Siebenter Abschnitt.

»Don Juan.«

1787.

»Todesahnung wirft einen schwarzen Schatten in sein Leben.«


Wir haben von dem endlosen Jubel berichtet, mit dem Mozart in Prag empfangen und bei jeder Aeußerung seines Könnens von neuem überschüttet wurde. In der Tat fühlte er sich damals auf der Höhe seines Lebens. Alle bisherigen Erfolge glichen nicht diesem einen, in dem die bewundernde Erregung einer echt musikalischen Stadt sich zu einem mächtigen Strome sammelte, der brausend alles in sich verschlang. Ein nicht endenwollendes Beifallsrufen des Publikums, das sich in seinen besten Teilen ergriffen und über sich selbst hinaus, ja wahrhaft zum Höchsten erhoben fühlte, hatte den noch immer jugendlichen Meister, nachdem er bereits den ganzen Abend gespielt, dreimal hintereinander an das Instrument gerufen, aus dem die entzückenden Töne sich ergossen, und jedesmal spielte er mit steigender Begeisterung, sein Geist schwang sich auf, seine Seele entzündete sich zum höchsten Können, helles Licht strahlte vor seinem Geiste, und immer mehr spannte sich seine Phantasie zur Erzeugung der herrlichsten Bilder an. Da mit einem Male, als er in diesem Gefühle höchsten Könnens sich dem Ewigen wie leibhaftig nahe gerückt fühlte, erbleichte er in seiner Seele, das Bild des Todes trat vor ihn hin, und schaudernd kehrte er in sein Inneres zurück: er hatte den Anfang und das Ende der Dinge geschaut.

Von dieser Zeit an sehen wir ihn mehr, als sich mit seinem Wesen zu vertragen scheint, nachdenklich und mit den Vorstellungen von der Endlichkeit der Dinge beschäftigt. Zwar hört er nicht auf, sich nach wie vor frisch zum Leben zu bekennen. Hatte[383] er doch auch jetzt weniger als je zuvor mit materieller Not zu kämpfen. Der Prager Aufenthalt hatte ihm neben der Ehre reichlichen Gewinn und die belebende Aussicht auf neuen Ruhm und neuen Gewinn gebracht. Und dennoch bleibt seine Seele, nachdem er im Februar nach Wien zurückgekehrt und sofort mit seinem Freunde da Ponte an das neue Werk gegangen war, von dem Schleier eines tiefen Ernstes umhüllt, der aus den äußeren Umständen seines damaligen Lebens nicht zu erklären ist. Denn auch die Mißgunst seiner Feinde und der Mangel an Anerkennung war ja durch die Prager Erfahrungen zehnfach aufgewogen. Zwar aus den Versen, die ihm der berühmte Bassist Fischer damals in das Stammbuch schrieb:


»Dort singen Lippen Honig,

Wo doch des Neides Feuer glimmt«,


und aus denen seines Salzburger Jugendfreundes, des Arztes Barisani: »Deine Kunst, um welche dich der welsche Componist beneidt und wie er kann und mag, verfolgt,« – erfahren wir, wie sehr er selbst und seine Freunde ihn von den Italienern zurückgedrängt glaubten. In der That war damals in Wien alles voll von Martins »Cosa rara«, und sogar auf dem Gebiete der deutschen Oper stellte Dittersdorf's drastisch-komischer »Doktor und Apotheker« selbst die »Entführung« für einige Zeit in Schatten. Allein sicher war es etwas ganz anderes, tiefer Gehendes, was Mozarts Seele damals so umfing, daß er am 4. April 1787 einen Brief an den Vater schreiben konnte, wie den folgenden. Er wußte jetzt, was der Tod bedeute, und suchte in seinem Innersten nach einem Verständnis dieser neuen Erfahrung:


»Diesen Augenblick höre ich eine Nachricht, die mich sehr niederschlägt, – umsomehr als ich aus Ihrem Letzten vermuthen konnte, daß Sie sich Gott Lob recht wohl befänden. – Nun höre ich aber, daß Sie wirklich krank seyen! Wie sehnlich ich einer tröstenden Nachricht von Ihnen selbst entgegen sehe, brauche ich[384] Ihnen doch wohl nicht zu sagen und ich hoffe es auch gewiß, – obwohlen ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, mir immer von allen Dingen das Schlimmste vorzustellen. Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unsers Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit (Sie verstehen mich) zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht (so jung als ich bin) den andern Tag nicht mehr seyn werde; und es wird doch kein Mensch von Allen, die mich kennen, sagen können, daß ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre; und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen jedem meiner Mitmenschen. Ich habe Ihnen in dem Briefe, so die Storace eingepackt, schon über diesen Punkt bey Gelegenheit des traurigen Todfalles meines liebsten, besten Freundes, Grafen von Hatzfeld, meine Denkungsart erklärt – er war eben 31 Jahre alt, wie ich – ich bedaure ihn nicht – aber wohl herzlich mich und alle die, welche ihn so genau kannten wie ich. Ich hoffe und wünsche, daß Sie sich während ich dieses schreibe, besser befinden werden; sollten Sie aber wider alles Vermuten nicht besser seyn, so bitte ich Sie bey (Freimaurerzeichen) ... mir es nicht zu verhehlen, sondern mir die reine Wahrheit zu schreiben oder schreiben zu lassen, damit ich so geschwind als menschenmöglich ist, in Ihren Armen seyn kann; ich beschwöre Sie bey Allem, was – uns heilig ist. Doch hoffe ich bald einen trostreichen Brief von Ihnen zu erhalten, und in dieser angenehmen Hoffnung küsse ich Ihnen sammt meinem Weibe und dem Carl 1000 Mal die Hände und bin ewig

Ihr gehorsamster Sohn W.A. Mozart.«[385]


Er war gefaßt auf alles, was ihm das Leben noch bringen konnte. Und wenn auch gerade in dieser Zeit die Wolke der trübsten Melancholie zuweilen seine Seele umdämmerte, – in lieblichstem Glanze, ja um so unendlich heller brach dann die Sonne der Freude wieder aus dem Schleier hervor, und wohl nirgend schöner als in dem reizenden Andante in A-moll an der Stelle, wo aus dem Nebeldufte der leisen Wehmut, die über dem Ganzen liegt, das Dur hervortritt. Dieses allbekannte Klavierrondo wurde wenig Wochen vor jenem Briefe geschrieben.

Aber jetzt kam ein jäher Schmerz über seine Seele. Der geliebte Vater starb wirklich und zwar, nachdem er sich nochmals auf kurze Zeit erholt hatte. Ein rascher Tod endete am 28. Mai sein opferreiches Leben, das 67 Jahre gewährt hatte. »Ich benachrichtige Sie«, schreibt Mozart an seinen Freund Jacquin, »daß ich heute als ich nach Haus kam, die traurige Nachricht von dem Tode meines besten Vaters bekam. – Sie können sich meine Lage vorstellen!« Freilich war er nicht ganz ohne Sorgen gewesen. Das Quintett inG-moll, das am 16. Mai fertig geworden, verrät man ches von den tiefen Bewegungen seiner Seele, es steht sogar mit seinem Sturme leidenschaftlichen Schmerzes, mit seinem Ausdruck innerer Verzweiflung fast einzig unter Mozarts Werken da. Allein dieser Trauerfall kam ihm doch wie ein Gewitterschlag. Wir wissen übrigens, daß Mozarts Schaffen im allgemeinen unabhängig von seinen Gemütsstimmungen war, und es zeugt von einer Harmonie des Innern, wie sie nur aus dem Ahnen von dem tieferen Zusammenhang der Dinge, aus der stillen Ergebung in das ewige Walten fließen kann, daß Mozart bereits im April bei aller Mißstimmung seines Inneren eine Komposition zu schreiben vermochte, wie das glückselig spielende Quintett in C-dur. Ist es schon von Natur des Künstlers Gabe, durch die Tätigkeit der schaffenden Phantasie die »Schrecken des Lebens« zu überwinden, so kam bei Mozart jetzt noch jene tief innerliche Art dazu, wie er dem Sinn des[386] Lebens nachforschte und so wirklich zur schönsten Versöhnung und inneren Freiheit gelangte.

