21.

Wiener Leben.

[227] Ein so reiches und heiteres Leben wie Wien, bietet wohl keine andere deutsche Stadt.

Schon mit dem grauenden Morgen beginnt die rührigste Thätigkeit. – Oben in den Dachkammern oder unten in den Erdgeschossen öffnen sich einzelne Fensterladen und lassen ungekämmte Köpfe und Köpfchen, oft mit noch recht schläfrigen Augen sehen. Aber den einzelnen Fenstern folgen bald mehrere; auch die Thüren der Häuser fangen nun an, sich zu öffnen, und Mägde und Hausknechte treten heraus, gähnend und dehnend[227] und sich einander schläfrig begrüßend. Jetzt kommen auf ihren einspännigen Wägelchen oder auch mit Schiebkarren die Milchweiber an und stellen an den Straßenecken und in den Durchgängen ihre blank gescheuerten Kannen auf. Unter dem Besprechen des Wetters beginnt die erste industrielle Thätigkeit. Aber siehe! mit jeder Viertelstunde wächst die Lebendigkeit und das Geräusch; Mägde und Diener mit großen Körben verstellen – Brod abgebend und empfangend – den Weg; andere drängen sich nach den Schlächterbuden und Gemüsekrämerinnen. Die Arbeiter aus den Vorstädten strömen herein, das Gewühl beginnt: junge Kaufleute ihr dunkles Comptoir suchend, – Kinder, die nach der Schule gehen, Mädchen, die sich von Handarbeit nähren, – Gärtner, die ihre Waare zu Markte bringen, schwere Frachtwagen und leichte Carossen, Reisende und Spazierreiter, die ihren Morgenritt machen, ... alles das läuft und drängt und kreuzt sich in den Straßen; sind diese nun noch dazu eng und haben sie eine starke Passage, finden sich noch überdies Holzhauer ein, die ihre Werkstätte vor den Häusern, oft mitten in der Gasse aufschlagen, so braucht es oft viertel ja halbe Stunden, bis der gordische Knoten sich entwickelt, und wen sein Mißgeschick um diese Zeit auf einem eiligen Geschäftsgange in ein solches Labyrinth führt, der ist genöthigt, zu drängen und zu drücken, zu schieben und zu stoßen, zu springen und zu klettern, um sich nur daraus zu befreien und fortzukommen. Die Seilerstadt, der Hof, der hohe Markt, der Haarmarkt, der Lichtesteg und die Rothenthurmstraße sind die Orte, wo sich um diese Zeit das bewegteste Leben entfaltet.

So dauert es fort bis Mittags; jetzt aber ändert sich plötzlich die Scene; andere Schauspieler treten auf den Platz, und ein glänzender Anblick bietet sich den Augen des Beobachters dar.

Jetzt schlägt nämlich die Stunde, in welcher die elegante Welt mit ihrer Morgentoilette fertig geworden, wo die Damen auf den Straßen erscheinen und der junge Stutzer sein Frühstück zu Hause oder in einem der renommirtesten Caffées vollendet hat. Ein Theil der Beamten ist nun von seinen Arbeiten, die Schauspieler, Musiker und Sänger sind von ihren Proben frei; die Dichter rasten in ihrem Streben nach der Unsterblichkeit, und Alles strömt nun durch die Kärthnerstraße, über den Graben, Kohlmarkt und Stephansplatz, um zu sehen und gesehen zu werden, zu hören und gehört zu werden, zu glänzen und all' den Glanz zu schauen![228]

Damen jeden Alters spazieren in reizenden Morgenanzügen an den prächtigen Gewölben vorüber, beschauen die neuen Stoffe und Arbeiten, die in den großen, glänzenden Glasschränken auf das zierlichste und sinnreichste geordnet zum Kaufe anlocken. Sie treten hier und dort ein, der nachfolgende Diener keucht schon unter seiner Last, die ihm doch der heimlich folgende Anbeter so gerne abnehmen würde, um einen dankbaren Blick für diese aufopfernde Liebe von seiner Schönen zu erhalten. Mitunter huscht auch wohl leichtere Waare mit durch, die man sogleich an dem überladenen Putz und an dem beständigen Drehen und Wenden des unruhigen, oft allerliebsten Köpfchens erkennt. Auch sie finden ihre Anbeter, .... und alles, alles das lächelt, und schimmert und glänzt und rauscht vorüber wie die leicht dahin tanzenden Wellen eines silberschäumenden Baches, die von Schmetterlingen und Wasserjungfern umgaukelt, die blumigen Ufer küssen! .... Scheint nicht das Leben hier nur über Paradiesesauen zu führen? O diese Sphynx, wie kann sie so bald, so trügerisch liebäugeln?

Vor den ersten Kaffeehäusern und vor einigen besuchten Gewürzläden, in welchen – wie jetzt bei den Italienern – feinere Weine getrunken werden, stehen unterdessen Schaaren von Männern, welche die Vorübergehenden mustern und dabei gleich ihre Lebensbeschreibung nebst gehörigen Ausschmückungen mittheilen; die wichtigsten Tagesneuigkeiten, die sich meist um die Heiserkeit einer Sängerin, um ein gestürztes Pferd, eine scandalöse Geschichte oder ähnliche Dinge drehen, werden hier verhandelt; man kritisirt über Musik, Kunst und Literatur, erzählt Anekdoten und bringt die neuesten bonmots zu Markte, denn der Wiener hat fast für jeden Tag im Jahre ein solches, das gleich von Munde zu Munde geht. Man verabredet Partieen für jeden Abend, und schließt auch wohl dazwischen mit der gleichen Leichtigkeit ein Geschäft für das ganze Leben ab. Andere haben sich in den Läden der Pastetenbäcker versammelt, wo bei Kuchen, Pastetchen und einem Gläschen Liqueur das würdige Thema über diese oder jene Grisette verhandelt wird. Auch die schönen Beterinnen läßt der Wiener nicht unbewundert aus der Kirche gehen, in und vor der gar manches zarte Rendezvous stattfindet; dann noch ein Stündchen bis zur Tafelzeit über den Graben und Kohlmarkt, oder über den Theil der Bastei vom Burgthore bis zum Carolinenthore, oder über das Glacis![229]

So sieht Wien täglich seinen Morgen! Aber mit der Tafelzeit verschwindet, wie mit einem Zauberschlage, diese Herrlichkeit!

