Sechster Abschnitt.

»Figaros Hochzeit.«

1786.

»Unendliche Heiterkeit strahlt aus seinen Augen.«


Wir sahen bereits, wie Mozart die Bekanntschaft mit dem kaiserlichen Theaterdichter Lorenzo da Ponte machte, und dieser ihm ein neues »Büchel« zu einer Opera buffa versprach. Da Ponte stand mit Salieri in der allernächsten Verbindung, ja Salieri war der Begründer seiner Stellung in Wien und hatte so den ersten Anspruch auf seine Dankbarkeit. Dieser Mann nun konnte nicht wünschen, daß Mozart den ungemeinen Erfolg seiner »Entführung« jetzt, nachdem das National-Singspiel aufgehoben worden war, auf die italienische Bühne übertrage, und so zögerte da Ponte mit dem versprochenen Texte. Bald aber traten Ereignisse ein, welche die beiden Italiener vollständig voneinander trennten. Paesiello war, wie wir oben sahen, nach Wien gekommen, vom Kaiser sehr begünstigt und mit der Komposition einer neuen Oper beauftragt worden, zu welcher der Dichter Casti, ein Rivale da Pontes und Mitbewerber um die durch den Tod Metastasios erledigte Stelle eines Poeta cesareo, den Text geliefert hatte. Es war »Il Ré Teodoro«. Die Oper erlangte einen ungemeinen Erfolg, und Paesiellos wie Castis Namen lebte auf aller Lippen. Das war für Salieri sehr unbequem. Zwar hatte auch er einen Text da Pontes »Il ricco d'un giorno«, den allerdings dieser selbst für sehr un bedeutend hielt, bereits unter den Händen; allein er zog es vor, zunächst nach Paris zu gehen, woselbst er in der Tat mit einer neuen Oper »Die Danaiden« großen Ruhm erntete.[355]

Derweilen war der Lärm des »Ré Teodoro« etwas verklungen, und jetzt konnte der »Ricco d'un giorno« vollendet werden. Allein diese Oper gefiel durchaus nicht. Da Ponte sagt, weil Salieri, ganz auf die Gluckschen Neuerungen bedacht, seine bisherige melodienreiche Weise vergessen habe, Salieri aber meinte wegen des schlechten Textes und schwur, sich eher die Hand abhacken zu lassen, als wieder einen Vers von da Ponte zu komponieren. Genug, die beiden entzweiten sich. Salieri wandte sich nun zu Casti, erhielt auch einen Text »Die Grotte des Trofonius« und errang mit dessen Komposition einen gewaltigen Erfolg. Da Ponte seinerseits wandte sich zu dem Spanier Martin und schrieb für ihn den »Gutmüthigen Griesgram«, der ebenfalls viel Beifall fand. Zugleich aber wandte er sich an Mozart, dessen Genie er schon damals erkannt zu haben behauptete. Er hatte unsern Maestro in dem Hause des Baron Wetzlar, bei dem Mozart einige Zeit gewohnt, kennen gelernt. Wetzlar war ein großer Liebhaber der Musik und einer der eifrigsten Gönner Mozarts. Auch diesmal erbot er sich, als dieser, zwar bereit eine Oper zu schreiben, den Zweifel aussprach, ob man sie auch zulassen werde, in großmütiger Weise, dem Dichter ein anständiges Honorar zu zahlen und äußersten Falles die Aufführung der Oper in London oder Frankreich zu vermitteln. Dies lehnte nun zwar da Ponte ab, allein es sollte doch große Mühe kosten, mit dem Text, den sie gewählt hatten, durchzudringen.

Es war nämlich damals fast über sämtliche Bühnen Europas ein Lustspiel gegangen, das durch seine soziale Tendenz die Gemüter in Bewegung setzte: »Le mariage de Figaro ou la folle journée«. Dieses Stück, das die rücksichtslose Willkür des höheren Adels in der pikantesten Weise geißelte, deshalb in Paris verboten und nach mancherlei Drängen des Publikums endlich doch zur Aufführung gelangt war, hatte auf diese Weise eine gewisse politische Bedeutung gewonnen und war auch in Wien, wie freilich da Ponte sagt, wegen seines »unmoralischen Styls« vom[356] Kaiser bald verboten worden. Gleichwohl hatten die wenigen Aufführungen auch dort alles in Aufregung versetzt, und zumal Mozart war, wohl nicht durch das politische Element, aber desto mehr durch die dramatische Lebendigkeit, die dieses Lustspiel auszeichnet, ungemein angezogen worden. Da Ponte erzählt, daß Mozart selbst ihm diesen Stoff als Text zu einer Oper vorgeschlagen habe. Denn dieser suchte ja schon längst nach einem passenden »Büchel« und hatte die bereits angefangene »Gans von Kairo« bloß wegen der »dummen Ganshistorie« liegen lassen und den »Sposo deluso« (Gefoppten Bräutigam), von dem ebenfalls noch Entwürfe vorhanden sind, wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen. In »Figaros Hochzeit« aber schien ihm Leben und dramatische Verwicklung genug vorhanden zu sein, und als da Ponte, der sicherlich ebenso bereits auf dieses Stück aufmerksam geworden war, sich zu einer Bearbeitung desselben bereit erklärte, ward die Sache sogleich ins Werk gesetzt, und bereits im Herbste 1785 finden wir Mozart mit der Komposition des Werkes beschäftigt.

Nun berichtet aber der Sänger Kelly, Mozarts Freund, der den Basilio und später den Don Curzio sang, ausdrücklich, der Kaiser selbst habe Mozart den Auftrag gegeben, diese Oper zu schreiben. Wahrscheinlich ist dies dann auch geschehen, als da Ponte die Erlaubnis nachsuchte, den Text bearbeiten zu dürfen.

Er hatte dabei wieder mit mancherlei Kabalen zu kämpfen. Der Kaiser selbst trug Bedenken: Mozarts wegen, der zwar ein vortrefflicher Instrumentalkomponist sei, aber erst eine Oper geschrieben habe, an der »nicht allzuviel sei«, und des Stückes wegen, das er ja verboten habe. Aber endlich erlangte da Ponte doch die Erlaubnis, und da mag denn der Kaiser, zumal, als er einen Teil der Oper gehört hatte, zugleich ausdrücklich den Auftrag gegeben haben, daß Mozart dieselbe vollende. Damit kann immerhin in Einklang gebracht werden, wenn da Ponte berichtet, die Oper sei ganz im stillen geschrieben worden. Denn als[357] da Ponte um die Erlaubnis einkam, war allerdings bereits ein großer Teil der Musik fertig. Nachher aber schrieb Mozart im kaiserlichen Auftrag, und wir finden ihn offen mit dem Intendanten Grafen Rosenberg verhandeln.