Wie fleißig er jetzt schon am »Don Juan« arbeitete, erfahren wir nicht. Aber sicher war schon sehr vieles fertig, wenigstens in seinem Kopfe, als er im September nach Prag kam. Wenig Tage vorher war jener Dr. Barisani, der ihn zwei Jahre vorher an einem tödlichen Fieber behandelt und auch sonst das aufmerksamste Auge auf seine Gesundheit hatte, unvermutet und sehr jung gestorben. Mozart schrieb unter die Verse dieses Freundes in sein Stammbuch: »Heute am 3. September dieses nehmlichen Jahres war ich so unglücklich diesen edlen Mann, liebsten, besten Freund und Erretter meines Lebens ganz unvermuthet durch den Tod zu verlieren. – Ihm ist wohl! – aber mir – uns – und Allen die ihn genau kannten – uns wird es nimmer wohl werden – bis wir so glücklich sind ihn in einer bessern Welt – wieder – und auf nimmer scheiden – zu sehen.« Wie lebten in Mozarts Seele die Ideen der Unsterblichkeit, die jene ganze Zeit erfüllten und ihm nach Maurergrundsätzen auch dem Tode des Vaters gegenüber innere Zuversicht und Ruhe gaben!

Jetzt war all sein Sinnen und Denken auf die neue Oper gerichtet. Dieser Gegenstand hatte ihn im Innersten erfaßt. Zwar war es diesmal da Ponte, der den Stoff entdeckt hatte. Wenigstens erzählt er selbst, daß er, der wohl erkannt, wie das Unermeßliche von Mozarts Genie ein vielseitiges und erhabenes Gedicht verlange, ihm den »Don Juan« vorgeschlagen habe. Ob er wohl ahnte, welche Bedeutung in dieser Wahl lag? Ihn bestimmten gewiß nur die Fülle von lebendigen Scenen, die der Geist der romanischen Völker um diesen Liebesheroen geschart hatte, und das heitere, frische Sinnenleben, ja die Frivolität, die seinem eigenen Wesen nicht fehlte. Allein Mozart, mit dem Blick des Genius, erkannte sogleich, was ihm hier geboten wurde. Und mag nun da Ponte in seinen Memoiren mit »ergötzlichem[387] Renommiren« berichten, wie er den Text verfertigt, – gewiß hat an dem Geist, der darin weht, ja auch an manchem Einzelnen der Gestaltung wie gewöhnlich Mozart selbst bedeutsamen Anteil. Da Ponte hatte damals übernommen, zu gleicher Zeit ein Gedicht für Salieri, eins für Martin und eins für Mozart zu schreiben. Erstaunt stellte ihm Kaiser Joseph vor, daß er damit nicht durchkommen werde. »Vielleicht nicht«, antwortete da Ponte, »aber ich werde es versuchen. Nachts werde ich für Mozart schreiben und rechne auf Dantes Hölle; morgens für Martin und lese den Petrarca; abends für Salieri, und Tasso wird mir nahe sein.« Darauf habe er sich an die Arbeit gemacht, eine Flasche Tokaier und eine Dose mit Tabak aus Sevilla vor sich, die schöne sechzehnjährige Tochter seiner Wirtin, von der viel geredet wird, als begeisternde Muse neben sich, habe den ersten Tag die ersten Szenen des »Don Juan«, zwei Szenen zum »Baum der Diana« und mehr als die Hälfte des ersten Akts vom »Tarare« geschrieben und in 63 Tagen die beiden ersten Opern ganz, die letzte zu zwei Dritteln vollendet.

Anders sicher machte es Mozart. Nichts von Wein und nichts von Mädchen! – Die Kunst war die Muse, die ihn begeisterte, und besonders erquicklich waren seine Zustände in diesem Sommer nicht. Als er dann aber nach Prag kam, um im Beisein der Sänger selbst die Oper zu vollenden, umfloß ihn wieder das heitere Leben seiner Freunde, und die Bewunderung der Renner gab seiner Phantasie den höchsten Schwung. »Unter seinen Freunden war er dann vertraulich wie ein Kind«, erzählt Niemtschek, »voll munterer Laune, diese ergoß sich dann in den drolligsten Einfällen. Mit Vergnügen denken seine Freunde in Prag an die schönen Stunden, die sie in seiner Gesellschaft verlebten; sie können sein gutes, argloses Herz nie genug rühmen; man vergaß in seiner Gesellschaft ganz, daß man Mozart den bewunderten Künstler vor sich habe.« Und wie arbeitete nun dieser! – Wo er ging und stand, waren seine Gedanken bei der Komposition,[388] und in jeder Situation vermochte er auch seine Sachen niederzuschreiben. Auch mag er in dieser Zeit, wo ihn den Tag über so manches Geschäft und so manches Vergnügen in Anspruch nahm, mehr als je auch die Nacht zum Schreiben verwendet haben. Wird doch bereits bei »Figaros Hochzeit« berichtet, daß er das zweite Finale in zwei Nächten und einem Tag geschrieben habe; während der Zeit habe er ununterbrochen gearbeitet, im Laufe der zweiten Nacht sei er von einem Unwohlsein ergriffen worden, das ihn aufzuhören zwang, als nur noch wenige Seiten zu instrumentieren waren. Sicherlich hatte er sich auch jetzt wieder Zeit zum Niederschreiben gelassen. Lag ihm doch daran, so lange wie möglich die Macht über seine Kompositionen zu behalten, und das ging nur, solange sie bloß in seinem Kopfe lebten. Standen sie erst auf dem Papiere, so änderte er nichts mehr. So mochte ihn auch jetzt die Zeit wie sein eigener Geist drängen, manchmal bis zur vollen Erschöpfung zu schreiben, und diese Momente waren es, wo er inmitten der höchsten Glückseligkeit, die das Schaffen gewährt, die Schranken unserer Existenz und damit nach seiner großen Art das Ende aller Dinge tiefer fühlte, ja zur lebendigen Anschauung jener Mächte kam, die in dem zweiten Finale seiner Oper so furchtbar mahnend walten. In solchen Stunden fühlte er den Riß, der alles Irdische durchzieht, – er gewann die tiefste Empfindung des Tragischen und mit ihr wieder jene unbeirrbare Schätzung der reinen Lebenslust wie jenes unübertroffene Verständnis des Komischen. Und alles dies mischte sich in jener Oper zu einem Ganzen, wie es in der Kunst bis dahin nicht gesehen worden. Aus diesen nächtlichen Stunden des Grausens, mit dem er die Schuld des gesamten Daseins, den endlichen Untergang aller Dinge vorempfand, und aus den sonnigen Tagen der heitersten Lebenslust, wie sie ihn jetzt in Prag umspielte, erwuchs auch ihm jener seltene Zustand, dem man den Namen Humor gegeben hat, jene Stimmung der Seele, wo das Auge lachend in Tränen[389] steht. Erst die Reihe der Erfahrungen, die auch diesem Manne, der in seinem Herzen schon so viel erfahren, noch vorbehalten waren, brachte ihm auch jenen höheren Bestand des Geistes, in dem selbst Freude und Schmerz, Lachen und Weinen sich zur Einheit versöhnen. Er sollte die Tiefen der menschlichen Empfindung durchmessen und, nachdem er sie durchmessen hatte, in sich selbst den schönen Frieden finden, den er der Welt in den unsterblichen Werken der letzten Lebensjahre hinterließ. Jetzt sehen wir ihn noch echt menschlich zwischen die Freuden des Lebens und den Schrecken des Todes mittenhinein gestellt und bald hierher, bald dorthin schwanken, – und von jeder Schwankung, die in seinem wie in jedem Menschenherzen vorgeht, gab er ein Bild, das in jedem Menschenherzen verständlich wiederklingt. –

