5.

In den »drei Löwen.«

[48] Wenige Tage später befand sich Mozart mit seiner Frau auf der Reise nach Prag. Die Partitur des Don Giovanni war schon sehr beträchtlich vorgerückt; in dem freundlichen Gartenhause seines Freundes Duschek, nahe der böhmischen Hauptstadt, sollte sie nun vollendet und dann das Stück auf Prags berühmter Bühne aufgeführt werden.

Die Reise war eine herrliche! Der September des Jahres 1787 schien mit seinen wundervollen Tagen den glücklichen Componisten in den Himmel versetzen zu wollen, und glücklich war Mozart wie nie. Selbst seine Frau wunderte sich über das Anhaltende seiner rosigen Laune; über die so ganz ungewöhnlich heitere Stirne, das frische, lebensmuthige Feuer seiner Augen und die verdoppelte Zärtlichkeit, mit der er ihr überall entgegenkam und alle ihre Wünsche, fast schon im Voraus, errieth und erfüllte.

Aber was ging in Mozart auch nicht alles vor!

Die Reise hatte ihn frei gemacht von all' den gewöhnlichen und alltäglichen Sorgen des Lebens, die gerade um so mehr und um so schwerer drücken, je alltäglicher und trivialer sie sind. Da waren keine Lectionen zu geben, keine Proben abzuhalten; – da konnte kein lästiger Mahner anklopfen und Zahlung für eine armselige Schuld verlangen; – da hing nicht die Zukunft wie ein schwarzer Vorhang vor den Blicken des Geistes und beengte die Gedanken und drückte sie in den Staub. O nein! nein! nein! Wolfgangs Seele athmete Freiheit, und seine Brust sog in tiefen Zügen die frische Luft der freien Natur ein: den Duft der Wälder, den köstlichen, reinen Hauch der Bergeshöhen! Sein Auge schaute über die weiten Landschaften trunken hin, oder hing mit Entzücken an dem wundervollen Blau des reinen[48] Himmels. Statt des Geklimpers seiner Schüler schmetterten Vögel ihre Lieder: frisch, froh und frei aus naturgeübter Kehle. Die Mauern der Stadt lagen weit, weit hinter ihm, und mit ihnen die elenden Chikanen der Feinde; vor ihm aber breiteten sich Tage der Lust, der Freude – genialen Schaffens aus! Prag, sein liebes musikverständiges Prag erwartete ihn ja, und welch' herrliche Schöpfungen brachte er mit, trug er noch in sich! Und über all' dem ausgegossen das Sonnengold der Liebe .... die Hoffnung unsterblichen Ruhmes.

Sollte da Mozart nicht glücklich, nicht selig sein?

Er war es auch: ausgelassen war er sogar und voll toller Streiche, und Constanze schüttelte sich oft vor Lachen. Ach! sie war ja auch so glücklich und heiter, weil ihr Amadeus es war!

Und wie stattlich reisten sie. Eine alte Freundin und enthusiastische Verehrerin Mozarts, die verwittwete Generalin Volkstett, hatte ihren Reisewagen hergeliehen; eine große, gelbrothe Kutsche, hüben und drüben am Schlage mit Blumenbouquets bemalt, die Ränder mit schmalen Goldleisten besetzt; dabei hohes Gedeck mit Ledervorhängen. Versteht sich, daß es an Koffern und Schachteln nicht fehlte, die hinten und oben aufgepackt waren, so daß sich ein kleiner babylonischer Thurm oben aufbaute. Denn Frau Mozart hatte sich und den Herrn Gemahl mit sämmtlicher Garderobe und Wäsche wohl versorgt, da man nicht wissen konnte, wie lange der Aufenthalt in Prag dauern werde und die besorgte Hausfrau keine neue Anschaffungen machen wollte.

Und dabei die lustigen Postillone, die in dem kleinen Mann mit dem braunen Ueberrock – den eine Reihe großer, faconnirter Knöpfe zierte – den schwarzseidenen kurzen Beinkleidern, der gestickten Weste, den vergoldeten Schuhschnallen, dem, in einen Zopf gefaßten starken Haarwuchse und den freundlich blickenden Augen in dem heiteren Gesichte, sogleich den freigebigen Passagier erkannten: wie fuhren sie zu und bliesen ihr Horn, daß sich die Insassen des Wagens oft unter Lachen die Ohren zuhielten.

O, es waren köstliche Tage, diese Tage der Reise nach Prag, die manches kleine Abenteuer einschlossen – so das Wunderbare, daß ihnen immer ein dreispänniger, sehr eleganter, aber dicht verschlossener Reisewagen folgte. Meist hielt er sich in großer Entfernung und kam an den Haltepunkten gewöhnlich[49] an, wenn Mozarts weiterfuhren. Aber er war immer wieder zu sehen bis nach Prag: Eine Hauptfreude war aber Mozart bis zuletzt aufgespart.

Als man auf einer der letzten Stationen hielt, um umzuspannen und sich zu erfrischen, und die Reisenden eintraten, erschallte plötzlich aus der Ecke des eben nicht sehr hellen Gastzimmers ein Freudengeschrei. In der nächsten Minute lag Mozart seinem Freunde Stiepaneck in den Armen.

Stiepaneck – der später, wie wir schon erwähnt, Don Juan in das Böhmische übersetzte – hatte einen weiteren Spaziergang gemacht und nahm eben sein frugales Mittagessen zu sich, als er durch das ganz unerwartete Eintreten Mozarts und seiner Frau auf das Angenehmste überrascht wurde.

Freudigeres hätte beiden Männern gar nicht begegnen können. Mozart ließ gleich einige Flaschen Burgunder kommen und nun ging es an ein Fragen und Erzählen, daß es kein Ende nehmen wollte. Natürlich kam bald auch die neue Oper zur Rede. Da man aber doch fort mußte, so stieg Stiepaneck mit in den Wagen und das Gespräch ward hier fortgesetzt.

