24.

Die Schlange.

[271] Welche Zeit glücklichen Schaffens lag nun vor Mozart! Waren auch bei jenem heiteren Frühstück in seinem genialen Kopfe einige köstliche musikalische Gedanken, wie die Perlen des dabei fließenden Champagners, aufgetaucht, die Hauptarbeit war für Mozart viel zu wichtig, als daß er sie, wie spielend, in einem fortwährenden genialen Freudenrausche hingeworfen hätte. Im Gegentheile, Mozart ging jetzt mit jenem heiligen Ernste an die Arbeit, welcher der Aufgabe entsprach, einer nationalen Richtung in der Musik Bahn zu brechen. Mozart schrieb für sein liebes, deutsches Vaterland, – und der Gedanke, Deutschlands Ehre in musikalischer Beziehung – Italien gegenüber – zu retten, begeisterte ihn; aber indem er schrieb, und in Belmonte sich und in Constanze seine Constanze sah, führte die innigste Liebe seine Feder, erfüllte die heißeste Sehnsucht, durch diese Tonschöpfung die Geliebte zu gewinnen, sein Herz. Mußte da nicht etwas Herrliches zu Stande kommen? und stand nicht auf der tüchtigen Lösung der vorliegenden Aufgabe Alles? Auf der einen Seite die Gunst Kaiser Josephs II. und durch diese hoffentlich eine, den Talenten des jungen Maestro's entsprechende, die Zukunft sichernde Anstellung? – Auf der andern Seite aber die Ueberwindung der Hindernisse, die sein Vater und Constanzens Mutter seiner Liebe entgegensetzten? Und so erfaßte Mozart die Sache denn mit der ganzen Energie, die ihm eigen war, wenn er etwas Großes schuf. Gerade jetzt sahen ihn – außer Bretzner und Stephani, – die er bei der weiteren Bearbeitung, des Buches prächtig zu leiten wußte, – die Freunde sehr wenig. Fast nur mit van Swieten, der Baronesse Waldstetten und der Weberschen Familie kam er noch zusammen und wenn er Abends an Constanzens Seite der reinsten Liebe heilige Gluth genährt, brachte er die Nächte in glücklichem Schaffen zu.

Sagen uns dies nicht noch heute die Schöpfungen jener stillen nächtlichen Stunden?

»Constanze, dich wieder zu sehen!« wie hätte Mozart dieser Arie Belmonte's einen solchen Zauber[272] einhauchen können, wenn dies: »Constanze, dich wieder zu sehen!« nicht seine ganze Seele in Wahrheit erfüllt hätte. Drückt hier nicht der, durch kurze Einschiebesätze unterbrochene Vocalgesang das Schlagen eines Herzens aus, das, von Hoffnung und Zweifel beengt, ausruft: »O, wie ängstlich, o, wie feurig schlägt mein liebevolles Herz!« Und wie wundervoll wählte der große Meister für die Hoffnung das Majore, und das Minore für das Bangen. Belmonte fühlte sich gedrückt, eine schwere Dissonanz und ängstliche Figuren in Zweiunddreißigsteln verrathen, wie beklemmt er ist.

Wenn er glaubt, einen Seufzer oder ein leichtes Geräusch zu hören, das er für die Schritte seiner Geliebten hält, so täuscht ihn die Instrumentalmusik durch betrügerisches Geflüster und murmelt gleich dem Espenlaube. Mozart läßt uns in dieser göttlichen Arie Tropfen für Tropfen das Entzücken empfinden, welches sein Herz am Vorabende seines Glückes erfüllte. Er erwartete; liegt darin nicht die ganze Leidenschaft der Liebe? Er verlangt Constanze von der ganzen Natur; und die Natur, die den Liebenden nur immer ein Bild zurückwirft und ihnen nur einen Namen zulispelt, antwortete ihm, wie die Oboe dem Rufe Belmonte's mit: Constanze! Constanze!