Der Impresario hatte ihm der damaligen Sitte gemäß freie Wohnung eingeräumt. Er wohnte auf dem Kohlmarkt bei den »drei Löwen«. Da Ponte aber logierte im Hinterhofe des Gasthauses »zum Platteis«, so daß sich Dichter und Komponist miteinander aus den Fenstern bequem unterhalten konnten. Schon auf der Reise hatte Mozart nach seiner Weise wieder manches vollendet, auch ohne daß wohl aus der Seitentasche des Wagens viel Notenpapier hervorgeholt zu werden brauchte. Constanze war jetzt vor allem bemüht, jede Störung von ihrem geliebten Manne fern zu halten, denn sie wußte, wie sein Inneres arbeitete. Galt es doch die Italiener wie die Deutschen mit einem Schlage zurückzudrängen; mehr aber noch als der Ehrgeiz wirkte die Macht des Stoffes, den ein glücklicher Zufall in die Hände des Genius gespielt hatte. Er empfand den Wert des Lebens, den Wert der Freude jetzt erst in vollem Maße, und seine Seele strömte reiches Genießen aus. Da Ponte war bei ihm. Das war ein Mann, der das Leben verstand. Wir erfahren es aus seinen Memoiren, die von denen Casanovas nicht so gar sehr verschieden sind und uns beim Durchlesen recht lebhaft vor die Seele führen, wie so ganz anders geartet das Wesen und das Leben unseres[390] Meisters war als das dieser Männer, die im Grunde nur leichtsinnige Abenteurer sind und von den höheren Zielen menschlichen Bestrebens nichts kennen. Auch Mozart hatte Sinn für die Fülle des Daseins, für die Kraft des Genießens, die in solchen Leuten lebt, und deshalb behagte ihm ihr Umgang, ohne daß seine eigentliche Seele sich mit ihnen berührte. Zu ihnen gehörte ferner Luigi Bassi, für den der »Don Juan« geschrieben ward. Auch dieser muß vollen kräftigen Lebenssinn gehabt haben, er wird von den Zeitgenossen als eine echte Künstlernatur geschildert und noch nach fast 40 Jahren schreibt jemand dem tauben Beethoven über ihn auf: »Ein feuriger Italiener!« Signora Bondini, das Zerlinchen, Theresa Saporiti, die Donna Anna, und Signora Micelli als Elvira dienten ebenfalls zur persönlichen Erheiterung in jenen Tagen; denn der Komponist verstand es, durch Liebenswürdigkeit die Darsteller bei guter Laune zu erhalten. Daraus hat man dann allerhand Liebesabenteuer zusammengefabelt, deren buntes Leben in die Oper eingeflossen sein soll.

Dem allem widerspricht nun zwar, was Mozart selbst wenig Tage nach der Aufführung des »Don Juan« an seinen vertrauten Freund Jacquin schreibt: »Nun, liebster Freund, wie befinden Sie sich? Ich hoffe, daß Sie sich alle so wohl und gesund befinden mögen wie wir; am vergnügtseyn kann es Ihnen, liebster Freund, wohl nicht fehlen, da Sie alles besitzen, was Sie in Ihren Jahren und in Ihrer Lage nur wünschen können! besonders da Sie nun von Ihrer vorigen etwas unruhigen Lebensart ganz zurückzukommen scheinen. Nicht wahr, Sie werden täglich mehr von der Wahrheit meiner kleinen Strafpredigten überzeugt? – Ist das Vergnügen einer flatterhaften launigen Liebe nicht himmelweit von der Seligkeit unterschieden, welche eine wahrhafte vernünftige Liebe verschafft? Sie danken mir wohl gar öfters so in Ihrem Herzen für meine Belehrungen Sie werden mich noch ganz stolz machen! – Doch, ohne allen[391] Spaß – Sie sind mir doch im Grunde ein bischen Dank schuldig, wenn Sie anders der Frl. N. würdig geworden sind, denn ich spielte doch bey Ihrer Besserung oder Bekehrung nicht die unbedeutendste Rolle.«

Allein wir wollen eine solche Widerlegung nicht. Es ist erfreuend zu sehen, wie Mozart sich damals tief in die Freuden jedweder Geselligkeit eintauchte. Warum sollte er nicht? Es war das einzige Mittel, den gewaltig arbeitenden Geist auf kurze Zeit auszuspannen und zu erfrischen. In der Regung der Lust erstanden seiner Phantasie jene lebendigen Bilder des Lebens, die der »Don Juan« entfaltet. Auf den Schwingen der Freude zieht das Ideal in unsere Brust, wir kennen des Meisters eigentümliche Art. Er mußte Leben um sich sehen, um Leben zu schaffen. Auf dem Weingarten Duscheks spielte er mit seinen Freunden Kegel, während er an dem steinernen Gartentisch seine Partitur ausschrieb. Am Abend vor der Aufführung war er wie gewöhnlich in heiterster Gesellschaft und erregte den Kreis seiner Freunde durch Scherze und Albernheiten, die gar nicht ahnen ließen, daß hinter diesem Spiel der Ernst eines hohen Geistes tronte. Und noch war die Ouvertüre nicht fertig. Endlich, es war fast elf Uhr nachts, ermahnt ihn seine treue Constanze, den Freuden ein Ende zu machen und die Ouvertüre aufzuschreiben. Er ging in sein Zimmer und begann bei einem Glase Punsch diese Arbeit, die ihm sogar lästig war. Und weil es ihn dabei eben langweilte, – denn das eigentliche Schaffen war längst vorüber, er hatte seinen Freunden bereits drei fertige Ouvertüren vorgespielt und sie hatten sich einstimmig für die jetzige entschieden, – so mußte ihm die Frau wieder Geschichten erzählen. Es waren die Märchen von Aladins Wunderlampe, vom Aschenputtel und solch liebliche Volkspoesie, welche die Phantasie anmutig beschäftigt und den Geist frei macht. Der phantasievolle Künstler wurde davon auch jetzt angenehm erregt und mußte oft bis zu Tränen lachen. Darum ging es einige Stunden[392] mit dem Schreiben rasch vonstatten. Endlich aber überwältigte ihn, der von der Arbeit wie von der Freude, von des Lebens Fülle ermüdet war, bald der Schlaf, und er bat Constanze, ihn nur einige Stunden ruhen zu lassen. Da schlief er denn so fest, daß sie es nicht über sich zu gewinnen vermochte, ihn sobald zu wecken. Allein auf sieben Uhr morgens waren die Abschreiber bestellt, und sie mußten die Partitur haben, wenn die Aufführung am Abend stattfinden sollte. Mozart wurde wirklich fertig, wenn auch der Beginn der Oper sich um etwas verzögerte und die Blätter noch naß auf die Pulte kamen. Dann aber spielte das tüchtig geschulte Orchester die Ouvertüre frisch vom Blatt weg und zwar in der Begeisterung für den Meister und seine Werke so vortrefflich, daß er selbst während der Introduktion, beim Auftreten Leporellos, zu den nächsten Geigern sagte: »Es sind zwar viele Noten unter die Pulte gefallen, aber es ist doch recht gut vonstatten gegangen.«

