[135] St. Gilgen den 4. August 1799.


Alle Sparten meines Bruders, so noch in Händen unsers Vaters waren, übersendete ich im Jahre 1787 nach dem Tode unsers Vaters meinem Bruder nach Wien, bedauere aber selbst, daß ich nicht einige von seinen jüngern Compositionen zurückbehalten habe. Bei mir wären sie doch gut aufgehoben worden, da ich hingegen von sicherer Hand und von einem Augenzeugen erfahren habe, daß seine Sparten bey ihm nur immer unter dem Clavier herum lagen und die Copisten davon nehmen konnten, was sie nur wollten, und ich konnte auch dieses um so leichter glauben, da mir wohl bekannt war, daß mein Bruder seine ältern Werke immer weniger leiden konnte, wie stärker er in seiner Composition wuchs. Ich zweifle also nicht daran, daß viele seiner jüngern Werke werden verloren gegangen sein.

Die Lebensgeschichte meines Bruders betreffend, ist mir sehr auffallend, daß Sie keine Meldung des Nekrologs von Hr. Professor Schlichtegroll machen, worinnen doch eine ächte Biographie meines Bruders enthalten ist und wozu ich auf Ansuchen eines Freundes einen Aufsatz einschickte. Auch sendete ich ihm Auszüge aus Briefen und Schriften und Sinngedichte, die mit viel Würze und Laune geschrieben sind, die der Hr. Professor aber vielleicht wegen der Menge, die sein Werk um ein Beträchtliches vermehrt haben würde, und[135] weil er den Werth derselben, da sie in französischer, italienischer und deutscher Sprache abgefaßt sind, durch Uebersetzung nicht schmälern wollte, beseitigte. Wollen Sie, daß ich Ihnen diesen meinen Aufsatz nebst allen diesen Schriften zusenden soll, so melden Sie mir es gefälligst.

Von einer Biographie des Herrn Professor Niemtschek aber habe ich nie etwas gehört.

Sie wünschten Lieder, welche mein Bruder vor dem Jahre 1784 componirt hat, zu besitzen. Allein, so viel ich mich erinnern kann, so machte er damals gar keine Lieder, sondern sehr viele italienische Arien, wovon die Sparten auch seine Frau haben muß. Ich besitze nur in Abschrift einige Lieder mit Begleitung der Harmoniale und eine französische Arie.1 Die französische Arie lege ich bei.

Die Musikalische Zeitung, von der Sie mir schreiben, ist mir so wenig als die Anzeige der Werke meines Bruders bekannt.

Fußnoten

1 Was das für Stücke »mit Begleitung der Harmoniale« sind, ist nicht zu bestimmen. Die französische Arie ist wohl eines der 1778 in Mannheim componirten französischen Lieder. Vgl. die Briefe Mozart's vom 7., 22. und 28. Februar 1778 und Köchel's Verzeichniß Nr. 307 und 308.


Quelle:
Mozartiana. Nach aufgefundenen Handschriften herausgegeben von Gustav Nottebohm, Leipzig 1880, S. 136.
Lizenz:
Kategorien: