21.

[235] La Clemenza di Tito.

Böhmens Hauptstadt, das schöne stolze Prag – überfüllt durch die ungeheure Masse von Fremden, die in den letzten Tagen durch seine Thore eingezogen – befand sich in einem wahrhaft fieberhaften Zustande. Die Glocken läuteten, die Kanonen donnerten, von allen Thürmen und Zinnen wehten Fahnen, in allen Straßen wogten unabsehbare Volksmassen, in allen Herzen thronte Lust und Freude, alle Köpfe dachten nur an Eines: wo und wie man am besten und am meisten von den Feierlichkeiten sehen, von den Festen genießen könne: denn heute wurde ja hier Kaiser Leopold II. zum Könige von Böhmen gekrönt!

Jedermann weiß, was eine Kaiser- oder eine Königskrönung heißen will! So etwas kommt nicht alle Tage vor; solch' ein Erlebniß wird noch den Kindern und Enkeln erzählt; es ist ein Lichtpunkt in dem Leben der meisten Menschen, die ja doch ihr Dasein nach Festen und Bällen, kostbaren Schmausereien und wilden Trinkgelagen bemessen, wie der Edle es bemißt nach menschenbeglückenden Thaten. Und sind denn die meisten Menschen etwas anderes als große Kinder? Wenn sie murren und unzufrieden sind, gebt ihnen etwas zu sehen: den feierlichen Einzug eines Fürstenpaars, ein großartiges Feldmanöver, ein recht pomphaftes Kirchenfest, ein beliebiges Volksschauspiel, einen kleinen Krieg, oder gar die großartigen Feierlichkeiten einer Krönung – und die großen Kinder werden Murren und Schmollen vergessen und, vor Freude und Seligkeit außer sich, in die Hände klatschen und die Lüfte mit donnernden Vivats erfüllen.

Böhmens selbstständige Rolle hatte aufgehört, seitdem es unwiderruflich an Oesterreich gefallen war; doch bildete es fortwährend ein Hauptgewicht in der Waagschale des österreichischen Staatenbundes. Es mußte daher den österreichischen Herrschern auch stets und vor allen Dingen darauf ankommen, ihre Rechte auf dies Königreich jedesmal noch besonders durch die Krönung zum böhmischen Könige zu sichern. Und dann: welche Kräfte zog Oesterreich aus Böhmen? Unter den drei letzten Habsburgern: Leopold, Joseph und Karl, welche[236] auf Böhmens Throne saßen, sandte das Land Schaaren und Summen zur Abwendung der Macht der Osmanen und der umsichgreifenden Größe Frankreichs. Ohne Widerrede nahmen die Böhmen sogar die pragmatische Sanction, die Herzensangelegenheit Karls an; und welche Opfer brachte dies Königreich im österreichischen Erbfolgekrieg? Auch nach dem Tode Maria Theresia's blieb Böhmen unter Joseph II. den großen Unternehmungen des österreichischen Staatenbundes mit Heerschaaren und Geldsummen nicht fremd. Schon diese Erfahrungen allein hätten nun bei Leopold II. hingereicht, das Band zwischen seinen böhmischen Unterthanen und ihm so bald als möglich durch die Krönung in Prag zu festigen; aber es kam jetzt auch noch etwas anderes dazu. Die großen Kinder in Böhmen murrten zum Theil; denn auch hier fing man jetzt schon an, die Grundsätze der josephinischen Regierung auszumerzen, da man sich bereits in Wien die Aufgabe gestellt hatte, das historisch Bestehende als das Legitime und Rechtliche gegen das Neuerungswesen, als das Revolutionäre und Verbrecherische, festzustellen. Was aber konnte dies Streben besser sanctioniren, was die murrenden und schmollenden großjährigen Kinder schneller zum Schweigen bringen, als der großartig-pompöse, die Masse blendende Act der Königskrönung?