Dies alles zeigt den Meister, dessen Seele voll ist von seiner Sache, und wir würden uns über solch unerhörte Begebenheit wahrhaft »verkreuzigen«, wenn dieser Mann uns nicht an Wunderdinge längst gewöhnt hätte. Allein trotz all dieser Beweise, wie sehr sein Geist nur auf das Eine, Hohe seiner Kunst gerichtet war und gleich einer lodernden Glut all den Dunst des sinnlichen Lebens aufzehrte, in dem die Mitgenießenden stecken bleiben mochten, meinte er immer noch nicht genug getan zu haben, um die Fülle des Lebens, die dieses Werk bieten sollte, in ihrer Schönheit und Kraft darzustellen. Er, der seines Könnens sonst so zweifellos gewiß war, er selbst war zweifelhaft, ob denn diesmal auch das Rechte getroffen, das Genügende geboten sei. Der künstlerischen Gestaltung freilich konnte er nicht fehlen, es muß aber ihm selbst am Ende das, was er schrieb, nicht gehaltvoll genug erschienen sein; denn bereits nach den ersten Proben tat er auf einem Spaziergange an den Orchesterdirektor Johann Baptist Kucharcz (1751–1815) im[393] Vertrauen die seltsame Frage, was er von der Oper halte, ob sie wohl gleichen Beifall finden werde wie der »Figaro«, von dem sie doch so ganz und gar verschieden sei. Dieser beruhigte ihn dann, daß die Musik schön und originell sei, und daß er an dem Erfolge nicht zweifle: die Prager würden ja alles, was von ihm komme, mit Begeisterung aufnehmen. Mozart erwiderte, daß ihn das Urteil eines solchen Kenners beruhige; er habe sich aber auch keine Mühe und Arbeit verdrießen lassen, um für Prag etwas Vorzügliches zu leisten, und man solle nicht glauben, daß ihm seine Kunst so leicht geworden sei: Niemand wohl habe so viel Mühe auf das Studium der Komponisten verwendet als er, und es gebe nicht leicht einen berühmten Meister, den er nicht fleißig studiert habe.

Auch bei den Proben gab er sich alle Mühe, die Ausführung dieser Musik, die er selbst später für schwer erklärte, möglichst gut zu machen. Dem Don Juan-Bassi soll er das berühmte »Reich' mir die Hand, mein Leben« fünfmal komponiert haben. Zerline konnte sich nicht entschließen, in dem Momente, wo Don Juan sie ins Nebengemach trägt, gehörig aufzuschreien. Schon mehrmals war die Stelle vergebens wiederholt worden. Da ging Mozart selbst auf die Bühne, ließ von vorn anfangen und packte nun, als der verhängnisvolle Moment kam, die Sängerin unerwartet so derb an dem Arm, daß sie erschrocken aufschrie. »So ist's recht«, sagte er dann lachend, »so muß man aufschreien!« Auch tanzte er dem Don Juan seine Partie vor, weil dieser mit dem Schritt des Menuetts nicht recht fertig werden konnte. In gleicher Weise praktisch und liebenswürdig verfuhr er mit dem Orchester. In der erstarrenmachenden Kirchhofsszene waren die Worte des Komthurs ursprünglich nur von Posaunentönen begleitet. Diese Stelle wollte nun den Bläsern gar nicht gelingen. Mozart ging hin, um ihnen zu erklären, wie sie blasen sollten. Da sagte einer im Aerger: »Das kann man so nicht blasen, und von Ihnen werde ich es auch nicht lernen.« – »Gott bewahre[394] mich, daß ich Sie die Posaune lehren wollte«, lachte Mozart und änderte die Stimme sogleich, indem er dann noch Holzbläser hinzufügte. Aber auch durch seine geistige Begabung erregte er die hingebende Achtung dieser Leute. Im zweiten Finale fehlten die Trompeten- und Paukenstimmen. Ohne die Partitur vor sich zu haben, schrieb sie Mozart sogleich aus dem Gedächtnis auf und bemerkte den Spielern eine Stelle, wo entweder vier Takte zu viel oder zu wenig sein würden. Das fand sich denn auch richtig. Alle Mitwirkenden waren also diesmal mehr als willig, sie waren begeistert.

Um Mitte Oktober, als alles im vollen Gange des Probierens war, kam Prinz Anton von Sachsen mit seiner Gemahlin, der Erzherzogin Maria Theresia, durch Prag. Ihnen zu Ehren wurde bei festlich beleuchtetem Hause »Figaros Hochzeit« gegeben. Mozart dirigierte selbst und erntete den gewohnten Beifall. Zur Vermählung dieses hohen Paares war in Wien jener »Baum der Diana«, den da Ponte zu gleicher Zeit mit dem »Don Juan« gedichtet hatte, gegeben worden, und Martin hatte mit dieser Komposition neuen Ruhm gewonnen. Mozart sann auf schreckliche Rache gegen diese welschen Rivalen, und wie gewöhnlich verfiel er auf die geistreichste Idee. Martins »Cosa rara« war damals allbekannt und beliebt, und vor allem lebte eine Melodie des ersten Finales in jedermanns Munde. Sie gehört zu der Szene, wo den begünstigten Liebhabern die Geliebten auch zugesprochen werden, während die lüsternen andern das leere Nachsehen haben. Mozart verwendete diese Melodie, indem er sie nach der Sitte der Zeit für die Bläser arrangierte, als Tafelmusik zu der Stelle, wo der hungrige Leporello seinen Herrn fröhlich tafeln sieht, und parodierte sie so aufs treffendste. In gleicher Weise verfuhr er mit einer »Favoritarie« aus Sartis »Wo zwei streiten, freut sich der Dritte«, über welche er damals bei des Maestro Anwesenheit in Wien ihm zu Ehren Variationen geschrieben hatte. Die Textesworte:[395]


Wie ein Schäflein, das zur Schlachtbank geht,

Wirst Du blökend wandern durch die Stadt –


waren ebenfalls damals allbekannt und paßten in komischer Weise zu der Situation Leporellos, der an den Tischen herumschnobert, ob nicht ein Brocken für ihn zu erwischen sei. Die Schelmerei wird noch verstärkt durch die humoristische Art, wie Mozart die Stelle so recht tafelmusikmäßig instrumentiert hat. Doch nach gewohnter Weise gutmütig bricht er dem Stachel, der in diesem Verfahren der Rache lag, die Spitze ab, indem er am Schluß der Schmauserei sich selbst parodierend mit ins Spiel bringt. Denn hier verwendet er jenes »Dort vergiß leises Flehn«, das die Prager mit so ungemeinem Sturme begrüßt hatten und zu hören nicht müde wurden, in gleicher Weise komisch und sprach obendrein in den Worten Leporellos: »Dies da kenn' ich nur zu gut« zugleich aus, was in dem Augenblicke jeder Prager mit Jubel empfand.