»O, du glaubst nicht, lieber Freund!« – rief jetzt Stiepaneck, indem der Wagen munter fortrollte – »Du glaubst nicht, wie sich die Prager auf deine neue Oper freuen!«

»Nun!« – entgegnete Mozart heiter – »bei Gott! sie sollen sich nicht umsonst gefreut haben; ich bringe ihnen etwas mit, auf das ich selbst stolz bin.«

»Also gelungen?«

»Ich denke wohl!«

»Und darf man etwas über den Stoff wissen?«

»Nein!« – rief Mozart – »damit muß ich Euch überraschen. Nur soviel, daß ich Euch die Hölle heiß machen werde.«

»Charmant!« – versetzte Stiepaneck – »aber den Titel darf man doch hören?«

Constanze lachte, dann rief sie im munterem Tone:

»Nun sage noch Einer, wir Frauen seien neugierig. Bei allen Heiligen, die Männer sind es noch mehr.«

»Das ist Wißbegierde!« – meinte Stiepaneck lachend.

In diesem Augenblicke fuhr der Wagen langsamer, da es eine kleine Höhe hinaufging, zugleich drangen die Töne einer Musik in die Ohren der Reisenden.

[50] Mozart beugte sich aus dem Schlage und rief vergnügt: – »Es sind Prager Musikanten!«

Der Postillon hielt von selbst, – wie hätte da ein Böhme vorüberfahren können? Alle horchten; es war das Lied:


»Die Prager Musikanten

Die sind in allen Landen

Bekannt und gern gesehn. –

Und schau'n sie auch nit zierlich

Und reden's nit manierlich:

Auf's Fiedeln,

Auf's Blasen

Sich Alle wohl verstehn.


Wie Bursch' und Madel springen,

Wenn Horn und Fiedel klingen,

Im raschen, lust'gen Tanz.

Die alten Zecher sehen

Die Becher vor sich stehen –

Bei'm Fiedeln,

Bei'm Blasen,

In doppelt schönem Glanz.


Und ist genug gesungen,

Und ist genug gesprungen

Von Allen allzumal.

So tönt, Ihn fromm zu leben,

Dem Freudengeber droben,

Wohl leise

Und innig

Ein herziger Choral.


Dann ziehn wir wieder weiter!

Stets wacker und stets heiter!

Mit uns St. Nepomuck.

Bis wir mit vollen Taschen

Bis wir mit leeren Flaschen

Mit Singen,

Mit Blasen,

Stehn auf der Prager Bruck!«


Die Musikanten schwiegen. Jedes schenkte ihnen freudig ein Geldstück – selbst der Postillon – und Mozart sagte, indem der Wagen fortfuhr:

»Es ist doch ganz merkwürdig, welch' ein musikalisches Ohr die Böhmen haben! Man findet das bei keiner anderen Nation, nicht einmal bei den niederen Klassen der Italiener. Da war doch auch nicht ein falscher Ton!«

»Ja! mein Verehrter!« – entgegnete Stiepaneck – »Böhmen ist aber auch so recht eigentlich das Land der Musik. Wo findet man denn heutzutage eine Oper, wie die zu Prag.«

»Es müßte ganz interessant sein« – meinte Constanze – »die Geschichte der Prager Bühne zu kennen.«[51]

»Das ist es auch« – versetzte Stiepaneck – »ich habe sogar ein Studium daraus gemacht.«

»O lassen Sie hören!« – rief Frau Mozart und Mozart küßte sie für diesen gescheidten Gedanken.

»Die Sache ist nur ein Bischen ernst und trocken!« – meinte Stiepaneck.

»Für uns doch gewiß nicht!« – versetzte Mozart. – »Ich komme mit der Prager Bühne jetzt in so nahe Verhältnisse, daß es sogar eine Schande für mich wäre, bliebe mir ihre Geschichte fremd. Sie ist dabei ohne Zweifel ein Bild der jeweiligen Sitten- und Culturgeschichte und also dadurch schon anziehend und belehrend.«

»Ja, das ist sie!«

»Nun denn, alter Freund, heraus damit; ich bringe dann gleich einen neuen Schatz von Wissen mit nach Prag

Stiepaneck ließ sich dies nicht zweimal sagen. Er lehnte sich gemüthlich in eine Ecke des Wagens und trug den Freunden in wirklich sinniger Weise die Geschichte der Prager Bühne vor: von ihrem Entstehen unter Wenzel I. (1230) an, bis zu den Zeiten, in welchen die Prager Studenten lateinische Schauspiele wie der »Soldat« (miles gloriosus) des Plautus aufführten. Auch die wunderbare Erscheinung, daß die Jesuiten durch ihre Zöglinge lange Zeit die Träger und Bewahrer der Kunst waren, vergaß er nicht, bis er endlich zur Schilderung der neueren Zeit kam und leuchtenden Auges mit den Worten schloß:

»Und doch soll gerade jetzt erst Prags schönster Stern aufgehen, denn – – Wolfgang Amadeus Mozart kommt so eben in seinen Mauern an!«

»Und führt in seinem Koffer, – in seinem Kopf und Herzen: ›Il dissoluto punito, osia il Don Giovanni‹ mit!« – rief Mozart, dem Freunde herzlich die Hand drückend.

Bei diesen Worten aber rollte in der That der Wagen in der Hauptstadt Böhmens ein; Mozart aber war seelenvergnügt und, sein Weibchen in die Arme schließend, sang er:


»Dann ziehn wir wieder weiter!

Stets wacker und stets heiter!

Mit uns St. Nepomuck,

Bis wir mit vollen Taschen,

Bis wir mit leeren Flaschen,

Mit Singen,

Mit Blasen,

Stehn auf der Prager Bruck!«
[52]

Eine Viertelstunde später fuhr an dem Gasthause »zu den drei Löwen« auf dem Kohlmarkte zu Prag ein hochbepackter, stattlicher Reisewagen an. Die große Glocke an der Einfahrt, von des Hausknechts kräftigem Arm gehandhabt, erklang mit lautem Schall, und in demselben Momente sprangen auch schon der wackere, wohlgenährte Löwen-Wirth mit den glitzrigen schwarzen Aeuglein und dem frischen lebenslustigen Gesichte – und zwei Kellner heraus. Kaum aber hatte der dicke Gasthalter den Schlag des Wagens aufgerissen, als er freudig ausrief:

