò d'onde viene. Mit dieser letzten hat meine liebe Weberin sich und mir unbeschreiblich Ehre gemacht. Alle haben gesagt, daß sie noch keine Arie so gerührt habe wie diese. Sie hat sie aber auch gesungen, wie man sie singen soll. Cannabich hat, gleich wie die Arie aus war, geschrieen:Bravo, bravissimo maestro, veramente scritta da maestro! – Hier habe ich sie das erstemal mit den Instrumenten gehört. Ich wollte wünschen, Sie hätten sie auch gehört, aber so wie sie da producirt und gesungen wurde, mit dieser Accuratesse im Gusto, piano und forte. Wer weiß, vielleicht hören Sie sie doch noch – ich hoffe es. Der Orchester hat nicht aufgehört, die Arie zu loben und davon zu sprechen.
Ich hab sehr viele gute Freunde zu Mannheim (und ansehnliche – vermögende –), die sehr wünschten mich dort zu haben. Je nun, wo man gut zahlt, da bin ich. Wer weiß, vielleicht geschieht es. Ich wünsche es, und mir ist auch immer so – ich habe immer noch Hoffnung. Der Cannabich ist ein ehrlicher braver Mann und mein sehr guter Freund. Nur den Fehler hat er, daß er, obwohl er nicht mehr gar jung, ein wenig flüchtig und zerstreut ist. Wenn man nicht immer an ihm ist, so vergißt er auf Alles. Aber wenn von einem guten Freund die Rede, so spricht er wie ein Vieh und nimmt sich gewaltig an; und das gibt aus,[148] denn er hat Credit. Übrigens aber von höflicher Dankbarkeit kann ich nichts sagen, sondern muß bekennen, daß die Weberischen ungeachtet ihrer Armuth und Unvermögen und obwohl ich ihnen nicht so viel gethan habe, sich mehr dankbar bezeigt haben. Denn die Mad. und Mr. Cannabich haben kein Wort zu mir gesagt, will nicht sagen von einem kleinen Andenken, wenns auch eine Bagatelle wäre, nur um ein gutes Herz zu zeigen; so aber gar nichts und nicht einmal »Bedank mich«, wo ich doch wegen ihrer Tochter soviel Zeit verloren und mich so bemühet habe. Sie kann sich auch jetzt überall ganz gewiß hören lassen; als ein Frauenzimmer von 14 Jahren und Dilettantin spielt sie ganz gut, und das hat man mir zu danken, das weiß ganz Mannheim. Sie hat jetzt Gusto, Triller, Tempo und bessere Applicatur, welches sie vorher nicht gehabt hat. So in 3 Monaten werde ich ihnen stark abgehen – denn ich fürchte, sie wird wieder verdorben und sich selbst verderben; denn wenn sie nicht immer einen Meister der es recht versteht um sich hat, so ist es umsonst; denn sie ist noch zu kindisch und flüchtig, um mit Ernst sich allein nutzbar zu exerciren.40
Die Weberin hat aus gutem Herzen 2 paar Tätzeln von Filet gestrickt und mir zum Angedenken und zu einer schwachen Erkenntlichkeit verehrt. Er hat mir, was ich gebraucht habe, umsonst abgeschrieben und Notenpapier gegeben, und hat mir die Comödien von Moliere (weil er gewußt hat, daß ich sie noch niemals gelesen) geschenkt, mit der Inschrift: Ricevi, Amico, le opere de Moliere in segno di gratitudine e qualce volta ricordati di me. Und wie er bei meiner Mama allein war, sagte er: »Jetzt reist halt unser bester Freund weg, unser Wohlthäter. Ja das ist gewiß, wenn Ihr Hr. Sohn nicht gewesen wäre, der hat wohl meiner Tochter viel gethan und sich um sie angenommen. Sie kann ihm auch nicht genug dankbar sein.«41 – Den Tag,[149] ehe ich weggereist bin, haben sie mich noch beim Abendessen haben wollen. Doch habe ich ihnen 2 Stunden bis zum Abendessen noch schenken müssen. Da haben sie nicht aufgehört sich zu bedanken: sie wollten nur wünschen, sie wären im Stande, mir ihre Erkenntlichkeit zu zeigen. Wie ich wegging, so weinten sie alle. Ich bitte um Verzeihung, aber mir kommen die Thränen in die Augen wenn ich daran denke. Er ging mit mir die Treppe hinab, blieb unter der Hausthüre stehen, bis ich ums Eck herum war, und rief mir noch nach: Adieu. – –
In Paris gab es nun sogleich alle Hände voll zu thun, sodaß die Liebesgedanken eine Weile in den Hintergrund geschoben wurden; Compositionen für das Concert spirituel, fürs Theater und für Dilettanten, sowie Scolaren und Besuche bei hohen Herrschaften. »Der Wolfgang ist hier wieder so berühmt und beliebt, daß es nicht zu beschreiben ist«, berichtet die Mutter. »Der Herr Wendling hat ihn in großen Credit, schon ehe er ankam, gesetzt und jetzt hat er ihn bei seinen Freunden aufgeführt. – Bei Noverre [dem berühmten Balletmeister] kann er auch täglich speisen, wie auch bei der Mad. D'Epinay« [Grimms wohlbekannter Freundin]. Sie selbst sah ihn den ganzen Tag nicht, weil er der Enge des Zimmers wegen auswärts, beim Director Le Gros, componiren mußte. Sie hatte dem Vater nach Frauen Art von der Composition eines Miserere geschrieben. Wolfgang fährt also erläuternd fort:
39 | Ein Festspiel, das Mozart im Jahre 1775 zu Ehren der Anwesenheit des Erzherzogs Maximilian Franz in Salzburg componirt hatte. |
40 | Rosa Cannabich ward in der That eine namhafte Virtuosin. C.L. Junker verzeichnet sie sogar in seinem Musikalischen Almanach auf das Jahr 1783, S. 27 unter den hervorragenden lebenden Künstlern. |
41 | Es ist bekannt, daß Aloysia Weber später als Mad. Lange eine berühmte Sängerin wurde. Wir werden ihr in den Wiener Briefen wieder begegnen. |
Ausgewählte Ausgaben von
Mozarts Briefe
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