Hier rücken wir nun noch einen Brief an G. von Jacquin ein, der manch interessantes Einzelne mitteilt:


»Prag, den 15. Oct. 1787.


Liebster Freund!


Sie werden vermutlich glauben, daß nun meine Oper schon vorbey ist – doch da irren Sie sich ein bischen. Erstens ist das hiesige theatralische Personale nicht so geschickt wie das zu Wien um eine Oper in so kurzer Zeit einzustudiren. Zweitens fand ich bei meiner Ankunft so wenige Vorkehrungen und Anstalten, daß es eine bloße Unmöglichkeit gewesen seyn würde, sie am 14te als gestern zu geben; – Man gab also bei ganz illuminirten Theater meinen Figaro, den ich selbst dirigierte.

Bei dieser Gelegenheit muß ich Ihnen einen Spaß erzählen. – Einige von den hiesigen ersten Damen (besonders eine gar hocherlauchte) geruhten es sehr lächerlich, unschicklich und was weiß ich alles zu finden, daß man der Prinzessin den Figaro, [396] den tollen Tag (wie sie sich auszudrücken beliebten) geben wollte; – Sie bedachten nicht, daß keine Oper in der Welt sich zu einer solchen Gelegenheit schicken kann, wenn sie nicht beflissentlich dazu geschrieben ist; daß es sehr gleichgiltig sey, ob sie diese oder jene Oper geben, wenn es nur eine gute und der Prinzessin unbekannte Oper ist; und das letzte wenigstens war Figaro gewiß, – kurz die Rädelführerin brachte es durch ihre Wohlredenheit so weit, daß dem Impressario von der Regierung aus dieses Stück auf jenen Tag untersagt wurde. – Nun triumphirte Sie – hò vinta schrie sie eines Abends aus der Loge – Sie vermuthete wohl gewiß nicht, daß sich das in ein sono verändern könne! – des Tags darauf kam aber le noble – brachte den Befehl Seiner Majestät, daß wenn die neue Oper nicht gegeben werden könne, Figaro gegeben werden müsse! – Wenn Sie, mein Freund, die schöne, herrliche Nase dieser Dame nun gesehen hätten! – O es würde Ihnen so viel Vergnügen verursacht haben, wie mir! –

Don Giovanni ist nun auf den 24ten bestimmt. –

Den 21. – er war auf den 24. bestimmt, aber eine Sängerin, die krank geworden, verursachte noch eine neue Verzögerung; da die Truppe klein ist, so muß der Impressario immer in Sorgen leben und seine Leute so viel möglich schonen, damit er nicht durch eine unvermuthete Unpäßlichkeit in die unter allen kritischen allerkritischste Lage versetzt wird, gar kein Spektakel geben zu können! –

Deswegen geht hier alles in die lange Bank, weil die Recitirenden (aus Faulheit) an Operntagen nicht studiren wollen und der Entrepreneur (aus Furcht und Angst) sie nicht dazu anhalten will, aber was ist das? – – ist es möglich? – was sehen meine Ohren, was hören meine Augen? – ein Brief von – – ich mag mir nur meine Augen fast wund wischen – er ist – hol mich der Teufel † Gott sei bei uns † doch von Ihnen; – in der That; wäre nicht der Winter vor der Thüre, ich würde den Ofen einschlagen.[397]

Da ich ihn aber dermalen schon öfters brauche und in Zukunft noch mehr zu brauchen gedenke, so werden Sie mir erlauben, daß ich die Verwunderung in etwas mäßige und Ihnen nur in wenig Worten sage, daß es mich außerordentlich freut Nachrichten von Ihnen und Ihrem so werthen Hause zu erhalten. –

Den 25ten – heute ist der eilfte Tag, daß ich an diesem Briefe kritzle; – Sie sehen doch daraus, daß es an gutem Willen nicht fehlt – wenn ich ein bischen Zeit finde, so male ich ein Stückchen weiter daran – aber lange kann ich halt nicht dabei bleiben – weil ich zu viel anderen Leuten – und zu wenig – mir selbst angehöre; – daß dies nicht mein Lieblingsleben ist, brauche ich Ihnen schon wohl nicht erst zu sagen. –

Künftigen Montag, den 29., wird die Oper das erstemal aufgeführt; – Tags darauf sollen Sie gleich von mir Rapport bekommen, – wegen der Arie ist es (aus Ursachen die ich Ihnen mündlich sagen werde) schlechterdings unmöglich Sie Ihnen zu schicken. –

Was Sie mir wegen der Kathel schreiben, freut mich recht sehr, daß sie wohl auf ist, und sich mit den Katzen in Respect mit den Hunden aber in Freundschaft zu erhalten weiß; – wenn sie Ihr Papa (dem ich mich bestens empfehle) gerne behält, so ist es schon so viel als wenn sie nie mein gewesen wäre; – Nun leben Sie wohl; – ich bitte Dero gnädigen Frau Mama in meinem Namen die Hände zu küssen, der Frl. Schwester und H. Bruder mich bestens zu empfehlen und versichert zu sein, daß ich stets sein werde


Ihr wahrer Freund und Diener

W.A. Mozart m.p.«


Wie mag nun die Aufnahme gewesen sein? Scherze wie jene letzten verstanden die Prager aufs beste, es war ja zugleich die liebenswürdigste Schmeichelei von der Welt für sie selbst. Aber sie verstanden auch den Ernst und Gehalt der Oper. Am[398] 29. Oktober fand die erste Vorstellung statt. Das Theater war zum Erdrücken voll. Als Mozart am Direktionsplatz erschien, wurde er mit endlosem Klatschen und dreimaligem Tusch empfangen. Man hatte der Oper mit der höchsten Spannung entgegengesehen. Jetzt löste sich alles in grenzenlosen Jubel auf: rauschender Beifall begleitete jede Nummer bis zum Schluß der Oper. Die Aufführung wird als eine vorzügliche gepriesen. Denn wenn auch keine Künstler ersten Ranges vorhanden waren, so wurden doch wieder alle von jener Begeisterung getragen, die aus der Verehrung für den großen Maestro und aus dem Jubel der teilnehmenden Menge hervorging und wohl imstande war, selbst mittlere Talente zu ausgezeichneten Leistungen anzuspannen. Dazu kam Mozarts Leitung, die stets belebend und jetzt wahrhaft zündend auf das Orchester wirken mußte, und dieser Gang und Rhythmus des Ganzen ist es, was jeder dramatisch-musikalischen Aufführung erst die höchste Wirkung verleiht.

