22.

Kaiser Joseph II.

[244] Mozart lebte also nun als selbständiger Mensch – als Künstler – in Wien.

Wenn ein Musiker ohne Anstellung ist, so muß er privatisiren, und so privatisirte denn auch Mozart in der[244] Kaiserstadt. Das will soviel sagen, als: er trieb, um leben zu können, Alles, was ein Musiker treiben kann; denn von einer Anstellung war nirgends die Rede. Ein Glücksstern leuchtete dem großen, aber bescheidenen Manne nicht, und Mozart hatte eben sehr unrecht, groß und bescheiden zu sein; klein zu sein und unbescheiden, führt in dieser Welt viel eher zum Ziele, und selbst das Schicksal scheint das Glück bei weitem mehr an die Beschränkten und Unbedeutenden zu knüpfen, als an geistige oder künstlerische Potenzen; – wahrscheinlich weil jene ohne Glück gar nichts auf der Welt wären, diesen aber immer noch und in allem Ungemach und unter allen Sorgen und Stürmen die Schätze und Freuden der inneren idealen Welt bleiben.

So gab Wolfgang Amadeus Concerte und Lectionen; schrieb Sonaten auf Subscription und arbeitete für Musikalienhändler gegen ein bestimmtes Honorar. Häufige Einladungen zu musikalischen Abenden bei dem Adel vermehrten ebenfalls seine Einnahme durch die Geschenke und Pretiosen, die er davontrug, so daß sich Mozart allerdings recht gut gestanden hätte, wenn eines nicht gewesen wäre .... wenn er nämlich nicht mehr gebraucht haben würde, als er einnahm. Und – der junge geniale Künstler brauchte jetzt viel, sehr viel, denn er hatte sich allmälig zu einem rechten Lebemenschen herausgebildet.

Das hatte nun allerdings nicht viel zu bedeuten gehabt, wenn Freund Mozart nicht dabei in seine Constanze verliebt und von der Sehnsucht durchgedrungen gewesen wäre, sie endlich zu heirathen. Er meinte es ja so redlich und gut mit ihr und seine Seele verlangte so sehr darnach, sich am häuslichen Heerde ein stilles Glück zu gründen. Aber der Weg zur Gründung eines Hausstandes und einer Familie ist sicher nicht der: mehr zu brauchen, als man einnimmt; eine Thatsache, die namentlich Mozarts Vater und Constanzens Mutter sehr gut begriffen.

Mit der Weberschen Familie verhielt es sich nämlich wie folgt: Vater Weber war gestorben, nachdem sich Aloysia vorher schon mit Lange verheirathet hatte. Vielleicht war diese unselige Ehe selbst mit eine Ursache für Vater Webers frühen Tod; denn nur zu bald erfüllte sich, was der kluge und verständige Mann vorausgesagt: Lange, der sich eine kurze Zeit gebessert, fiel ganz natürlich sehr bald in den angebornen[245] Leichtsinn zurück und trieb die geniale Verschwendung und die noch viel genialere Untreue so weit, daß nach vielen höchst peinlichen häuslichen Scenen eine Scheidung erfolgen mußte. Kurz darauf starb der alte Weber, und da Aloysia um jene Zeit einen sehr ehrenden Ruf nach Wien erhielt, so folgte ihr die Mutter mit den übrigen Kindern um so lieber nach Oesterreichs Hauptstadt, als sie dadurch auch ihrem unwürdigen Schwiegersohne und dessen Treiben entrückt wurde, denn Lange blieb in München.

Besser hatten sich durch diese Vorgänge die Vermögensverhältnisse der Familie Weber freilich nicht gestellt. Der Vater – der Alles auf die Erziehung seiner Kinder verwandt – hatte auch nicht das Geringste bei seinem kleinen Gehalte hinterlassen können, und wenn auch Aloysia's Anstellung jetzt eine sehr anständige war, so reichte sie eben doch kaum aus, die Existenz der ziemlich großen Familie zu sichern. Mozart aber brauchte – wie wir eben gesehen – was er hatte, und mit seinem Vater stand es so, daß ihm der Sohn von Zeit zu Zeit zwanzig, dreißig Ducaten zur Erleichterung seiner alten Tage schicken mußte.

Das waren nun freilich sehr trübe Heirathsaussichten, und wenn auch Frau Weber Amadeus wirklich wie ihren Sohn liebte und keinen schöneren Gedanken kannte: als ihn mit ihrer guten Constanze für ewig verbunden zu sehen – angehalten hatte er schon den Tag, nachdem er das Fürstbischöflich Salzburgische Palais verlassen – so hatte sie doch als verständige Mutter mit einer bewunderungswürdigen Kraft und Entschiedenheit Mozarts Werbung – im Interesse des wahren Glückes Beider – für so lange zurückgewiesen, bis Wolfgang Amadeus im Besitze einer festen Anstellung, und mit dieser in der Möglichkeit, eine Familie zu ernähren, sei.

Ganz derselben Meinung war Vater Mozart, der es in seinen Briefen an praktischen Ermahnungen nicht fehlen ließ.

Aber die Leidenschaft der Liebe .... frägt diese wohl je im Leben nach praktischen Ermahnungen? Constanze und Amadeus fühlten sich durch diese Schwierigkeiten nur noch in ihr befestigt und mächtiger zu einander hingezogen, und Lange hätte hier ganz gewiß in seinem unvergleichlich köstlichen Pathos mit Shakespeare's Romeo gerufen:


»Wie Knaben weg vom Buch, wird Lieb' zum Lieben,

Doch Lieb' von Lieb', wie's Kind zur Schul' getrieben.«
[246]

Was kümmert die Liebe überhaupt die armseligen Lebensverhältnisse? Sagt doch Jean Paul so herrlich: »Wie in dem Meere, wenn es ganz still und durchsichtig ist, sich unten in der Tiefe der gespiegelte Himmel leise und enge mit dem obern zu Einer Himmelskugel zusammenwölbt, so daß die Schiffenden wie mitten in einem leichten Aether der Welt frei hinzuschweben glauben: so weiß die Liebe Wirklichkeit und Ideal, Erde und Himmel so enge zu vermählen, daß Alles weicher Himmel ohne harte Erde wird, und alle Vergangenheit und Zukunft zur Gegenwart. Denn die Liebe begehrt nichts, als das Jetzt, das sich blos unverändert verlängern soll; darum ist sie aber auch so unerschöpflich reich, weil ihr das ›Jetzt‹ alle Geschenke der Zukunft ersetzt und darreicht durch bloßes Nahesein und Aneinanderdenken. Die Liebe behält immer die heiligen Sternbilder ihres Himmels auf unserer umrollenden Kugel über sich; denn welche Bilder auch die Kugel in Abend verdecke, sie muß neue bringen im Osten!« Uebrigens darf ja ein so innerlich reicher und genialer Mensch wie Mozart nur mit kräftigem Willen in den eigenen Busen greifen ...... und die Zukunft ist sein! Das fühlte Amadeus auch. Er lächelte daher, wenn seine geliebte, jetzt herrlich aufblühende Constanze, Thränen in den Augen, von den Schwierigkeiten ihrer gegenseitigen Lage sprach, und sie sanft an sich ziehend, rief er dann oft: »O, verzweifle nur nicht, mein süßes, liebes Mädchen! Sieh', es weiß ja Niemand, welche Schöpferkraft ich in mir fühle, welcher Reichthum da in meinem Kopf und Herzen schlummert. Es ist ein wahrer Nibelungen-Hort, der nur gehoben sein will, und das kann und das wird die Liebe. Du wirst mein, und sollte ich dich mit List oder Gewalt entführen. Aber erst wollen wir noch den Weg der Güte bei deiner Mutter oder meinem Vater versuchen!«

Aber der Weg der Güte half nichts; der ruhige, kalte, vernünftig berechnende Verstand der beiden Alten legte einen Schlagbaum vor und rief den idealen Weltanschauungen der beiden Verliebten und dem kühnen lebensfreudigen Selbstbewußtsein des jungen Künstlers immer sein eisiges »Halt!« entgegen, wenn beide brausend angestürmt kamen.

Da fühlte Wolfgang Amadeus, daß er den Hebel irgend einer großen That bedürfe, um zum Ziele zu kommen; und – siehe da – das Schicksal zeigte sich diesmal freundlich und bot die Hand.[247]

Es war an einem schönen Septembertage, als ihn der Baron van Swieten – K.K. wirklicher geheimer Rath und Präses der Kaiserlichen Hof-Bibliothek – ein großer Verehrer der Tonkunst und ein aufrichtiger Freund Mozarts und Haydns – im Auftrage ihrer gemeinschaftlichen Freundin, der Baronesse Waldstetten, in seinem Wagen zu einem Besuche auf dem unweit Baden gelegenen Lustschlosse der Letzteren abholte.

Wien hat bekannterweise herrliche Umgebungen! Wer kennt nicht die Thäler von Clausen und Brühl, welche die Burg Mödling und jetzt der schöne Tempel, in dem die fünf Soldaten ruhen, die in der Schlacht bei Aspern für den Fürsten von Lichtenstein ihr Leben opferten, schmücken. In der Nähe befindet sich die alte Burg und das neue Schloß Lichtenstein mit schönen Anlagen, die sonst zu den Besitzungen des fürstlichen Hauses Lichtenstein gehörten, jetzt aber mit der Herrschaft Mödling der Freiherren von Waffenberg verbunden sind. Ein anderer, nicht weniger reizender Punkt ist »das Kreuz.«

Unfern der Linie, an der Landstraße nach Baden und Steiermark, erhebt sich ein alt-gothisches, 25 Fuß hohes, von Steinen aufgeführtes Denkmal zur »Spinnerin am Kreuz« genannt. Hier ist die Aussicht, der man sich nach der weit ausgedehnt daliegenden Kaiserstadt und ihren Umgebungen erfreut, eine wahrhaft überraschende und entzückende. Drei Stufen führen zu dem Denkmale, zwischen dessen hohem und schmalem Bogen man Christus am Kreuz und andere Figuren erblickt und unter diesen besonders eine weibliche hinter einem Spinnrade unterscheidet.