Wie innig mußte der Mann lieben, der diese beiden Sätze des Recitativs schreiben konnte!87

Ach, wenn nur nicht immer in dieser armen Welt der Liebe der Haß, dem Verdienste der Neid, der Freude das Unglück an der Seite stünde. Was Constanze, von Duschek aufmerksam gemacht, dem Geliebten über seine Feinde gesagt, war nur allzu wahr. Sie konnten dem »Künstler« und »Componisten« Mozart nicht beikommen, sie suchten also dem »Menschen« Mozart wie und wo sie es vermochten, den Boden unter den Füßen hinwegzuziehen. Die Schlange der Verleumdung kroch leise und vorsichtig im Staube; aber sie fand ihren Weg zu den Ohren des Volkes, zu dem Herzen der Mutter Constanzens, sogar nach Salzburg, in die bescheidene Wohnung des alten Vaters, ja selbst bis zu den Stufen des Thrones. – –[273]

»Ich kann es nicht glauben!« – sagte Kaiser Joseph jetzt, indem er, die Hände auf den Rücken gelegt, mit großen Schritten in seinem Arbeitszimmer auf- und abging, und nur von Zeit zu Zeit vor einem sehr fein und sorgfältig gekleideten Manne stehen blieb, der in höchst devoter Stellung eine Ecke des Zimmers einnahm. – »Ich kann es nicht glauben, Salieri

»Nun, Majestät,« – entgegnete der erste Capellmeister des kaiserlichen Hofes – »das freut mich unendlich; denn Mozart ist mein Freund, – ich bewundere ihn aufrichtig und nichts könnte mich mehr schmerzen, als wenn er sich selbst durch sein Leben in den Augen Ew. Majestät herabsetzte.«

»Und soll er beständig in den Wirthshäusern herumfahren?« frug der Kaiser weiter.

Salieri schob, wie bedauernd, den Kopf zwischen die Achseln, und versetzte fast lispelnd –: »So sagt man wenigstens allgemein!«

»Und die Nächte?« – fuhr der Kaiser gereizt fort. Salieri machte abermals eine verlegene Miene.

»Ich will Antwort haben!« – rief Joseph. Aber der Hofcapellmeister schien noch immer mit der Sprache nicht herausrücken zu wollen. – »Nun?« – wiederholte Joseph mit einem durchdringenden und gebieterischen Blicke.

»Majestät!« – sagte Salieri – »es giebt für einen Ehrenmann nichts peinlicheres, als gegen einen Collegen sprechen zu müssen. Jede ungünstige Aeußerung trägt dann den Schein des Neides und ist entwürdigend für den Ankläger. Daß ich hier kein Ankläger bin, wissen Majestät.«

»Freilich! ich selbst habe Sie rufen lassen, um aus Ihrem Munde zu erfahren, was an den ungünstigen Gerüchten ist, die über Mozart circuliren. Sie sind, wie ich weiß, sein aufrichtiger Freund; ich darf also auch von Ihnen Wahrheit, ja Schonung erwarten; und die möchte ich, so weit es möglich ist. Außerdem stehen Sie, als Glucks erster Schüler, als ausgezeichneter und allgemein anerkannter Musiker und Componist, sowie als kaiserlicher Hof-Capellmeister so ehrenhaft und fest in der Welt, daß kleinlicher Neid einen Salieri nicht leiten kann. Habe ich auch Mozart – dessen herrliches Talent ich wirklich schätze, beauftragt, eine neue Oper für das zu errichtende deutsche Theater zu schreiben, so hat dies nicht den mindesten Einfluß auf Sie. Sie bleiben was Sie sind,[274] und in dem großen Wien kann ganz gut neben der italienischen auch eine deutsche Oper bestehen. Sie sehen also, ich bin weit davon entfernt, eine nachtheilige Aeußerung von Ihnen über Ihren Collegen falsch zu beurtheilen, nur Wahrheit will ich, da ich mich für den jungen Mozart interessire. Sagen Sie mir also, ist er wirklich ein Verschwender?«

