20.

Hm, hm, hm!

[230] »So!« – sagte Bondini zu seiner kleinen, netten Frau zurückkehrend, – »ich habe Mozart, seinem Weibe und Süßmayer noch das Geleite bis zur Hausthüre gegeben. Es hat mich sehr gefreut, daß sie heute bei uns speisten; war es doch ...«[230]

Aber Bondini hielt hier plötzlich inne, denn seine Blicke fielen auf seine Frau, die ihr Gesicht hinter ihrem Schnupftuche barg und still weinte.

»Mein Kind, was ist das?« – sagte er dann milde, indem er die Hand mit dem Schnupftuche von den Augen seiner Frau wegzog, aus welchen in der That Thränen perlten. – »Du weinst? Das bin ich ja an meiner heiteren Leonora gar nicht gewöhnt. Was ergreift dich denn mit einemmale so schmerzlich?«

»Kannst du fragen?« – entgegnete die Angeredete traurig. – »O ich habe es dir wohl während dem Essen angesehen, daß du so erschüttert warst, wie ich. Aber du hast deine Gefühle unterdrückt, – du möchtest es nicht Wort haben, – möchtest es dir selber nicht gestehen, wie sehr unser edler Freund, seit wir ihn nicht mehr sahen, abgenommen hat!«

»Ja!« – sagte Bondini jetzt ernst und trübe, indem er mit großen Schritten und auf der Brust gekreuzten Armen im Zimmer auf und ab ging. – »Du hast Recht! Ich wollte es mir selbst nicht gestehen und dich nicht betrüben: Mozart ist nicht der Schatten mehr von dem, was er vor vier Jahren war!«

»Ach!« – rief die kleine Bondini, und ihre schönen Augen blitzten unter Thränen auf. – »Wie übersprudelnd heiter und lebensfroh war er damals: immer voll Witz, voll toller Streiche, voll Muthwillen und Lustigkeit; kräftig, trotz seinem unansehnlichen Aeußern, riesengewaltig in seinem Arbeiten und Schaffen. Denke nur an die Ouvertüre zu ›Don Juan,‹ die er in einer Nacht schrieb.«

»Ich denke daran!« – sagte Bondini bedeutungsvoll, – »Du weißt, daß ich diese Nacht und den darauf folgenden Tag nie vergessen werde.«

»Freilich! sie haben dir Angst und Schweiß gekostet, haben uns aber auch wohlhabend gemacht. Wir sind glücklich, gesund und froh, und er, dem wir unser Glück zu danken haben, er .... o ich darf es gar nicht ausdenken!«

Und die kleine Frau drückte das Schnupftuch wieder vor ihre Augen und weinte bitterlich.

»Nun!« – sagte Bondini nach einigen Minuten, in welchen er schweigend auf- und abgegangen war. – »Vielleicht ist es doch nicht so schlimm, als es den Schein hat. Er war ja heute bei Tische ganz munter.«[231]

»Ja!« – rief die kleine Frau – »eben diese Munterkeit ist es gerade, die mir das Herz zusammenschnürt. Sie war krankhaft, – wehmüthig möcht' ich sagen. O wenn er mich mit seinen treuen Augen, die aber jetzt so matt so trübe sind, ansah, wenn sich die sonderbar erschlafften Züge seines bleichen Antlitzes zu einem Lächeln zwangen, wie schmerzlich, wie wehmüthig war das; schien es dir nicht auch, als wolle er dann immer sagen: ich möchte noch so gerne leben und heiter und glücklich sein .... aber .... der Tod sitzt mir im Herzen.«

»Er hat zu viel gearbeitet, sich zu viel angestrengt, und nun ist sein Körper geschwächt, sein Geist überreizt.«

»Und die Kraft seiner Seele gebrochen.«

»O nein! o nein!« – rief hier Bondini – »es ist eminent, was der Mann, bei seinem so geschwächten Körper, geistig noch leistet. Denke dir nur, da componirt er zu gleicher Zeit für Schikaneder die ›Zauberflöte‹ und für hier: ›La Clemenza di Tito,‹ zwei musikalische Werke, die in Tendenz und Haltung des Stoffes und der Musik himmelweit von einander verschieden sind, und dabei arbeitet sein Gehirn schon wieder im Voraus an einem Requiem, das er, so wie er nach Hause kommt, beginnen will. Aber das ist noch nicht Alles, denn er hat auch vor wenigen Wochen eine Clavier-Cantate: ›die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt,‹ componirt, dabei ein Concert für die Clarinette, und ist an einer Freimaurer-Cantate, die er den 15. November abliefern muß!«78