Nach der Volkssage nahm hier im 12. Jahrhundert eine edle Maid von ihrem nach Palästina ziehenden Ritter Abschied und gelobte, an dieser Stelle so lange unter freiem Himmel zu spinnen, bis der Geliebte zurückkehre. Nach Jahren kam er endlich heim, führte sie nach seiner Burg und setzte dieses Denkmal treuer Liebe.

Und wie reizend ist überhaupt Baden, das liebliche Städtchen am Fuße des Calvarienberges und am Flusse Schwechat; – Baden, mit seinen köstlichen Heilquellen, bei deren Ursprung die schöne Inschrift angebracht ist: »Der leidenden Menschheit gewidmete Wohlthat der Natur!« ... Und dann, der herrliche Merkenstein, Waltersdorf, Schönau, [248] Vöslau, Mödling, Laxenburg! Laden sie nicht alle zu den genußreichsten Landpartien ein, deren Mittelpunkt zu Wagen in einer halben bis zu einer Stunde zu erreichen ist, und deren jede durch Kunst und Natur so viel eigenthümlichen Reiz besitzt, daß es schwer fallen würde, einer darunter den Vorzug zuzugestehen?

Auch ganz in der Nähe hat Baden die herrlichsten Spaziergänge, mehrere größere Anlagen, einen hübschen Park und verschiedene Ruinen, die ungeachtet ihrer Höhe doch bequem zu besteigen sind. Unbeschreiblich schön aber ist der Weg nach Heiligenkreuz und durch die Brühl zurück. Und gerade hier lag der Landbesitz der Baronesse Waldstetten, und zwar in der That wie in einem Paradiese! Schon am Eingange des Helenenthales prangt die prächtige Weilburg, vor und hinter deren Palast sich die großartigsten Anlagen ausdehnen. Dann die Bergschlösser Rauhenstein, Drachenstein und Rauheneck, die Hauswiese, der Wasserfall, die Krainerhütten, die Anlagen auf dem Gemssteig, die Königshöhle, Kottingbrunn, Doblhofgarten, Leesdorf .....! Mozart kam aus dem Staunen über alle die Tausende von reizenden Ansichten gar nicht heraus. Er war zwar jetzt schon lange in Wien und schon unendlich oft bei seiner Gönnerin und mütterlichen Freundin, der Baronesse Waldstetten, in ihrem Palais in der Hauptstadt gewesen, ja er aß fast wöchentlich einmal bei ihr ..... aber auf ihrem Landsitze besuchte er sie heute zum ersten Male.

Die Baronesse war nämlich eine ganz eigenthümliche Frau. Aus einem sehr ansehnlichen, alten und reichen Hause stammend, charakterisirte ihre äußere Erscheinung eine gewisse aristokratische Strenge, die durch die Länge der Zeit – sie war hoch in den Sechszigen – nur noch schärfer hervortrat. Und diese Strenge und Härte in Zügen, Haltung und Wesen milderte keinesweges Schönheit. Pockennarben hatten sie schon in der Jugend entstellt und bittere Lebenserfahrungen so viele Runzeln über die Stirne und um den Mund gezogen, daß sie in der That wie eine Ruine in die Gegenwart schaute, – aber wie eine stolze, die, trotz aller Stürme, ihre Mauern noch kühn in die Wolken hebt; denn – dem Alter zum Spott – waren Haltung und Gang der Baronesse noch immer aufrecht, fest und entschieden. Sie waren eben der Spiegel ihres Charakters, dessen Hauptzug ein kühnes und entschlossenes Wesen war.[249]

Nach dieser äußeren Erscheinung hätte freilich Niemand erwarten sollen, daß sich unter dieser rauhen, fast für den ersten Augenblick abstoßenden Schale ein Herz berge, das reich an den schönsten Tugenden, – eine Güte, die unerschöpflich, – ein Geist, der für alles Große und Edle ungemein empfänglich war.

So kam es, daß man sie in der Welt für stolz und hochmüthig verschrie, während sie im Stillen Tausenden von Armen und Bedrängten mit einer Liebenswürdigkeit und Delicatesse half, die ihren Gaben geradezu doppelten Werth verliehen. So kam es, daß sich die meisten ihrer Standesgenossen mit einer gewissen Scheu fern von ihr hielten, während die Wenigen, welchen sie den Vorzug eines näheren Umganges einräumte, für sie schwärmten. Nur der Scharfblick Kaisers Josephs II. hatte sich nicht blenden lassen. Er hielt viel auf sie; – ja man wollte wissen, daß er öfter im Geheimen die Gesellschaft der alten Dame suche und sich sogar in verwickelten Fällen Rath bei ihr hole.