Wie sehr mußte unser Meister wünschen, jetzt einmal wieder einen bedeutenden Erfolg zu erringen, der sowohl seinem Ruhm wie seinen häuslichen Verhältnissen in nachhaltig entscheidender Weise aufhelfe. Denn die 100 Dukaten, die ihm Artaria für die sechs Haydn-Quartetts gezahlt hatte, bedeuteten nicht viel in einer Wirtschaft, die wegen ihrer Unregelmäßigkeit reichlichere Mittel erforderte. Der Sommer hatte keine Akademien gebracht und ebenso nicht viel Lektionen. Auch mußte jetzt alle mögliche Zeit auf die neue Komposition verwendet werden, die Schüler die sonst bereits um zehn Uhr ihre Plage beginnen durften, wurden sämtlich auf den Nachmittag bestellt, den Morgen mußte der Maestro zur Arbeit frei haben. Daher begreift es sich, wenn im November wieder ein Zettelchen erfolgte, wie dieses: »Lieber Hoffmeister, ich nehme meine Zuflucht zu Ihnen und bitte Sie mir unterdessen mit etwas Geld beizustehen, da ich es in diesem Augenblick sehr nothwendig brauche. – Dann bitte ich Sie sich Mühe zu geben, mir sobald als möglich das Bewußte zu verschaffen. – Verzeihen Sie, daß ich Sie immer überlästige; allein da Sie mich kennen und wissen, wie sehr es mir daran liegt, dass Ihre Sachen gut gehen möchten, so bin ich auch überzeugt, daß Sie mir meine Zudringlichkeit nicht übel nehmen werden, sondern mir ebenso behülflich seyn werden als ich Ihnen.« – Hoffmeister sandte darauf ganze – 2 Dukaten.

Der Kapellmeister F.A. Hoffmeister war zugleich Verleger und Mozart hatte ihm, dem maurerischen Bruder, versprochen, eine Reihe von Kammerkompositionen für ihn zu schreiben, von denen das herrliche Klavierquartett in G-moll – »das Beste was ich in meinem Leben geschrieben«, sagt er selbst – im Juli dieses Jahres 1785 den Anfang gemacht hatte. Als aber[358] Hoffmeister klagte, das Publikum finde Mozarts Kompositionen zu schwer und wolle sie nicht kaufen, entband dieser ihn freiwillig seines Kontraktes und die Fortsetzung wurde aufgegeben.

Es ist überhaupt schmählich, wie manche Musikalienhändler die Gutmütigkeit und die Sorglosigkeit Mozarts in jener Zeit mißbrauchten. Sie wußten sich von den meisten seiner Klaviersachen, die er oft nur aus Gefälligkeit für Bekannte zu schreiben pflegte, Abschriften zu verschaffen und druckten dann lustig darauf los. Besonders hatte, erzählt Rochlitz, ein gewisser ziemlich berühmter Kunsthändler eine Menge solcher Geschäfte gemacht und eine Menge Mozartscher Kompositionen gedruckt, verlegt, verkauft, ohne den Meister nur darum zu fragen. Einst kam ein Freund zu diesem. »Da hat der A ... wieder einmal eine Partie Variationen fürs Klavier von Ihnen gedruckt; wissen Sie davon?« – »Nein!« – »Warum legen Sie ihm aber nicht das Handwerk einmal?« »Ei, was soll man viel Redens machen, es ist ein Lump!« »Es ist aber hier nicht bloß des Geldes, sondern auch Ihrer Ehre wegen.« – »Nun, wer mich nach solchen Bagatellen beurteilt, ist auch ein Lump. Nichts mehr davon!« – Ebenso war ihm mit dem Klavierauszuge der »Entführung«, den er selbst bei Torricella in Wien herausgeben wollte und schon begonnen hatte, bereits in Augsburg einer zuvorgekommen. Allein es ist dabei wiederum zu bemerken, daß Mozarts Namen damals keineswegs schon allgemein verbreitet war, und daß die Verleger deshalb nicht viel zu zahlen vermochten. Auch waren die damaligen Ohren noch nicht an so ernste gehaltvolle Musik gewöhnt. Ja, die Haydn-Quartetts wurden dem Verleger von Italien zurückgeschickt, weil der Stich so fehlerhaft sei. Man hatte die vielen fremden Harmonien, namentlich die so wundervoll scharf dissonierenden Stellen für Stichfehler gehalten. Ebenso rief ein Graf, als seine Leute diese Sachen aufführten, einmal über das andere: »Sie spielen ja falsch!« Und als man ihn vom Gegenteil überzeugte, zerriß er[359] die Noten auf der Stelle. Darum ist es wohl glaublich, daß Hoffmeister zu Mozart sagte: »Schreib' leichter, sonst kann ich nichts mehr von Dir drucken und bezahlen!«, worauf Mozart antwortete: »Nun so verdiene ich nichts mehr und hungere und scher' mich doch den Teufel darum.« – Allein er hatte Weib und Kind zu Hause, und für diese galt es zu sorgen.

Das eigenhändige Verzeichnis Mozarts weist in diesem Winter nicht viel Kompositionen nach. Im November schrieb er zwei Stücke in die Oper eines anderen, dann die Sonate für Klavier und Violine in C mit dem schönen Adagio und gleich darauf ein Klavierkonzert, das er in einem Zwischenakte spielte. Den größten Teil der Zeit aber nahm wohl die Komposition des »Figaro« weg, der freilich erst unter dem 29. April 1786 als fertig eingetragen steht. Inzwischen fanden nämlich die zeitraubenden Proben statt, die wiederum manche Widerwärtigkeiten mit sich brachten. »Es waren drei Opern auf dem Tapet«, erzählt Kelly, »eine von Rhigini, eine von Salieri und eine von Mozart. Sie waren so ziemlich gleichzeitig zur Aufführung fertig, und jeder Componist nahm das Recht für sich in Anspruch, seine Oper zuerst aufzuführen, dadurch entstand große Uneinigkeit und es bildeten sich Parteien. Der Charakter der Männer war sehr verschieden. Mozart war auffahrend wie Schießpulver und schwur die Partitur seiner Oper ins Feuer zu werfen, wenn sie nicht zuerst auf die Bühne käme; seine Ansprüche wurden von einer eifrigen Partei unterstützt. Im Gegenteil arbeitete Rhigini wie ein Maulwurf im Dunkeln, um den Vorsprung zu gewinnen. Der dritte Candidat war Hofkapellmeister, ein schlauer gewandter Mann, der besaß was Bacon die Klugheit der krummen Wege nennt, und seine Ansprüche wurden von drei der Hauptsänger unterstützt, welche eine nicht leicht zu besiegende Cabale anzettelten. Jeder von den Operisten nahm an diesen Zwistigkeiten Theil. Ich allein stand auf Mozarts Seite, sehr natürlich, denn er hatte ein Recht auf meine wärmste Theilnahme durch meine Bewunderung[360] seines mächtigen Talentes und meine Dankbarkeit für manche persönliche Gefälligkeit. Endlich wurde der Streit geschlichtet durch den Befehl des Kaisers, Mozarts Oper sogleich zu probiren.«

