[209] Welch ein freudiger Morgen folgte aber dem so bewegten Tage! Vater und Sohn waren glücklich; – Vater und Sohn waren in einer Stimmung, daß sie die ganze Welt hätten umarmen können!
Jetzt war Wolfgang wieder er selbst: der heitere, geniale immer lustige junge Mensch; – ein Kind nach der äußeren Seite des Lebens hin, ein gereifter Mann in allem, was Musik und musikalisches Leben betrifft. Von der gestrigen großartig gehobenen, fast beängstigenden Spannung war keine Spur zurückgeblieben. Sie hatte sich in einer That concentrirt und manifestirt, – man könnte sagen, wie ein segenbringendes Gewitter entladen – und nun strahlte wieder der Himmel im reinsten Blau.[209]
Er war voll Tollheiten und ausgelassen wie nie, als daher der Vater in seiner Seelenfreude nach Salzburg an die Mutter über ihre Ankunft in Rom und das Wunder mit dem Miserere geschrieben, setzte er noch folgende Zeilen als närrische Nachschrift daran:
»Ich bin, Gott Lob und Dank! nebst meiner miserablen Feder gesund und küsse Mama und Nannerl tausendmal. Ich wünschte nur, daß meine Schwester zu Rom wäre, denn ihr würde diese Stadt gewiß wohlgefallen. Die Peterskirche ist herrlich und Alles ist herrlich hier. Die schönsten Blumen tragen sie jetzt vorbei; den Augenblick sagte es mir der Papa. Ich bin ein Narr, das ist bekannt. O ich habe eine Noth. In unserem Quartier ist nur ein Bett. Da kann die Mama sich leicht einbilden, daß ich bei dem Papa keine Ruhe habe. Ich freue mich auf das neue Quartier. Jetzt habe ich just den heiligen Petrus mit dem Schlüsselamt, den heiligen Paulus mit dem Schwert und den heiligen Lukas mit meiner Schwester abgezeichnet – – Ich habe auch die Ehre gehabt, des heiligen Petrus Fuß zu St. Pietro zu küssen und weil ich das Unglück habe, so klein zu sein, so hat man mich als den nämlichen alten
Wolfgang Mozart
hinaufgehoben«85.
»Das ist wieder rechter Unsinn!« – sagte der Vater lächelnd, als er die flüchtig hingeworfenen Zeilen überflogen. – »Man sollte nicht glauben, daß dies Kauderwelsch derselbe Mensch geschrieben habe, der heute Nacht ....«
»Ich bitte dich, Papa!« – rief Wolfgang in komischem Pathos und schlang seine Arme so fest um des Capellmeisters Hals, daß dieser fast erstickte: –
»Ich bitte dich, nichts von gestern Abend und heute Nacht. Wir leben am Morgen, und der Morgen ist schön – und – Unsinn treiben ist auch schön. Ich muß manchmal ausschlagen, und wenn ich die Nannerl hier hätte, so würde ich sie küssen wie toll und würde die tollsten Streiche mit ihr machen. Aber eines Papa ist in meinem schönen Briefe wahr: ich sehne mich nach einem neuen Quartier!«
»Nun,« – versetzte der Vater – »das wird auch nicht auf sich warten lassen. Man erwartet uns ja schon, in Folge der freundlichen Fürsorge unseres edlen Gönners Farinelli,[210] im Hause des päpstlichen Couriers Uslinghi. Denn hier, weißt du, stiegen wir ja nur für einen Tag und eine Nacht ab, um bei unserer Ankunft unbekannt und ungenirt zu sein.«
»O!« – rief Wolfgang – »dann laß uns eilen, das neue Logis zu beziehen!«
Der Vater willigte gern ein. Er schloß seinen Brief, packte ihre Effekten zusammen, regelte die kleine Rechnung, und begab sich mit Amadeus auf den Weg, das Gepäcke der Besorgung des Wirthes überlassend, der – als er hörte, daß sie bei dem päpstlichen Courier Uslinghi wohnen würden – einen gewaltigen Respekt vor den beiden Deutschen bekam; denn bei Uslinghi logirten stets nur dem päpstlichen Hofe nahestehende Personen.
So erreichten sie denn auch, mit Hülfe eines Führers, bald das gedachte Haus, das ein ganz anständiges und freundliches Äußere hatte. Da die Thüre offen stand, traten sie ungenirt ein, und gelangten durch einen kühlen Gang in einen noch kühleren, von steinernen Bogengängen umgebenen Hof. Mächtige Weinstöcke umrangten hier die Pfeiler und Bogen und senkten leicht und gefällig einzelne Zweige herab, mit welchen der Wind leise spielte; während die kräftige Wassersäule, die in der Mitte des Raumes aus einem halb zerfallenen antiken Marmorbecken sprang, das Ganze durch ein behagliches Plätschern belebte.