Mozart gegenüber war aber die Baronesse Waldstetten geradezu eine liebende Mutter. Sie kannte ihn schon als Kind, da sie bei seinem ersten Besuche in Wien sich als Ehrendame im Gefolge Maria Theresia's befunden; jetzt war er ihr auf's Neue durch Baron van Swieten zugeführt worden. Die schmähliche Behandlung dieses jungen Talentes von Seiten des Fürstbischofs von Salzburg, die seiner Zeit Stadtgespräch geworden war, hatte ihm ihr Herz doppelt erschlossen. Sie war empört über dies Betragen, – wie sie nichts Schlechtes sehen konnte, ohne empört zu sein und mit allen Kräften dagegen zu wirken – und so zog sie ihn, so zu sagen in einer heiligen Indignation zu sich heran, ihm Schützerin, ja Mutter zu sein.

Und wie hätte nun wieder das vortreffliche, kindliche Herz Mozarts ein so edles Benehmen, eine so treue mütterliche Freundschaft nicht mit aller Wärme erwidern sollen? Er hatte daher auch vor ihr kein Geheimniß – nicht einmal das seiner Liebe – ja er that in schwierigen Fällen nichts, ohne seine ältere Freundin darum befragt zu haben. Außerdem war er in ihrem Hause in der Hauptstadt wie zu Hause; daß sie ihn aber bis heute noch nicht auf ihr Landgut eingeladen, fiel ihm keineswegs auf, da er ihre Eigenheiten kannte und schonte; und dort pflegte die Baronesse nur den[250] Adel zu empfangen. Immerhin war er daher heute erstaunt, als ihn van Swieten nach dem aristokratischen Heiligthume abholte; aber er freute sich dessen zugleich, denn der Tag war herrlich. Erinnerte ihn doch der reine, tiefblaue Himmel an das schöne Italien; prangten doch alle Bäume und Gewächse in jenen vielfachen Tinten des Herbstes, die jeder Landschaft einen erhöhten Reiz geben. Brausten doch die schönen Pferde vor des Barons elegantem Wagen so rasch wie der Wind dahin; – und gab dies prächtige Hinrollen in der offenen Equipage, der frischen kräftigen Luft entgegen, nicht ein Gefühl von doppelter Freiheit, der in Gottes Natur und jener von allen Sorgen? Und war Mozarts kindliches Gemüth nicht allen Freuden und Genüssen ebenso offen, wie seine Seele dem Schönen?

Er war jetzt, bei Gott, nicht nur so glücklich wie ein Kind, nein – auch so ausgelassen, und da van Swieten Witz und Scherz liebte, so hielt Mozart auch in keiner Weise zurück. Er erzählte dem Baron lustige Geschichten von Schikaneder und aus seinem eigenen Leben, sprach in drolligen Versen und machte des Teufels Possen, so daß Swieten vor Lachen seinen Bauch halten mußte. Auch auf dem Landgute angekommen, hielt seine heitere Laune Stand. Er neckte Mütterchen Waldstetten heute zum ersten Male weidlich mit ihrem ländlichen Heiligthume, wo sie ganz sicher Rendez-vous habe, und darum eine so exclusive Atmosphäre um dasselbe ziehe. Die gute Frau ging auch in allem Ernste auf diese Behauptung ein, ja sie spielte darauf an, daß sogar heute vielleicht noch eine Verschwörung hier zu Stande komme.

Man scherzte, lachte und Amadeus war während des Mittagsessens so liebenswürdig, daß die Blicke seiner Beschützerin mit mütterlichem Wohlbehagen auf ihm ruhten. Da öffnete sich plötzlich die Thüre, und ..... Kaiser Joseph trat ein.

Der Kaiser war damals ein angehender Vierziger, gesund und voll Feuer. Die hohe Stirne, die kühn geschwungenen Augenbrauen, die gebogene Nase, der kleine feingeschnittene Mund, die großen seelenvollen blauen Augen – alles erinnerte an seine Mutter und kündete zugleich den Mann von Geist und Energie an. Dennoch lag etwas in diesen schönen edlen Zügen, was von harten Prüfungen sprach, aber eben deswegen auch eine gewisse Milde und Menschenfreundlichkeit[251] über sie verbreitete. Kaiser Joseph II. war seit kurzem – durch den Tod seiner Mutter – alleiniger Herr und Gebieter über Oesterreich und zweiundzwanzig Millionen Menschen geworden; aber er hatte dabei nichts von seiner edlen Anspruchslosigkeit aufgegeben, und wie er – der große Reformator seiner Staaten, auf den die ganze Welt mit Staunen blickte, – jetzt in dem Speisesaale der Baronesse Waldstetten unangemeldet in ganz einfachem militairischen Kleide eintrat, hätte Niemand vermuthen sollen, daß dies Oesterreichs und Deutschlands Kaiser sei.

Von den Anwesenden aber war er nicht nur genau gekannt, sondern auch mit Enthusiasmus verehrt; man kann sich daher denken, welch' freudige Ueberraschung sein Erscheinen hervorrief; obgleich die Baronesse sicher etwas davon vorher gewußt hatte.