»Beim heiligen Nepomuck! seh' ich recht? Herr von Mozart

»Nicht wahr, das heißt Wort halten!« – entgegnete Mozart, indem er mit freudestrahlendem Antlitze heraussprang und dem Wirthe tüchtig die Hand schüttelte. – »Da war ich einmal wieder, und Ihr könnt mich den Herbst über behalten. Damit ich aber nicht zu viel dumme Streiche mache, hab' ich gleich meine Frau mitgebracht.«

»Prächtig! prächtig!« rief der Wirth und reichte mit einer solch' herzlichen Gemütlichkeit Constanzen beide Hände hin, daß diese sie lachend annahm. – »Seien Sie uns willkommen, liebe Frau, denn den Herrn von Mozart brauche ich gar nicht willkommen zu heißen, er weiß schon, daß er es ist; und zwar nicht bei mir allein, nicht in Prag allein, – nein! in unserem ganzen lieben Böhmerlande!«

»Sitzt aber auch in meinem Herzen, Kinder!« – sagte Mozart, dem freundlichen Wirthe auf die Achseln klopfend, – »wie der Heilige im Silberschrein! Aber jetzt, Freundchen, gebt uns ein paar Zimmer; denn wenn ich auch meinem lieben Duschek versprochen habe, meine Oper in seinem freundlichen Gartenhause zu vollenden, so kann ich ihn doch nicht so über Hals und Kopf überfallen und will daher die ersten acht Tage in den weltberühmten ›drei Löwen‹ bleiben.«

»Viel Ehre!« – sagte der Wirth geschmeichelt; – »aber ....« und er kratzte sich ärgerlich hinter den Ohren.

»Nun, was für ein ›aber?‹« – frug Mozart, indem er mit Stiepaneck Constanzen aus dem Wagen half.

»Warum haben auch der Herr von Mozart nicht vorher geschrieben?«

»Eure Löwengrube wird doch nicht ganz besetzt sein?«

»O nein, das eben nicht! Aber die besten Zimmer ...«

»Nun?«[53]

»Sie sind auf längere Zeit vergeben.«

»An wen?«

»Das weiß ich noch nicht. Heute gerade soll die Herrschaft kommen.«

»Wer ist sie?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Das ist ja schrecklich geheimnißvoll. Aber dieser namenlose Gast hat doch wohl nicht das ganze Haus genommen?«

»Nein ....«

»Nun, alter Freund, so geben Sie uns ein paar andere Zimmer.«

»Wenn sie nur freundlich sind!« – meinte Frau Mozart – »die paar Tage wollen wir uns schon behelfen.«

»Da fällt mir ein Stein vom Herzen!« – rief der Wirth, und seine gutmüthigen Züge klärten sich wieder auf. – »Denn beim heiligen Nepomuck! wenn der Herr von Mozart mit seinem lieben Frauchen bös geworden wären, ich hätt' ...«

»Drei ganze Krüge Wein auf einmal verschluckt und ein Schock gebratener Händerl dabei!« – rief Mozart lachend. – »Aber laßt die Sachen, und zeigt uns lieber unser Logis.«

Und, dies sagend, eilte er voraus nach der Treppe. Stiepaneck und der Wirth folgten, während Constanze das Abpacken und Hinaufbringen der Koffer und Schachteln überwachte. Als alles besorgt war, trat auch sie ein.

Die Zimmer, die der Wirth den Gästen angewiesen hatte, lagen in dem ersten Stockwerke des Hauses, dicht neben den sogenannten Herrschaftszimmern, die bereits, wie wir wissen, vergeben waren. Links ein recht freundliches Schlafgemach für die junge Frau, dann ein geräumiger Salon, und, auf diesen folgend, das Schlafzimmer für den Herrn Gemahl. Letzteres war durch ein Thüre noch mit den Staatszimmern verbunden; da diese aber die unbekannte Herrschaft erwarteten, so stand jetzt ein Waschtisch davor, während sie von jenseits verriegelt war. Uebrigens fehlte es nirgends an Bequemlichkeiten. Selbst das in Böhmen unvermeidliche Bild des heiligen Nepomuck, als Schutzpatron des Landes, ohne das kein Böhme ruhig schlafen kann, schmückte sämmtliche Gemächer.

Mozart war mehr denn vergnügt; die Einrichtung gefiel ihm vortrefflich.

»Nur ein Clavier muß noch herein!« – rief er heiter – »und das wird Bondini besorgen.«[54]

Auch Frau Mozart gefiel es hier ganz gut, nur berechnete sie im Stillen mit einiger Beunruhigung die Kosten eines, wie sie meinte, so weitläufigen Logis. Auf acht Tage hätte man sich auch wohl mit zwei Zimmern begnügen können. Als daher Stiepaneck jetzt von Mozart für heute Abschied nahm, konnte sie es nicht über das Herz bringen, den freundlichen Wirth, der sich noch bei ihnen befand, zu fragen: ob sie ihn denn nicht, wenn nun noch vornehmere Gäste kämen, durch die Einnahme dieser drei letzten Zimmer im ersten Stockwerke genirten; sonst hätten sie und ihr Mann wohl die wenigen Tage auch mit zwei Zimmern im zweiten Stock genug.

Der pfiffige Wirth errieth aus dieser Frage schnell die sparsame Hausfrau; aber so wenig er sonst Sparsamkeit bei seinen Gästen liebte, hier war eine Ausnahme: der Löwenwirth konnte auch einmal in seinem Leben generös sein! Er rieb sich daher mit ungeheurer Behaglichkeit die Hände, tänzelte auf beiden Füßen und sagte mit strahlendem Gesichte:

»O verehrte, liebe Frau von Mozart, was denken Sie von dem Inhaber der ›drei Löwen zu Prag!‹ Beim heiligen Nepomuck, ich möchte mir den Kopf abreißen, daß ich Ihnen nicht meine Staatszimmer geben kann – und, wer weiß noch dazu, wer hinein kommt! – aber diese ...«

»Nun,« meinte Constanze – »wir hätten eben doch auch mit zwei genug!«

»Unmöglich!« – betheuerte der Wirth. – »O! ich kenne Herrn von Mozart schon vom letzten Male, wie er bei mir wohnte: liebt es, oft die ganze Nacht durch zu musiciren und zu componiren, – muß daher sein eigenes Zimmer haben; wie sollte Frauchen sonst ruhig schlafen können; – und den Salon – – o! Sie werden Besuch genug bekommen, – kenne das! Uebrigens« – setzte er leise flüsternd, aber mit einer solchen Gutmüthigkeit hinzu, daß es Constanzen durchaus nicht verletzen konnte – »übrigens, liebes Frauchen, bringt der Löwenwirth bei einem Gaste, wie der Herr von Mozart ist, auch die Ehre mit in Rechnung, die seinem Hause durch solche Einkehr wiederfährt: Sie zahlen nicht mehr, als für zwei Zimmer im zweiten Stock.«

Da Stiepaneck sich jetzt, Abschied nehmend, an Frau Mozart wandte, dankte diese dem Wirthe nur mit einem freundlichen Blicke des Einverständnisses und gleich darauf verließ dieser mit Stiepaneck das Zimmer.