»Dann ist es freilich kein Wunder, wenn er zu Grunde geht!« – rief die kleine Frau unwillig. – »Aber kann ihn denn seine Constanze, können ihn denn nicht seine Freunde von diesem rasenden Beginnen abhalten?«

»Wir haben Alles gethan, was möglich ist!« – versetzte Bondini achselzuckend. – »Einmal aber hat er für diese sämmtlichen Compositionen Verbindlichkeiten eingegangen, und du weißt, wie streng Mozart über Worthalten denkt; dann aber – und dies liegt am schwersten auf meiner Seele – hat sich seiner eine wahrhaft unheimliche Unruhe bemächtigt. Sie spricht aus seinen Blicken, aus seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen und treibt ihn denn auch an alle diese Compositionen. Und weißt du, wie mir diese Unruhe vorkommt?«[232]

»Nun?«

»Ich wollte dir's erst nicht sagen; da du nun aber selbst angefangen, so will ich damit herausrücken, denn es liegt mir wie ein Berg auf dem Herzen.«

»Und?«

»Jene Unruhe kommt mir vor, als ob Körper und Geist bereits das Herannahen der Auflösung spürten, und jetzt schon mit einer gewissen Angst noch so viel als möglich zu genießen, zu vollenden suchten!«

»Entsetzlich!«

»Möge Gott geben, daß ich mich geirrt habe; aber, aber! Ich fürchte, ich sehe hier recht!«

Eine längere Pause entstand. Endlich hob die kleine Frau, das Haupt schwermüthig auf den Arm gestützt, wieder an:

»Wenn Mozart so früh untergehen sollte – was ich mir immer noch nicht denken kann – läge doch etwas unendlich Tragisches in seinem Geschicke: so groß, so herrlich, so verehrt und doch wieder so vergessen, so unbelohnt! – scheidend – ohne mit dem unverwelklichen Lorbeerkranze gekrönt zu sein, der ihm, ihm vor Allen gebührt.«

Sie stand auf, warf das Taschentuch hin und sagte:

»Ich will ausgehen! Wände und Decke liegen auf mir, als wollten sie mich erdrücken. Ich kann nicht hier bleiben – – mein eigenes Zimmer gähnt mich wie sein Grab an!«

Und sie machte sich zum Weggehen fertig. Bondini, ebenso der Zerstreuung bedürftig, ging auf das nächste Kaffeehaus. Aber wie überrascht war er, als er Mozart und Duscheck hier fand.

»Das ist recht, Bondini, daß Sie kommen!« – rief Duscheck schon von weitem. – »Mozart und ich wollen eben ein Partiechen Billard machen. Sie wissen ja noch von früher, daß Mozart dies Spiel leidenschaftlich liebt.«

»Gewiß!« – sagte Bondini aufgeheitert, da er den Freund, von dem eben die Rede gewesen, gleichfalls mit ziemlich heiterer Miene fand.

»Ich wollte und sollte freilich an die Arbeit gehen!« – fiel hier Mozart ein. – »Aber Bondini ist schuld, wenn ich jetzt taugenichtse!«

»Ich?« – rief Bondini.

»Ja!« – sagte Mozart. – »Essen und Weine waren so gut, daß ich jetzt noch nicht arbeiten kann. Die Verdauung[233] geht nicht mehr so wie früher. Da wollen wir denn durch eine tüchtige Motion am Billard nachhelfen.«

»Das ist prächtig!« – rief Bondini, ein Queue ergreifend, und das Spiel begann.

Unter dem Spiel aber benahm sich Mozart so sonderbar, daß sich Duscheck und Bondini mehrere Male verstohlen ansahen. So oft er nämlich nicht selbst am Stoße war, summte er nach einer ganz eigenen Melodie: »Hm, hm, hm!« – – »hm, hm, hm!« vor sich hin und wiederholte dies oft. Dann plötzlich griff er in die Tasche, zog ein Stückchen Papier heraus, warf einen raschen Blick darauf, – – spielte weiter – und fing auf's Neue sein melodisches »Hm, hm, hm!« – – »hm, hm, hm!« zu summen an.

