Mozart's Begabung.

[12] Nach dem Gesagten muß es also ein vorzugsweise für die Bewegungen des Gefühles organisirtes Wesen sein, das sich in der Welt der Töne ganz zu Hause fühlt, und es paßt eigentlich nur für den Musiker, wenn Goethe ausruft: »Nun fühle ich es erst recht, daß es nur die ganze und volle Empfindung ist, die den Dichter macht.« Wenn wir nun eine Charakterisirung des Mannes versuchen, der die Kunst des Gefühles auf die höchste Stufe der Entwicklung gebracht hat, so setzen wir zunächst eine Kenntniß des biographischen Materials, das der Russe Ulibischeff und nach ihm in so ausgezeichneter Weise der Professor Otto Jahn in Bonn in ihren Werken gegeben haben, im Allgemeinen voraus; die Hauptquelle jedoch, aus der uns die Kenntniß Mozart's geflossen ist, sind seine Werke, und diese sind jetzt Jedermann zugänglich.

Es wird uns berichtet, Mozart habe schon als Kind ein wunderbar seines Tongefühl gezeigt und nicht bloß die Höhe und Tiefe der Töne in einer Ferne unterscheiden können, wohin ihm kein anderes Ohr zu folgen im Stande gewesen, sondern er habe ebenso für die Weichheit und Lieblichkeit des Klanges schon im Alter von vier Jahren solche Empfänglichkeit gehabt, daß er stets nach der »Buttergeige«, die seines Vaters Freund besessen, verlangt, von einem scharfen Tone dagegen Schmerzen bekommen habe, ja bei einem unvermutheten Trompetenstoße sogar einmal umgefallen sei. Läßt dies Alles schon auf eine ungewöhnlich seine Einrichtung der Organe schließen, mit der wir das Geistige der Empfindungen in uns aufnehmen, und auf ein sehr bewegtes und zartes Schwingungsleben in[13] seinem Nervensystem überhaupt, so hören wir andererseits hundert Züge aus seinem Leben, die auf ein gleicher Weise leicht wie tief erregtes Innere weisen. Wir werden Beispiele seines leicht gerührten Herzens oft genug zu erwähnen haben.

Schon der Typus seines Gesichts wie des ganzen Körpers, soweit wir aus den vorhandenen Bildnissen und Beschreibungen urtheilen können, weisen auf eine entschiedene Begabung für die Thätigkeit in der Kunst, und nicht am wenigsten in der des Gefühles. Der kleine Körper war sein gegliedert, schlank, elastisch und äußerst beweglich, auch trotz einer gewissen Fülle in spätern Jahren. Mozart war ein leidenschaftlicher Tänzer, und behauptete, seine Leistungen in dieser Kunst seien bedeutender als die in der Musik. Seine Hand war weich, zart, weiblich, mit seinen, spitzen Fingern, und man muß sich vorstellen, daß sie aus seinem weißen Tüll hervorschaute; denn Mozart liebte es, sich nicht bloß sauber, sondern auch elegant zu kleiden. Das heitere, phantasiereiche Gesicht gewann unter dem gepuderten welligen Haare nur noch feinern und liebenswürdigeren Ausdruck. Die Stirne, mäßig hoch und mehr gerade als zurückfliehend, deutet auf inneres Ebenmaaß, das Auge, nach Tischbein's schönem Bilde, mehr offen- als tiefliegend, auf einen offenen, hellen Charakter, in dem nichts Verborgenes, nichts Heimliches liegt. Die Augenbrauen waren leicht geschwungen, nicht in weitem Bogen, wie bei den großen Schwabengesichtern (Schiller), ebenso die Höhlenränder fein und scharf, mit dem jähen Fall von der Stirne, der die Romanen auszeichnet. Mozart's Nase war berühmt wegen ihrer Größe, sie war Familienerbtheil. Sie war von der Stirn nicht durch einen besonders tiefen Einschnitt getrennt, wie dies bei [14] Beethoven mehr der Fall war, so daß der »Sitz des Denkens von dem Organe des sinnlichen Spürens und Suchens losgelöst wäre und beide Theile, das Obere das Geistige und das Untere das Animalische, freigelassen vom Bande der Einheit in ungesetzlichen, willkürlichen Formen spielten« (Bischer, Ästh. II, 235); sie leitete sich ziemlich sanft von der Stirne herunter, und schwoll dann in der Mitte wieder ziemlich bedeutend hervor; nach der Spitze zu jedoch senkte sie sich nicht wieder, wie die Adlernase, so daß ein besonders großartiger und adliger Zug in das Gesicht gekommen wäre, sondern die Spitze drängt wieder vor und deutet auf den lebhaften Geruchssinn, den wir an Mozart kennen, sowie auf ein geistiges Spüren, auf ein Eindringen in das Objective, das wir an ihm wie an keinem anderen Musiker finden werden. Der mäßig große Mund, dessen Lippen nicht allzuvoll waren, läßt neben naiver Sinnlichkeit auf einen Zug von Sarkasmus schließen, wie denn auch die ganze Familie Mozart's, und besonders unser Meister, als »etwas schlimm« bekannt war. Auch das runde Kinn, »die Basis des Gesichtes«, spricht bei Mozart die volle Kraft des Sinnenlebens aus, die dem rechten Künstler nöthig ist.