So war der gehoffte Erfolg erreicht. Ganz entzückt schrieb der Theaterdirektor Guardasoni sogleich an den Textdichter, der bereits wieder in Wien war, die bezeichnenden Worte: »Es lebe da Ponte, es lebe Mozart! Alle Theaterdirektoren, alle Sänger sollen sie preisen; solange s i e leben, weiß man nie was Theatermisère ist.« Einfach und bescheiden aber ist wie gewöhnlich die Aeußerung Mozarts. Er schrieb nach einigen Tagen an Jacquin: »Liebster, bester Freund! Ich hoffe, Sie werden mein Schreiben erhalten haben. Den 29. Oct. ging meine Opera Don Giovanni in Scene, und zwar mit dem lautesten Beyfall. Gestern wurde sie zum viertenmal (und zwar zu meinem Benefice) aufgeführt. Ich gedenke den 12ten oder 13ten von hier abzureisen, bey meiner Zurückkunft sollen Sie also die Arie gleich zu singen bekommen. NB. unter uns: ich wollte meinen guten Freunden (besonders Bridi und Ihnen) wünschen, daß Sie nur einen einzigen Abend hier wären, um Antheil an meinem Vergnügen zu nehmen. – Vielleicht wird sie in Wien doch aufgeführt? ich wünsche es. –[399] Man wendet hier alles Mögliche an, um mich zu bereden, ein paar Monate noch hier zu bleiben und noch eine Oper zu schreiben, ich kann aber diesen Antrag, so schmeichelhaft er ist, nicht annehmen.«

Weiter wußte der Mann nichts über ein Werk zu sagen, das eine Welt in sich bergend die ganze Welt mit seinem Ruhm erfüllen sollte. Wir hier aber sind genötigt, von diesem Werke eingehender zu reden, als sich mit unseren Zwecken zu vereinigen scheint. Allein eben unser Zweck, das Leben Mozarts zu schreiben, nötigt uns zum Verweilen bei diesem Werke. Denn der »Don Juan« steht unmittelbar neben den höchsten Schöpfungen der Kunst, und zwar nicht allein wegen seiner äußeren Vollendung, sondern mehr noch wegen der tiefen Enthüllungen des menschlichen Innern, wegen der großartigen Anschauung des Lebens. Der Don Juan Mozarts ist Mensch durch und durch. Er ist nicht ein Ungeheuer, das rücksichtslos genießend alle Bande der Ordnung zerreißt. Er ist ein menschlich fühlendes Wesen, mit der Teilnahme, mit der vollen Empfindung für Menschenglück und Menschenleid. Aber er ist von einer grausam gütigen Natur mit einer Fülle der Kraft ausgestattet worden, die des gewöhnlichen Maßes spottet. Er ist von Natur zum Helden angelegt, und er ist es. Mag der Drang seines Wesens sich mehr zum Sinnlichen neigen, mehr zum nächsten Genuß als zur idealen Tat, – der tatkräftige Mensch sucht die höheren Ziele auf dem Wege der Befriedigung der eigenen Triebe. Das Gefühl der sinnlichen Kraft giebt diesem Manne zunächst die Sicherheit und Kühnheit, die wir persönlichen Mut nennen. Weiter aber giebt ihm zu dieser mehr sinnlichen Tugend, auf der immerhin vorzugsweise der persönliche Respekt beruht, ein geistiges Vermögen, das sich nicht in Reflexionen zersplittert, sondern in seinem ganzen lebendigen Dasein sich konzentriert, jene Sicherheit und Ueberlegenheit im Genuß der Welt, die das strikte Gegenteil vom Alltagsmenschen und Philister ist. Jedoch sie giebt ihm auch jenen[400] Uebermut, jene Selbstüberhebung, die den endlichen Fall herbeiführt.

Die Freiheit, mit der Mozart in diesem Stücke das nächste Recht der Natur predigt, ist als eine Lebensäußerung der Zeit allen bedeutenden Geistern derselben eigen. Daß Mozart mit dieser Forderung des Menschen, sich seiner natürlichen Gaben nach Lust zu bedienen, nur auf dem Gebiete des Privatlebens verweilt und nicht wie Rousseau, Goethe, Schiller, Beethoven auf das soziale und politische Gebiet sich ausdehnt, raubt dem Don Juan nichts von seiner Bedeutung. Denn galt es nach Goethes Wort zunächst ein »eigen Herz« zu haben, so konnte die Berechtigung auch der bloßen Naturregungen, auf denen doch am Ende auch das geistige Tun beruht, zunächst nicht laut genug gepredigt werden. Ruft doch noch um das Jahr 1800 der 30jährige Beethoven aus: »Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor andern auszeichnen, und sie ist auch die meinige!« Und das Gleiche tut Don Juan. Ihm ist von Natur das volle Maß der Kraft gegeben worden, er will diese Kraft nützen, er will leben, und sollte es sein Untergang sein. Darum entfernt er zunächst mit jener rücksichtslosen Entschiedenheit, die nur der wirklichen Kraft eigen ist, jedwedes Hindernis, daß ihn in der Uebung und Befriedigung derselben hemmt. Selbst ein Menschenleben schont er nicht, wenn es ihm angreifend in den Weg tritt. Er fühlt, hinter ihm steht ein Recht, das Recht der Natur, das sich in den Regungen unserer Sinne ausspricht, er weiß, daß alle Verhältnisse, sie mögen sein, welche sie wollen, auf dieser natürlichen Grundlage ruhen.

Nun aber überhebt sich dieser Mann seiner Kraft. Er übersieht, daß, so gewiß das Recht seiner Natur ist, doch dasselbe Recht überall anderswo herrscht. Er übersieht, daß auf diesem Fundamente sich auch jene sittlichen Verhältnisse aufbauen, die nach denselben Gesetzen wie die Natur selbst geordnet, im Grunde eine zweite, eine höhere Natur darstellen. Gegen Schwächlinge und[401] Philister, welche einfältige Menschensatzung an die Stelle der ewigen Ordnung der Dinge setzen, gegen solche freilich mochte er seine Trümpfe ausspielen. Denn selbst in dem Uebermut seines Begehrens fühlte er eine großartige Naturkraft, das Ewige der Naturgesetze schützend hinter sich. So verletzt es niemanden und schadet ihm nicht, selbst wenn er nach der alten Komödie hier einen Diener der Gerechtigkeit hänselt, weil er die ganze Hinfälligkeit dieser Ordnung erkennt, oder dort eines Mädchens Jugend oder einer Frau Ehre nicht schont, weil sie selbst seiner Sinnlichkeit sich entgegenbeugend nur demselben Gesetze folgen, dem er huldigt. Allein jetzt mit einem Male stößt sein übermütiges Begehren auf jene höhere Ordnung der Dinge, – er, der Einzelne, will keck in den Bestand von Verhältnissen greifen, die den Boden jenes ewigen Rechts nicht verlassen, vielmehr dieselbe Natur, die in ihm als bloße sinnliche Regung waltet, zur Sittlichkeit erhöht haben. Donna Anna und ihr Vater, der Komthur, sind ebenfalls Mächte wie Don Juan und ebenbürtige, und sobald er mit ihnen in Konflikt kommt, muß er zerschellen.