Die Scenen des alltäglichen Lebens erneuern sich, zwar weniger geräuschvoll und bewegt, da die Menschen jetzt mit vollem Magen agiren, aber noch immer in der Art, daß ihre rasche Thätigkeit und Rührigkeit den Beschauer genug beschäftigen. Jetzt kehren die Schuhmacherlehrjungen, deren spaßhafte Eigenthümlichkeit sie schon lange auf die lokalen Wiener Theater gebracht hat, pfeifend und singend mit den leeren Schüsseln nach den Haushaltungen ihrer Meister, meistens in entfernten Vorstädten, zurück; die Fiaker nehmen ihren schmalen Rößlein die kleinen Säckchen mit der kargen Fourage ab, die sie ihnen regelmäßig um die Mittagsstunde umbinden, und begrüßen wieder die Vorübergehenden mit dem eintönigen: »Fahren wir, Ew. Gnaden?« – Auch die Fratschler-(Höker)-Weiber stellen ihre mächtigen Töpfe bei Seite, rücken die spitzen Strohhüte zurecht und schreien mit neuer Kraft: »Brennheiße Kesten!« (Kastanien). Aber vier, fünf Uhr führen den Glanz zu rück; die feine Welt muß jetzt, der Verdauung wegen, die Straßen durchstreifen. Ueberall zeigt sich der Ausdruck der Behaglichkeit, der Zufriedenheit, des Frohsinns, der Lebenslust, die dem Wiener alle so eigen sind, er mag sich nun in seinem Sperl, oder in seinem Prater an dem frischen Duft eines heiteren Abends erquicken, oder in der frühen Dämmerung durch die Straßen seiner geliebten Kaiserstadt schlendern, um sich an ihren Schönheiten satt zu sehen, deren er doch nie satt werden kann.

Da wird es Abend: Schon flimmert hier und dort in den dunkleren Gassen ein Licht auf; sie mehren sich, wie die Sterne bei einbrechender Nacht, und bald ist Alles erleuchtet. Aber je näher die Theaterzeit kommt, desto mehr geräth die bunte Welt in Bewegung. Die Beamten kommen wieder aus ihren Aemtern, die Militairs suchen Zerstreuung für die sie plagende Langeweile, auch die Nichtbeamten und Civilisten eilen ihren Unterhaltungen und Cirkeln zu. Die Equipagen des Hofes, des Adels und der haute finance rollen und fliegen durch die Straßen; – nach allen Thoren eilen und drängen die Leute, die in den Vorstädten wohnen. Die Arbeiter, des Feierabends froh, – die heimkehrenden Schiebkärrner, jetzt den leeren Karren mit mechanischem Phlegma vorwärts stoßend, – die zahllosen Nichtsthuer, auf Abenteuer lauschend, – die[230] verhüllten und unverhüllten Schönheiten, Abenteuer suchend, – die gemüthlichen Bürger nach Pfeife und Labetrunk schmachtend, .... das alles wogt und rennt und treibt wieder durcheinander wilder, lauter, lustiger, ärger als am Tage! – Aber auch das Gewoge dieses Menschenmeeres ebbt nach und nach; die Last des Tages ist getragen und die Lust des Abends bald durchkostet, der solide Mann sucht seinen heimischen Heerd, die Theater ergießen zum letzten Male lebendige Ströme durch alle Adern der großen Stadt, die Gewölbe schließen sich, auch die Thüren der Häuser .... die Fenster .... und das hunderttausendaugige Wien sinkt dem Schlafe in die Arme. Nur in den lichtfunkelnden Sälen der Großen, den glänzenden Gemächern der reichen Schwelger, den Tempeln der Lust und der Freude und den Höhlen des Lasters hat der Schlaf noch keinen Eintritt .... erst wenn der Hahn schreit, versinkt auch hier – oft unter Seufzern, Gähnen und Thränen – das Leben! – –

»Also!« – rief in diesem Augenblicke, – es war eine halbe Stunde nach dem Schlusse des Theaters, – ein feiner, jovial aussehender, gentiler Mann, sein volles Champagnerglas erhebend, und freudestrahlenden Auges auf die stattliche Gesellschaft blickend, die ihn umgab. – »Also! dieses Glas der Freiheit unseres Mozarts, der seine Ketten so wacker gebrochen, und nun – ein neuer, freier Mann, ein neugebackener Wiener, – unter uns weilt!«

Und die Gläser klangen und ein dreimaliges »Hoch!« erfüllte den weiten Raum.

Der Mann aber, der dieses »Hoch!« ausgebracht, war Niemand anders, als der Director des Leopoldstädter Theaters, der berühmte, heitere, allgemein beliebte Schikaneder.