Salieris »Grotte des Trofonius« von Casti war freilich bereits im Oktober gegeben worden, und es ist nicht denkbar, daß die Komposition des Figaro schon damals bis zur Probe gediehen war, obwohl da Ponte berichtet, die ganze Oper sei in sechs Wochen geschrieben worden. Manches mag allerdings fertig gewesen sein. Es bestätigt sich aber auch aus einer Anekdote, welche da Ponte mitteilt, mit welchen Kabalen Mozart zu kämpfen hatte und wie schließlich immer der Kaiser durchgreifen mußte. Denn auch Graf Rosenberg, der Intendant, der durchaus nichts hören kann, was nicht italienisch ist, war »ein abgesagter Feind des Deutschen.« Da Ponte erzählt also: Der Regisseur Bussani (der Sänger, für welchen die Partie des Bartolo bestimmt war) meldete dem Grafen Rosenberg, daß im Figaro – im dritten Akt bei der Hochzeitsfeierlichkeit, während Susanne dem Grafen das Billett zusteckt – ein Ballett angebracht sei. Dieser ließ den Dichter kommen, erinnerte ihn, daß der Kaiser kein Ballett wolle und riß, ohne auf die Einwendungen zu hören, die Szene aus dem Textbuch heraus. Mozart war außer sich, als er diese Neuigkeit erfuhr, wollte den Grafen zur Rede stellen, Bussani prügeln, sich an den Kaiser wenden, die Partitur zurücknehmen, – es kostete Mühe, ihn zu beruhigen. In der Generalprobe war der Kaiser zugegen, dem Befehl Rosenbergs gemäß blieb das Ballett fort, Susanna und der Graf machten, während alles still war, ihre nun begreiflichen Gesten; erstaunt fragte der Kaiser, was denn das zu bedeuten habe, und befahl, als ihm da Ponte die nötigen Aufklärungen gegeben hatte, sogleich für ein anständiges Ballett zu sorgen.

Indessen gab der Kaiser, der durch diese Proben wieder an[361] Mozarts Kunst erinnert worden war, ihm gerade in dieser Zeit seine Gunst auch noch auf andere Art zu erkennen. Zur Verherrlichung eines großen Gartenfestes zu Schönbrunn im Februar des neuen Jahres 1786 hatte er eine dramatische Aufführung befohlen, bei der die ausgezeichnetsten Mitglieder des Schauspiels wie der deutschen und der italienischen Oper tätig sein sollten. »Stephanie der jüngere, derselbe, von dem der Text zur ›Entführung‹ bearbeitet worden war, hatte das Stück geschrieben. Es war ›Der Schauspieldirektor‹. Frank hat die Konzession zu einem Theater in Salzburg erhalten und befindet sich in großer Verlegenheit, ohne Geld die nötigen Mitglieder sogleich zu engagieren. Es singen ihm nun verschiedene Primadonnen und Sänger Probe, und ebenso spielen verschiedene Schauspieler und Schauspielerinnen ihre Musterstücke. Das ist der einfache Inhalt eines Stückes, aus dem so manche unwürdige Darstellung der Person und Verhältnisse Mozarts gemacht worden ist. Mozart hatte für dieses kleine Singspiel die Musik zu schreiben und komponierte zu diesem Zweck eine Ouvertüre, zwei Arien, das berühmte Terzett: ›Ich bin die erste Sängerin‹, und das Finale. Alles andere, was heute in dieses Stück eingelegt wird, ist allerdings auch von Mozart, aber für ganz andere Zwecke geschrieben.«

Derweilen nahte die Zeit der Aufführung von »Figaros Hochzeit«. Den 18. April schreibt der Vater an Marianne: »Am 28. geht le nozze di Figaro zum erstenmal in die scena. Es wird viel seyn, wenn er reüssirt, denn ich weiß, daß er erstaunlich starke Cabalen wider sich hat. Salieri mit seinem ganzen Anhange wird wieder suchen Himmel und Erde in Bewegung zu setzen. Duschek sagte mir neulich, daß Dein Bruder so viele Cabalen wider sich habe, weil er wegen seines besonderen Talents und Geschicklichkeit in so großem Ansehen stehe.« Und Niemtschek berichtet, man erzähle allgemein, daß welsche Sänger aus Haß, Neid und niedriger Cabale bei der ersten Vorstellung[362] sich alle Mühe gegeben, die Oper zu stürzen, so daß die Sänger durch eine ernste Warnung des Kaisers zu ihrer Pflicht gewiesen werden mußten. Aber ganz im Gegensatz dazu berichtet Kelly, die Oper sei damals so vorzüglich gegeben worden, daß, wie oft und gut er sie auch später habe darstellen sehen, doch jene ersten Wiener Aufführungen davon so unterschieden gewesen seien wie das Licht von der Finsternis. »Alle ersten Darsteller hatten den Vorteil durch den Componisten selbst unterwiesen zu werden, der seine Ansichten und seine Begeisterung auf sie übertrug. Nie werde ich sein kleines beklebtes Antlitz vergessen, wie es leuchtete, erglühend vom Feuer des Genius – es ist nicht möglich das zu beschreiben, so wenig als Sonnenstrahlen zu malen«, so sagt er in lebhafter Schilderung.

»Ich erinnere mich«, fährt er dann fort, »wie Mozart im rothen Pelz und Tressenhut bei der ersten Generalprobe auf der Bühne stand und das Tempo angab. Benucci sang Figaros Arie Non più andrai mit der größten Lebendigkeit und aller Kraft seiner Stimme. Ich stand dicht neben Mozart, der sotto voce wiederholt rief: bravo, bravo Benucci; und als die schöne Stelle kam: Cherubino, alla vittoria, alla gloria militari!, welche Benucci mit Stentorstimme sang, war die Wirkung auf alle, die Sänger auf der Bühne wie die Musiker im Orchester, eine wahrhaft elektrische. Ganz außer sich vor Entzücken rief alles bravo! bravo Maestro! viva! viva! viva grande Mozart! Im Orchester konnten sie kein Ende finden mit Klatschen und die Geiger klopften mit den Bogen auf die Notenpulte. Der kleine Mann sprach in wiederholten Verbeugungen seinen Dank für den enthusiastischen Beifall aus, der ihm auf so außerordentliche Weise ausgedrückt wurde.«

Am 1. Mai wurde die Oper zum ersten Male aufgeführt und »nie hat man einen glänzenderen Triumph gefeiert, als Mozart mit seinen Nozze di Figaro«, sagt Kelly. Das Haus war gedrängt voll und fast jedes Stück mußte wiederholt werden, so[363] daß die Oper beinahe die doppelte Zeit währte. Und doch wurde am Schluß das Publikum nicht müde zu klatschen und Mozart herauszurufen. Wie mag ihm da das Herz höher geschlagen haben! – Endlich, endlich war ein Sieg errungen, und ein Sieg wider die Welschen! »Bei der zweiten Aufführung von der Opera Deines Bruders«, schreibt der Vater, »sind fünf Stück und bey der dritten Aufführung sieben Stück repetirt worden, worunter ein kleines Duett dreimal hat müssen gesungen werden.« Wie schade, daß der Vater die eigenen Briefe Mozarts über diese Vorgänge vernichtet hat!