[55] Wolfgang und Constanze richteten sich nun vorläufig ein. Es ging an das Auspacken und da Amadeus mit seiner Frau noch gleich an diesem Abend einen Besuch bei Bondini's machen und Constanze die Stadt zeigen wollte, mußte man sich auch umkleiden.

Nach einem Stündchen war alles geschehen und das Pärchen machte sich auf den Weg.

Kaum aber waren sie über den Kohlmarkt, als die Glocke an der Einfahrt der »drei Löwen« abermals ertönte und zwar diesmal noch stärker wie bei Mozarts. Es war ein dreispänniger, sehr eleganter, aber dicht verschlossener Reisewagen, der jetzt vor dem Gasthofe hielt. Wirth und Kellner stürzten herbei, und der Bediente stieg von dem hinteren Sitze. Aber der Wagen öffnete sich nicht.

»Spreck Sie Italienisch?« – frug der Diener den Wirth.

»Bah!« – sagte dieser – »wir sind in Böhmen, red' er deutsch oder böhmisch!«

»Nicks kann!« – fuhr der Diener fort – »aber Brief ab!«

Und der Diener griff bei diesen Worten in die Brusttasche und langte ein Schreiben hervor, das er dem Wirthe gab.

Der Dicke aber hatte kaum hineingesehen, als seine Züge freundlicher wurden. Das Schreiben war von einem Wiener Banquier – demselben, der die Zimmer im ersten Geschoß der »drei Löwen« für eine Herrschaft bestellt hatte – und meldete diese Herrschaft an.

»Ach!« – rief daher jetzt der Löwenwirth mit einer leichten Verbeugung, indem er sich dabei die feisten Hände rieb und vergnüglich auf beiden Füßen wiegte – »ist die Herrschaft, die die Gnade hatte in den ›drei Löwen‹ – dem ersten Gasthofe zu Prag – Zimmer zu bestellen?«

»Si Signore!« – entgegnete der Diener.

»Es ist alles auf das Beste bereit!« – fuhr der Wirth mit neuen Bücklingen fort – »wollen Ihre Gnaden nicht aussteigen?«

»Si Signore!«

Und der Diener öffnete den Schlag. Jetzt war des Löwenwirthes und der Kellner Neugierde auf das Höchste gespannt; aber sie sollte nur schlecht befriedigt werden, denn es stieg Niemand aus, als eine schwarz gekleidete, dicht verschleierte[56] Dame von hohem Wuchse, begleitet von einer ebenso dicht verschleierten Zofe, die beide rasch und stumm an dem Wirthe vorübereilten und, von dem Diener gefolgt, sofort Besitz von ihren Zimmern nahmen.

»Und wer ist Ihre Herrschaft?« – frug der Wirth, als der Diener wieder zurückkam, um das Gepäck hinauf schaffen zu lassen.

Der Diener that, als höre er die Frage nicht.

»Mein Verehrtester« – wiederholte der Wirth – »dürfte ich vielleicht nach dem Namen Ihrer Herrschaft fragen?«

»Si Signore!« – sagte der Italiener gelassen.

»Wer ist Ihre Dame?«

»Si Signore!«

»Ach was, Si Signore!« – rief der Wirth jetzt ärgerlich – »verstehen Sie mich denn nicht? Ich frage nach dem Rang und Namen Ihrer Herrschaft!«

»Nicks versteh!« – versetzte der Italiener und schüttelte mit dem Kopfe.

»Sie sprechen nur italienisch?«

»Si Signore!«

Der Löwenwirth biß sich auf die Zähne. So gut und freundlich und gemüthlich er sonst auch war, diesem ledergelben italienischen Gesicht in der Livree hätte er gern eine Ohrfeige für sein: »Si Signore!« gegeben. Aber er faßte sich männlich, warf dem Diener einen verächtlichen Blick zu und drehte sich mit einem: – »Er ist ein Esel!« – zum Weggehen.

»Si Signore!« – sagte dieser und schnallte ruhig seine Koffer ab.

Mozart hatte indessen das Haus erreicht, in welchem der Impressario Bondini – der Unternehmer des Prager Theaters – mit seiner Familie wohnte. Leider aber war Bondini mit seiner Frau vor einer halben Stunde ausgegangen.

»So gehen wir zu Capellmeister Strobach!« – sagte Mozart mit seinem glücklichen Gleichmuthe zu Constanzen: – »Du wirst einen herrlichen Menschen in ihm kennen lernen!«

Aber der Herr Capellmeister war eben, – vor wenigen Augenblicken, – von dem Theaterdiener auf das Eiligste weggerufen worden.

»Nun!« – meinte Wolfgang – »so werden wir doch den Orchester-Director Kucharz treffen.«[57]

»Aber ein böses Schicksal schien heute alle seine Dämone losgelassen zu haben: Kucharz war zu Bondini

»Es soll nicht sein!« – rief bei dieser Nachricht Mozart lachend – »wir sollen heute noch, wie große Herren, incognito bleiben. – Auch gut! – So zeige ich meiner lieben Stanzerl die Stadt!«

Constanze ging um so lieber hierauf ein, als sie von dem langen Fahren noch ganz steif in den Gliedern war, das Gehen ihr also wohlthat und sie sich außerdem schon lange darauf gefreut hatte, das schöne, ihr von dem Gatten so sehr gerühmte Prag kennen zu lernen.