Schikaneder war eine merkwürdige Persönlichkeit. In seiner Jugend hatte er, ohne alle wissenschaftliche Vorbildung, rein der Kraft seines Geistes vertrauend, die Bühne betreten und sich in tragischen und Heldenrollen versucht. Erst später in Wien wurde ihm sein Beruf als Komiker klar, und Schikaneder war bald der Liebling des Publikums. Wahrhaft groß erschien er hier in der Darstellung grotesker Charaktere aus dem niederen Volksleben und seine Leistungen gewannen in der Folge immer mehr, als er sich auch als Schauspieldichter versuchte. Aber Schikaneder, – der dabei ein schöner stattlicher, viel vorstellender Mann war –[231] besaß daneben noch eine andere, für ihn sehr wichtige Gabe: er war ein äußerst speculativer Kopf! Als Director des Theaters zu Prag, und jetzt in der gleichen Eigenschaft am Leopoldstädter Theater in Wien, hatte er sich ein ungeheures Vermögen erworben; wenigstens behauptete dies alle Welt, und es mußte wohl auch so sein, denn Schikaneder lebte wie ein Fürst.

Sein Haus wetteiferte, was den Glanz der innern Einrichtung betraf, mit jedem hocharistokratischen Palais Wiens; mit dem einzigen Unterschiede, daß in jenen aristokratischen Palästen die Gediegenheit oft den Geschmack, bei dem Director des Leopoldstädter Theaters aber der Geschmack die Gediegenheit überwog. Schikaneder war dabei der jovialste und lebenslustigste Mensch, den man sehen konnte, und ein Feinschmecker, wie ihn die Welt kaum in den höchsten Sphären der Gesellschaft noch einmal aufzuweisen haben wird. Als eine schöne Seite seines Charakters erschien aber dabei, daß er die Freuden der Tafel nicht nur für sich liebte, sondern auch Anderen gönnte, und somit – da die uneigennützigste Freigebigkeit sein Stolz war – eine wahrhaft fürstlich ausgestattete Tafel, der es nie an zahlreichen Gästen fehlte, den Glanzpunkt seines Hauses machte. Jede Einseitigkeit des Charakters vermeidend, suchte indessen Schikaneder dabei dem Herzen ebensoviel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als dem Magen, und so waren es denn ganz enorme Summen, die ihn seine Herzensangelegenheiten kosteten. Eine Freundin mußte er wenigstens immer haben, und diese eine Freundin war jetzt die reizende Sängerin Cavaglieri, ein schwarzäugiges, schwarzhaariges, brünettes, feuriges Kind Italiens, deren grenzenloser Luxus ebensoviel Aufsehen in der Kaiserstadt machte, als ihre wahrhaft bezaubernde Schönheit.

Die Cavaglieri saß denn auch heute Abend wieder neben ihrem Freunde, der – Mozart zu Ehren – in seinem Hause eine kleine, aber sehr gewählte Gesellschaft zu einem feinen Souper versammelt hatte.

Wir sagen eine gewählte Gesellschaft; denn außer Mozart, dem Hausherrn, der Signora und den Dichtern Bretzner und Stephani befanden sich auch noch diejenigen drei Männer hier, die damals unstreitig in musikalischer Beziehung die ersten Größen Wiens – ja der Welt – waren: Ritter von Gluck, Joseph Haydn und der kaiserliche Hof-Capellmeister Salieri.[232]

Welche Capacitäten! welche Größen! welch' interessante Persönlichkeiten!

Gluck, der große Componist des »Artaxerxes,« der »Cadute de Giganti,« des »Orpheus,« der »Alceste,« der »Iphigenia« und so vieler anderer Opern, war damals schon siebenundsechszig Jahre alt, aber er hatte sich frisch und kräftig erhalten und schaute noch immer froh und heiter in das Leben. Nicht schön, aber bedeutsam von Angesicht, charakterisirte seine Erscheinung etwas Imponirendes. Die großen blauen Augen, die vollen Lippen, die hohe, gedankenvolle Stirne, das – trotz der Jahre – noch dunkle und dichte Haar, die breite, kräftige Gestalt und das Selbstbewußte, das in seinem ganzen Wesen lag, hatten etwas magisch Anziehendes, aber auch Ehrfurchtgebietendes. Aber wie wohlthätig wußte Gluck diesen Eindruck wieder durch sein feines, freundliches Benehmen zu mildern; – wie brachte er Mozart eine so offene und warme Verehrung entgegen. Aber hatten denn auch Gluck und Haydn einen glühenderen Verehrer als wiederum Mozart?

In der äußeren Erscheinung war der neunundvierzigjährige fürstlich Esterhazysche Capellmeister Joseph Haydn freilich von Gluck sehr verschieden. Nicht nur, daß eine unter den bittersten Sorgen der Armuth verlebte Jugend ihm die Haare schon gebleicht, der frühere Druck des Lebens hatte ihn auch still in sich gekehrt, fast ängstlich gemacht. Das sybaritische Leben eines Schikaneder widersprach seinen streng moralischen Grundsätzen ganz, und nur die Liebe und Verehrung für den so glänzend am musikalischen Himmel aufgehenden Stern, Mozart, hatte ihn bewegen können, heute einmal an einer Gesellschaft im Hause des Directors Theil zu nehmen. Aber trotz aller Verehrung für Mozart hatte er diese That heute Abend schon mehr als hundertmal bereut. War denn ein solcher Aufwand nicht wahrhaft sündlich? mußte er nicht früher oder später zum Verderben führen?

Schon der Salon, in dem man speiste, war prächtig; einfach zwar, wie dies ein Speisezimmer immer ver langt, aber doch ganz von dem schönen gelblichen Marmor, den die Wiener so sehr lieben, weil der große Marmorsaal der Burg aus ihm hergerichtet ist. Wie schön ließ er aber auch die weißen Alabasterstatuen hervortreten; wie warfen die Wände die Tausende von Lichtstrahlen zurück, die von dem Kronleuchter[233] ausgingen, und sich dann in den silbernen und krystallenen Gefäßen und Geschirren der Tafel so prachtvoll wiederspiegelten.