Wäre das nun in Mozarts Oper alles einfach so, wie wir es eben ausgesprochen haben, so könnte man immer nicht leugnen, daß dies eine schöne und bedeutende Idee und von einer gewissen Tiefe darstellte. Es wäre immer ein lebendig dramatischer, ja ein wirklich tragischer Stoff und genügend, um bei würdevoller Darstellung manche Tiefen unseres Inneren aufzuwühlen. Aber Mozart hat tiefer gegriffen, und die eigentümliche Färbung, die er dem »Don Juan« gegeben hat, stellt dieses Werk neben die höchsten Schöpfungen der dramatischen Kunst und läßt in der Großartigkeit seiner Anschauung nur einen Hamlet, nur einen Faust neben sich bestehen. Mozart rechnet so einfach nicht. Seine Verhältnisse sind nicht so schlechtweg moralisch, er kennt etwas Höheres als dieses, und obgleich der Untergang des Helden mit einem[402] Ernste, einer Gewalt dargestellt ist, die durch aus keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß hier die innerste Ueberzeugung von der Gerechtigkeit seines Untergangs herrscht, so ist doch die Lust und Freude, womit der Held in der ganzen Fülle seiner Natur dargestellt ist und das ganze Stück hindurch so hinreißend lebendig vor unseren Augen lebt, daß wir sogar in der Szene des Gerichts dieses Bild nicht vergessen und trotz allem Schauder mit Entzücken den Trotz begrüßen, den er auch im äußersten Moment noch dem richtenden Weltgesetz entgegensetzt, – diese Lust an dem Helden selbst ist so vorwiegend, daß selbst sein Untergang sich nicht ganz dem Schillerlichte entziehen kann, das über dem Ganzen liegt. Selbst in diese Schreckensszene dringt etwas von dem Schimmer des ironischen Lächelns hinein mit dem der Weltgeist all dies Sündigen und dieses Strafen betrachtet. Und diese schillernde Färbung, in die alles, selbst das Allerernsteste eingetaucht ist, macht den »Don Juan« zu einer so außerordentlichen Erscheinung auf dem Gebiete der Kunst. Sie ist es, welche die Höhe der Anschauung verrät, mit der Mozarts Genius dem Leben entgegentrat und es umbildend veredelte. Er wußte genau, im gemeinen Leben herrschen diese Gesetze der Sittlichkeit, nach denen hier selbst ein »Don Juan« »abgewandelt« wird. Er selbst handelte ja in seinem praktischen Dasein nicht anders. Allein seine Kunst hatte ihm höhere Gesetze erschlossen als diese moralischen. Er hatte die Schönheit geschaut, er hatte seine Seele dieser ewigen Göttin gewidmet, und sie hatte ihm dafür eine Ordnung der Dinge eröffnet, die in der Tat ewig ist wie die Wahrheit selbst. Im Besitze dieses Schauens konnte er wohl die moralischen Regeln, die das Treiben der Menschen ordnen, mit sanfter Ironie als klein und vergänglich belächeln und leisen Spott darüber ergehen lassen, wie sie sich miteinander abmühen und doch nicht zum Besitze eines Dauernden gelangen. Er sah selbst in diesen mächtigen Beziehungen und Gesetzen, die Don Juans Untat enthüllte, doch nur ein vorübergehend wechselndes[403] Gebot. Er sah andererseits das Ewige in dem Fundamente, auf das der Held des Stückes selbst in seinem Uebermut sich gründet, und es konnte nicht fehlen, daß dieses Recht der Natur, so sinnlich sie sein möge, doch schließlich den Sieg davontragen muß. Don Juan fällt, aber er fällt für eine Idee, die er ja selbst im letzten Momente nicht aufgibt. Und mag auch diese Idee bloß das Recht der nächsten Existenz heißen, sie ist die Grundlage alles menschlichen Tuns und Treibens, das Fundament alles Schaffens, und sie siegt. Und weil sie ihrer innersten Natur nach siegen muß, so hat Mozart, der seinen Stoff im Kerne faßte, nicht versäumt, den Verstehenden diesen Sieg von vornherein ahnen zu lassen, indem er seinen Helden selbst in den ausgelassensten Momenten mit solch göttlicher Heiterkeit darstellt, daß wir über das Unrecht seines Tuns ganz hinausgehoben werden, und innerstes Behagen, ein heiteres Lächeln uns das Ungehörige dieses ganzen Treibens kaum zum Bewußtsein kommen läßt. So ist auch nach all der Furchtbarkeit der letzten Szene ein Schlußchor von mehr heiterer Art, wie ihn Mozart zu freilich trivialen Worten schrieb, nur deshalb nicht am Platze, weil er eben – überflüssig ist.

Freilich steht diese Heiterkeit, in der hier wie im »Figaro« der Menschen Treiben als törichte Schwachheit geduldet erscheint, hoch über der Weise jenes »Figaro«. Denn obgleich auch diesem Don Juan seine Schwachheit mit Gleichmut nachgesehen oder mit Heiterkeit ignoriert wird, so perlt doch in dem Auge dessen, der dieses Werk erschuf, zugleich eine Träne darüber, daß die menschliche Natur, so göttlich sie sich dünkt, so immerfort in Beschränktheit sich selbst verliert. Und diese Teilnahme an dem Leid, das aus solcher Anlage fließt, giebt der Heiterkeit des ganzen Stückes wiederum jene Wärme, die uns so wohltuend anhaucht. Gerade in dieser Hinsicht geht der »Don Juan« weit über den »Figaro« hinaus und gibt, wo dieser bloß komisch ist, den wahren Humor in seiner lächelnden Wehmut. Hier ist es, wo sich die[404] Tiefe der Mozartschen Natur und jene wunderbare Fähigkeit enthüllt, an den menschlichen Dingen auf das innerlichste Anteil zu nehmen und, indem er sie in ihrer Wahrheit darstellt, Ausgleichung jeder schmerzlichen Spannung zu bereiten. Hier wird, was im »Figaro« als bloße Liebenswürdigkeit erscheint, »mit der er, im Innersten glücklich, wenn er nur den edlen Regungen seines Herzens nachgeben konnte, leicht und gern über die Fehler und Schwächen der Menschen hinwegglitt«, zu jenem Zuge der Menschenliebe, die den höchsten Wert jeder großen Natur ausmacht. Was aber im »Don Juan« erst als Ansatz erscheint, jene Träne, mit der Mozart aus tiefster Erfassung des Lebens über das Elend des Daseins weint, das wird in dem letzten Werke, als ihn das Leben selbst seinen tieferen Sinn hatte verstehen lassen, zur teilnehmenden Linderung, zur wahren Beglückung. Wir werden sehen, dieser Mann hatte sich zu einer höheren Existenz durchgerungen, er hatte das Leben in sich selbst überwunden, und ruhige Zuversicht und Tröstung fließt am Ende seiner Tage von seinen Lippen.

Aber auch jetzt erscheint schon als das Grundelement, aus dem ihm eine Anschauung erwuchs, mit der er über den »Don Juan« das Lächeln der Wehmut ausbreitete, jene unvertilgbare Liebe zu allem, was Mensch heißt, jene sichere Ueberzeugung, daß nur der das Dauernde kennt und verehrt, der es in den Menschen aufsucht und liebt. Und brauchten wir eines äußeren Beweises dafür, daß dieser Zustand allgemach begann, seine Seele ganz und gar zu erfüllen, wir würden auf das Wort hinweisen, welches ihm sein Freund Jacquin nicht lange vorher ins Album geschrieben hatte: »Wahres Genie ohne Herz ist Unding – denn nicht hoher Verstand allein, nicht Imagination, nicht beide zusammen machen Genie, – Liebe! Liebe! Liebe! ist die Seele des Genies!« So unbeholfen des guten Freundes Ausdrücke gewählt sind, hallt nicht aus ihnen wider, was Mozart, was die ganze damalige Zeit empfand, die liebevolle Erschließung[405] der Herzen gegeneinander, der heiße Drang, das Ewige, das eine befangene Kirchenlehre so lange hoch an den Himmel versetzt hatte, im eigenen Innern, im nächsten Herzen wieder zu suchen? Spricht nicht aus ihnen die liebende Umfassung des Menschen, weil nur aus seinem Auge des Ewigen Licht erglänzt, nur aus des Menschen Brust sein tiefstes Tönen widerhallt?