»Majestät befehlen,« – seufzte Salieri – »so muß ich wohl gehorchen, so schwer es mir fällt.«

»Nun?«

»Ja, er soll in der That ein Verschwender sein und bis über den Kopf in Schulden stecken.«

Der Kaiser blieb stehen und obgleich der Hof-Capellmeister den Kopf gesenkt hatte, als ob ihn dies Bekenntniß schmerze und niederdrücke, gewahrte er doch vermöge eines von unten aufschielenden Blickes, daß namentlich die letzte Bemerkung auf den sehr ordnungsliebenden und sparsamen Herrscher den erwarteten Eindruck gemacht hatte. Eine dunkle Wolke lagerte auf seiner Stirne.

»Verschwendung,« – sagte er dann, und die Falten auf seiner Stirne wurden immer finsterer, – »es ist ein böses Laster. Sie entspringt aus einer sinnlichen Beschränktheit auf die Gegenwart, gegen welche die noch in bloßen Gedanken bestehende Zukunft keine Macht erlangen kann, und beruht auf dem Wahne einer ungebildeten und übertriebenen Schätzung sinnlicher Genüsse. Daher sind künftiger Mangel und Elend der Preis, um welche der Verschwender diese leeren flüchtigen und imaginären Genüsse erkauft. Aber deshalb muß man ihn auch fliehen, wie einen Verpesteten, und, nachdem man sein Laster entdeckt hat, bei Zeiten mit ihm brechen: damit man nicht, wenn späterhin die Folgen eintreten, sie mit zu tragen hat.«

Joseph II. war bei diesen sehr determinirt ausgesprochenen Worten wieder in großen Schritten im Zimmer auf- und abgegangen. Als er jetzt schwieg, hub Salieri fast bittend an:

»Darf ich Majestät um eine Gnade ersuchen?«

»Und die bestünde?«

»In einiger Nachsicht mit meinem Freunde. Er ist ein junger Mann, – genial, wie man zu sagen pflegt ....«

»St! Salieri!« – fiel hier Joseph ein – »die alte Entschuldigung oder vielmehr Verwechselung. Man kann genial sein, und doch kein Verschwender!«

»Aber Jugend hat keine Tugend.«[275]

»Mozart ist nicht mehr so jung, um nicht verständig sein zu können!« – fuhr der Kaiser fort. – »Er kann wissen, daß Sparsamkeit den Ueberfluß in ihrem Gefolge hat. Geht sie doch von dem richtigen Grundsätze aus, daß die sinnlichen Genüsse blos negativ wirken und daher eine aus ihnen zusammengesetzte Glückseligkeit eine Chimäre ist; daß hingegen Unglück, Sorgen und Schmerzen positiv und sehr real sind. Daher versagt sich der Vernünftige jene, um sich vor diesen desto besser zu sichern.«

»Freilich,« – versetzte Salieri mit bedenklicher Miene – »wer kann denn sagen, was einem begegnet, und hat man dann keine Vorsorge getroffen, fällt man dem Staate zur Last.«

»Und der hat der Verschwender und Taugenichtse nur zu viele zu füttern!« – sagte der Kaiser bitter.

Ein feines triumphirendes Lächeln spielte bei diesen Worten um Salieri's Mund. Der Kaiser bemerkte es nicht, da er in seinem Gange dem Capellmeister gerade den Rücken zukehrte; aber es wich in demselben Augenblicke wieder einer besorglichen Miene, indem Joseph sich umdrehte.