Allein die Freude sollte wiederum von keiner langen Dauer sein. Schon nach den ersten Aufführungen hatte man mit seiner Berechnung dem Kaiser den Rat gegeben, das Dacapo-Rufen zu verbieten, und Kelly erzählt, wie Joseph nach diesem Verbote in einer Probe zu einigen Sängern trat und sagte, er glaube ihnen dadurch eine Wohlthat erwiesen zu haben, denn das beständige Wiederholen müsse ja für sie ermüdend und höchst lästig sein. Ja, habe Nancy Storace, die Sängerin der Susanna, erwidert, es ist uns allerdings sehr lästig, und Benucci und Mandini (Graf Almaviva) haben durch eine Verbeugung ihre Zustimmung ausgedrückt; er aber habe dreist zum Kaiser gesagt: »Glauben Ew. Majestät ihnen das ja nicht, sie alle wünschen, daß man ihnen Dacapo rufe, ich wenigstens kann es von mir bestimmt versichern«, – worauf der Kaiser lachte.

So war die italienische Partei tätig, den »Figaro« von der Bühne zu verdrängen. Eine solche Konkurrenz hatte selbst ein Salieri zu fürchten, obgleich er fest in der Gunst des Kaisers wie des Publikums stand. Allgemach würde sich, so dachte er, der Geschmack beider an den tieferen Gehalt dieser Musik gewöhnen und die beliebte italienische Weise matt finden, so daß ihnen bald für ihre Musik niemand mehr ein Stück Brot geben werde. Und doch sollten noch mehr als ein Menschenalter später Rossini und seine Trabanten glänzen! Man tat also von Direktions[364] wegen dafür, daß die Oper, die bei solch enormem Beifall nicht ohne weiteres entfernt werden konnte, wenigstens nicht gar zu oft und namentlich nicht zu rasch hintereinander gegeben werde. Sie erschien denn auch in diesem Jahre nur neunmal auf dem Repertoire. Das war freilich viel gegen gewöhnliche Opern, und nur noch eine Oper, der genannte »Griesgram« von Martin, hatte ebensoviel Aufführungen in diesem Jahre. Allein man legte die Aufführungen des Figaro möglichst weit auseinander, und als nun im November wiederum eine Oper von Martin, die »Cosa rara« (deutsch: »Lilla« oder »Schönheit und Tugend«) einen unglaublichen Erfolg errang und sowohl beim Publikum wie beim Kaiser den »Figaro« in Schatten stellte, konnte man ihn in der Tat zunächst ganz beseitigen. Er kam dann auch die nächsten Jahre nicht wieder zur Aufführung.

Wie mußte dies unsern Meister, der sich bewußt war, ein Meisterwerk geschrieben zu haben, das alle jene Opern hundertfach überragte und das auch bereits die vollste Anerkennung gefunden, in tiefster Seele kränken! – Er hatte sich nachhaltigen Ruhm und zugleich einen sicheren Erfolg für seine materielle Stellung davon versprochen, und mit vollem Recht, und jetzt sah er sich gegen die seichte Spielerei der Italiener zurückgesetzt, der verhaßten Welschen, die obendrein im Ueberflusse schwelgten, derweilen er mit Bedrückung, ja mit Not zu kämpfen hatte. Wiederum war das leidige Stundengeben sein Los, und sehr wehe tut das Wort, das er in diesen Tagen zu Gyrowetz sprach, der soeben nach Italien zu gehen dachte. »Sie glücklicher Mann!« sagte Mozart; »ach könnte ich mit Ihnen reisen, wie froh wäre ich! Sehen Sie, da muß ich itzt noch eine Stunde geben, damit ich nur etwas verdiene.« Auch die meisten Kompositionen dieser Zeit weisen auf das bloße Bedürfnis des Unterrichts hin, bis im Herbst wieder etwas für die Akademien, deren Mozart im November vier gab, geschrieben wurde. Wie begreiflich ist es, daß er jetzt lebhafter als je daran dachte, Wien ganz zu verlassen[365] und nach London zu gehen, zumal gerade damals sein Schüler Thomas Attwood, der Freund Kelly und die Geschwister Storace ihm die schönsten Hoffnungen machten. Und als ihn nun seine Frau im Oktober mit dem dritten Kinde beschenkt hatte, einem Knaben, der wieder den Namen Leopold erhielt, aber schon im nächsten Frühjahre starb, schrieb Mozart seinem Vater, daß er in der zweiten Hälfte des Faschings eine Reise durch Deutschland nach England zu unternehmen beabsichtige, wenn dieser sich entschließen könne, für die Zeit der Abwesenheit, da Constanze ihn begleiten werde, die beiden Kinder mit den »Menschern«, wie in Wien die Mägde heißen, natürlich gegen volle Entschädigung zu sich ins Haus und unter seine Aufsicht zu nehmen. Allein davon wollte der Vater durchaus nichts wissen. »Ich habe ihm tüchtig geschrieben und versprochen die Continuation meines Briefes mit nächster Post ihm zu schicken«, heißt es hart genug in einem Briefe an die Tochter; »der gute ehrliche Silhouettenmacher Hr. Müller hatte Deinem Bruder den Leopoldl gelobt, folglich hat er erfahren, daß das Kind bey mir ist, welches ich ihm niemals geschrieben hatte; also kam ihm oder vielleicht seiner Frau der gute Einfall. Das wäre freilich nicht übel – sie könnten ruhig reisen – könnten sterben – könnten in England bleiben – da könnte ich ihnen mit den Kindern nachlaufen – oder der Bezahlung, die er mir für Menscher und Kinder anträgt u.s.w. Basta! meine Entschuldigung ist kräftig und lehrreich, wenn er es benutzen will.«

Das mochte nun gerade auch nicht erbaulich sein für den schwer geplagten Mozart, und der Vater meint, er werde sobald keinen Brief von ihm erhalten, ob er ihm gleich »ganz liebreich« alles vorgestellt habe. Allein schon nach wenig Tagen lief ein Schreiben Wolfgangs ein, woraus die Tochter entnehmen werde, daß ihn seine Antwort ganz beruhigt habe. Und doch mußte es den Sohn empfindlich berühren, daß er den Vater so gegen sich und seine Frau eingenommen sah, zumal dieser für die Tochter,[366] die seit zwei Jahren (1784) mit dem salzburgischen Hofrat Baron von Berchthold zu Sonnenburg verheiratet war, und für ihren Buben die liebevollste, ja eine fast rührende Teilnahme beweist. So kam denn mancherlei zusammen, Mozart recht in der Seele trübgestimmt zu machen. Nach England ging er freilich auch diesmal nicht. Er wollte erst feste Zusicherungen haben. Allein sein Auge blieb fortan nach außen gerichtet. Wie froh mußte er also sein, als ihm auch wirklich von außen her eine Erleichterung kam – von Prag.