Auf dem Rande des Springbrunnens aber saß eine Frau in der Tracht der römischen Bürgerinnen, die Spindel in der Hand und spann. Als sie die Eintretenden gewahrte, stand sie rasch auf und ging ihnen rüstigen Schrittes entgegen, als ob es Bekannte wären, indem sie, zu Vater Mozart gewandt, freudig ausrief:
»Alle Heiligen zum Gruße! denn ich müßte mich sehr irren, wenn ihr nicht Monsignore Mozart sein solltet, den mir, sammt dem kleinen maestro illustrissimo, Signor Farinelli so warm empfohlen hat.«
»Capellmeister Mozart bin ich allerdings!« – entgegnete nach seiner schlichten deutschen Weise der Angeredete – »und das da ist auch mein Sohn, der Concertmeister; aber, liebe Frau, wir sind weder Prinzen, wie man hier geglaubt hat, noch Monsignore, noch illustrissimo.«
»Ei was!« – rief jene lachend – »das ist einmal bei uns so Art und Sitte! In Rom heißt es: Al Gato del Papa[211] si dice Monsignore! (Der Kater des Papstes heißt gnädiger Herr). So ein Bischen Übertreibung findet Ihr überall. Waren hundert Menschen bei einem Zusammenlaufe, und es wird davon erzählt, so waren es zehntausend! ... spricht man Euch, als Musiker, von einem Concertsaal, so ist das l'Anticamera del Paradiso! (ein Vorzimmer des Paradieses); ... jedes Haus, das zwei Fenster mehr hat, als ein ganz gewöhnliches, ist hier ein Palazzo, und jeder alte Steinmiravigli (wunderbar)! O! Ihr werdet in Rom der Wunder gar viele erleben: ein Principe oder Marchese von dreitausend Scudi Einkommen spricht von seinem Corté (Hofe)! und manche Donna im größten Staate und einen Bedienten hinter sich, hat oft nur ein Hemde! Hier ist Alles Schwindel, mein Bester!«
»Mich freut Ihre Offenheit, liebe Frau!« – versetzte Vater Mozart heiter. – »Mit offenen Menschen kommt man immer am besten zurecht. Da Sie indessen errathen haben, wer wir sind, wollen wir nun auch das Gleiche von Ihnen thun: Sie sind wohl die Gattin des päpstlichen Couriers Uslinghi?«
»Ja, die bin ich!« – sagte die Frau mit nicht geringem Stolze – »und da sich mein Mann in Geschäften des heiligen Vaters in Portugal befindet, und nur ich und mein Töchterchen hier sind, so sollt Ihr Herr des Hauses sein, und wir wollen Euch und den kleinen Maestro auf den Händen tragen! Und gewiß!« setzte sie in einem Erguß hinzu, der wie ein Bergstrom nach einem Gewitter immer mehr anschwoll – »es wird Euch bei uns gefallen. Herrscht auch in Rom, wie ich vorhin sagte, viel Schwindel, so ist und bleibt doch Rom die erste Stadt der Welt. Ich selbst bin zwar nie aus Rom hinausgekommen, aber Uslinghi hat mir es tausendmal gesagt, .... und der hat die Welt gesehen, wie Keiner! Und wißt Ihr, Excellenza, wie Uslinghi immer sagt, er sagt: ›Es lebe Rom und Neapel!‹ Rom für die Kunst und das Leben, Neapel für die Natur! In Neapel ist man im Paradies und in Rom im Himmel!«
Und die gute Frau! hatte sie in ihrem heiligen Eifer für die ewige Stadt nicht recht? Ruft nicht auch der Philosoph der Philosophen: In Rom lebt man wie die Götter! Man scherzt im Genusse der Kunst und Natur bei einem Glas Eiswasser[212] und einer Pagnotta, man steigt hinauf zu Raphael in den Vatican, und vergessen sind alle Sorgen und jeder Kummer!
Und sieht die geistige Rückerinnerung nicht noch mehr, als das leibliche Auge? Italiens stets blauer wolkenfreier Himmel – der stärkende Äther, die großen Umgebungen klassischer Natur und Kunst, der edle Nektar und die balsamischen Früchte des Südens, die lebendigen Modelle Raphaelischer Madonnen und Guidoischer Magdalenen mit dem schwarzen Flammenauge in üppiger Körperfülle und im Munde die süße Göttersprache, – die immer grünen Eichen, Platanen und Pinien, und selbst Palmen – diese Symbole des Sieges der Helden und der Märtyrer – – – diese ganze südliche Natur, umflossen vom Meere .... wo? – du glücklicher Sterblicher, der du Rom gesehen – wo findest du dies wieder?