Arm in Arm schlenderte daher das glückliche Paar durch die Straßen, während der Abend sich allmälig über die Stadt herabsenkte, die sich mit ihren achtundvierzig Kirchen, fünfzehn Klöstern, neun Synagogen, vierundfünfzig Plätzen und achtundsechzig Palästen, mit ihrem Hradschin, Wissehrad und Schloß gar stolz und prächtig ausdehnte.

Vor allen Dingen mußte Constanze die Brücke mit ihren Bildsäulen und das kostbare Grabmahl des heiligen Nepomuck in der Wenzeslauskapelle sehen. Ruht doch hier der Schutzpatron Böhmens in einem silbernen, fünftausend Mark schweren Sarge.

Beim Eintritt in die Kapelle aber kniff der glücklich gestimmte Gatte sein Frauchen in den Arm und raunte ihr leise in die Ohren:


»Johann von Nepomucken

Mußte springen von der Prager Brucken,

Weil's dem Wenzel nit wollt glücken,

Der Königin Beicht ihm zu entrücken!«


Constanze verbiß ihr Lachen: aber das Innere der Kapelle stimmte beide bald ernster.

Wolfgang hatte indessen Recht gehabt, sie zuerst hierher zu führen; denn Niemand kennt Böhmen und Prag, der nicht hier gewesen und sich einen Begriff von der Verehrung gemacht hat, die dieser Heilige in Stadt und Land genießt.

Bekanntlich war Johann von Nepomuck – Domherr an der Collegialkirche Allerheiligen zu Prag – unter König Wenzel IV. (1383) Almosenier und Beichtvater der Königin Johanna. Da die Treue der Letzteren ihrem Gemahle verdächtig gemacht worden war, so verlangte dieser von ihrem Beichtvater die Mittheilung und den Inhalt ihrer Beichte. [58] Nepomuck, seiner Pflicht getreu, weigerte sich dessen, trotz der glänzendsten Verheißungen und so ließ ihn der König in seiner Entrüstung in den Kerker werfen und auf das grausamste foltern. Aber Nepomuck blieb standhaft. Das war zu viel für den entmenschten Wenzel, und so ward der Unglückliche auf des Königs Befehl – die Füße an den Hals gebunden – von der Prager Brücke herab in die Moldau geworfen, in der er seinen Tod fand.

Natürlich ist es, daß Johann von Nepomuck jetzt bei dem ganzen Volke als Vorbild der Standhaftigkeit, Beschützer eines guten Namens und Vertheidiger der Ehre galt, und von ihm in eben dem Grade verehrt, wie der König gehaßt wurde. Man bezeichnete ihn als einen der ersten Blutzeugen Christi, der sein Leben für die Unverletzlichkeit des dreifachen Siegels aller Beichtgeheimnisse opferte, und der als Märtyrer der Kirche – ex odio fidei – gestorben sei. Man bewunderte in ihm den Kampf des schwachen Einzelnen gegen den Andrang äußerer Gewalt: fühlte sich durch den Gegensatz von glänzenden Verheißungen und der schärfsten Marter pein an die Stärke des reinsten Willens und an überirdischen Beistand gemahnt; – und bevor er noch durch Roms Ausspruch als Heiliger, – als primus assertor Sacramentalis Sigilli, als Protomartyr ratione Sigilli Sacramentalis galt, hatte ihn die Volksstimme schon als solchen ausgerufen. Seine Verehrung ward eine allgemeine, nie dagewesene, und nahm noch überhand, als die Jesuiten ihn für den zweiten Schutzpatron ihres Ordens anerkannten.

Keine Kirche, keine Kapelle, kein Haus und kein Zimmer blieb von nun an in ganz Böhmen ohne sein Bild. Alle Brücken wurden mit einer Statue des heiligen Nepomuck geschmückt, man errichtete ihm Kirchen in Menge und trug sein Bild in Gestalt eines Agnus dei oder geistlichen Denkpfennigs an der linken Seite der Brust auf dem Herzen.

So oft Kaiser Ferdinand I. nach Böhmen kam, eilte er, von seinem gesammten Hofstaate begleitet, andächtig zu dem Grabe des großen Heiligen; nicht minder thaten dies Ferdinand II., wie die späteren Regenten und kaiserlichen Prinzen, welche gleich dem Volke eine solche Masse frommer Gaben an seinem Grabe niederlegten, daß dieselben zu ungeheuren Schätzen heranwuchsen.[59]

Bald hing eine Menge silberner und goldener Votivtafeln, während dreiundneunzig schwere silberne, zum Theil vergoldete Lampen, Tag und Nacht an dem Grabe brannten. Dabei nahmen die Wallfahrten kein Ende. Aus ganz Böhmen kamen z.B. bei allzutrockenem Wetter, geführt von ihren Priestern, ganze Gemeinden, um an der Ruhestätte des großen Fürsprechers bei Gott .... Regen zu erflehen!

In einem Jahre (1721) wurden, Johann von Nepomuck zu Ehren, hier 50,672 Messen gelesen, und in fünf Jahren stieg ihre Zahl auf 327,000, während in der gleichen Zeit 7,286,477 Gläubige am Grabe des Seligen als Communicanten erschienen!21

Mozart hatte Constanzen davon schon viel auf der Reise erzählt, die es deshalb auch sehr interessirte, die Sache an Ort und Stelle kennen zu lernen. So blieben sie hier länger, als sie gedacht, – verrichteten auch als gute Katholiken an dem Grabe des Märtyrers einige Gebete. Die Nacht war daher bereits eingebrochen, als sie die Kirche verließen und sich den »drei Löwen« wieder zuwandten. Kaum aber hatten sie den Kohlmarkt erreicht, als Mozart verwundert sagte:

»Stanzerl! Es ist Jemand in unseren Zimmern; ich sehe Licht darin!«

»Nun,« – meinte die Frau – »das Stubenmädchen wird die Decken abdecken und die Zimmer für die Nacht in Ordnung bringen.«

Mozart schüttelte den Kopf: – »Die Beleuchtung ist zu hell, um von einem einzigen Lichte zu kommen.«

»So laß uns rascher gehen und sehen!« – sagte Constanze.

Es geschah. Aber von fern bemerkten sie schon, daß ein Kellner – der am Thore gestanden und augenscheinlich auf ihre Rückkunft gepaßt hatte – sich, so wie er sie erspäht, umwandte und die Treppe hinauf eilte.