Der kostbare und dicke Fußteppich verhütete dabei das geringste Geräusch bei dem Auftreten der dienstbaren Geister, die sich in der That wie Schatten hinter den Stühlen der Gäste bewegten und ihr materielles Dasein eigentlich nur durch die Materiellität der kostbaren Dinge bewiesen, die sie auf silbernen Schüsseln herumreichten oder aus Flaschen eingossen.

Mozart wurde bei diesen: »Potage aux quenelles,« – »Anguille, sauce Tartare,« – »Ris de veau, sauce tomates,« – »Filets de mouton à la jardinière,« – »Dindes rôties au cresson,« – »Beignets souffles,« – »Crême renversée,« – unwillkürlich an Baron von Holbachs Koch und Küche erinnert, die beide schon in seiner frühesten Kindheit einen ebenso angenehmen als dauernden Eindruck auf ihn gemacht. Er aber fand sich hier unnennbar glücklich und behaglich, und sagte sich im Stillen mehr als einmal: dies heißt Leben, so möchtest du's auch haben!

Ach! die Sache war ja so natürlich! Einmal hatte schon die Natur selbst Mozart unendlich leicht entzündbare Sinne und einen nicht zu verkennenden Hang zu sinnlichen Vergnügungen mitgegeben, den eine glühende Phantasie nicht wenig unterstützte; – dann war er ja jetzt auch, nach einem wahren Sclavenleben im Dienste des Fürstbischofs, frei! – frei wie der Vogel in der Luft! – Ja! jetzt erst konnte sich seine Natur, zum erstenmale in seinem Leben, wahrhaft frei entfalten und das that sie auch, in dem schönen, lustigen, gemüthlichen Wiener Leben!

Und dann! sollte er sich hier in Wien nicht wirklich unendlich behaglich fühlen? War damals nicht Wien der Sammelplatz aller Virtuosen Europas, sowohl wegen der gastfreien Aufnahme, die es ihnen angedeihen ließ, als wegen der wohlwollenden Würdigung ihrer Leistungen und der zahlreichen Genüsse, die sie dort trafen? Hier war der gewöhnliche Aufenthaltsort Haydns und Glucks, zweier Meister, welche Mozart sich zu Vorbildern und Freunden zu machen passender fand, als Nebenbuhler in ihnen zu erwecken. Und weiter: das herrliche Klima, die köstliche, für einen Musiker besonders günstige Lage der Stadt; Umgebungen, welche die Natur selbst zu einer ausgedehnten und herrlichen Promenade geschaffen zu haben schien; auf einer Seite Italien, auf der[234] anderen Böhmen, das Land der Musik, wenn es eines auf Erden giebt! – Ferner: besaß Wien nicht ein italienisches Theater, für welches die berühmtesten Componisten der Zeit schrieben und dessen Poet Metastasio, der König der Librettomacher war? Ja! was für Mozart – der ja längst den Gedanken gefaßt hatte, der deutschen Musik Bahn zu brechen – als eine der Hauptsachen erscheinen mußte: bildete sich nicht eben jetzt unter Schikaneder eine »deutsche Gesellschaft« heraus, der es nur an Gelegenheit, das heißt an einem tüchtigen Componisten fehlte, sich geltend zu machen und die ersten Gesänge der nationalen Musen an den Ufern der Donau ertönen zu lassen?77

Und dann noch ein letzter Punkt: hatte nicht das Schicksal auf die wunderbarste Weise es gefügt, daß seine geliebte Constanze mit ihrer Mutter seit zwei Wochen auch nach Wien gezogen war?

Und da hätte es Mozart, dem Künstler, nicht in Wien, und Mozart, dem jetzt erst angehenden Lebemenschen, nicht in solch' trefflicher Gesellschaft gefallen sollen?

O, es war ihm nie wohler als jetzt gewesen, und er fühlte so recht innerlich das Bedürfniß, diese Behaglichkeit sich zu erhalten. Nur eines fehlte ihm noch, Geld! hatte er dies – Ruhm und Ehre mußten ja ohnedem kommen – so konnte er seine liebe Constanze heimführen und leben, ...... leben ..... leben! – wie ein Gott!

Und doch! wer enthüllt die Räthsel des menschlichen Herzens? Ueber diesen freien offenen Charakter, über diese heitere, der sinnlichen Lust sich so freudig öffnende Seele .... fielen nicht manchmal auch über sie die Schlagschatten einer dunkeln Welt?! Derselbe Mozart, der jetzt mit den gemüthlichen, lebenslustigen Wienern ein vollkommen eben so lustiger Wiener sein konnte, war er nicht in manchen Stunden ein im höchsten Grade schwermüthiger Mensch, der an den Tod dachte, der ganze Nächte an seinem Clavier zubrachte und sich auf den Schwingen der Phantasie zu unbekannten Regionen aufschwang, deren Geheimnisse nur der Tod löst?78

Diese scheinbar doppelte Natur, allen großen und genialen Menschen eigen, verstehen die gewöhnlichen Seelen freilich nicht. Aber wer sie in sich trägt, weiß, daß es eben keine doppelte[235] Natur ist, sondern sein einziges, einiges, inneres Wesen, – der Flügelschlag des göttlichen Seins in ihm, und daß nur die Spitzen dieser Fittige in ihrem seligen Fluge – in ihrer Titanenkraft bald den Staub, bald die Wolken berühren!