Die Freunde konnten sich gar nicht denken, was das sein sollte. Als aber Mozart einmal an das Fenster getreten war und ihnen auf Augenblicke den Rücken zuwandte, näherte sich Duscheck leise dem Director und flüsterte ihm in's Ohr:

»So geht es nun schon seit drei Tagen beim Billardspielen. Wenn nur nicht ....«

Und er sah Bondini mit großen Augen bedenklich an, als wolle er sagen: Wenn es nur nicht dem armen Freunde da oben fehlt.

In dem Augenblicke drehte sich Mozart um:

»Hm, hm, hm! – hm, hm, hm!« – brummte er und that, da die Reihe an ihm war, einen famosen Stoß.

»Aber zum Teufel, Mozart!« – rief jetzt Duscheck lachend. – »Was soll denn nur dein verfluchtes immerwährendes: ›Hm, hm, hm!‹ – ›hm, hm, hm!‹ mit dem du mich nun schon seit drei Tagen beim Billard regalirst.«

Ueber Mozarts Züge glitt ein trübes Lächeln, – ein Lächeln, das wie ein matter Sonnenblick war, der flüchtig über ein mit Leichen bedecktes Schlachtfeld fährt.

»Werdet's schon sehen!« – sagte er dann. – »Wenn die Parthie aus ist.«

»Gut!« – riefen Beide – »so lange haben wir Geduld.«

Als nun aber das Spiel wirklich vollendet war, und alle Drei ihre Queues niedergelegt hatten, sagte Mozart:

»Jetzt kommt und hört!«

Und er ging ihnen voran in die Privatzimmer des Wirthes, der ihn schon von seinem früheren Aufenthalte in Prag wohl kannte und ein großer Verehrer von ihm war,[234] setzte sich an das Clavier und spielte ihnen das köstliche Quintett aus dem ersten Acte der »Zauberflöte« vor, das, weil Papageno ein Schloß vor dem Munde hängt, mit: »Hm, hm, hm!« beginnt.

Mozart hatte dieses herrliche Musikstück während dem Billardspielen componirt.79

Die Freunde waren entzückt. Aber wie originell war auch diese Musik, wie anmuthig, wie wahrhaft bezaubernd! Flossen doch die Melodieen dieses herrlichen Quintetts so leicht, so gefällig in einander, daß sie das Herz mit einer Art kindlicher Freude berührten; während doch auch wieder das künstlerisch ausgebildete Ohr durch ihre Anmuth und musikalische Schönheit gewonnen wurde. Einige syllabische Sätze des Allegro, die angenehmsten nach Bondini's Ansicht, hatten den Gang und die pikante Ungezwungenheit eines Instrumental-Scherzo: Sil–ber–glöck–chen–Zau–ber–flö–ten u.s.w. Alles war zauberhaft und wundervoll.

»Ja, bei Gott!« rief Duscheck entzückt. – »Mozart selbst ist ein Zauberer! Wie da der Hauch unsichtbarer Regionen zu uns dringt!«

»Und durch was?« – setzte Bondini hinzu. – »Durch Töne, welche sich in der kleinen harmonischen Distanz, aber nichtsdestoweniger auf eine ungewöhnliche und frappante Weise folgen, in Betracht der Mischung der Sexten-Accorde mit den vollkommenen Accorden, und des Majore mit dem Minore.«

»Herr! das verstehe ich nicht!« – sagte jetzt der Wirth, der leise herein und hinter die Freunde getreten. – »Aber das verstehe ich, daß Herr von Mozart da wieder etwas geschaffen hat, das einem das Herz im Leibe lachen macht. Ich freue mich schon jetzt auf die Zauberflöte

»Erst, mein Bester,« – versetzte Mozart, indem er vom Instrumente aufstand und trübe lächelte, – »erst kommt La Clemenza di Tito daran und dann – wenn wir es erleben – auch die Zauberflöte

Und zu den Freunden gewandt, setzte Mozart hinzu:

»Jetzt wißt Ihr, was das Hm, hm, hm! beim Billardspiel bedeutete.«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 230-235.
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