In etwas mehr alltäglicher Sprache, aber in demselben Sinn und Geiste, hatte sich, ohne Unterbrechung, die edle Herrin des Uslinghi'schen Hauses bisher ergossen und Vater und Sohn auf eine nicht kleine Geduldsprobe gestellt, als ihr doch endlich, zum Glücke ihrer neuen Hausbewohner, einfiel, daß sie über ihre patriotischen Ergüsse nicht vergessen dürfe, alle die gerühmten Herrlichkeiten des römischen Lebens auch für ihre Gäste zur Wahrheit zu machen.
»Aber Maria Joseph!« – rief sie daher jetzt plötzlich und schlug sich mit der Hand vor die Stirne – »da schwatze und schwatze ich, und lasse die Excellenzen im Hofe stehen. Kommen Sie, kommen Sie! Ich will Sie auf Ihre Zimmer führen, die schon wie für Prinzen eingerichtet sind.«
Und indem sie dies sagte, entfaltete Frau Uslinghi eine so aufrichtige Herzlichkeit, daß die Mozart'schen gern ihren kleinen Unmuth über die Geduldprobe hinunterschluckten und ihr mit einem Gefühle der Heimathlichkeit folgten, wie sie dies seit ihrem Auszuge aus Salzburg nicht mehr empfunden. Aber dies Gefühl sollte sich beim Anblick ihrer Wohnung noch steigern. Mit der italienischen Unreinlichkeit waren sie bereits vertraut genug – hier fanden sie alles so rein und so nett, wie zu Hause. Sie waren gewohnt, die italienischen Wirthe mit glänzender Einrichtung prahlen zu hören und kein Dutzend erträglicher Stühle im ganzen Gasthofe zu finden. Hier war alles bequem, behaglich und sehr anständig; ja an den Fenstern standen sogar Vasen mit frischen Blumen, und als der Vater[213] Mozart eben fragen wollte, wem sie diese Aufmerksamkeit zu danken hätten, öffnete sich die Thüre und Giuditta trat mit einer solchen frisch gefüllten Blumenvase ein. Aber beinahe wäre diese ihren Händen entglitten, so überraschte sie der Anblick der Fremden, die sie doch erwartet hatte. Ein leiser Schrei und die Worte: »Ha, der Prinz!« entfuhren ihr, während sie und Amadeus, der sie sogleich wiedererkannte, eine dunkle Röthe überlief.
Frau Uslinghi's Scharfblick entging dies nicht, und als es nun, auf ihre Fragen hin, zur gegenseitigen Erklärung kam, wurde über den gestrigen Vorfall in St. Peters und bei der Fußwaschung – der Vater und Sohn so sehr zu Nutzen gekommen – viel gelacht und gescherzt, so daß man bald so bekannt mit einander war, als habe man Jahre zusammen gelebt. Besonders waren die Kinder in kurzer Zeit ein Herz und eine Seele.
Wolfgang Amadeus war unendlich glücklich, der Vater fühlte sich behaglich, und auch die Verhältnisse nach Außen gestalteten sich so erwünscht als möglich.
Gleich nach der Charwoche wurden die zwanzig Empfehlungsschreiben an den ältesten und höchsten Adel Roms abgegeben, und hier, wie überall, empfing man das Wunder seiner Zeit mit der größten Begeisterung und Zuvorkommenheit, denn kein Volk der Erde hält mehr auf Musik als die Italiener.
In Italien bildete um jene Zeit die musikalische Welt eine geschlossene Phalanx, eine compacte, homogene, in den Principien einige, alles überfluthende und intolerante Masse, die ihre Apostel und Missionäre in alle Welt sandte und ihre Lehren mit einer Überlegenheit und einer unwiderstehlichen Macht predigen ließ, weil sie allein das Monopol des Gesanges besaß.