Joseph aber ging ganz unbefangen auf die Dame des Hauses zu und sagte mit freundlichem Lächeln:

»Habe ich Sie einmal überrascht?«

»Ja!« – entgegnete die Baronesse mit einer tiefen, formellen Verbeugung, aber ebenso freundlichen Mienen – »eine solch' liebenswürdige Gnade von Seiten Ew. Majestät haben wir freilich hier nicht erwartet.«

»Nun,« – fuhr Joseph fort – »ich wollte mich nur einmal selbst überzeugen, ob die Lästerzungen recht haben und meine gute Waldstetten hier, auf ihrem Tusculum, im Geheimen ihre Anbeter versammelt, – und wen erwische ich? Baron Swieten und Maestro Mozart

»Ach!« – sagte die alte Dame seufzend – »meine Anbeter sind das nicht, die Zeiten sind leider vorüber! aber .... da nun doch gebeichtet werden muß, will ich unsere gemeinsame Sündenschuld bekennen. Wir beten hier zusammen eine andere Dame an.«

»Ich will nicht hoffen!« – rief Joseph lachend – »Sie werden doch keine Sektirer sein?«

»Gewissermaßen doch! Wir haben der göttlichen Musika einen Altar errichtet.«

»Nun, die frommen Herren zu Rom dürften darin schon etwas Heidenthum wittern. Ich will Sie aber nicht verrathen, wenn Sie mir alle drei versprechen, auch nichts davon zu sagen, daß ich hier war.«

Die Anwesenden versprachen dies; Joseph aber fuhr fort:[252]

»Sie werden diese Vorsicht vielleicht Engherzigkeit nennen; aber ich gebrauche sie nicht meinetwegen, sondern wegen unserer trefflichen Waldstetten. Die Menschen sind so erbärmlich, daß sie, – so wie sie auf etwas stoßen, das über ihren Horizont geht, – gleich etwas Schlimmes sehen.«

»Menschen!« – entgegnete die Baronesse achselzuckend. – »Es ist traurig, daß diese schöne Bezeichnung nur für so Wenige paßt.«

»Freilich!« – sagte der Kaiser. – »Das Leben der Pflanzen geht auf im bloßen Dasein, sein Genuß ist ein rein subjectives, dumpfes Behagen. Bei den Thieren tritt Erkenntniß hinzu: doch bleibt diese auf die nächsten Motive beschränkt. Daher finden auch sie im bloßen Dasein ihre volle Befriedigung und es reicht zu, ihr Leben auszufüllen. Sie können demnach viele Stunden ganz unthätig und natürlich auch ganz gedankenlos zubringen, ohne Unbehagen oder Ungeduld zu empfinden. Gleichen ihnen nicht zahllose Menschen, deren oberste Maxime es ist: mit dem kleinstmöglichen Aufwand von Gedanken auszukommen?! Und das sind am Ende doch noch die unschädlichsten; denn während Pflanzen und Thiere nur ihrer Bestimmung leben, kehren die begabteren Menschen meistens gerade das, was sie zu Menschen machen sollte, ihre von Gott erhaltene Vernunft, gegen sich und ihre Bestimmung.«

»Glücklicherweise« – sagte hier van Swieten – »giebt es aber doch hiervon auch noch Ausnahmen.«

»Allerdings!« – meinte der Kaiser – »aber« – setzte er hastig hinzu – »sie sind selten.«

»Dafür« – fuhr Swieten fort – »ersetzt eine einzige geniale Erscheinung, wie Ew. Majestät Hunderttausende der gewöhnlichen Seelen. Der Geniale ist unter den anderen Köpfen, was unter den Edelsteinen der Karfunkel: er strahlt eigenes Licht aus, während die andern nur das empfangene reflectiren; oder noch besser gesagt: die großen Geister sind die Leuchtthürme der Menschheit, ohne welche diese sich in das grenzenlose Meer der entsetzlichsten Irrthümer und der Verwilderung verlieren würde.«

»Lieber Swieten« – rief hier lächelnd der Kaiser – »ich glaube eher, daß die Menschen im Allgemeinen jeden genialen Mann für einen Hasen ansehen, von dem sie wissen, daß er erst nach seinem Tode genießbar ist; auf den man[253] daher, so lange er lebt, schießen und schlagen muß. Wer von seinen Mitmenschen und von seinem Zeitalter Dank erleben will, muß mit demselben gleichen Schritt halten. Dabei aber kommt nie etwas Großes zu Stande. Wer dies beabsichtigt, muß daher seine Blicke auf die Nachwelt richten, und, mit fester Zuversicht, für diese schaffen und wirken; wobei es freilich kommen kann, daß ihn die Mitwelt verkennt, und dann gleicht er dem, der genöthigt ist, sein Leben auf einer wüsten Insel zuzubringen, und der daselbst mühsam ein Denkmal errichtet, künftigen Seefahrern zur Kunde seines Schicksals und zu reicher Belehrung.«

»Aber« – sagte hier Mozart – »er wird alsdann doch eine Belohnung in sich tragen: das Bewußtsein dessen, was er nicht Andern, sondern sich war.«