Aber jetzt, in der heiteren, von allen Genüssen des Lebens gewürzten Gesellschaft, in der sich Mozart eben befand, war ja auch nur von den heitersten Seiten des Lebens die Rede. Schikaneder funkelte und sprudelte von Witz und Laune und war – ohne sich etwas zu vergeben – von einer so göttlichen Komik, daß die Lachmuskeln Aller, selbst die des pedantischen Haydn, kaum für Augenblicke in Ruhe geriethen. Salieri, der Hof-Capellmeister, ein Schüler Glucks, die beiden Dichter Bretzner und Stephani und die reizende Cavaglieri unterstützten ihn treulich, und Maestro Mozart blieb wahrlich nicht zurück.

Alle waren glücklich, dies viel versprechende Talent aus den Händen des allgemein verhaßten Fürstbischofs von Salzburg gerettet zu sehen, der es zu unterdrücken augenscheinlich bemüht gewesen war.

Schikaneder und Bretzner wußten dabei eine Masse von lustigen Anekdoten aus dem Leben dieses Mannes zu erzählen, und Mozart ergänzte, was diese nicht wußten. Von dem Fürstbischof kam man auf andere Persönlichkeiten der Wiener Aristokratie, des Theaters und der Stadt, und so reihte sich unter reichlichem Genusse des Champagners eine heitere Geschichte an die andere.

Es ging bereits auf Mitternacht, die Cavaglieri war ausgelassen und lustig zum Entzücken, – Haydn hatte sich längst heimlich davongeschlichen und Mozart rieb sich vor Vergnügen die Hände.

Schikaneder freute sich aufrichtig darüber, und hinter den Sessel des jungen Maestro tretend und diesem vertraulich die Hände auf die Achseln legend, frug er treuherzig:

»Sie fühlen sich also behaglich bei uns?«

»O, mein Bester!« – rief Mozart freudestrahlend – »was sagen Sie, behaglich? .... glücklich, wahrhaft glücklich fühle ich mich unter so lieben Freunden im schönen Wien und im Genusse der Freiheit.«

»Nun fehlt nur noch Eines,« – meinte Gluck Mozart freundlich zulächelnd – »zu den Freunden muß noch eine Freundin kommen.«[236]

»Die wird nicht lange auf sich warten lassen!« – rief Salieri mit einem Lachen, das nicht ganz frei von leisem Spott war – »man sagt, die Liebe habe dem jungen Maestro schon bei der Composition des Idomeneo diverse Arien dictirt.«

»Warum sollte ich dieses leugnen?« – versetzte Mozart heiter – »es sind die besten Stücke der Oper geworden, weil ihr Charakter Wahrheit war. Wer weiß, ob Amor bei meiner nächsten Oper nicht noch mehr zu thun bekommt!«

»So haben Sie eine neue Oper in der Arbeit!« – frug Salieri rasch und fast wie unangenehm berührt.

»Nein!« – entgegnete Mozart – »ich wußte noch nicht einmal einen Stoff dazu aufzutreiben, denn es soll eine deutsche Oper werden.«

»Bravo!« – riefen Gluck, Schikaneder und die beiden Dichter, und ersterer fuhr fort:

»Nur immer zu auf der neu betretenen Bahn. Der deutschen Musik gehört die Zukunft.«

Salieri zuckte verächtlich die Achseln, dann sagte er mit gezwungenem Lächeln: – »Nur nicht so zuversichtlich, meine Herren, es giebt nur ›einen‹ Ritter von Gluck, und das Vaterland und der Lieblingsaufenthalt der edlen Musika ist und bleibt doch Italien

»Ich bitte, nichts gegen die Verabredung!« – rief hier Signora Cavaglieri, mit ihrer hinreißenden Liebenswürdigkeit: – »Sie wissen, meine Herren, daß Sie mir Ihr Wort gegeben, für diesen Abend alles, was Musik betrifft, ruhen zu lassen.«

»Ja, ja!« – bestätigte Schikaneder, die Gläser auf's Neue füllend, denn die dienstbaren Geister waren längst entlassen worden. – »Dieser Abend gehört lediglich den Freuden der Tafel, Freund Bacchus und den Göttern des Witzes und der heitern Laune. Nehmt ein Beispiel an Maestro Mozart; – seht nur, wie er sich macht! Ist er nicht jetzt schon ein eingefleischter Wiener? Lacht nicht Gemüthlichkeit und Seligkeit aus seinen Blicken?«

»Warum soll er auch nicht selig sein?« – rief Bretzner lachend – »wohnt und logirt er doch selbst im Himmel

»Wie so?« – frug Gluck.

»Nun« – fuhr Bretzner fort – heißt Haus und Straße, wo Mozart wohnt, nicht »Stoß im Himmel?«[237]

»Allerdings!« – sagte Mozart – »und ich möchte wohl wissen warum? Die Bezeichnung muß doch wohl auf einer Sage beruhen, worauf auch die steinerne Tafel über der Thüre hindeutet, auf welcher eine Frau dargestellt ist, die sich in den Himmel erhebt, während der Teufel sie zurückhalten will.«

»Sonderbar!« – rief Schikaneder lachend und hob sein Glas hoch nach dem Lüstre, die aufsteigenden Perlen des Champagners wohlgefällig beobachtend. – »Zum Teufel ist schon manche schöne Frau gegangen; aber daß eine seinen Krallen entwischt, wenn er sie einmal gepackt, das ist gewiß eine Seltenheit.«

»Ei, mein Lieber!« – sagte Signora Cavaglieri mit bezauberndem Lächeln – »das ist ein Beweis, daß wir Frauen selbst dem Teufel die einmal versprochene Treue halten.«

»Ja!« – rief Bretzner – »wenn man sie nicht brechen kann, wie in dieser Sage.«

»Ihr kennt also die Sage?« – riefen Mehrere.