Man hatte hier, wo die »Entführung« bereits allgemein beliebt war, auch sogleich den »Figaro« auf die Bühne gebracht und das Entzücken der musikbegeisterten Böhmen über solch ein Werk war grenzenlos. Zudem hatte Mozart dort nahe Freunde an dem Künstlerpaare Duschek. Schon im Jahre 1777 waren diese musikalischen Eheleute, die damals großen Rufs genossen, nach Salzburg gekommen und mit Mozarts bekannt geworden. Die junge lebhafte Frau, die mit Wolfgang von gleichem Alter war und wie er die Neigung besaß, sich über die Leute aufzuhalten, hatte einen gewissen Eindruck auf ihn gemacht, und er hatte ihr damals eine herrliche Arie geschrieben. Seitdem waren die Familien stets miteinander im Verkehr geblieben. Im Frühjahr 1786 kamen Duscheks nach Wien und waren daher Zeugen der Kabalen, mit denen Mozart vor der Aufführung seiner Oper zu kämpfen hatte. Sie hatten dann hernach in Prag das Beste davon erzählt und so die Aufführung veranlaßt. »Figaro wurde im Jahre 1786 von der Bondinischen Gesellschaft auf die Bühne gebracht«, berichtet Niemtschek, »und gleich bei der ersten Vorstellung mit einem Beifall aufgenommen, der nur mit demjenigen, welchen die Zauberflöte nachher erhielt, verglichen werden kann. Es ist die strengste Wahrheit, wenn ich sage, daß diese Oper fast ohne Unterbrechen diesen ganzen Winter gespielt ward und daß sie den traurigen Umständen des Unternehmers vollkommen aufgeholfen hatte. Der Enthusiasmus, den sie beim[367] Publikum erregte, war bisher ohne Beispiel, man konnte sich nicht genug daran satt hören. Sie wurde bald von einem unserer besten Meister, Kucharz, in einen guten Klavierauszug gebracht, in blasende Partien, ins Quintett für Kammermusik, in teutsche Tänze verwandelt, kurz Figaros Gesänge wiederhallten auf den Gassen, in den Gärten, ja selbst der Harfenist auf der Bierbank mußte sein Non più andrai tönen lassen, wenn er gehört sein wollte.«

So war es nicht zu verwundern, wenn das Orchester und eine Gesellschaft großer Kenner und Liebhaber, wie der Vater an Nannerl berichtet, dem Komponisten der Oper einen Einladungsbrief zuschrieben und eine Poesie sandten, die über ihn gemacht worden war. Und diese Aufforderung ließ sich Mozart nicht zweimal machen. Er dürstete nach Anerkennung draußen in der Fremde, um den Wienern zu zeigen, daß er ihrer nicht bedürfe. Jetzt hatte er einen Enthusiasmus für seine Musik und eine herzliche Teilnahme für seine Person zugleich gefunden. Er eilte nach Prag. Seine Frau begleitete ihn. Im Januar (1787) langten sie an. Der Vater meinte, daß sie bei Duschek, dessen Frau damals auf einer Kunstreise nach Berlin abwesend war, wohnen würden. Allein es war ihnen eine größere Ehre zugedacht. Graf Thun, »einer der edelsten Cavaliere und Kenner der Musik«, hatte Mozart eingeladen, sein Gast zu sein, er hatte ihm, wie berichtet wird, Wohnung, Kost und alle Bequemlichkeit in seinem Hause angeboten. Wie wirkte dies alles auf Mozarts Gemüt, das noch soeben tief niedergedrückt worden war! Seine Seele kam wieder in die schönen Schwingungen, die wir mit dem Worte Freude bezeichnen. Damals war es, wo er an seinen Freund Gottfried von Jacquin folgenden langen Brief schrieb, der uns über diesen ersten Aufenthalt in Prag am besten unterrichtet:

»Liebster Freund! Endlich finde ich einen Augenblick an Sie schreiben zu können; – ich nahm mir vor gleich bey meiner[368] Ankunft vier Briefe nach Wien zu schreiben, aber umsonst! nur einen einzigen (an meine Schwiegermutter) konnte ich zusammenbringen, und diesen nur zur Hälfte – meine Frau und Hofer mußten ihn vollenden. Gleich bei unserer Ankunft hatten wir über Hals und Kopf zu thun, um bis 1 Uhr zur Tafel fertig zu werden. Nach Tisch regalirte uns der alte Graf Thun mit einer Musik, welche von seinen eigenen Leuten aufgeführt wurde und gegen anderthalb Stunden dauerte. Diese wahre Unterhaltung kann ich täglich genießen. Um 6 Uhr fuhr ich mit dem Grafen Canal auf den sogenannten Breitfeldischen Ball, wo sich der Kern der Prager Schönheiten zu versammeln pflegt. Das wäre so etwas für Sie gewesen, mein Freund! ich meyne, ich sehe Sie all den schönen Mädchen und Weibern nach – – laufen glauben Sie? – nein nachhinken. Ich tanzte nicht und löffelte nicht. Das erstere, weil ich zu müde war, und das letzte aus meiner angebornen Blöde; ich sah aber mit ganzem Vergnügen zu, wie alle diese Leute auf die Musik meines Figaro, in lauter Contretänze und Teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen; denn hier wird von nichts gesprochen als – Figaro, keine Oper besucht als Figaro, und ewig Figaro; gewiß große Ehre für mich.

Nun wieder auf meine Tagordnung zu kommen. Da ich spät vom Ball nach Hause gekommen und ohnehin von der Reise müde und schläfrig war, so ist nichts natürlicher auf der Welt, als daß ich sehr lange werde geschlafen haben; und gerade so war es. Folglich war der ganze Morgen wieder sine linea; nach Tisch darf die hochgräfliche Musik nie vergessen werden, und da ich eben an diesem Tage ein ganz gutes Pianoforte in mein Zimmer bekommen habe, so können Sie sich leicht vorstellen, daß ich es den Abend nicht so unbenutzt und ungespielt werde gelassen haben; es gibt sich ja von selbst, daß wir ein kleines Quatuor in caritatis camera (und das schöne Bandl Hammera) unter uns werden gemacht haben, und auf diese[369] Art der ganze Abend abermals sine linea wird vergangen seyn; und gerade so war es. Nun zanken Sie sich meinetwegen mit Morpheus; dieser ist uns beiden in Prag recht günstig; was die Ursache davon seyn mag, das weiß ich nicht; genug, wir verschliefen uns beide sehr artig. Doch waren wir im Stande schon um 11 Uhr uns beym Pater Unger einzufinden und die k.k. Bibliothek und das allgemeine geistliche Seminarium in hohen niedern Augenschein zu nehmen. – Nachdem wir uns die Augen fast aus dem Kopf geschauet hatten, glaubten wir in unserm Innersten eine kleine Magenarie zu hören; wir fanden also für gut zum Grafen Canal zur Tafel zu fahren. Der Abend überraschte uns geschwinder, als Sie vielleicht glauben, genug, es war Zeit zur Opera. Wir hörten also Le gare generose. was die Aufführung dieser Oper anbelangt, so kann ich nichts Entscheidendes sagen, weil ich geschwätzt habe; warum ich aber wider meine Gewohnheit geschwätzt habe, darin möchte es wohl liegen. Basta, dieser Abend war wieder al solito verschleudert.