»Freilich!« – rief Joseph mit eigenthümlicher fast schmerzlicher Betonung. – »Wer hat wohl mehr gelebt, als der, welcher Augenblicke hatte, deren bloßer Nachklang durch die Jahrhunderte und ihren Lärm vernehmbar bleibt! Sollte auch sein Leben und Wirken in eine Zeit fallen, die ihn nicht erkennt, so bleibt er doch immer er selbst.« – Und sich schnell zu Mozart wendend, setzte er – ihm auf die Schulter klopfend – hastig hinzu: »Da seid ihr Künstler glücklicher! Behagt euch euer Zeitalter oder eure Umgebung nicht, bleibt es euch immer vergönnt, in stiller Zurückgezogenheit, euch selbst und der Kunst zu leben.«

»Doch nicht so ganz, Majestät,« – versetzte hier Mozart – »der Künstler kann wohl für sich im Genusse seiner Kunst schwelgen und dadurch glückliche Stunden haben, immer aber wird ihm eine innere Stimme sagen: du bist nicht um deiner selbst willen da, sondern deine höhere Aufgabe ist es, dein Werk als ein heiliges Depositum und die wahre Frucht deines Daseins zum Eigenthum der Menschheit zu machen, es niederlegend für eine besser urtheilende Nachwelt. Dies wird ihm dann zum Zweck, der allen andern Zwecken vorgeht und für den er willig selbst die Dornenkrone trägt.«

»Welche einst zum Lorbeerkranze ausschlagen soll!« – rief Joseph und seine großen, schönen, blauen Augen ruhten mit Wohlgefallen auf dem jungen Maestro. – »O! ich fühle recht wohl, worin die Triebfedern bestehen, die euch Künstler zum Schaffen treiben. Das eigene Ergötzen ist es freilich nicht allein, denn dieses wird von der großen Anstrengung[254] fast überwogen. Vielmehr ist es ein geheimes geistiges Wehen ganz eigener Art, vermöge dessen der geniale Mensch getrieben wird, sein Schauen und Fühlen in dauernden Werken auszudrücken, ohne sich dabei eines ferneren Motivs bewußt zu sein. Es ist, als ob der göttliche Geist selbst, schaffend und gestaltend, in ihm auftrete, damit das Licht, welches von ihm ausgeht, wohlthätig einbrechen möge in die Dunkelheit und Dumpfheit des gewöhnlichen Menschenbewußtseins.«

»Wie wahr haben Majestät dies erfaßt!« – rief hier Mozart staunend. – »Das ist es, was den Künstler treibt, ohne Rücksicht auf Belohnung, Beifall oder Theilnahme, ja oft mit Vernachlässigung der Sorge für sein persönliches Wohl, emsig und einsam, mit größter Anstrengung seine Werke zu vollenden, indem er dabei mehr an die Nachwelt, als an die Mitwelt denkt. Er ist und fühlt sich dabei als den Träger des ewigen göttlichen Geistes, der ihn in den Stunden der Weihe erfaßt und mit Sturmesgewalt mit sich fortreißt zu den Höhen menschlichen Seins und göttlicher Schöpferkraft!«

Mozart hielt inne, seine Augen aber blitzten, wie die eines Feldherrn, der – den Plan der Schlacht ordnend – über die Ebene schaut, die noch heute seine Siege sehen soll.

Der Kaiser sah ihn freundlich an, dann sagte er:

»Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht, Mozart. Schon lange wünschte ich Sie einmal so recht ungenirt zu sprechen und das giebt sich hier nun ganz vortrefflich. Ich liebe, wie Sie wissen, die Musik; aber ich wünschte auch, daß meine Völker sie immer mehr und mehr schätzen lernen. Denn Musik hebt, bildet, veredelt. Ein Volk, dem die Musik an das Herz gewachsen ist, wird nie ganz sinken. Nun haben wir zwar in einzelnen großen Städten Opern – aber so recht volksthümlich ist die Musik bei uns doch nicht. Hier, wie in anderen Dingen herrscht Italien, und dieser Fremdherrschaft muß eine Ende gemacht werden. Wollen Sie mir in diesem Streben an die Hand gehen?«

»O, mein Kaiser,« – rief Mozart begeistert – »das ist ja gerade das Ideal meines Lebens!«

»Nun gut!« – sagte Joseph – »so treffen unsere Wünsche und Bestrebungen überein. Aber ehe wir auf Näheres und Weiteres eingehen, müssen wir erst einmal der Sache auf den Zahn fühlen. Wie kommt es, daß die italienische[255] Musik sich eine solche Weltherrschaft errungen hat? ... Oder beantworten Sie mir lieber erst eine andere Frage: ›Worin liegt die Ursache, daß die Musik in Italien nicht allein eine allgemein verbreitete und beliebte Kunst, sondern in unseren Tagen eigentlich für die Italiener die Kunst überhaupt ist?‹«

»Weil sich in allen Ständen« – entgegnete Mozart – »die unersättliche Lust darnach geltend macht. Man will und findet sie in der Kirche, im Theater, zu Hause; und weil ein angeborner feiner Sinn für sie allgemein ist. Es hat sich dadurch in Italien nicht allein eine ganz bestimmte musikalische Tradition von nationalem Charakter in der Production wie im Urtheil gebildet, sondern auch so zu sagen ein musikalisches Klima, welches ganz besonders geeignet für den Künstler ist.«