»Warum nicht?«

»Gut?« – fiel Schikaneder ein – »so habt Ihr Euch selbst zum Erzählen derselben verurtheilt.«

»Es mag sein!« – sagte Bretzner, nicht ohne einen Seitenblick auf die Signora, deren unerhörte Verschwendung in Putz und Kleidern Schikaneder fast zu Grunde richtete. – »Man kann aus Allem etwas lernen.«

»Also!« – rief Mozart; der Wirth ließ einen neuen Pfropfen springen, schänkte die Gläser abermals voll des schäumenden Weines und Bretzner begann:

»In grauer Vorzeit lebte in Wien, in dem besprochenen Hause, das jetzt unser freund Mozart bewohnt, ein reizendes Frauenbild. Sie war eine Juno an Gestalt und eine Venus an Anmuth; .... aber .... sie war dabei eitel und hochmüthig über die Maßen. Namentlich trieb sie einen ganz unerhörten Luxus in Kleidern und Stoffen. Den ganzen Tag über saß sie am Spiegel, versäumte die Geschäfte ihres Haushaltes und vor Allem das Kirchengehen und die heilige Messe.«

»So meint er mich also doch nicht!« – rief hier, Bretzner unterbrechend, Signora Cavaglieri lachend und dem Erzähler mit dem Finger drohend – »denn wenn auch der Luxus in Kleidern auf mich zielen mag, so kann mir doch Keiner nachsagen, daß ich die heilige Messe vernachlässige. Aber weiter!«[238]

»Ist auch von einer Begebenheit die Rede,« – sagte Bretzner mit komischem Ernste – »die sich vor vielen, vielen Jahren zugetragen.«

»Ich kenne Euch?« – rief die Dame; aber Schikaneder hielt ihr den rosigen Mund zu und Bretzner fuhr fort:

»Tag und Nacht sann also unsere Juno-Venus auf nichts, als wie sie ihre Mitbürgerinnen an Putz übertreffen möge. Ja, ihr Hochmuth wuchs in dem Grade, daß ihre Verschwendung bald den Säckel leerte. Aber sie ließ deshalb nicht nach. Als sie nun eines Tages an dem Bilde der allerheiligsten Mutter Gottes vorüberging, erstieg ihr sträflicher Leichtsinn eine solche Höhe, daß sie über das einfache Gewand Maria's spottete und die Himmelskönigin aufforderte, mit ihr in Kleiderpracht zu wetteifern.

Dieser entsetzliche Hochmuth schrie zum Himmel, und die heilige Jungfrau wendete auch wirklich ihr Antlitz von der so tief gefallenen Tochter ab.«

»Aber, aber!« – fuhr Bretzner fort und sein Blick verirrte sich wieder nach der Seite der schönen Italienerin hin – »die Strafe für die Gottlose blieb nicht aus! Als die zwölfte Stunde schlug, klopfte es an die Thüre des bewußten Hauses. Mochte nun die Schöne vielleicht den Freund ihres Herzens erwarten oder plagte sie Neugierde – eine Eigenschaft, die den Damen auch häufig eigen sein soll – kurz, sie öffnete; erstaunte aber nicht wenig, als eine alte Bettlerin vor ihr stand. Barsch fuhr sie dieselbe an; aber die Alte war nicht zu entfernen; sie erhob sogar ihren Krückenstock, und ihn wie ein Scepter handhabend, sprach sie mit dem Stolz und der Würde einer Königin: ›Armselige! Was willst du gegen mich, – was wollen die Lumpen sagen, die du zu tragen pflegst, gegen die Schätze, die ich besitze!‹ – und mit diesen Worten nahm sie aus dem Korbe, der an ihrem Arme hing, ein Gewand und hielt es der Erstaunten hin.«

Das Gewand aber war vom herrlichsten Sammet, bluthroth und flimmernd in goldenen Stickereien. Und dem Kleide folgte ein Schleier, in dessen unendlich feines Gewebe die Sterne des Himmels selbst eingewebt zu sein schienen, so funkelte der Glanz des prachtvollen Flors. Und Gürtel und Haube und Schuhe entsprachen Gewand und Schleier an Pracht und Kostbarkeit.[239]

»Unsere Dame war außer sich.« – ›Gieb mir den Anzug!‹ – rief sie jetzt mit gierigen Augen – ›und ich will dir dafür zahlen, was du willst!‹

Die Alte richtete einen finstern Blick auf die Flehende, dann sagte sie dumpf: ›Wenn du noch was hättest! Dein Vermögen ist ja vergeudet?!‹

Das fuhr wie ein Blitz durch die Seele der Dame: ›Es ist wahr!‹ – entgegnete sie erbleichend – ›doch will ich Alles, was ich noch besitze, zu Gold machen, und es dir geben. Dies Kleid muß ich haben.‹

›So will ich dir einen Vorschlag machen!‹ – hub die Alte an. – ›Mir liegt nichts an dem Golde, ich habe dessen genug. Ich will dir aber das Kleid auf drei Tage und drei Nächte borgen und du giebst mir als Lohn dafür das, was in der dritten Mitternacht von dem Anzuge bedeckt sein wird.‹ Der Vorschlag war eigenthümlich; aber wer hat in leidenschaftlicher Erregung immer den kalten Verstand zur Hand? Die Dame durfte ja nur kurz vor der dritten Mitternachtsstunde das Gewand mit einem anderen vertauschen, und die Alte war geprellt. Sie sagte also ›ja!‹ und die Sache war abgemacht.