Sein Temperament muß nach Allem was wir hören vorwiegend sanguinisch gewesen sein; die Lebhaftigkeit, mit der er Alles ergriff und wieder fahren ließ, deutet auf das leichte Blut, das im Künstler wallt. Doch scheint hier was das Temperament betrifft, eine ziemlich allseitige, eine geniale Begabung vorzuliegen. Wir wissen und werden wiederholt sehen, daß es Mozart gegeben war, sowohl »in allseitiger Receptivität für die objective Welt offen zu sein, als aus auch dieser Objectivität in die Tiefe der Innerlichkeit sich zu reflectiren« (Wirth, System der specul. Ethik,[15] II, 22); wir werden sogar von der letztern Fähigkeit, von der Melancholie, besonders in seinen letzten Werken Spuren entdecken, die zu der Behauptung veranlassen, Keiner in der Musik vor ihm und nach ihm habe so sehr das Gefühl für das Tragische ganz besessen. Und wenn es auch bekannt ist, daß Mozart selbst von einer betrügerischen Handlung, wie sie ihm der Klarinettist Stadler anthat, nicht einmal gegen diesen aufgebracht wurde, und daß lange Zeit dazu gehörte, ehe er der schlechten Behandlung des rohen Erzbischofes Hieronymus überdrüssig ward, so ist ihm doch so viel vom »cholerischen« Feuer eigen, als zur Begeisterung und zum Kunstschaffen gehört, während ihm zum guten Glück das Mehr fehlte, das Beethoven oftmals beim geringsten Anlaß so übermäßig zornig werden ließ, und was schlimmer ist, diesen Heroen fortwährend zum Handeln, zum Einwirken auf die Welt, also aus den Gränzen der Kunst heraustreibt. Vom Phlegma dagegen besaß Mozart nur soviel als nöthig war, um ruhig zu lernen und ruhig aus seinem Kopfe abzuschreiben.

Von seinen sonstigen geistigen Fähigkeiten hört man, daß sie durchaus ungewöhnlich gewesen seien. Aus dem bewundernswerthen Tonsinn haben wir schon einen Rückschluß auf das Leben und die Feinheit seiner Empfindung gemacht; die ganze Fülle dieses Fühlens offenbart sich aber in seinen Werken, und da mag sie Jeder erkennen. Von Verstande war er sehr rasch und scharf, wie es das »unbewußte Rechnen«, das Musik ist, nothwendig mit sich bringt. Merkwürdiger ist die Trennung der geistigen Functionen, deren er wie kaum ein Anderer fähig war. Er selbst sagt in einem Briefe an seine Schwester: »während er die Fuge aus dem Gedächtniß aufschreibe, componire[16] er im Kopfe ein Präludium dazu.« Also Produciren und Reproduciren zu gleicher Zeit! Seine bedeutendsten Sachen machte er soweit im Kopfe fertig, daß er sie von vorn bis hinten wie in Einem Raume übersah und nachher gewissermaßen bloß aus dem Gedächtnisse aufzuschreiben hatte. Es erklärt sich daraus, weßhalb in seinen Manuscripten so wenig corrigirt ist, während die Beethoven's durchaus unleserlich erscheinen vor lauter Correcturen, andrerseits auch die vielbesprochene Thatsache, daß er die Ouverture zum Don Giovanni in der Nacht vor der ersten Aufführung in ermüdetem Zustande aufzuschreiben vermochte; und obendrein las ihm seine Frau dabei Märchen vor, über die er herzlich lachte. Von der Fähigkeit endlich, in Allem, was ihn umgab, »das Urbild der Dinge im Bilde zu schauen«, und darnach zu bilden, von der Phantasie, die er wie Keiner vor ihm in der Musik besessen, geben wiederum nur seine Werke einen Begriff.

Quelle:
Ludwig Nohl: W.A. Mozart. Ein Beitrag zur Ästhetik der Tonkunst, Heidelberg 1860, S. 12-17.
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