Darum war es damals auch für die Musiker aus allen Theilen Europas unerläßlich, daß sie nach Italien gingen. Alle durften ja sicher sein, dort wie von ihrer gemeinschaftlichen Mutter aufgenommen zu werden. Sie zog die Ausländer sogar zuweilen ihren berühmtesten eigenen Kindern vor, war stolz auf ihre Siege und adoptirte sie liebevoll; natürlich aber nur dann, wenn sie zu lernen und nicht zu lehren kamen, und nachdem sie aus ihrem Unterrichte hinreichenden Nutzen gezogen hatten, um im reinsten italienischen Style[214] schreiben zu können. Auch Händel und Gluck hatten in Italien ihre Sporen verdient und wie alle Anderen ihrer Lehrerin den ersten Tribut der Nachahmung gezollt; die schmeichelhafteste Ehrerbietung, die man ihr erzeigen konnte, die sie aber auch am unnachsichtigsten verlangte. Wehe aber dem Musiker, der den barbarischen, das heißt den ausländischen Doctrinen Geltung zu verschaffen gesucht hätte. Er wäre, gleich dem armen Jomelli, durch Anatheme und Pfeifen zu Tode gehetzt worden. Welche Süßigkeiten, welche Zärtlichkeit, welche Lorbeeren und Triumphe erwarteten dagegen die gelehrigen und ihrer musikalischen Orthodoxie fest anhangenden Schüler! Welch' schmeichelhafte und ruhmvolle Beinamen entschädigten die Fremden, denen die Ehre zu Theil wurde, Naturalisationsbriefe zu erhalten: Hasse: il caro Sassone! – Amadeo Mozart – il cavaliere filarmonico!86
Am lebhaftesten nahm sich seiner Cardinal Pallavicini an, der ihn auch Seiner Heiligkeit, dem Papste vorstellte. Mit ihm wetteiferten in freundlichem Zuvorkommen der neapolitanische Prinz St. Angelo, der Prinz Ghigi, die Fürstin Barbarini, der Prinz Xaver von Sachsen, der Herzog von Braiciano und Andere.
Aber dies Alles war es nicht, was einen so goldenen Schimmer für Wolfgang über seinen Aufenthalt in Rom warf; auch nicht die geschichtliche und künstlerische Wichtigkeit der Stadt. Wohl zeigte ihm der Vater die erhabenen Monumente längst versunkener großer Jahrhunderte; – wohl staunten beide die plastischen und malerischen Schätze der ewigen Roma an; sie waren zu ausschließlich Musiker, um für solche Dinge zu schwärmen. Dagegen fand Amadeus hier ein anderes Kleinod, was ihm, – der immer so ganz und ungetheilt Mensch war und blieb, – unschätzbar für jene Tage, und selbst folgenreich für die Zukunft wurde. Jahre kamen und gingen, Stürme brausten über sein Haupt, Freuden und Schmerzen, Jubel und Sorgen erfaßten ihn .... er dachte stets mit Seligkeit zurück an die Tage, die er in dem stillen Hause Uslinghi's verbracht, an das Glück, das ihm hier in zwei Herzen erblüht, so kindlich froh, so unschuldig und jugendfrisch, wie das seine.
Mochte das Zusammentreffen Mozarts mit der schwarzäugigen, herrlichen, lebensfrischen Giuditta in den Hallen[215] St. Peters und vor der Statue dieses Heiligen ein Spiel des Zufalls gewesen sein; oder hatte sein Genius es bestimmt, daß die kräftigen vollen Arme der jungen Römerin ihn zum Kusse des heiligen Fußes befördern sollten – jedenfalls lag in diesem Momente die Wurzel einer kindlichen Neigung, die allmälig in den beiden jungen Herzen heranwuchs. Aber diese Neigung gestaltete sich ebenso verschieden, als die beiden Nationalitäten waren. Amadeus betrachtete Giuditta als eine zweite Nannerl, und schloß sich mit der vollsten unbefangensten, brüderlichen Liebe dem heiteren lebensfrohen Mädchen an, das ihm die wenigen Stunden, die ihm zu Hause blieben, zu den schönsten in Rom machte.