Nun prunkte die Dame drei Tage und drei Nächte in diesem kostbaren Anzuge, um den sie Fürstinnen und große Damen beneideten. Niemand wußte, wo ein so herrlicher Stoff, ein so unvergleichliches Gewebe hergekommen. Man fand in keinem Kaufladen solchen Sammt, solchen Atlas, solche Stickerei.

»Aber .... alle Herrlichkeit vergeht auf dieser Welt! – wie der Wein in diesem Glase!« – fuhr Bretzner, seinen Champagner in einem Zuge schlürfend, fort. – »Auch die drei Tage und Nächte vergingen. Als nun aber die Mitternachtsstunde der dritten Nacht herankam, da fiel denn doch der eitlen Dame die sonderbare Verpflichtung wieder ein, die sie, der Alten gegenüber, übernommen. Unheimlich und unheimlicher wurde ihr zu Muth. Finstere Besorgnisse, unheimliche Gebilde stiegen in ihr auf. Der Ursprung des Kleides wurde ihr klar; es war keine irdische Macht, die es gegeben! Jetzt faßte sie Entsetzen; rasch suchte sie das höllische Gewand zu lösen. Aber .... o Fluch der Hölle! .... dies war nicht möglich! Sie war allein und konnte das Gewand, das wie[240] angegossen an dem Leibe saß, nicht herunterbringen. Kalter Schweiß rann von ihrer Stirne, ... sie zog, ..... sie zerrte ..... es saß wie Eisen, und .... der Zeiger ging auf Zwölf! Da stand mit einem Male ihr Leben vor ihrer Seele, ihre Thorheit, ihre Verschwendung, ihre Eitelkeit ..... sie bereute .... aber zu spät! Noch einmal raffte sie alle Kräfte zusammen; in Stücken wollte sie den unseligen Tand herabreißen. Unmöglich! der Stoff – in der Hölle gewoben – spottete jeden Versuches, ihn zu trennen. Wie sinnlos rannte nun die Verzweifelte in ihrem Zimmer auf und ab, wie eine Königin geputzt, aber jammernd wie eine Bettlerin. Da .... da schlug es zwölf Uhr! Die Thüre sprang auf und die Alte stand vor ihr. Aber wie rollten ihre feurigen Augen, und welch' satanisches Lächeln zuckte um ihren Mund, als sie hohnlachend rief: ›Du hast mir zum Lohn versprochen, was um diese Stunde von meinem Anzuge bedeckt sein wird. Du bist es selbst, mein Kind, und somit bist du mein!‹

Da flammte es in schwefelgelbem Lichte durch das Zimmer, die Alte verwandelte sich in den Fürst der Hölle, der rothe Sammet aber und das Gold der prachtvollen Stickereien, die die Unglückliche trug, wurden zu Feuer, das mit gierigen Zungen an dem schönen Leibe der Verzweifelten hinaufleckte. Da schrie die Arme zu ihrer Heiligen auf in Reue und Zerknirschung! Und siehe, die Heilige hörte sie. Schon griff Satan nach seinem Opfer, als Sanct Barbara es durch einen Stoß rettete. Die Unglückliche entging den Klauen des Teufels .... der Hahn krähete .... sie war gerettet.

Und was sie versprochen, die Dame, das hielt sie auch. Als einer büßenden Magdalena verschwand ihr der Rest ihres Lebens. Aller Eitelkeit entfremdet, ward sie in Frieden und Freuden zu den Geretteten aufgenommen.« Bretzner hielt hier einen Moment inne, dann schloß er mit den besonders betonten Worten: »Zum Andenken dieser Begebenheit und zu Nutz und Frommen der eitlen Wienerinnen, deren Anzahl, wie man behauptet, nicht ganz klein sein soll, wurde dies Bild in Stein gehauen, und Haus und Gasse ›Stoß in den Himmel‹ – verkürzt: ›Stoß im Himmel‹ – genannt.79«[241]

»Und Bretzner erhält den Namen ›der weise Sokrates!‹« – rief laut lachend die Cavaglieri. – »Ich glaube, bei Gott, er will mich zur büßen den Magdalena machen.«

»Ja!« – meinte Schikaneder, sie zärtlich umfassend – »wenn er mit dir, mein Engel, büßen dürfte. Aber ihm zum Trotz sollst du morgen den herrlichen Stoff haben, den du mir gestern angerühmt, und der der Fürstin Lichtenstein zu theuer war. Dein Freund wird dem stolzen Adel Wiens beweisen, daß auch ein Jünger der Kunst fürstlichen Geschmack und fürstliches Geld haben kann.«

»Uebrigens hat mich die Erzählung interessirt!« – sagte Mozart. – »Auch ist die Sage fast ein musikalischer Stoff. Ich hörte schon die Posaunen der Hölle, als es zwölf Uhr schlug. Man muß sich das Ding für ein andermal merken.«

»Sünder!« – rief hier die Cavaglieri – »Schon wieder von Musik?!«

»Um Vergebung!« – flehte Mozart mit komischer Reue und küßte der schönen Italienerin so feurig die Hand, daß selbst das Kind des Südens bis in sein Innerstes erbebte. – »Ist nicht Ihre Stimme auch Musik?«

So ging es noch eine Weile fort, bis Mozart und den Anderen der Kopf allmälig zu brennen anfing. Gluck war am ruhigsten geblieben und mahnte jetzt zum Aufbruch.

Man schied, nur die Freundin blieb. Sie sah, ihr herrliches Köpfchen ganz ungenirt auf die Achsel Schikaneders lehnend, von dem oberen Theile der Treppe aus den Gästen nach, in deren Herzen in der That jetzt nur ein Wunsch war.

