Zweites Kapitel.

In Wien.

[12] In der kürzesten Zeit gelang es unserm Meister, in Wien wieder die einflußreichsten Verbindungen anzuknüpfen, und bereits zum Geburtstage der Kaiserin Maria Theresia am 14. Mai 1748 wurde seine Oper: »La Semiramide riconnosciuto« in dem neu errichteten Opernhause nächst der Burg aufgeführt. Die Oper hatte einen außergewöhnlichen Erfolg und erlebte eine oftmalige Wiederholung.

Anfang des Jahres 1749 finden wir Gluck in Kopenhagen. Dort war am 29. Januar ein Thronerbe, der nachherige König Christian VII., geboren und zu dem Feste, mit dem dies Ereigniß verherrlicht werden sollte, hatte Gluck die Serenate: »Tetide« componirt, die unter seiner Leitung am 9. April in Kopenhagen aufgeführt wurde. Am 19. April gab er dann noch ein Concert dort, auf welches der »Post-Rytter« vom 15. April mit folgenden Worten aufmerksam macht:

»Sonnabend, den 19. April wird von Herrn Kapellmeister Gluck auf dem italienischen Theater im königl. Schloß Charlottenburg ein, aus Vocal- und Instrumental-Musique bestehendes, sehr schönes und ápplausibles Konzert aufgeführt, in welchem er besonders zum Auditorii größtem cententement auf einem aus lauter Glas bestehenden und nicht früher hier bekannten Instrument sich hören [12] lassen will. Billets sind im genannten Schloß beim Kapellmeister selbst zu bekommen. Da dieses Konzert nicht öfter als dies einzige Mal aufgeführt wird, flattirt er sich um so mehr auf der geehrten Liebhaber angenehme Gegenwart.«

Während dieser Anwesenheit Glucks in Kopenhagen brachte er hier auch seine Oper »Artamene« zur Aufführung.

Trotz der außergewöhnlichen Erfolge, die er bis dahin errungen hatte, und die ihm eine noch glänzendere Zukunft sicherten, war es ihm dennoch nicht beschieden das Glück der Liebe ganz ungetrübt zu genießen. Wie in den besten Familien und Häusern Wiens, hatte er auch in der Familie des reichen Wechslers und Großhändlers Joseph Pergin, der mit Holland in regem Geschäftsverkehr stand, Eingang gefunden und da die beiden Töchter des Hauses der Musik leidenschaftlich ergeben waren, so war er dort bald heimisch geworden; bald auch fand er sich der älteren Tochter Marianne durch die innigste Zuneigung verbunden und da diese erwidert wurde, und auch die Mutter ihre Zustimmung zu einer Verbindung gab, so durfte Gluck das Jahr 1749, in welchem sich diese Wandlung vollzog, als das glücklichste sei nes Lebens bezeichnen; es sollte aber auch zum leidvollsten für ihn werden, da der Vater seine Zustimmung verweigerte. Der, auf seinen Reichthum stolze Mann, wies den gefeierten Künstler zurück, weil ihm dieser nur als ein Musiker erschien, dessen äußere Lebensstellung keine genügende Bürgschaft »für die anständige Versorgung eines Fräuleins« gewähre. Die Liebenden ertrugen die so herbeigeführte Trennung, die keine lange sein sollte, mit Geduld, sich unverbrüchliche Treue gelobend.

Gluck fand hinlänglich Zerstreuung in seiner künstlerischen Thätigkeit, die ihn wieder nach Rom führte. Er hatte für das dortige Theater Argentina die Oper »Telemacco« zu schreiben übernommen. Die Reise dorthin soll er in der Kutte eines Kapuziners unternommen haben, um, wie man einerseits meint, den Unbequemlichkeiten des Reisepasses zu entgehen, oder, wie andererseits behauptet wird, aus Sparsamkeitsrücksichten.

Hier erhielt er bald darauf die Nachricht, daß Anfang des Jahres 1750 Joseph Pergin gestorben war, deshalb eilte er, sobald es nur [13] seine contractlichen Verhältnisse gestatteten, nach Wien zurück, und am 15. September wurde er mit seiner Marianne getraut, mit der er bis an seinen Tod in der glücklichsten Ehe lebte, und die ihn größtentheils auch auf seinen Triumphzügen in Italien und Frankreich begleitete.