Immer lustig, oft sogar ausgelassen und voll toller Streiche, fand er an ihr einen nicht minderen Tollkopf; wobei Wolfgang freilich nicht zu beurtheilen verstand, daß die Ausgelassenheit der jungen Römerin einer ganz anderen Quelle entfloß, als die seine. In ihm lagen – als wirkliche Abnormität – die volle musikalische Mannesreife neben der vollen körperlichen und seelischen Kindheit. Nahm ihn die Musik in Anspruch, war er jetzt schon, wie wir wissen, Mann und Meister; aber deshalb gab die Natur doch ihre Rechte nicht ganz auf; die Ausgelassenheit und der Lebensübermuth des sich entwickelnden Knaben, brachen in den freien Stunden durch. Nichts beweist dies schlagender, als seine eigenen Briefe an Mutter und Schwester, die auf der ganzen Reise durch Italien voll kindlicher Narrheiten stecken; wie er sich ja selbst – in dem Gefühle dieses Übersprudelns – in der vorhin angeführten Nachschrift, einen »Narr« nennt. Kraftentwicklung, Drang nach Freiheit, Lebensübermuth waren also die Quelle seiner oft wild aufschäumenden Lust und Heiterkeit. Ganz anders stand es mit der reizenden Giuditta. In ihren Adern kochte südlicheres Blut. Sie war körperlich vollkommen entwickelt, .... sie war Italienerin ..... Römerin! Eine vierzehnjährige Italienerin aber, mit solchen vollen, reifen Formen und flammensprühenden schwarzen Augen, wie sie Giuditta besaß, fühlt schon recht gut, was Leidenschaften sind, und wenn diese einmal in ihrem Herzen erwachen, so reifen sie nicht, wie bei einer deutschen Natur, schüchtern und allmälig heran, – nein! – heute geboren, züngeln sie morgen schon hoch zum Himmel auf und drohen das eigene Herz und Andere in ihren Gluthen zu verzehren.[216]
Als Giuditta den vermeintlichen jungen Prinzen, in Folge einer ganz augenblicklichen Eingebung, emporhob, damit er den Fuß des heiligen Petrus küssen konnte, war sie noch vollkommen Kind, mit dem ruhigsten Herzen von der Welt. Als, eine Minute später, Amadeus sein hocherglühendes hübsches Antlitz ihr zuwandte, durchzuckte sie der Blick dieser seelenvollen Augen und die Berührung seines Körpers wie ein electrischer Funke .... und ihr Herz klopfte. Als es der Zufall darauf wollte, daß sie Amadeus vor Beginn der Fußwaschung noch einmal erblicken sollte, und diese Überraschung ihr den Ausruf: »Der junge Prinz!« entlockte, war die Ruhe ihres Herzens dahin, und – – seitdem Wolfgang mit ihr unter einem Dache wohnte – – – liebte sie ihn – und zwar nicht nach der kühlen deutschen, sondern nach italienischer Weise, das heißt: voll, glühend, leidenschaftlich. Dennoch war sie noch zu viel Kind, um die Leidenschaft zu begreifen, und der Gegenstand dieser Leidenschaft war dies noch mehr. Es glühte, es trieb, es kochte in ihr .... und so barg sie diese unbestimmte Gluth, dies Kochen und Treiben unter Ausgelassenheit.
Sie vermochte ihrem hübschen jungen Freunde nicht zu sagen, was in ihr vorging; aber wenn sie sich mit einander neckten, wenn sie mit einander tollten, konnte sie ihn schon einmal lachend um den Hals fassen und an sich drücken, – ihn scherzend beißen oder ihm rasch einen Kuß geben. In den beiden lag dann eine wilde, süße Gluth und doch auch wieder Kindlichkeit, an der indessen Amadeus großen Gefallen fand. Er nannte sie, da er Katzen sehr liebte, seine »kleine, wilde Katze!« und oft legte er sich unter den kühlen, weinumrankten Arkaden des Hofes hin, lockte sie, wie man Kätzchen zu locken pflegt, und forderte sie auf, ihm zu schmeicheln oder ihn zu beißen.
Auch mit der Violine lockte er sie oft heran; besonders wenn eine recht schöne, warme italienische Nacht über der Erde hing und die Alten im angränzenden Garten auf und abgingen. Dann aber legte sie sich zu seinen Füßen, gewöhnlich auf den Rücken, die Hände unter dem Kopfe verschränkt, die Blicke nach dem sternenflammenden Himmel gerichtet, und lauschte mit Entzücken den Tönen, die Amadeus wie ein Zauberer aus dem Instrumente hervorrief. Stundenlang konnte er so spielen, sie lauschen. Keines sprach dann ein[217] Wort; aber sie sahen sich oft, so recht von Herzen glücklich an – und – immer weiter spielend, ließ sich dann wohl Amadeus auf ein Knie nieder und gab Giuditta, die längst den Mund zum Küssen gespitzt hatte, einen Kuß. Dann war meistens auch das »Kätzchen« da und ein seliges Beißen begann.
Legten sie sich dann später zu Bette, so lachte wohl Wolfgang noch für sich über das tolle Spiel und schlief rasch darauf ein. Bei Giuditta ging es nicht so schnell. Alles Eiswasser kühlte sie dann nicht; – auch der Schlaf wollte nicht wie früher kommen – und kam er endlich, so ging im Traume das süße Spiel von Neuem an.
Übrigens ließ Vater Mozart den Sohn fast nie aus den Augen; sah aber auch in Giuditta's Benehmen nichts als die unschuldigsten Kindereien. Und doch waren sie so selig diese Kindereien, bis sie sich durch ein glückliches Ohngefähr noch zu höherer Seligkeit gestalteten.
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