»Ja!« – wiederholte der Herrscher – »wer kann sagen, wo die Vorsorge gegen Unfälle anfängt übertrieben zu werden?«

»Nur der« – entgegnete Salieri – »welcher wüßte, wo die Tücke des Schicksals ihr Ende erreicht.«

»Und sogar« – fuhr der Kaiser fort – »wenn die finanzielle Vorsorge übertrieben wäre, würde dies nur nützen. Wird der Sparsame die Schätze, die er aufhäuft, nicht nöthig haben, nun, so kommen sie einst Anderen zu Gute. Doch!« – rief hier der Kaiser aus, indem er plötzlich vor Salieri stehen blieb, – »verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will damit den Geiz nicht entschuldigen. Er ist ein ebenso großes Laster, wie die Verschwendung. Wenn physische Genüsse den Menschen von der rechten Bahn ableiten, so trägt meistens seine sinnliche Natur die Schuld. Er wird eben von seinen leicht erregbaren Nerven hingerissen, vom Eindruck der Gegenwart überwältigt, wie dies wohl auch bei Mozart der Fall ist. Hingegen wenn der Mensch durch Körperschwäche oder Alter dahin gekommen ist, daß die Laster, die er nie verlassen konnte, endlich ihn verlassen, indem seine Fähigkeit zu sinnlichen Genüssen erstorben ist; da überlebt die geistige Gier oft die fleischliche. Dann wird das Geld der dürre Stamm, an welchen er sich klammert. Alle seine Leidenschaften concentriren[276] sich in der Liebe zum Mammon. Aus der flüchtigen, sinnlichen Begierde ist überlegte und berechnende Gier nach Geld geworden. Es ist die hartnäckige, gleichsam sich selbst überlebende Liebe zu den Genüssen der Welt, die sublimirte und vergeistigte Fleischeslust, der abstrakte Brennpunkt, in den alle Genüsse zusammengeflossen sind. Nein, nein! ich mag die Verschwendung nicht, aber ebenso wenig den Geiz. Der rechte Weg liegt in der Mitte, und nur Derjenige, der diesen festhält, kann mir und dem Staate dienen!«

Eine Pause trat ein, in welcher Joseph II. abermals auf und abging. Salieri berührten nur die letzten Worte; sie waren ihm genug, seine Maßregeln darnach zu nehmen. Er war daher auch froh, als der Kaiser ihn jetzt entließ.

»Ich danke Ihnen« – sagte dieser dabei dem Hof-Capellmeister – »für Ihre Aufrichtigkeit. Was wir gesprochen, bleibt unter uns. Uebrigens will ich denn doch noch immer das Beste von Mozart denken. Die Welt übertreibt und die Jugend ist unbedacht. Können Sie aber, als Freund, auf ihn günstig einwirken, so thun Sie es. Weiß Gott! ich würde diesem hervorleuchtenden Talente und wirklich liebenswürdigen Menschen mein Wohlwollen sehr ungern entziehen, und doch müßte und würde dies geschehen, wenn ich nicht bald Besseres von ihm hören sollte. Sagen Sie ihm das und leben Sie wohl!«

Und mit diesen Worten neigte der Kaiser leise das Haupt und Salieri zog sich zurück.

Geschmeidig wie ein Aal, mit dem verbindlichen Lächeln eines Hofmannes um die Lippen, und nach allen Seiten devot grüßend, schlüpfte der Hof-Capellmeister nun durch die Vorzimmer, an den Ministern, Hofräthen und besternten Herren vorüber, die hier der Stunde eines Conseil harrten. Sobald er aber diese höchste Sphäre hinter sich hatte, veränderte sich augenblicklich der ganze Mann. Der bis dahin geneigte Kopf erhob sich jetzt kühn, die gebogene Figur richtete sich hoch und strack empor, das verbindliche Lächeln verwandelte sich in einen stolzen Ernst, und die schwarzen feurigen Augen des Italieners funkelten triumphirend, während sich das Haupt nur hie und da herablassend ein wenig neigte, wenn ein Lakai, ein Beamter oder sonst ein gewöhnlicher Mensch ehrfurchtsvoll grüßend an ihm vorbeiging. Als Salieri aber die Straße erreicht, rieb er sich vergnügt die Hände und rief:[277]