Und in der That hatte Prag, und Böhmen mit ihm, über diese nationale Feier jetzt alles Uebrige vergessen.

Schon der Einzug und die darauf folgenden Feste hatten die Köpfe verwirrt. Man hörte nichts mehr, als von der Krönung, den Umzügen, den Bällen, Concerten, Ringelrennen, auch wohl von der Festoper reden, die Mozart componire und dirigire; aber – wer hatte in diesem Taumel von Lustbarkeiten Zeit und Muße, sich so recht auf ein Meisterwerk der Tonkunst zu freuen. »Die Musik ist von dem Augenblick an Nichts mehr, indem sie aufhört, für den Zuhörer Alles zu sein, und nur als obligate Zugabe zu Lustbarkeiten anderer Gattung erscheint!«

Die Musik des heutigen Tages aber war: Kanonendonner, Glockengeläute, Trompetenstöße und Paukenwirbel; in dies Alles aber mischte sich jetzt noch das Jauchzen des Volkes, denn eben erschien seine geheiligte Majestät, und die Krönungsfeierlichkeiten huben an.[237]

Schon in der Frühe waren die Bürger der dreifachen Stadt durch Trommelschlag zusammenberufen worden und bei ihren Fahnen erschienen, um mit der Garnison den Ehrendienst in der Burg zu übernehmen. Dort eingerückt, wurden alle Thore der königlichen Beste bis auf eines geschlossen, durch welches nur Diejenigen Zutritt hatten, die unmittelbar bei der Feierlichkeit betheiligt waren. Während dessen hatten sich aber bereits auch die Stände des Königsreichs und die Abgesandten der Provinzen im Conventsaale versammelt, und die Erklärung des Burggrafen von Böhmen: »Daß Seine Majestät, Leopold II., des heiligen römisch-deutschen Reiches Kaiser, nach Art der Vorfahren, zum Könige von Böhmen solle gekrönt werden!« mit dem Jubelrufe beantwortet: »Es lebe Seine Majestät Leopold II., wir wollen keinen anderen König!«

Und die Glocken läuteten und die Kanonen donnerten und alles Volk in den Straßen jubelte, denn es wußte, was die jetzt auf dem Hradschin aufgezogene gewaltige Reichsfahne bedeutete: Die Stände hatten ihre Einwilligung zur Krönung ertheilt, – das Volk hatte durch sie gesprochen, – das Volk jubelte!

Und die Stände, die Abgesandten der Provinzen und fremden Herrscher, sowie die hohe Geistlichkeit begaben sich nun in feierlicher Prozession nach der Capelle des heiligen Wenzeslaus. Den Canonici, den infulirten Aebten, den Bischöfen und dem Cardinal-Erzbischof, des Königreich Böhmens Primas, wurden dabei in Gold und Edelsteinen funkelnde Kreuze und Stäbe, die Zeichen ihrer apostolischen Macht und Würde, vorgetragen.

Langsam bewegte sich der Zug, ernst und feierlich nahmen die Beteiligten ihre Sitze im Heiligthume ein.

Als dies aber geschehen, erhob sich der Vicekönig Burggraf von Böhmen, um mit dem ganzen großen Gefolge die Majestät – durch die auf beiden Seiten in Waffen stehende Bürgerschaft und Garnison hinschreitend – in die Hauptkirche des h. Veit abzuholen. Die Gesandten schritten voraus, ihnen folgten der kleinere, der neue und der größere Rath der Stadt Prag; nach diesen die Ritterschaft des Königreiches, die Barone und der weitere Adel, nebst den Militär-und Civilbeamten.