Heute war ich so glücklich einen Augenblick zu finden, um mich um das Wohlsein Ihrer lieben Eltern und des guten Jacquinschen Hauses erkundigen zu können. Ich hoffe und wünsche von Herzen, daß Sie sich alle so wohl befinden mögen, wie wir beiden uns befinden. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß (obwohl ich hier alle möglichen Höflichkeiten und Ehren genieße und Prag in der That ein sehr schöner und angenehmer Ort ist) ich mich doch recht sehr wieder nach Wien sehne, und glauben Sie mir, der Hauptgegenstand davon ist gewiß Ihr Haus. Wenn ich bedenke, daß ich nach meiner Zurückkunft nur eine kurze Zeit noch das Vergnügen genießen kann in Ihrer werthen Gesellschaft zu seyn und dann auf so lange – und vielleicht auf immer dieses Vergnügen werde entbehren müssen, dann fühle ich erst ganz die Freundschaft und Achtung, welche ich gegen Ihr ganzes Haus hege. – Nun adieu! Ich bitte Ihren würdigen Eltern meinen Respect zu melden und[370] Ihren Herrn Bruder für mich tausendmal zu embrassiren. Ihrer Fräulein Schwester küsse ich tausendmal die Hände, mit der Bitte auf Ihrem neuen Pianoforte recht fleißig zu seyn, – doch diese Ermahnung ist unnütz, denn ich muß bekennen, daß ich noch nie eine solche Schülerin gehabt, welche so fleißig und soviel Eifer gezeigt hätte wie eben sie, – und in der That, ich freue mich recht sehr wieder darauf ihr nach meinen geringen Fähigkeiten weiter Unterricht zu geben. – Nun aber wäre es doch Zeit zu schließen? Nicht wahr? schon längst werden Sie sich das denken. – Schreiben Sie mir bald – aber bald, und sollten Sie vielleicht zu träge dazu seyn, so lassen Sie den Salmann kommen und dictiren Sie ihm den Brief; doch es geht nie so vom Herzen, wenn man nicht selbst schreibt. Nun – ich will sehen, ob Sie so mein Freund sind wie ich ganz der Ihrige bin und ewig seyn werde. P.S. Mittwoch werde ich hier den Figaro sehen und hören, wenn ich nicht bis dahin taub und blind werde. – Vielleicht werde ich es erst nach der Opera.«

Dieser Brief giebt eine Vorstellung von dem heiteren Treiben, das Mozart in Prag umwogte. Von der einen fröhlichen Gesellschaft ging es in die andere, und immer war Musizieren der Mittelpunkt des Vergnügens. Bei der Aufführung seiner Oper, die ihm zu Ehren stattfand, wurde er von dem gefüllten Hause mit endlosem Jubel empfangen. Er selbst war von dieser Vorstellung, besonders von den Leistungen der ausgezeichneten Kapelle so entzückt, daß er dem Kapellmeister Strobach in einem »sehr gut geschriebenen Brief« seinen Dank aussprach, daß seinem Werke durch die geschickte Ausführung ein solcher Beifall bereitet worden sei. Dieser versicherte denn auch, daß er samt seinem Personal bei der jedesmaligen Vorstellung so sehr ins Feuer gerate, daß er trotz der mühsamen Arbeit mit Vergnügen von vorn wieder anfangen würde.

Auch zwei Konzerte gab Mozart bald darauf. »Nie sah man das Theater so voll Menschen«, berichtet Niemtschek, »nie ein[371] stärkeres einstimmiges Entzücken als sein göttliches Spiel erweckte. Wir wußten in der That nicht, was wir mehr bewundern sollten, ob die außerordentliche Composition oder das außerordentliche Spiel; beydes zusammen bewirkte einen Totaleindruck auf unsere Seelen, welcher einer süßen Bezauberung glich! Aber dieser Zustand lösete sich dann, als Mozart zu Ende der Akademie allein auf dem Pianoforte mehr als eine halbe Stunde phantasirte und unser Entzücken auf den höchsten Grad gespannt hatte, in laute überströmende Beyfallsäußerung auf.« – Und ein anderer Zuhörer, Stiepanek, berichtet: »Zum Schluß der Akademie phantasirte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus der entzückten Böhmen aufs höchste, sodaß er durch den stürmischen Beifall, welchen man ihm zollte, sich gezwungen sah, nochmals an das Klavier sich zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge, daß er von den entbrannten Zuhörern zum dritten Male bestürmt wurde. Mozart erschien, und innige Zufriedenheit über die allgemeine enthusiastische Anerkennung seiner Kunstleistungen strahlte aus seinem Antlitz. Er begann zum dritten Mal mit steigender Begeisterung, leistete, was noch nie gehört worden war, als auf einmal aus der herrschenden Todesstille eine laute Stimme im Parterre rief: ›Aus Figaro!‹ worauf Mozart in das Motiv der Lieblingsarie Non più andrai einleitete, ein Dutzend der interessantesten und künstlichsten Variationen aus dem Stegreif hören ließ und unter dem rauschendsten Jubel diese merkwürdige Produktion endigte.«

Was wohl damals tief in seinem Inneren vorgegangen sein mag? – Als Knabe hatte er geweint, wenn er recht sehr gelobt wurde. Jetzt fühlte er seine Bedeutung, und bewundernde Anerkennung war ihm Gewohnheit, fast schuldiger Tribut geworden. Und doch zog gerade in dieser Stunde, wo ihn die Begeisterung in den höchsten Wellen umwogte, durch seine Seele jenes leise Gefühl der Wehmut, das allen tiefen Naturen eigen[372] ist. Denn so groß er die Macht seines Könnens fühlte und sie aus ihrer Wirkung auf die Menschen deutlich erkannte, desto mehr wurde er, der mit seiner Seele am Höchsten hing und das, was unendlich über all diese Dinge hinausgeht, tiefer fühlte als all seine Umgebung, von der Hinfälligkeit alles Irdischen, von den unübersteiglichen Schranken, die unserer Natur gesetzt sind, ergriffen. Wo früher die innere Bescheidenheit ihm Tränen entlockt, erzeugte jetzt die stille Ergebung in das Walten des Ewigen eine tiefe Wehmut. Niemand um ihn her mochte das ahnen. Aber ihm war gerade in dieser höchsten Steigerung seiner Kraft auf diesem Gipfelpunkte seines Lebens zum ersten Male der Gedanke gekommen, daß das auch einmal aufhören könne, und wir werden ihn jetzt bald auf den Staffeln dieser erschütternden Erfahrung in die Tiefen des Innern hinabsteigen und aus der Quelle, wo Freud und Leid zusammenfließen, das Werk schöpfen sehen, in dem das Leid der Menschenherzen sich mit dem sprudelnden Leben der Freude zu einem Bilde vereinigt, in welchem die »lächelnde Wehmut« den Grundton bildet.