»Die Löwengrube« – sagte Mozart jetzt heiter, denn so nannte er gern im Scherze sein Gasthaus – »steckt heute voller Räthsel.«[60]

»Nun, es wird dafür auch Auflösungen geben!« – meinte Constanze, und schritt munter voraus.

Aber welch' eine freudige und liebenswürdige Auflösung war das.

An jeder Seite ihrer Zimmerthüre stand ein Kellner mit einem Lichte, das seine Strahlen auf die Laub-und Blumenkränze warf, mit welchen man in der Eile die Thüre verziert hatte. Der dicke Löwenwirth selbst stand daneben, sein Gesicht glänzte vor Freude und seine schwarzen Aeuglein glitzerten wie Leuchtkäfer; dabei rieb er sich vor Entzücken die Hände und hüpfte wie ein Böcklein von einem Bein auf das andere, indem er ein- über das anderemal rief: – »Zum Willkomm! Herr von Mozart! Zum Willkomm in unserer guten Stadt Prag!«

Im gleichen Augenblicke aber öffnete sich die Thüre und ein lautes vielstimmiges: – »Willkommen! Willkommen in Prag!« – drang den Ueberraschten entgegen. Mozart erkannte sie sogleich Alle, und jubelnd – ganz außer sich vor Freude – umarmte er Bondini und sein herziges Frauchen, Strobach, die Freunde Luigi Bassi, Micelli, Ponaziani, Lolli und Kucharz, auch die schöne und feurige Saporitti und Stiepaneck waren da.

War doch Letzterer, so wie er Mozart verlassen, mit der Freudenbotschaft zu Bondini geeilt und dieser hatte dann rasch und mit Hülfe der zwei Theaterdiener die Obengenannten zusammenrufen lassen. Jetzt rief Bondini:

»Ja! lieber Maestro Amadeus, als Sie das vorige Mal in Prag eintrafen und unerwartet in das Theater traten, woselbst man gerade Ihren herrlichen ›Figaro‹ gab, da begrüßte Sie das ganze Publikum mit Jubel; – heute haben Sie uns wieder überrascht. Nun ist zwar die Bevölkerung von Prag nicht zugegen, um dem großen Meister der Töne, um Mozart bei seiner Ankunft entgegenzujauchzen und ihm für sein Kommen zu danken; aber was an der Masse fehlt, das kommt bei uns Wenigen an Innigkeit heraus, darum aus tiefstem Herzensgrunde: Willkommen und Hoch dem Meister!«

Und »Willkommen!« und »Hoch dem Meister!« tönte es nochmals aus allen Kehlen; während Strobach auf dem Claviere – das Bondini schon hatte herschaffen lassen – einen Tusch anschlug. Zugleich öffnete sich jetzt der Freundeskreis[61] und Mozart und Constanze gewahrten mit neuem Staunen, daß in ihrem Salon eine große Tafel gedeckt war, deren Schüsseln und Flaschen zu dem fröhlichsten Genusse einluden.

Mozart war entzückt:

»Jungens!« – rief er – »Kinder! das ist herrlich, – das ist mir aus der Seele gesprochen! Das soll einen göttlichen Abend geben!«

Weniger entzückt war freilich Constanze. So sehr sie der liebenswürdige Empfang für ihren guten Mann gefreut, so sehr erschreckte sie der Anblick der Tafel mit den Flaschen-Batterieen feiner Weine. Sie war in ihren Zimmern gedeckt ..... wenn die Zeche nun an ihnen hängen blieb, welch' ein Posten gab das wieder, und Amadeus hatte in Wien schon Geld aufnehmen müssen, um nur die Reise machen zu können. Wie schnell mußte auf solche Weise die ganze Einnahme für die neue Oper wieder zerstieben. Sie hätte weinen mögen – aber sie verbiß ihre Angst und ihren Schmerz, dem Gatten und der Gesellschaft wegen, und blieb äußerlich heiter, wie zuvor.

Nur Einer der Anwesenden durchschaute sie und hatte aus den überraschten Blicken der guten Frau gelesen, was in ihr vorging, – und der Eine war der dicke, freundliche Wirth. Er schlich daher hinter Constanze und flüsterte ihr, ohne daß es Jemand merken konnte, in's Ohr:

»Geht auf Rechnung des Herrn Impressario Bondini, den der Herr von Mozart durch seinen ›Figaro‹ aus der Patsche gezogen und wieder zum vermögenden Mann gemacht hat.«

Ein dankbarer Blick aus Constanzens Augen, begleitet von einem unendlich glücklichen Lächeln, lohnte abermals den theilnehmenden Wirth; der wiederum über dies Glück fast in Seligkeit zerfloß. Constanze aber athmete nun bei Weitem leichter auf und ließ ihrer natürlichen Heiterkeit freien Lauf. Namentlich war es Bondini's kleine liebenswürdige Frau, an die sie sich mit wahrer Innigkeit anschloß.

Das Abendessen war vortrefflich, die Weine ausgezeichnet und der Humor der Anwesenden so glücklich, wie ihn das für Alle wahrhaft freudige Ereigniß mit sich bringen mußte. Mozart sprudelte vor Witz und Ausgelassenheit; nur eines war ihm leid, daß sein lieber Freund Duscheck[62] an dem kleinen improvisirten Feste keinen Theil nehmen konnte, weil er auf einige Tage verreist war. Indeß auch das vergaß sich, namentlich als man auf die neue Oper zu sprechen kam.