Dieses Wort ist genug, um uns Mozarts eigentliches Meinen auch bei diesem Werke zu erweisen und zugleich die Spur seiner ferneren Entwicklung zu zeigen. –

Auch diese Arbeit hatte Mozart mit seinem Herzblut genährt. Wie durch einen leichten Schleier schimmert eine lebendig warme Wirklichkeit durch diese Musik hindurch. Schon das Grausen der innersten Natur, wenn sie durch eigene Schuld den Bestand der schönsten Verhältnisse, wenn sie das Glück der Menschen zerstört sieht, klingt in den Tönen des Gerichtes wie eine Stimme aus Mozarts innerster Seele hervor. Und wenn es auch nicht wahr ist, was das Gerücht erzählte, daß eine junge Frau, die Mozarts Schülerin war, von ihrem Manne in einem Anfall wahnsinniger Eifersucht mit einem Messer schwer verletzt wurde, weil Mozart mit ihr in Liebesverkehr gestanden habe, – denn der Vorfall sowie der Selbstmord des Mannes, der sogleich nach dieser entsetzlichen Tat stattfand, sind nach amtlichen Notizen erst nach Mozarts Tode geschehen, – so ist doch sicher, daß er selbst in dem bewegten, lebhaften Wien mancherlei der Art gesehen hatte und selbst seiner lebhaften Natur gemäß in Beziehung gestanden war, die durch die Gefahr der Zerstörung sittlicher Verhältnisse den ganzen Ernst seiner Seele wachriefen. Aber nur Andeutungen mögen es gewesen sein: mehr bedarf der Genius nicht, um in den inneren Zusammenhang hineinzuschauen. Ein da Ponte freilich und sein Freund Casanova müssen bis auf den Schlammboden solcher Dinge hinabsteigen, um sie zu erkennen, und schädigen dabei ihre eigene Seele. Ein Mozart erblickte bereits auf dem ruhigen Wasser der Freude schwimmend die Gefahren, die in[406] der Tiefe gerade der holdesten Leidenschaft am meisten ruhen. Er schaute durch das klare Naß bis auf den Grund, wenn ihn einmal sein lebhaftes Begehren, seine überaus rege Phantasie in jene innige Berührung mit dem anderen Geschlecht gebracht hatte, die den ganzen Menschen wachruft und all seine Geister in schaffende Bewegung setzt. Bedurfte doch ein Schiller nur des einfachen Wasserschäumens, wie es unter dem Mühlrade sich kraust, um den dampfenden Gischt des Meerstrudels in seiner ganzen Großartigkeit darzustellen! Und sollte ein Mozart mehr von der inneren Bewegung, von den Strudeln, die im Menschenherzen vorgehen, haben schauen müssen, um die leidenschaftlichen Verirrungen zu zeichnen, die ihm so einzig gelungen sind?

So ist nichts verkehrter, als wenn man alle die Dinge, die im »Don Juan« mit solcher Wahrheit dargestellt sind, in Mozarts Leben wieder aufsuchen will. Der Dichter lebt nicht, was er dichtet, wenigstens nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, und nicht in der Umständlichkeit erlebt er alles das, was seine Kunst mit der Wahrheit der Natur darstellt. Er erfährt in seinem Innersten die Hauptdinge, und das genügt ihm, um das Bild bis ins einzelnste auszuführen. Ueberall dann in den Gebilden seiner Phantasie erkennt man die sichere Wirklichkeit wieder, man glaubt sie mit Händen greifen zu können und bedauert, daß bei Mozart nicht wie bei Goethe ein Anhalt für solche Neugierigkeit in der näheren Kenntnis des Lebens gegeben ist. Allein die Quellen des Geschehenen fließen für den verstehenden Sinn reichlich genug. Und fürwahr, wenn man die Wahrheit sieht, mit der vor allem eine Elvira gezeichnet ist, so ist kaum anders zu denken, als daß hier eine Erscheinung des wirklichen Lebens, die dem Erschaffer des »Don Juan« begegnet war und sein Herz in Glut oder vielmehr seine dichterische Phantasie in Bewegung versetzt hatte, der künstlerischen Gestaltung zugrunde liegt. Man ist versucht, aus dieser Gestalt in Tönen die wirkliche Gestalt[407] wieder aufzubauen, – so sehr wähnt man dieses Wesen in Leben und Farbe leibhaftig vor sich zu sehen. Braun muß sie gewesen sein, braun von Augen und braun von Haar, nicht weil Elvira Spanierin ist, sondern wegen der eigentümlichen Glut, die aus all ihren Weisen spricht, und die keine der Gestalten Mozarts in solchem Grade besitzt; – schlank und elastischen Wuchses, zu jeder Darstellung dessen, was sie innerlich bewegt, in seltenem Grade geschickt; denn die Leidenschaft, die all ihr Singen verrät, muß sich auch im Körper, in Haltung, Bewegung und jeder Gebärde ausgeprägt haben; – ferner phantasievoll, kunstbegabt, lebendig schöpferischen Geistes, – wie hätte sie sonst vermocht, einen Don Juan zu lieben, einen Mann, an dem nichts oder – alles liebenswert erscheint, je nachdem Sinne und Phantasie ein Ideal aus ihm machen oder nicht; – von stolzer, geistvoller Art und hinreißend strömender Rede, – man denke an die Töne des letzten Terzetts, wie eindringlich ihre Stimme ist; und vor allem in ihrer Leidenschaft von dem ganzen Zauber des lebendigen Lebens! – Aber um die feinen Lippen des geschlossenen Mundes spielte jener Zug, der etwas anderes verrät als die unnennbare Güte des Herzens, die uns das rechte Weib so über alle Maßen wert und unantastbar macht. Und fürwahr es bedurfte nicht jenes »Un piccolo grifo raso« (ein kleines, glattes Hundsgesicht), mit dem einmal eine übermütige Primadonna den unscheinbaren Maestro beschenkt hatte, dem sie doch für so manchen Dienst Dank genug schuldig war, um Mozart zu erinnern, daß ihm aus dem Herzen seiner Constanze ein unendlich reicherer Himmel entgegenlache als aus der dunklen Leidenschaft einer schönen Südländerin. Und von diesem bräutlichen Glück, das er, der längst Verheiratete, stets bei seiner Constanze fand, und welches sich uns in der schönsten Weise in seinen Reisebriefen enthüllt, gibt es auch im »Don Juan« ein Bild, das die zaubervolle Gartenarie der Susanne fast noch überstrahlt. Mit seiner Seele feinsten Organen lechzt er zu den Sternen hinauf um den[408] holden Genuß der Liebe zu erflehen, und die reinste Regung aller Sinne spricht aus den Tönen, mit denen Zerline in jenem »Wenn du fein fromm bist« ihrem zerschlagenen Masetto für die nächste Stunde das schönste Glück zusagt, damit er nur seine Schmerzen und seinen eifersüchtigen Kummer los werde. Wer hat je solche Töne der süßesten Lust gesungen, wer in solcher Wahrheit laut und herrlich ausgesprochen was jeder gern verschweigt die Hoffnung der holdesten Liebesgewährung! Und doch ist das alles höchste Reinheit, und jedem fällt zu seiner innigen Befriedigung nur ein, wie wonnig es ist, Mensch zu sein. Mozart war es im schönsten Sinne. Auch dieses Werk hat es uns bewiesen, und wir scheiden von ihm nur, um dem tiefen Lebensgehalte, den es bietet, verklärterer Weise nun auch in den späteren Schöpfungen des Meisters nachzuspüren und ihn dort zu noch reicherer Ausdeutung und Verklärung gelangen zu sehen.

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 379-409.
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