Der Beifall des »Figaro« veranlaßte die Bestellung des »Don Juan«. Denn als Mozart in der Freude seines Herzens äußerte, für ein Publikum, daß ihn so verstehe und ehre wie die Prager, würde er gern eine Oper schreiben, nahm der Theaterdirektor Bondini ihn beim Wort und schloß mit ihm einen Kontrakt, daß er für den Anfang der nächsten Saison gegen das übliche Honorar von 100 Dukaten eine Oper komponieren solle. Das war denn der »Don Juan«, und nur zu einem solchen Werke konnte der »Figaro« führen.

»Figaros Hochzeit« war die erste vollgültige komische Oper höheren Stils. Sie war es durch die Tiefe, mit der die Charaktereigentümlichkeiten der Menschen erfaßt, und durch die Feinheit und Sicherheit, mit der sie gezeichnet sind. Und das ist Mozarts Werk; denn Beaumarchais' Gestalten sind durchweg[373] andere und entbehren des reichen innerlichen Lebens, das jede Figur Mozarts zu einem wahren Menschenbilde macht.

Der Text der Oper ist bekannt genug. Man hat ihn frivol genannt, und gewiß, er ist es. Beaumarchais schildert die Rücksichtslosigkeit des sinnlichen Genießens, das sich der Adel seiner Zeit erlaubte, mit der ganzen Schärfe und Rücksichtslosigkeit, die ihm seine Tendenz auferlegte. Daß er selbst von der Lüsternheit, von der hier das ganze Liebesleben durchdrungen ist, nicht frei erscheint, daß er mehr politische Absicht als sittliche Erhebung zeigt, entzieht eben seinem Stücke den dauernden poetischen Wert. Doch ist zu bewundern, mit welch sicherer Hand hier ein Sittengemälde der Zeit, und in welch reichem und echt dramatischem Leben es entworfen ist. Und dieses war es, was Mozart anzog. Die politische Tendenz lag ihm fern, selbst wenn dergleichen überhaupt musikalisch wäre. Und daß nun dieses Leben, sowie es sich in dem Lustspiele darstellt, von einer Anschauungsweise durchdrungen war, welche uns, die wir durch die schweren Kämpfe eines Jahrhunderts ernster und strenger geworden sind, etwas frivol erscheint, war für Mozart kein Grund es abzuweisen. Er wählte dieses Stück nicht wegen dieser Eigenschaft, sondern eher trotz derselben. Uebrigens erschien ihm das ganze Treiben auf dem gräflichen Schlosse durchaus nicht so schlimm wie uns heute; denn war schon an und für sich die Zeit, der Mozart angehörte, durch ihre gesamte Auffassung einem unbefangenen sinnlichen Leben mehr ergeben, so herrschte besonders in der Auffassung liebender Zuneigungen ein ungleich freierer, leichterer Sinn als heutzutage. Nur in den höheren Regionen der Gesellschaft war dieser zur Frivolität, zur offenbaren Unsittlichkeit emporgewuchert. In den bürgerlichen Kreisen war die Sache durchaus naiv und darum von eigentlicher Verdorbenheit frei. Karoline Flachsland, die Braut des ernsten Herder, las den »neuen Amadis« und fand ihn sehr ergötzlich. Ebenso fiel es keiner Mutter ein, ihrer Tochter die Bücher zu entziehen,[374] in denen damals der Tagesordnung gemäß die sinnlichen Dinge entweder wie bei Goethe mit reinem Sinn oder auch wie bei Schlegel und an dern mit Lüsternheit oder gar mit Frivolität behandelt wurden.

So war nun auch Mozart durchaus ein Kind seiner Zeit. Er sah in dem fröhlichen Wien hundert Verhältnisse um sich her, die wir heute kaum billigen könnten. Dergleichen war in jener Zeit, wo das Bewußtsein von der Würde des Menschen, das eine lange schlechte Zeit im Volke erstickt hatte, kaum wieder aufzuleben begann, noch etwas Gewöhnliches, und Mozart war kein Sittenrichter. Sein Sinn war auf die Erzeugung des Schönen und des lebendigen Bildes des Lebens gerichtet, und sein Großes liegt darin, daß er das menschliche Leben in seiner Naivetät erfaßte und mit reinem Sinn darstellte.

Im Jahre 1784, als seine Schwester den Herrn von Berchtold zu Sonnenberg heiratete, schrieb er an sie einen Brief, der uns über seine Art, diese Dinge zu betrachten, bessere Auskunft gibt als sonstige Ausführungen. Dieser Briefs1 lautet:


Wien, 18. August 1784.


»Ma très chère soeur!


Potz Sapperment! – Jetzt ist es Zeit, daß ich schreibe, wenn ich will, daß Dich mein Brief noch als eine Vestalin antreffen soll! – Ein paar Tage später, und – weg ist's. – Meine Frau und ich wünschen Dir alles Glück und Vergnügen zu Deiner Standesveränderung und bedauern nur von Herzen, daß wir nicht so glücklich sein können bei Deiner Vermählung gegenwärtig zu sein; wir hoffen aber Dich künftiges Frühjahr ganz gewiß in Salzburg sowohl als in St. Gilgen als Frau von Sonnenberg sammt Deinem Herrn Gemahl zu umarmen. Wir bedauern[375] nun nichts als unsern lieben Vater, welcher nun so allein leben soll! – Freilich bist Du nicht weit von ihm entfernt und er kann öfters zu Dir spazieren fahren – allein jetzt ist er wieder an das verfluchte Capellhaus gebunden! – Wenn ich aber an meines Vaters Stelle wäre, so würde ich es also machen; – ich bittete den Erzbischof nun (als einen Mann, der schon so lange gedient hat) mich in meine Ruhe zu setzen – und nach erhaltener Pension ging ich zu meiner Tochter nach St. Gilgen und lebte dort ruhig. – Wollte der Erzbischof meine Bitte nicht eingehen, so begehrte ich meine Entlassung und ging zu meinem Sohne nach Wien, – und das ist's, was ich hauptsächlich Dich bitte, daß Du Dir Mühe geben möchtest ihn dazu zu bereden; – und ich habe ihm heute in dem Briefe an ihn schon das Nämliche geschrieben. Und nun schicke ich Dir noch 1000 gute Wünsche von Wien nach Salzburg, besonders, daß ihr beide so gut zusammen leben möget, als wie – wir zwei. Drum nimm von meinem poetischen Hirnkasten einen kleinen Rat an; denn höre nur:


Du wirst im Ehestand viel erfahren,

was Dir ein halbes Rätsel war;

bald wirst du aus Erfahrung wissen,

wie Eva einst hat handeln müssen,

daß sie hernach den Kain gebar.