»Nun, Maestro!« – rief jetzt Luigi Bassi – derselbe Sänger, für den Mozart die Rolle des Don Juan bestimmt hatte, und den er gewöhnlich nur »die wilde Fliege« nannte, denn er gab allen Leuten gleich Spitznamen, – »nun, Maestro, wie heißt denn die neue Oper und was steckt hinter ihr?«

»Ho, ho!« – entgegnete Mozart lachend und hielt sein Champagnerglas Bondini hin, daß dieser ihm den köstlichen Schaumwein einschenke; – »wie da meine ›wilde Fliege‹ gleich wieder schwärmt und summt! Möchte schon seinen Part haben; aber warte nur, Freundchen, der Teufel wird dich schon früh genug holen!«

»Maestro!« – rief in komischem Pathos Bondini – »ich will doch nicht hoffen, daß Ihr den Gottseibeiuns auf die Bretter bringt?«

»Wird nichts verrathen!« – entgegnete Amadeus; »aber ich habe ein Libretto, Bondini, Bassi und Ihr Alle! .... ein Libretto, ein keckes, tolles Ding, aber voll Geist und Feuer! Der da Ponte hat mir's gedichtet; – er sagte: er hätte es für keinen Anderen gemacht; denn die hätten dafür keine Courage! O! mir war's eben recht! Die Musik dazu ging mir schon lange im Kopfe herum, ich wußte nur nicht, wozu ich sie brauchen sollte, denn kein anderes Gedicht wollte dazu passen! Im ›Idomeneo‹ und im ›Figaro‹ findet Ihr leise Anklänge, aber es war immer nicht das rechte. – – Kurz, es war mir zu Muthe, als ob der Frühling kommen sollte und auch gern wollte, aber noch nicht könnte auf allen Büschen, auf allen Bäumen sitzen Millionen Knospen – aber – sie sind verschlossen; da kommt ein Gewitter, der Donner ruft: ›Blüthen heraus!‹ ein warmer Mairegen strömt herab und plötzlich blüht und prangt Alles in unerhörter Pracht! – Ich will des Teufels sein, wenn mir nicht so zu Muthe war, als der kleine Abbate mir das Libretto gab!«

»Und wer hat die Hauptrolle?« – frug Luigi Bassi.

»Du, Luigi!« – rief Mozart – »Du hast die Hauptrolle und der Teufel holt dich wirklich!«[63]

Man wollte nun noch mehr von der Oper wissen; aber Mozart that geheimnißvoll und brach lachend ab, die Ungeduldigen zur Geduld ermahnend. Das Geheimniß drückte ihn indessen bald selbst, und so kam es, daß – als der Champagner reichlicher floß und die Lust bis an die Grenze kecker Ausgelassenheit streifte, er sich nicht mehr halten konnte. Er holte also den Entwurf der Partie des Don Juan aus dem Koffer und gab ihn Luigi Bassi und Bondini zur Einsicht. Aber zu seiner Ueberraschung schien der Erstere gerade nicht sehr zufrieden damit.

»Nun, wilde Fliege, was machst du denn für ein Gesicht?« – rief daher Amadeus.

»Schön, sehr schön!« – entgegnete der Angeredete – »aber mein lieber bester Maestro Amadeo, diese Arien sind doch wohl ein wenig zu unbedeutend für mich ....«

»Wie?« – frug Mozart und blickte Luigi lächelnd an.

»Ich meine,« – versetzte Bassi, – »es sind so gar keine Schwierigkeiten darin, es ist Alles zu leicht!«

»Meinst du?«

»Ja, und so kurz ....... nicht wahr, Maestro? Sie schreiben mir noch eine große, schwierige Arie, oder geben mir eine, welche Sie schon fertig haben; – – nicht wahr? das thun Sie?«

»Nein!« – sagte Mozart mit einem ganz eigenen pfiffigen Lächeln und schüttelte mit dem Kopfe, – »nein, mein guter Bassi, das thue ich nicht

Bassi's Gesicht verlängerte sich merklich, Mozart aber fuhr gutmüthig fort:

»Sieh, Schatz! daß die Arien nicht lang sind, ist die Wahrheit; sie sind aber gerade so lang, wie sie sein müssen, und keine zu viel noch zu wenig. Was aber die große, – – allzu große Leichtigkeit betrifft, worüber du klagst, so hat es damit nichts zu bedeuten! Ich bin gewiß, daß du vollauf zu thun hast, wenn du sie so singen willst, wie sie gesungen werden müssen

»So?« – sagte Bassi gedehnt.

Aber Mozart sprang auf und rief: – »Zum Exempel da ist eine Arie: Fin chan dal vino calda la testa!22 .... singe sie einmal.«[64]

Er trat an's Clavier und schlug an. Bassi folgte ihm etwas verstimmt. Kaum auf die Noten blickend, begann er eilig und nicht eben mit allzu zartem Vortrage.

»Sachte, sachte!« – rief daher Mozart lachend, und schon nach den ersten Tacten das Spiel unterbrechend. – »Nicht so con furio über Stock und Stein! – Kannst du's etwa nicht erwarten, mit meiner Musik zu Ende zu kommen? Ich sag' es ja immer: es ist eine ›wilde Fliege‹ ..... Wenn ich Presto geschrieben habe, mußt du da Prestissimo singen und dich den Henker um Forte und Piano kümmern?«

Alle, selbst Luigi, lachten; aber Mozart fuhr mit heiterer Komik fort:

»He! wer singt denn da? ein schon betrunkener Hausmeister oder ein lüsterner spanischer Cavalier, der mehr an ein seines Liebchen, als an den Wein denkt, der ihm nur dazu verhelfen soll, sein Liebchen zu gewinnen? der um den Genuß zu verdoppeln, mit üppiger Phantasie ihn vorher sich ausmalt? .... Ich bitt' dich, Schatzerl! stürz' mal ein Glas Champagner hinunter, denk' an dein Liebchen und nun merk' auf: wie's dir in den Ohren zu summen anfängt, im leichtesten, lustigsten Tempo, piano – piano! cresendo – forte – piano! bis endlich Alles im tollsten, lautesten Jubel zusammenklingt ... so meint ich's!«

Und Bassi, hingerissen von der Darstellung des großen Meisters, sprang auf, stürzte ein Glas Champagner hinunter, stahl der herrlichen Saporitti einen Kuß und begann die Arie auf's Neue, und zwar jetzt mit einer solchen Vollendung, daß die ganze Gesellschaft dadurch elektrisirt wurde und jubelnd die Wiederholung des Tonstücks verlangte.