»Mag sein!« – versetzte Joseph. – »Dadurch wird es denn auch natürlich dem Künstler leicht, in Italien zu leben. Sieht er sich doch einen bestimmten Weg angewiesen, um die Gunst eines Publikums zu erlangen, daß ihn durch Aufmerksamkeit und Verständniß zu immer neuen Anstrengungen anspornt.«

»Und« – rief Mozart – »für jedes Gelingen durch lebhaften, ja enthusiastischen Beifall belohnt.«

»Ich wünschte, in Deutschland wäre es auch so!« – sagte der Kaiser jetzt, und ein leichter Schatten flog über seine hohe Stirne. – »Indessen Opern und Kirchenmusik fallen dort doch zu viel ineinander.«

»Das, Majestät, hat seine zwei Seiten!« – versetzte Mozart.

»Wie so?«

»Nun, unter der guten Seite verstehe ich, daß sich Opern- und Kirchenmusik dort gegenseitig unterstützen.«

»Allerdings!«

»Es gehört, wie Majestät wissen, zum Glanze fürstlicher Höfe und reicher Städte im Carneval oder bei festlichen Gelegenheiten Opernvorstellungen zu geben. Und dabei wird nicht allein kein Aufwand gescheut, die ausgezeichnetsten Sänger und Sängerinnen zu engagiren, sondern es müssen für jede stagione auch mehrere, gewöhnlich drei, neue Opern geschrieben werden, für welche man nun ebenfalls berühmte und beliebte Componisten zu gewinnen bemüht ist. Das stachelt an, das begeistert, das giebt Trieb! – – Aber wo ist das in[256] Deutschland der Fall? – Ebenso gehört es auch zu der Würde der Kirche, mindestens an den Hauptfesttagen den musikalischen Theil des Cultus mit allem Glanze auszustatten ....«

»Wobei freilich die reich dotirten Kirchen und Klöster mit den Theatern rivalisiren können!«

»Was aber ist die Folge dieser Rivalität?« – rief hier Mozart, immer lebendiger werdend. – »Es werden fortwährend eine Menge von bedeutenden Kräften für musikalische Production und Ausführung in Anspruch genommen! – Es ist reichliche Gelegenheit da, sich zu versuchen und sich auszuzeichnen; jedes Talent kann sich ausbilden mit der Hoffnung, bemerkt und benutzt zu werden.«

»Und das ist freilich eine der wesentlichsten Bedingungen für eine lebendige Entwickelung der Kunst!« – sagte der Kaiser.

»Und welch' treffliche Anstalten für die musikalische Ausbildung der Jugend hat Italien!« – rief Wolfgang Amadeus begeistert. – »Venedig allein zählt deren vier – Neapel drei – Bologna drei!«

»Aber« – sagte hier Joseph II. lächelnd – »vergessen wir auch die Schattenseiten nicht. Jene gegenseitige Unterstützung der Opern- und Kirchenmusik hat doch auch sein Schlimmes.«

»Allerdings!« – versetzte Mozart – »deshalb sprach ich vorhin von zwei Seiten. Daß diese Einigung der musikalischen Kräfte durch den überwiegenden Einfluß, welchen die Oper in Italien gewonnen hat, der Würde und Reinheit der Kirchenmusik schadet, ist nicht zu leugnen. Für die consequente Ausbildung in Allem, was die Handhabung der Form und Technik anlangte, war diese Concentration aller Kräfte ein entschieden günstiger Moment und der Erfolg um so größer, als die fast instinktive Sicherheit eines nationalen Geschmackes vor Abirrungen und Ausschweifungen schützte, welche den fest bezeichneten Entwickelungsgang nur hemmen und aufhalten konnten. Daß aber auch eine so geartete Kunst durch die in unseren Zeiten einseitige Ausbildung einer nationalen Richtung, zumal einer dem Formellen wesentlich zugewandten, sich am Ende ausleben muß, ist in dieser ihrer Natur begründet.«

»Aber ist denn eine Befreiung der Musik aus den ihr in Italien gesteckten Schranken nicht möglich?!« – rief hier Joseph II. mit dem ihm eigenen reformatorischen Ungestüm.[257]

»Warum nickt!« – sagte Mozart mit flammenden Blicken. – »Ist dies, wie ich Majestät vorhin zu bemerken schon die Ehre hatte, doch schon lange mein Wunsch, mein Streben und mein Ziel. Die beengenden Schranken der Nationalität müssen eben abgeschüttelt werden, während man der italienischen Formvollendung deutsche Tiefe und Gehalt giebt.«

»Das ist wohl leicht gesagt, aber schwer ausgeführt!« – meinte der Kaiser.