Als Leopold in die Kapelle des heiligen Wenzeslaus angelangt, erwartete ihn wieder eine von den vielen[238] lästigen Ceremonien, die er heute, nach uralter Sitte, durchzumachen hatte, und auf deren Beibehaltung und Ausübung die böhmischen Großen um so eifersüchtiger waren, als ihnen von der alten Macht nichts geblieben, als dieser nichtssagende Schein. Der Erzkämmerer des Königreiches entkleidete hier die Majestät: Leopold mußte den ungarischen Anzug, den er bis zu diesem Momente getragen, ablegen und sich mit dem königlich böhmischen Krönungshabit – der ganz von Purpur und dicht mit Gold gestickt war – schmücken lassen. Als man auch diesem Punkte genügt hatte, begann der eigentliche Krönungsact.

Aus der Wenzeslaus-Capelle in den Dom tretend, erwartete die Majestät neben dem Hochaltar ein königlicher Thron. Voran schritten auf diesem Wege, umrauscht und umbraust von den gewaltigen Tonwellen der Orgel, die Großwürdenträger des Reiches: des Königreiches Truchseß trug ein goldenes, der oberste Mundschenk ein silbernes, sein College ein mit Silber geziertes Gefäß mit kostbarem Wein; des Königreiches Unterkämmerer hielt auf einem Kissen von purpurrothem Sammt mit feinen Goldstickereien das Scepter: diesen folgte, auf einem gleich kostbaren Kissen den goldenen Reichsapfel tragend, des Königreichs Böhmen oberster Richter, zur Rechten den Kanzler, zur Linken den obersten Schloßhauptmann; dann kam der Statthalter des Königreiches, der die Krone trug, und dem zur Rechten des Königreiches Oberhofmeister mit dem schwarzen Stabe, zur Linken der Oberkämmerer mit dem königlichen Purpur schritt.

Nun betrat Leopold selbst, das Haupt entblößt und von den Bischöfen geführt, den Thron, kniete vor demselben nieder und empfing in dieser Stellung der Demuth den erzbischöflichen Segen. Es war ein hoher, ein feierlicher Moment; denn mit dem Herrscher lagen alle Anwesenden auf den Knieen: das Irdische in seinem höchsten Glanze beugte sich vor dem Ewigen in den Staub.

Und die Orgel, von einer Meisterhand gespielt, flehte mit leisen Tönen, wie in inbrünstigem Gebete zu Gott um Segen für Herrscher und Reich.

Da ertönte plötzlich laut und vernehmlich aus des Erzbischofs Munde die Frage an den zu Salbenden: – »Willst du aus treuem Gemüthe den katholischen und römischen Glauben erhalten, und ihn durch christliche Tugenden befördern?«

[239] Leopold antwortete mit einem lauten: – »Ja, ich will es, so wahr mir Gott helfe!«

Und der Erzbischof frug weiter: – »Willst du das vom Himmel dir aufgetragene Regiment des Königreichs Böhmen nach Art der Vorfahren antreten, und es wie diese also gerecht verwalten?«

»Ja, ich will es!« – antwortete Leopold, – »so wahr mir Gott helfe!«

Jetzt erhoben sich der König und die Magnaten und das Hochamt, verherrlicht durch eine ausgezeichnete Musik, begann. Unter demselben leistete der König den Eid; dann entblößte man ihm Brust, Schulterblätter und rechten Arm, die der Erzbischof unter Gebeten einsalbte, worauf er ihn mit dem Schwerte des heiligen Wenzeslaus umgürtete, den goldenen Ring an den vorderen Finger der rechten Hand steckte, das Scepter in die rechte und den goldenen Reichsapfel in die linke Hand gab.

So war der König geschmückt, aber noch zierte sein Haupt die Krone nicht.