»Victoria! die Sache geht prächtig! Des Kaisers Vertrauen wankt; er, der nichts mehr haßt als Verschwendung, ist durch meine klugen Vorkehrungen von der leichtfertigen Lebensweise des verhaßten Todfeindes durch Andere unterrichtet; – ich, von ihm zu Rathe gezogen, habe ganz fein und diplomatisch, unter dem Scheine freundschaftlicher Besorgniß, die Aussagen zu entkräften gesucht, indem ich sie gerade bestätigte, und bin gut dafür, daß der, aller Klugheit fremde Thor in seiner genialen Unschuld und seinem ächt deutschen geraden Wesen, dafür sorgt, daß Seine Majestät auf keinen anderen Gedanken kommt. Was aber das Schönste ist« – fuhr Salieri vergnügt fort – »der Kaiser zeichnet mir meine Rolle vor. Ich soll auf ihn einwirken! Nun ja, das er hält mir den Schein inniger Freundschaft, und hält ihn doch nicht ab in sein Verderben zu rennen, und verderben muß er, sonst sind wir Italiener verloren und um die Herrschaft gebracht!«

Und Salieri setzte – in tiefe Gedanken verloren – seinen Weg rasch fort. Wunderliche Gedanken gingen ihm im Kopfe herum. Sie mußten ernst, sehr ernst sein; denn oft zogen sich seine Augenbrauen so finster zusammen, funkelten seine Augen in solch' unheimlichem Lichte, daß ein feiner Beobachter sogleich erkannt hätte, daß der erbittertste Haß unter dieser Stirne arbeite.

Jetzt war das Haus erreicht, in dem Mozart wohnte. Der Capellmeister stieg die Treppen hinauf .... aber er blieb lauschend vor der Zimmerthüre des jungen Künstlers stehen. Mozart sprach – – er sprach mit sich selbst! – jetzt spielte und sang er eine Melodie ....

»Herrlich! herrlich!« – flüsterte Salieri mit finsterer Stirne – »das muß gefallen – muß hinreißen .... und .... uns verderben.«

Er lauschte weiter: »A-dur!« – sagte er dann leise – »Andante6/8 tel ..... prächtige Melodie!«

Die Musik unterbrach sich. Man hörte deutlich, wie Mozart einen Pack Noten neben hinwarf und einen anderen suchte. »So« – sagte jetzt die Stimme im Zimmer – noch einmal Belmonte's Arie ..... ich denke, sie soll der im ersten Acte nicht nachstehen. Und er spielte und sang: »Ich baue ganz auf deine Stärke!«[278]

Es war eine glänzende Musik! – – Wie viel Leidenschaft und Glück sprachen sich in diesem Gesange aus, von dem alle Sätze zur Seele Salieri's drangen und deren verschiedenartige gewaltige Eindrücke sich gar wunderlich in den Zügen des Lauschenden wiederspiegelten. Jetzt strahlte das Auge des Musikers, in dessen Ohr die zauberhafte Melodie einen unauslöschlichen Eindruck machte, und der durch die singende Allgewalt der Töne selbst seinen tödtlichen Haß auf Augenblicke vergessen hatte, in Staunen und Entzücken. Aber wie ein Blitz zuckte dann der Neid wieder auf, die geballte Faust des Italieners machte eine wunderliche Bewegung, – fast als ob sie einen Dolch führe. Er schlug auf die Thürklinge und trat ein.

»Ha!« – rief Mozart heiter und mit strahlendem Auge – »Salieri! Das ist schön, lieber Capellmeister, daß Sie kommen, und mich armen Gefangenen auch einmal besuchen; denn Sie sehen, die edle Musika hat mir Hände und Füße gebunden!«

Und mit diesen Worten war Mozart von seinem Instrumente aufgesprungen und Salieri mit der aufrichtigsten Herzlichkeit entgegengeeilt.