Mozart schüttelte mit dem Kopfe: »Warum denn?« – rief er eifrig und ganz vergessend, daß er mit Oesterreichs Herrscher sprach: und die Ueberzeugung der Möglichkeit glänzte in seinen tiefen Augen. – »Man muß sich nur wieder der Natur nähern und das Wahre und Aechte in der Musik zu Tage bringen. Die Oper muß aus den Händen der Sänger und Sängerinnen, – die dramatische Charakteristik muß wieder die Oberhand über die Bravour erlangen. Die Unnatur der Castratensängerei und der Paroxysmus für italienische Sängerinnen müssen aufhören; – Natur, Leben und Wahrheit müssen die tollen Schnörkeleien ersetzen; musikalische Schönheit, Adel und Würde in den Melodien, in der Harmonie ein Hauptaugenmerk des Componisten sein, und die Symmetrie der einzelnen Theile und ihre Abrundung zum Ganzen eine innere Einheit der Stimmung geben, dann bekommen wir eine deutsche Musik und eine deutsche Oper!«80

Mozart glühte vor Erregung. Es war ja die große Idee, die ihn schon lange im Stillen beschäftigt, und so verklärte sich sein Antlitz, während er von ihrer Realisirung sprach. Die Ueberzeugung durchdrang ihn, daß die Musik einer Reformation bedürfe und er fühlte, daß er dazu geschaffen sei, diese Reformation anzubahnen. Aber der Mann, der neben ihm stand, fühlte dies auch.

»Sprechen Sie weiter!« – sagte daher Kaiser Joseph, – »ich möchte Sie ganz hören!«

»Nun« – versetzte Mozart, der die Wichtigkeit des Augenblickes wohl begriff, – »vor allen Dingen also eine Kriegserklärung all' den abscheulichen Mißbräuchen, welche die Eitelkeit der italienischen Sänger und die Nachgiebigkeit der Componisten bei uns eingebürgert hat. Gluck, der große[258] Meister, ist hier ja mit einem herrlichen Beispiele schon vorangegangen. Auch er will nicht den Gang der Handlung zur unpassenden Zeit durch ein Ritornell unterbrechen, nicht einer Passage oder Cadenz den Ausdruck opfern, nicht dem Herkommen zu Liebe den zweiten Theil einer Arie vernachlässigen, wenn die Situation auf denselben allen Nachdruck zu legen gebietet, um nur die unbedeutenderen Worte des ersten Theils viermal zu wiederholen und die Arie gegen den Sinn des Textes zu schließen. Die Symphonie81 muß von nun an dem Charakter des Drama's entsprechen und den Zuhörer auf dasselbe vorbereiten. Denn der erste Grundsatz des Componisten muß dahin gehen, der Musik ihren wahren Wirkungskreis zuzuweisen, so daß sie in jedem Moment der Situation entspricht. Fort dann mit allem überflüssigen Schmuck! Das Colorit diene nur, den Umrissen Leben und Ausdruck zu geben. Das höchste Ziel aber sei eine schöne, edle Einfachheit, die alle Künstelei verschmäht, wenn es der Klarheit schadet und nicht aus der Sache selbst mit Nothwendigkeit hervorgeht,82 ein hoher freier Flug, der mit sicheren Zügen die Gebilde be seelt, – der aus der Tiefe eines ächt deutschen Herzens eine reiche Fluth ächt deutscher Melodien schöpft, der Alles, was mit ihm in Berührung kommt, adelt und mit kühnem Flügelschlage emporträgt in die Sphären göttlicher Harmonie!«

Mozart hatte geendet. Sein Antlitz glühte und strahlte, aber auch das des Kaisers, der ihm jetzt freudig mit den Worten die Hand darreichte:

»Mozart! Sie sind mein Mann! So vernehmen Sie denn, daß ich entschlossen bin, jetzt mit meinen Reformplänen in Betreff der Musik so gut Ernst zu machen, als mit meinen politischen. Ich will eine nationale Oper gründen und das Joch der Italiener auch hier brechen! Eingeborene Sänger und Sängerinnen sind bereits berufen. Sie sollen ihr Maestro sein, und was Tüchtiges aus ihnen schaffen. Aber mehr noch!« – setzte er lebhaft hinzu und zog ein Heft aus seiner Tasche, das er Mozart reichte. – »Hier habe ich von Bretzner ein recht artiges Stück: ›Die Entführung [259] aus dem Serail‹, schreiben lassen; – ich denke, Mozart erhebt es zu der ersten ächt deutschen Oper!«

Wer war glücklicher als Wolfgang Amade us? Was er so sehnlichst gewünscht, hatte sich so plötzlich erfüllt. Er war beauftragt, eine neue Oper zu componiren – beauftragt von Oesterreichs Kaiser – und eine Oper für das erste deutsche Nationaltheater!

Es war gut, daß der Kaiser sich jetzt rasch bei der Baronesse beurlaubte; denn war Mozarts Laune schon vor dessen Ankunft eine rosenfarbige gewesen, so war sie jetzt ausgelassen. Er machte die tollsten Streiche – auch an dem Claviere; aber die Ungeduld, das Textbuch zu lesen und zu studiren, ließ ihm keine Ruhe.

Swieten mußte anspannen lassen und als die Baronesse den Abfahrenden noch ein Adieu aus ihrem Fenster zuwinkte, sagte sie lächelnd zu sich selbst: »Er ist bei Gott noch ein Kind! ... aber .... ein recht liebenswürdiges!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 244-260.
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Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

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