Da wandte sich der Burggraf an das Volk, redete es in böhmischer Sprache dreimal an und frug:

»Will das böhmische Volk diesem Könige gehorchen, seinen Befehlen nachkommen, und ihm die Krone des Reiches bewilligen?«

Und dreimal donnerte es aus tausend und abertausend Kehlen durch die Wölbungen der Kirche:

»Wir wollen! wir wollen! wir wollen!« – Und sich zu dem Könige wendend, fuhr Böhmens Burggraf fort:

»Wollen Ew. Majestät diesem Volke vorstehen, und Ihr Regiment, nach Art der Vorfahren, gottselig und gerecht führen?«

Und Leopold antwortete:

»Ich will es! – ich will es! – ich will es! so wahr mir Gott helfe!«

Und in dem gleichen Momente schmetterten die Trompeten, wirbelten die Pauken und Trommeln, alle Glocken fingen auf's Neue zu läuten an, und der Donner der Kanonen kündete der in allen Straßen und auf allen Plätzen harrenden Menge, daß in diesem Augenblicke der Cardinal-Erzbischof, Primas von Böhmen, dem neuerwählten Könige die Krone Böhmens auf das Haupt setze.[240]

Und rauschend ertönte das Te Deum und das Symbolum nicenum. Dann empfing der König noch unter der Wandlung das heilige Abendmahl und endete die kirchliche Handlung mit dem Ritterschlage einer bestimmten Zahl auserlesener böhmischer Edlen.

Und abermals schmetterten unter dem Heimzuge die Trompeten, wirbelten die Trommeln und Pauken, läuteten die Glocken, donnerten die Geschütze, jubelte das Volk. Und in die dicht gedrängten Haufen flogen in Menge goldene und silberne Münzen, und während der König und sein Hof an dreizehn Tafeln speisten, sprang aus den Brunnen der Stadt in reicher Fülle rother und weißer Wein, und Brod und Speisen aller Art wurden unter die Masse vertheilt. Das war eine Lust, ein Jubel und ein Treiben bei Reich und Arm, bei Vornehm und Gering, bei Alt und Jung, wie es Prag lange nicht gesehen;80 und Feste folgten nun auf Feste; der Hof, die Stände, der Adel, die reicheren Bürger – – Alles wetteiferte, um Eines das Andere an Pracht und Herrlichkeit, an Geschmack und Reichthum zu überbieten. Es war nur noch ein großer Taumel, ein allgemeiner Rausch der Lust; und mitten in diesen Taumel, mitten in diese fast bacchantisch-wilde Lust fiel die erste Aufführung von Mozarts zu der Krönung Leopold's componirter neuer Oper: »Titus

Aber .... Mozarts böser Stern waltete auch hier wieder! So herrlich dies klassische Werk auch war, so sehr es auch gefiel, .... der Eindruck, den es machte, wurde durch die vielen Festlichkeiten und die allgemeine Zerstreutheit verwischt. »Die Musik ist von dem Augenblicke an Nichts mehr, in dem sie aufhört, den Zuhörern Alles zu sein, und nur als obligate Zugabe zu Lustbarkeiten anderer Gattung erscheint.«81

Aber es kam noch etwas dazu, was hier den Erfolg schmälerte, während es ihn später – ja selbst heutzutage noch – mächtig hebt: es ist dies die Stimmung, die in dem Werke liegt, – der großartige Ernst, der es trägt, – der Hauch einer wunderbaren Todesahnung, der es durchweht! Wie aber[241] wäre es der vom Jubel der Königskrönung berauschten Menge möglich gewesen, sich in eine solche Stimmung zu versetzen.

Wolfgang Amadeus war schon ganz krank und durch die übermenschliche Anstrengung seines Arbeitens – das er ja selbst während der Reise nicht aussetzte – bis in's Innerste erschüttert, in Prag angekommen. Hier war es seine Aufgabe » La Clemenza di Tito «, diese zweiactige Oper, in achtzehn Tagen zu schreiben, .... Mozart vollbrachte das Unglaubliche; .... sein gewaltiger Geist beherrschte den kranken Körper ... zu der bestimmten Zeit war »Titus« vollendet.