Schon im folgenden Jahre (1751) ging er mit ihr nach Neapel, wo seine Oper: »La Clemenza di Tito« (Text von Metastasio) in Scene ging, welche seine in jener Zeit wol berühmteste Arie »Se mai senti spirarti sul volto«1 enthält. »Sie erregte,« wie es in Cramers Magazin (Jahrgang 1786 S. 1354) heißt: »sogleich bei allen Zuhörern die mächtigste Sensation, und ward von den sonst geizigen Neapolitanern so unmäßig in Abschriften bezahlt, daß der Neid der Kritik rege darüber wurde. Die Schwierigkeiten der heterogenen Töne darin machten, daß alle Castraten, die sie zu singen versuchten, hier schlechterdings distonirten. Glucks Widersacher klagten: Che avevamesso l'acuto al pedale, seine Freunde vertheidigten ihn; und endlich ward der streitige Fall dem größten Harmoniker, den Italien damals hatte, ihrem Bach: Francesco Durante vorgelegt. Dieser sah die Stelle aufmerksam durch, und gab endlich zur Antwort: Non decido, sequesta nota sia in regola o no, ma quel che posse dire, è, che se l'avessi scritta io, mi contarei grand huomo!« (»Ich entscheide nicht, ob diese Note in der Regel sei oder nicht, was ich aber sagen kann ist, daß, wenn ich sie geschrieben hätte, ich mich für einen großen Mann halten würde.«)

Ueber seine Rückkehr nach Wien erzählt Dittersdorf2: Im Dezember desselben Jahres (1751) kam Gluck nach Wien. Schon wußte der Prinz3 durch sei nen Correspondenten, welchen Beifall dieser würdige Mann in Italien erworben hatte. Eben dieser Correspondent hatte dem Prinzen einige Wochen vorher die Partitur von der bekannten Arie: »Se mai senti spirarti sul volto«, durch welche Gluck [14] in ganz Italien so viele Sensation erregte, geschickt. Der Prinz ließ sie durch Mademoiselle Heinisch, eine in Wien sehr berühmte Kammersängerin, vortragen und sie wurde allgemein bewundert. Eine ganz natürliche Folge davon war es, daß der Prinz, Gluck von Person zu kennen begierig war. Dies wurde durch Bonno4 veranstaltet, der ihn dem Prinzen vorstellte.

Gluck war im Umgange ein jovialer Mann, und besaß auch außer seinem Fache Welt und Lectüre, daher ward er bald ein Hausfreund des Prinzen. Bei den Akademien, von welchen immer des Abends vorher eine Probe abgehalten wurde, damit Alles, besonders neue Sachen, recht ordentlich und accurat gehen sollte, »setzte sich Gluck mit der Violine à la Tête«.

Erst aus dem Jahre 1754 erfahren wir wieder von einer Oper, die Gluck componirte.

Der Kaiser hatte Anfang dieses Jahres dem Prinzen von Sachsen-Hildburghausen einen Besuch in Schloß-Hof, dem, dem Prinzen gehörigen Lustschloß in Oesterreich an der ungarischen Grenze gelegen, für den Sommer zugesichert; der Prinz siedelte deshalb schon im April mit allen seinen Leuten dahin über, um die nöthigen Vorbereitungen für die Aufnahme und den festlichen Empfang der hohen Gäste zu treffen. Selbstverständlich sollte der Aufenthalt derselben auch durch Musikaufführungen verherrlicht werden, es wurde deshalb die Kapelle verstärkt und neue Sängerinnen engagirt, und außer Bonno, der schon früher beauftragt worden, zwei Stücke des Hofdichters Metastasio zur Aufführung vorzubereiten, erhielt auch Gluck, der jetzt den Titel eines Herzogl. Kapellmeisters führte, die Aufforderung, Metastasio's dramatisches Gedicht »Le Cinesi« in Musik zu setzen. Mitte Mai ging Gluck nach Schloß-Hof und war mit Rath und That bei dem Arrangement der Festlichkeiten betheiligt. Am 25. September trafen die hohen Herrschaften ein und wurden nur vom Prinzen und seinem Hofcavalier, dem Baron von Beust, ohne alles Gepränge, Ehrenpforten [15] und dergl. empfangen; der Prinz wollte durch seine anderweitigen Veranstaltungen um so mehr überraschen.

Am ersten Tage wurde im Freien das, zu diesem Zweck von Metastasio gedichtete und von Bonno componirte Gelegenheitsstück: »Il vero Amaggio« aufgeführt und am Abend dann im Schloßtheater: »L'Isola disabitata«, zu welchem gleichfalls Metastasio den Text und Bonno die Musik geliefert hatten.