Salieri aber blieb an vertraulicher Freundlichkeit nicht zurück. Er drückte die dargereichten Hände auf das Innigste und sagte:

»Mein Herz, lieber Mozart, hat mich zu Ihnen gezogen; ich hörte von Ihrem angestrengten Arbeiten, und da ich, wie Sie wissen, den innigsten Antheil an Ihnen nehme, komme ich, Sie zu zanken und zu schelten.«

»Und warum?« – frug jener heiter.

»Weil Sie wieder die Nächte durchschreiben.«

»Wer kann dem Geiste gebieten? Lieber, vortrefflicher Salieri, Sie, der Sie so groß als Musiker dastehen, haben Sie jemals, wenn die Begeisterung Sie erfaßte, nach der Uhr gesehen?«

»Nein, gewiß nicht! Aber man muß doch seine Kräfte nicht überschätzen.«

»Welche Kraft zum Schaffen der Mensch in sich trägt, weiß er gar nicht, bis ein Anlaß sie in Thätigkeit setzt. Es ist wie bei dem Wasser eines Teiches. Wer sieht es der stillen Spiegelfläche an, mit welchem Toben und Brausen ihre Wasser[279] über die Felsen des Gebirges sprangen, oder wie hoch sie sich im glänzenden Strahle des Springbrunnens zu erheben fähig ist?«

Salieri lächelte.

»Nun« – rief Mozart – »warum lächeln Sie?«

»Weil Sie sich mit der Spiegelfläche eines ruhigen See's vergleichen! Das Bild eines schäumend dahinbrausenden Waldbaches wäre doch wohl treffender.«

»Nun ja,« – meinte Mozart – »wie es eben kommt! Jetzt bin ich seit Wochen zu Hause und schaffe wie ein Riese. Die Oper ist nahe vollendet.«

»Ich freue mich unaussprechlich darauf!« – rief Salieri mit angenommener Begeisterung – »sie wird wundervoll!«

»Wie können Sie das wissen?«

»Haben Sie mir nicht daraus vorgespielt und vorgesungen?«

»Ich? – wann?«

»Eben.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Nun denn,« – versetzte der Hof-Capellmeister lächelnd – »als ich eben kam, sangen Sie eine entzückende Arie. Gestehe ich es nur, ich war von ihrer Schönheit so hingerissen, daß ich .... ein wenig lauschte.«

»Und sie gefiel Ihnen?«

»Sie ist ein Meisterwerk!«

Mozarts Züge erstrahlten in Freude:

»Ich danke Ihnen für dieses Urtheil!« sagte er dann zu Salieri, indem er ihm die Hand drückte. – »Sie sind ein Mann, den ich schätze und liebe, und – ich sage es Ihnen offen – einer der Wenigen, auf deren Urtheil ich etwas gebe.«

»Sie dürfen dies auch,« – versetzte dieser – »da Sie recht gut wissen, daß Sie keinen wärmeren Freund und keinen aufrichtigeren Verehrer als mich haben. Wenn Sie aber, wie Sie eben sagten, etwas auf mein Urtheil geben, so nehmen Sie gewiß auch meinen wohlgemeinten Rath freundlich auf.«

»Gewiß!«

»Nun .....«

»Was drückt Sie?«

»Es ist eine difficile Sache.«

»Nur heraus damit, lieber Salieri; ich liebe Offenheit und Geradheit.«

»Nun denn« – sagte der Hof-Capellmeister und warf Mozart einen fast zärtlichen Blick zu. – »Ich komme vom Kaiser.«[280]

»Ich sehe es an dem Hofkleide; hat er Ihnen vielleicht einen Auftrag für mich gegeben?«

»Ja!«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Majestät befahl mir, Sie im tiefsten Vertrauen zu warnen.«

»Vor was?«

»Vor den Verleumdungen Ihrer Feinde, die Sie der Majestät als einen leichtsinnigen Verschwender dargestellt haben.«

»Erbärmlich!« – rief Mozart und eine tiefe Indignation gab sich in Ton und Mienen kund. – »So ist es also doch wahr, was man mir schon von anderer Seite sagte.«

»Und was sagte man?« – frug Salieri mit kaum verborgenem Schreck.