Des edlen Maestro's Augen, – jene Augen, die sonst das gewaltige Pulsiren einer inneren Welt verriethen, – jene Augen, die sonst immer so freudig, so begeistert geleuchtet, bei den Genüssen des Lebens so kindlich-fröhlich aufgeblitzt .... sie waren jetzt matt, – seine Züge schlaff, sein Wesen trübe. Die Freunde bemerkten dies mit Unruhe; aber die wenigsten sahen so trübe wie Bondini und dessen Frau. Mozart bezwang sich, selbst vor Constanzen. Er blieb nicht zu Hause, man sah ihn arbeiten, Besuche abstatten, die Proben leiten, sich unterhalten, Billard spielen, Musik machen, wie wenn er über nichts zu klagen hätte; kaum sagte er Jemand, daß er einen Arzt gebrauche.

Aber wenn er Nachts allein war auf seinem Zimmer, dann kam oft jene unselige Melancholie über ihn, die ihn fast zu Boden drückte; – – dann fühlte er wohl, Thränen im Auge, wie Alles in ihm zusammenbrach; dann hörte er leise, leise den Todtenwurm klopfen; dann huschte mit dem Gedanken: »er hat dich vergiftet!« der Schatten einer kleinen, höhnisch-lächelnden Gestalt an den Wänden dahin, – einer Gestalt, die Salieri auf das Haar glich.

War aber dann die melancholische Exaltation vorüber, dann folgte gewöhnlich ein Zustand stiller Wehmuth, der nach und nach, mit dem Erwachen des inneren schöpferischen Dranges, den inspirirten Blick über die Grenzen des irdischen Horizontes hinaustrug. In solchen Momenten entstanden die Priesterchöre der »Zauberflöte,« die ja in ihren göttlichen Harmonien den Frieden und die Seligkeit eines höheren Daseins athmen; – in solchen Momenten entstanden die hervorragenden Piecen des »Titus« und namentlich das Finale des ersten Actes.[242]

Wenn Sextus von Vitellia Abschied nimmt, glaubt er den Gang zum Tode antreten zu müssen: offen liegt das Grab vor ihm – er ist in Gedanken nicht mehr auf dieser Welt. Mußte diese Situation Mozart in seiner damaligen Stimmung nicht mit der Allgewalt einer unendlichen Wehmuth erfassen? Starr blickten seine Augen vor sich hin .... auch sein Grab sah er offen vor sich stehen, .... auch er fühlte sich schon dieser Welt entrückt. Aber was er dachte, was er fühlte, das ward zu einer unsterblichen Melodie. Hört nur, wie seine Finger die Tasten des Instrumentes geisterhaft berühren, – hört nur, wie Sextus hier in leisen Tönen der Geliebten seinen Abschied zuruft. Seine Stimme hat keine Thränen mehr; sein von der Materie, von allen Leiden der Erde freies Wesen – von nun an ganz Harmonie und ganz Liebe – umschwebt gleich einem Abendlüftchen Diejenigen, welche weinend zurückgeblieben sind.

Und Constanze? – Constanze, die, des Gatten Bitten folgend, längst zu Bett gegangen, die aber der Kummer und die Sorge um den geliebten Mann nicht schlafen läßt, – Constanze hört diese Töne, die wie Dolche ihr treues Herz durchbohren; – Constanze hört diese Töne, und drückt, still weinend, ihr Haupt in die Kissen. Sie denkt nicht entfernt daran, daß ihr das Schicksal den Gatten bald entreißen könne; .... aber .... sie weiß, daß er leidet, körperlich und geistig, an Krankheit, an Sorgen und an Seelenschmerzen – und eine unendliche Wehmuth erfaßt auch sie, und die Ahnung einer trüben schmerzenreichen Zukunft überschattet sie, und sucht Linderung in heißen Thränenströmen.