»Nun?« – rief Mozart freudestrahlend, nachdem Bassi die Arie dreimal probirt hatte, – »nun? sagt ich's nicht, ließ sich's nicht ganz artig anhören?«

»Maestro!« – rief der Sänger – »großer Maestro, ich beuge mich vor Ihrem Genius! und« – setzte er bescheiden hinzu: – »Ich werde mein Möglichstes thun, daß Sie mit mir zufrieden sind!«23

Und er küßte mit Innigkeit Mozarts Hand; dieser aber zog ihn an sich und rief: – »Freund! das weiß ich!«[65]

Jetzt wechselten Musik und Scherz bis zum tollen Uebermuthe. Selbst Constanze, durch die kleine lustige Bondini angestachelt, war ausgelassen. Der Champagner, der ganz vorzüglich war, wirkte auch poetisch-erheiternd auf sie, wie auf Alle, so daß sie lachte wie sonst nie.

Mozart reimte wieder, was immer ein Zeichen war, daß er sich im Stadium des reinsten Wohlbehagens fühlte. So kam Mitternacht herbei, als man sich trennte; es geschah unter Lachen, Küssen und Händedrücken und Jeder betheuerte unendlich vergnügt gewesen zu sein.

Als Alle weg waren, begleitete Amadeus seine Frau in ihr Schlafgemach. Er war so aufgeregt, hatte noch soviel zu sagen, und Constanze war, den Wein ein klein wenig spürend, so lustig, drollig und nett, daß er sich in einen Sessel warf, während sie sich, schwätzend und lachend, auskleidete.

Beide sprachen noch lange, bis Wolfgang ihr mit einem Kusse den Mund schloß, gute Nacht wünschte und in sein Zimmer ging.

Aber bei einer so lebhaften Natur wie Mozart legen sich die Wellen des Blutes und der Gemüthsbewegung nicht so rasch. Er konnte sich noch nicht zu Bett begeben, und so trat er an das Fenster und schaute – auf den Glasscheiben Clavier spielend – hinaus. Tausenderlei Gedanken wirbelten dabei durch seinen Kopf.

Was hatte er heute nicht alles erlebt! Und mit dem heute Erlebten mischten sich die Erlebnisse der letzten Tage, – mit den Erfahrungen des Mannesalters die Erinnerungen der Jugend! – – – Der Jugend? und waren ihm die schönsten Tage derselben, die er unter Italiens heiterem Himmel verlebt, nicht gerade erst vor ganz kurzer Zeit durch das Wiederfinden Giuditta's neuerdings aufgetaucht?

Hatte er nicht von ihr selbst erfahren, daß und wie sie ihn von dem ersten Zusammentreffen an geliebt? Hatte ihm nicht ihr holder Mund gestanden, daß sie sich – nur um ihn wiederzusehen – unter dem Namen Mandini der Bühne gewidmet? Daß dieser Gedanke sie angespornt, begeistert, zu unermüdlichem Studium getrieben und so zu den höchsten Leistungen geführt habe?

Hatte ihm Giuditta nicht unter Küssen, unter heißen, glühenden Küssen – gestanden, daß sie diese Liebe, diese Verehrung für den theueren Jugendfreund, den herrlichen Meister[66] der Töne nie habe vergessen können, und daß diese Liebe allein und die Sehnsucht ihn wiederzusehen, sie über die Alpen nach dem kalten Deutschland getrieben?

Ja, bei Gott! die Gluth, mit der sie ihm dies gestanden, – das Feuer, das damals in ihren Augen blitzte – die süße bacchantische Wuth, mit der sie nun den überschäumenden Becher der Seligkeit des Wiedersehens schlürfte – waren ebenso viel Siegel der Wahrheit ihres Geständnisses!

Und er? o! er fühlte auch, daß er, – ohne sich selbst noch zu verstehen, – Giuditta einstge liebt; .... daß er dies Götterweib noch liebe – nicht wie er Constanze liebte, mit der zarten heiligen Liebe reinster Achtung und edelster Hingabe – aber mit der Begeisterung für das vollendet Schöne, mit der Gluth sinnlicher Leidenschaft.

Es schwindelte ihm bei der Erinnerung, und seine Finger spielten so laut und gewaltig auf den Fensterscheiben Clavier, daß diese nahe daran waren, in Stücke zu gehen. Warum? – – nun, es ging doch so etwas durch seine ehrliche Seele, was wie ein Vorwurf klang. Aber die Melodie des: »Fin chan dal vino calda la tasta« kam ihm in den Sinn und zwischen die Zähne und er dachte: Nur der ist weise, der den Werth frischen Lebensgenusses kennt. Was ist das Leben, wenn wir nicht, wo und wie wir können, seinen vollen Becher bis auf den Grund schlürfen.

Und es war ihm plötzlich wieder, wie schon oft, als müsse er bald sterben, und es sagte in ihm eine innere, wie aus dem Grabe kommende Stimme: »Siehe, du hörst den wandelnden Fuß der Zeit nicht, bis er über dein Haupt hinweggegangen, .... bis die klingende Sichel droht! – – Weh' dir, du bist ein Wahnsinniger, wenn du die Blumen nicht brichst, die siüchtig dir am Abgrunde blühen; die leeren getödteten Stunden sind höhnende Geister, die dich jauchzend im Sarge umtanzen!«

Da klirrte eine der Scheiben, – – sie war gesprungen – und Mozart pfiff leise: »Fin chan dal vino calda la testa!«

Plötzlich berührte ein warmer Hauch seine Wange. Rasch drehte er sich um; da umschlang ihn ein herrlicher, götterschöner Arm, und mit einem flüsternden: »Amadeo!« – sank das schöne Haupt der Mandini an seine Brust.

Als er erstaunt um sich blickte, sah er den Waschtisch, der vor der Thüre gestanden, zur Seite gerückt und die Verbindungsthüre zu den Nebengemächern offen.[67]

Teufelchen aber und sonst tolle Geister schienen durch die Luft zu wirbeln; die Sinne vergingen ihm unter den Küssen Giuditta' s. Alles drehte sich dabei mit ihm um und um, und die Geister in den Lüften und die Möbel im Zimmer und die Glasscheiben, auf die er gehämmert, und der Boden und die Decke ..... Alles, Alles brummte, murmelte, sang und schwirrte: »Fin chan dal vino calda la testa!« bis Mozart nichts mehr von sich wußte.

War es der Geist Don Juans, der sich an ihm rächte? – Wer weiß es? – wer kann es sagen? – Doch – – – die Rache war jedenfalls süß!

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 48-68.
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