»Nun, daß meine Feinde, da sie mir als Musiker nicht beikommen können, so elend sind, meinen guten Namen zu untergraben.«

»Und kennen Sie diese erbärmlichen Seelen?«

»Wie sollte ich sie kennen? Wer sich zu solchen Niederträchtigkeiten hergiebt, hüllt sich in Nacht und Dunkel.«

»So rechnen Sie auf mich!« – rief Salieri mit dem Ausdruck innigster Theilnahme und reichte Mozart wie zum Pfande die Hand, die dieser auch treuherzig nahm und drückte. – »Ich werde suchen, die Elenden aufzufinden und zu entschleiern. Auch können Sie sich darauf verlassen, daß ich überall für Sie – meinen lieben und hochgeschätzten Freund – einstehen und Sie vertheidigen werde, wie ich dies heute bei Seiner Majestät that.«

»Und glaubte der Kaiser an die alberne Lüge?«

»Er war wenigstens dazu angeregt. Da er nun wußte, wie Sie, der aufgehende Stern eines neuen Tages, mir an das Herz gewachsen sind, ließ er mich kommen, um von mir zu erfahren, was an den Gerüchten Wahres sei. Jetzt ist er wieder versöhnt und gab mir nur den Wink; Sie zur Vorsicht zu mahnen und vor Ihren Feinden zu warnen.«

Mozart war wieder ruhig geworden.

»Sie sind ein edler Mensch!« – sagte er jetzt zu Salieri. – »Nehmen Sie meinen Dank für so viel Liebe. Um die elenden Verleumder aber kümmere ich mich den Teufel. Ich schaffe mit Freuden, ja mit Seligkeit, und – ohne zu prahlen, darf ich es sagen – es wird etwas Schönes und[281] Großes werden. Wenn ich mich dann aber unter Freunden erholen will, so soll mich ganz Wien daran nicht hindern.«

»Und kann denn außerdem das Genie sich in die Fesseln der Alltäglichkeit zwängen!?« – rief Salieri, und es lag etwas wahrhaft Satanisches in dem Blick seines dunkelen Auges.

»Ich wenigstens werde es nicht!« – rief Mozart. – »Ich kann es auch nicht, denn es ist gegen meine Natur. Schaffen, wirken .... aber auch leben. Frisch und fröhlich muß der Becher des Lebens schäumen, damit auch der Geist frisch und thatkräftig bleibt. Das ist aber dann noch lange nicht Verschwendung und Leichtsinn, sondern jener glückliche leichte Sinn, der den Genius mit rosigen Flügeln über die dumpfe Scholle erhebt.«

»So recht!« – sagte Salieri. – »So lieb' ich meinen Freund Mozart. Man muß sich von Dummköpfen und Tröpfen nicht beirren lassen. Nur etwas Vorsicht empfehle ich, sie kann nie schaden. A propos! wie sieht es mit dem ›Würstl‹ aus, ich hab Sie lange nicht dort gesehen.«

»Ich wollte nicht gerne von der Arbeit gehen.«

»Und die arme Traudel sehnt sich bald zu Tode!«

»Narrenspossen!«

»Und soll das Eulenleben und Nachtarbeiten noch weiter gehen?«

»Nun« – rief Mozart lachend – »vielleicht komme ich heute Abend.«

»Ich halte Sie beim Wort!« – entgegnete der Hof-Capellmeister – »aber nun muß ich gehen. Ich habe Probe.«

Und er drückte Mozart noch einmal die Hand und verabschiedete sich.

»Eine treue Seele!« – sagte Mozart. – »Zwar ein Italiener, aber eine gute Haut!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 271-282.
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