Und tritt uns diese Stimmung nicht in ihrer ganzen göttlich-schönen Erhabenheit in dem Finale des ersten Actes des »Titus« entgegen? Das Forum der weltbeherrschenden ewigen Roma liegt in Nacht gehüllt, die bald die Flammen des brennenden Capitols erhellen. Sextus eröffnet das Finale durch einen Monolog, in welchem er sich mit dem Gedanken des Vatermordes vertraut zu machen sucht. Auch die Anderen eilen herbei, die Einen von Gewissensbissen zerfleischt, die Anderen von Abscheu und Schrecken erfüllt, während dem Mörder – als neuen Orestes – die Furien auf allen Schritten folgen. Und der Aufruhr tobt und des römischen Volkes Verzweiflungsschreie hallen klagend durch die Luft. Es kann nichts Schöneres, nichts Musikalischeres geben![243]

Nach den obligaten Recitativen der Donna Anna im »Don Juan« hat Mozart kein schöneres geschrieben, als das, welches dieses Finale durch den Monolog des Sextus eröffnet. Und nun die herzzerreißenden Ausrufungen des Chors! Man hört sie gleich dem Todesschrei einer ganzen Bevölkerung, unter deren Schritten sich die Erde zu einem ungeheuren Grabe öffnet. Die ganze Masse des Orchesters bricht sich in donnernden Schlägen an den Accorden der Verzweiflung, die man von Zeit zu Zeit hört, und welche zusammen ein schmerzvoll gedehntes »Ach!« hören zu lassen scheinen. Da schlägt die Todtenglocke der öffentlichen Glückseligkeit an, die mit Titus zu Grabe gegangen ist! Titus todt! der Menschheit Stolz ist todt! – welche Majestät des Schreckens, welch' ein Schmerz, welch' ein Hauch des Grabes, das sich dicht vor unseren Füßen öffnet!82

Mozart wußte, welche Meisterwerke er in den Piecen des »Titus,« die er selbst componirt, der Welt hinterließ; dennoch war seine Freude an dieser Oper eine getrübte; wie denn überhaupt für ihn Alles nachgerade ein trüber Hauch überflorte. Aber es erfaßte ihn eben auch nach Vollendung und Aufführung des Werkes jene innere Unruhe, jene peinliche Hast wieder, die ihn, wie mit dämonischer Gewalt, an die Composition des Requiems trieb.

Es war ein unsichtbarer, aus der Tiefe nach ihm herauflangender Arm, der ihn mehr und mehr an sich zog.

Er konnte nicht widerstehen: fort, fort mußte er – fort aus dem diesmal so tollen, wilden Treiben Prags – fort aus dem Lärmgeschrei der Lust – fort nach Wien, nach seinem heimathlichen Heerde, zu seinen Kindern, in sein stilles Haus! – fort, fort .... um dort unter dem heiligen Schweigen der Nächte die gewaltigen, zu Gott aufsteigenden Harmonien, die seine Seele erfüllten, auszuströmen in einem ewigen, zu den Sternen reichenden Werke!!

Mozart nahm Abschied; – aber – wenn Wolfgang Amadeus sonst immer über jede Sentimentalität beim Abschiednehmen gespottet hatte .... wenn sonst sein frischer, fröhlicher Geist über Jahre der Trennung heiter hinausschaute in eine heitere Zukunft und auf ein fröhliches Wiedersehen –[244] – – diesmal ergriff ihn, als er die Freunde zum letzten Male umarmte, eine unaussprechliche Wehmuth. Thränen füllten seine Augen, und als er sich aus Duschecks, aus Bondini's Armen loßriß, biß er mit Gewalt die Zähne zusammen, um nicht in Schluchzen ausbrechen zu müssen.

Aber auch die Freunde sahen dem dahinrollenden Wagen mit feuchten Augen lange schweigend nach; als sie sich aber zum Nachhausegehen umkehrten, sagte Bondini tief bewegt:

»Ich .... fürchte wir sehen ihn nicht wieder!«

In demselben Augenblicke bog, dicht neben ihnen, ein Leichenzug um die Ecke der Straße. Beide erblaßten und trennten sich schweigend.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 235-245.
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