Auf der Straße hielt Glucks Wagen. Der ehrwürdige Altmeister der Musik bot Mozart und Salieri Plätze in demselben an. Der Capellmeister nahm es an, aber der junge Mann dankte freundlich; er fühlte, daß sein schwindelndes Gehirn etwas der ruhigen Abkühlung bedürfe. Endlich trennte sich Mozart auch von Bretzner und Stephani, die ihm noch von ferne: Glück im »Stoß im Himmel« zuriefen.

Der Ruf der Freunde verhallte in den Straßen ... Mozart war allein.

Es war eine wunderschöne Mondscheinnacht, die mild und schweigend über der Erde lag. Die Läden in den Straßen waren längst geschlossen, die Lichter in den Häusern schon vor Stunden erloschen; nur der Schlaf und der Tod, und, an der Hand dieser stillen Brüder, die sanfte Schwester »Vergessenheit«[242] schienen über die Erde zu wandeln und das weite Reich der Nacht mit ihren mohnumkränzten Scepter zu regieren. Die unendliche Stille, der tiefe Friede ringsumher, wirkten nach dem geräuschvollen Abend unendlich wohlthätig auf Mozart ein. Die Welt der Lust ging leise in ihm unter und eine Welt stillen Ernstes stieg an ihrer Stelle auf. Alles um ihn her schlief, .... Alles träumte, alle Leidenschaften waren entschlummert; warum sollte es nicht wie ein wunderbarer Traum auch über seine Seele kommen?

Und als er die Straßen langsam und in sich gekehrt dahinschritt, da kam es ihm vor, als sei er todt und in seinem eigenen Herzen eingesargt. Er fühlte ordentlich die Todtenkälte des eigenen Leichnams in dem eigenen Herzen. Aber er erschrak nicht, nur Trauer erfüllte ihn, daß er, so klein gewesen, klein gestorben und kein Mensch an seinem Sarge traure, über dem eine schwere Kette und eine Dornenkrone lag. Und die Schatten zweier gewaltiger Riesen fielen über ihn hin und verdunkelten ihn – und als er die starrblickenden halberloschenen Augen anstrengte, da waren die beiden Riesen die Freunde Gluck und Haydn, und zu ihren Füßen lagen Tausende in Staunen und Bewunderung verloren. Und er fühlte wie sein bleiches Antlitz lächelte, nicht aus Neid, wohl aber aus Wehmuth, weil er selbst so sehnlichst gehofft und gewünscht, ein großer Mann zu werden .... und das Schicksal es ihm versagt.

Aber welch' ungeheurer, schwarzer, bis in die Wolken ragender Schatten taucht dort vor ihm auf? Und der Schatten greift nach ihm und der Sarg springt, und des Todes Starrheit weicht und Mozart wächst und wächst an der Schattengestalt empor, über Haydn und Gluck hinaus. Und wie er jetzt den Schatten ansieht, ist es Idomeneo, die blitzende Königskrone auf dem Haupte, und hinter Idomeneo, da stehen noch andere Schatten, größer noch als dieser, schöner noch, gewaltiger ..... aber unkenntlich für Mozarts Auge .... nur der Letzte lüftet ein wenig das graue, ihn umhüllende Gewand .... da fährt Amadeus zurück, denn es ist ein Todten-Schädel, der ihn angrinzt!!

Mozart fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er hatte das Ende eines dunklen Gäßchens erreicht und vor ihm lag in träumerisch-bläulichem Mondscheine der Riesenobelisk des St. Stephansthurmes.[243]

Unwillkürlich blieb Mozart stehen, denn im ersten Augenblicke wußte er nicht recht: war dies der wirkliche Dom, oder war es der riesige Schatten, von dem er eben wach geträumt? Aber die leisen Flügelschläge eines kühlen Nachtwindes weckten ihn förmlich. Wie still, wie groß, wie riesig-ungeheuer, wie einsam lag der Prachtbau da! ... Auch hier ein Sarg! ... der dunkle kollossale Sarg des Schiffes der Kirche, angefüllt mit den Leichen der Erinnerung so mancher Jahrhunderte! ... Aber auch hier ein ungeheuerer, nach den Sternen – den Flammenzügen der Unsterblichkeit – zeigender Finger.

Mozarts Blicke folgten ihm langsam in aufsteigender Richtung. – Wie er sich höher und immer höher gipfelte, mit Macht aufstrebend, wie das hoffnungsvolle Leben der Jugend; – stets nach Abschließung ringend und immer wieder in steinernen Strahlen in die Lüfte schießend; aber auch immer einsamer, nackter, ernster ... bis endlich ein dem Auge kaum erkennbares goldenes Kreuz ganz hoch oben im Strahle des Mondes bläulich funkelt ... wie das Kreuz auf unserem Grabe, das die gespenstische Hand des Schicksals uns in den Nebeln der Zukunft zeigt. – –

Mozarts Blick glitt ermüdet wieder hinab, an jedem Knäufchen oder Säulchen einen kurzen Ruhepunkt nehmend. Und es war ihm, als ob alle die räthselhaften, mystischen Figuren Gestalten aus seinem Leben seien, und als ob alle die steinernen Arme erhüben, und – nach dem sternfunkelnden Himmel zeigend – leise flüsterten: »Mach dich unsterblich; dann mag das Kreuz auf deinem Grabe einsinken, dein Andenken lebt ewig wie jene Sterne!« Und .... »Ja!« – rief Mozart laut – »das soll geschehen! – Großer Gluck, herrlicher Haydn, an Euch will ich mich emporrichten. Deutlicher als je fühle ich es in dieser Stunde: Mozarts Name wird unsterblich sein!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 227-244.
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