Doch Schwester, diese Ehstandspflichten

wirst Du von Herzen gern verrichten,

denn glaube mir, sie sind nicht schwer.


Denn jede Sache hat zwo Seiten:

der Ehstand bringt gar viele Freuden,

allein auch Kummer bringet er.

Drum, wenn dein Mann dir finst're Mienen,

die du nicht glaubest zu verdienen,

in seiner übeln Laune macht:

so denke: das ist Männergrille

und sag': Herr, es gescheh' Dein Wille

– – – – – – – – – – – – – – – – – –


Dein aufrichtiger Bruder

W.A. Mozart.«[376]


Bei einer solchen Auffassung konnte es Mozart nicht schwer werden, das übermütige Leben der ganzen Oper in einer Naivetät zu geben, die uns nichts Arges denken läßt, und selbst wo die Leidenschaft mit Ausschweifung auftritt wie bei dem Grafen, wird alles Störende, das die Frivolität des französischen Lustspiels hat, bei Mozart völlig durch die Wahrheit getilgt, mit der alles dies auf die kräftigen Regungen der Natur selbst gegründet wird, die in diesem Falle nur als irregeleitet erscheint. Die schelmische Anmut des losen Pagen aber ist ebenso natürlich und anziehend, wie die bräutliche Glut der neckischen Susanna, die in der Gartenarie ihr sehnsuchtsvolles Herz ausschüttet. Beide erwärmen uns im Innersten und erfreuen uns als Bilder wirklichen, ewig sprudelnden Lebens. Weiter aber ist, wo die Begehrungen so weit gehen, daß wir sie als Unart und mehr erkennen, Mozarts natürliche Liebenswürdigkeit durchaus geneigt, dergleichen als Schwäche zu betrachten und nicht gar so streng zu nehmen. Wie er im wirklichen Leben leicht über die Fehler und Unebenheiten derer hinwegglitt, die ihn umgaben, und mit der unerschöpflichen Güte seines Herzens stets Frieden und Freude um sich zu erhalten wußte, so haucht uns auch all die Musik des »Figaro«, die den Unarten, Intrigen und der Frivolität der handelnden Personen zur Seite geht, mit einer Liebenswürdigkeit und inneren Harmonie entgegen, die mit all dem Ungehörigen, was da etwa geschehen mag, leicht versöhnt. Wir sehen im Grunde gar nicht, was da vorgeht, oder beachten es doch nicht, weil wir uns durch den Zauber der Töne wie in eine höhere Welt entrückt fühlen. Diese höhere Welt aber ist in Mozarts Innerem wirklich da.

Es ist nicht Leichtsinn, nicht eigene Lust an diesen Dingen, was unsern Meister so frei, so heiter damit spielen läßt. Es ist ganz etwas anderes. Schon in der »Entführung« sahen wir, wie er sich für die plumpe Rohheit, die in die zarten Fäden seiner eigenen Innennatur störend hineingetappt hatte, nicht[377] anders rächt, als daß er einen Osmin schafft. Jetzt war seine Erfahrung um vieles reicher. Er hatte über die Brutalität seines Erzbischofs und den Mangel an zarterem Gefühl, der ihm in seiner eigenen Liebessache widerfahren war, hinaus in dem überreichen Treiben der Hauptstadt jede Art der menschlichen Leidenschaft kennen gelernt und auch selbst durch Neid, Bosheit und Kabale viel gelitten. Alles das spiegelt sich nun in dem Leben seiner Oper in mannigfachster Weise wieder. Des Grafen hochgeborene Rücksichtslosigkeit, der Gräfin schwärmerische Trauer, Figaros Allerwelts-Spitzbüberei, Susannens Schlauheit, – was davon hatte Mozart in den hohen Häusern, wo er ein- und ausging und sogar oft der Vertraute des einen oder des anderen wurde, wohl nicht gesehen? – Er besaß ein scharfes Auge für das menschliche Treiben und hatte, wie Niemtschek sagt, »oftmals auch einen versteckten Charakter bereits mit dem ersten Blicke ausgeholt«. Basilios Perfidie und Intrige, Marcellinens altjüngferliche Heiratsgelüste, des Pagen Näschereien, – was wohl wäre ihm in der fröhlichen Kaiserstadt von damals entgangen?

Aber nicht dies war die Hauptsache. Dies sahen auch andere und stellten es auch wohl dar. Zudem war die Reihe der ausgezeichneten Dramen, die damals über Wiens Schaubühne gingen, hierfür eine Schule: dies konnte Mozart bei einem Lessing, einem Goethe, einem Shakespeare lernen. Aber was er nicht erst von ihnen zu lernen hatte, was er mit ihnen von Natur aus teilte, war jener Blick, der auf den Grund des Lebens schaut und nun imstande ist, all das Treiben, das anderen als Schlechtigkeit, ja als Verbrechen erscheint, als sich selbst bestrafende Torheit zu erfassen und zu belächeln. Diese wunderbare Heiterkeit, die den ganzen »Figaro« durchweht, ist das, wodurch Mozart selbst die Heroen des Dramas überragt. Die ganze Stimmung der Oper ist von einer solch wahrhaft wonnig freien Art, daß wir uns im Innersten mit dem Leben versöhnt fühlen, denn das Treiben,[378] das uns im gewöhnlichen Leben so oft anstößt oder gar empört, wird hier mit solcher Laune verspottet, daß man in der Tat davon frei wird. Und doch fühlt der Hörer wiederum die innerste Teilnahme hindurch, die der Erschaffer dieser Musik für alles Menschliche hat: der Meister, der die Torheiten so recht bloßstellt, schließt sich selbst nicht von dem Spott und Gelächter aus, das hier über alle menschliche Begehrung losbricht. Er ist kein Tadler, er überhebt sich nicht und stellt sich nicht über die Fehler der anderen. Er steht selbst so recht mitten darin, zeigt die eigenen Schwächen, schämt sich seiner Menschlichkeit nicht, und eben diese Liebenswürdigkeit ist es, die den »Figaro« so über alles anziehend macht und auch uns in Wahrheit über uns selbst erhebt.

Von da aus aber führte der unverrückbare Gang der Dinge unsern Meister in die tieferen Tiefen des Lebens, in das Grauen der Schuld; doch werden wir gleich gewahr werden, wie er auch dort den Weg zur Versöhnung finden konnte.

Fußnoten

1 Aus: »Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Mit einem Facsimile. Salzburg. Verlag der Mayrischen Buchhandlung. 1865.«


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 379.
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