Glucks »Le Cinesi«, zu welchem Metastasio auch den Text geschrieben hatte, wurde am zweiten Tage Abends im Theater zu Schloß-Hof aufgeführt; nachdem vorher eine große Jagdpartie an den Ufern der March abgehalten worden war. Dittersdorf, der in der angeführten Selbstbiographie eine ausführliche Beschreibung des Festes liefert, sagt über die Oper »Le Cinesi«: »Und dazu nun die göttliche Musik eines Gluck. Es war nicht allein das liebliche Spiel der glänzenden, stellenweise von kleinen Glöckchen, Triangeln, Handpauken und Schellen, bald einzeln, bald zusammen begleiteten Symphonie, welche die Zuhörer gleich anfangs, ehe noch der Vorhang emporrauscht, mit Entzücken erfüllt. Die ganze Musik war durch und durch ein Zauberwerk!« – Am Nachmittage des dritten Tages wurde ein großartiges Wasser-Carroussel abgehalten und am vierten und letzten Tage durch ein großartiges Bacchusfest der Beschluß gemacht.

Im folgenden Jahre (1754) übertrug die Kaiserin Maria Theresia dem Graf Jakob von Durazzo die Oberleitung des Hoftheaters und Gluck wurde als Kapellmeister mit einem Gehalt von 2000 Gulden angestellt. Dies Engagement hinderte ihn durchaus nicht in seiner anderweitigen Thätigkeit. Schon am Ende des genannten Jahres folgte er wieder einem Ruf nach Rom. Die Aufführung seiner beiden Opern: »Il Trionfo di Camillo« und »Antigono« hatten wiederum einen großartigen Erfolg, in Folge dessen ihn der Papst zum »Cavaliere dello Sperone d'oro« (zum Ritter vom goldenen Sporn) ernannte, mit dem der Adel verbunden ist, und seitdem zeichnete Gluck: Ritter von Gluck.

Die folgenden beiden Jahre 1755 und 1756 weisen zunächst zwei dramatische Kleinigkeiten seiner Arbeit auf: »La Danza«, ein von [16] Metastasio gedichtetes Pastorale, das in dem Kaiserl. Lustschloß Laxenburg zur Aufführung gelangte, und »L'Innocenza giustificata«, ein Einacter, der aus einzelnen Scenen, verschiedener Opern Metastasio's zusammengesetzt war. Erst Ende des Jahres 1756 ging wieder eine große Oper des Meisters auf der Hofbühne in Scene: »Il Rè Pastore«, gleichfalls nach einer Dichtung des Metastasio.

Durch seine Stellung zum Kaiserl. Hofe war Gluck veranlaßt, in den Jahren 1755–1762 eine Reihe von Einlagen zu componiren, die sogenannten »Airs nouveaux«, Gesänge mit Clavierbegleitung im leichten französischen Stil gehalten. Neben der großen italienischen Oper wurden am Kaiserlichen Hofe als beliebte Unterhaltungsstücke auch die leichten französischen Opern gepflegt. Der Leiter des Hoftheaters, Graf Durazzo, hatte sich seit 1759 direct mit Favart in Paris in Verbindung gesetzt, der ihm die beliebten derartigen Stücke übersandte. Sie kamen in den kaiserlichen Luftschlössern zu Schönbrunn und Laxenburg, in der Favorite und in dem Salon der Hofburg vor der kaiserlichen Familie und dem eingeladenen Adel, seltener im Hofburgtheater, öffentlich zur Aufführung. Um bei wiederholten Aufführungen den einzelnen Stücken erhöhteren Reiz zu verleihen, wurden sie mit neuen Einlagen versehen, den oben erwähnten »Airs nouveaux«.

Nach Reichardts Notizen hatte Gluck zu fünf solchen Operetten:


»La fausse ésclave« (1758).

»Le cadi dupé«, Text von Lenommier (auch von Monsigny componirt),

»L'arbre enchanté«.

»L'ivrogne corrigé« (1760).

»Le diable à quatre«.


die ganze Musik componirt. Zu sechs andern:


»Les amours champètres« (1755). Text von Favart.

»Le Chinois poli en France« (1756), Text von Anseaume.

»Déguisement pastoral« (1756), Text von M. Bret.

»L'Isle de Merlin« (1758).

[17] »Cythère assiégée« (1759).

»On ne s'avise jamais de tout« (1762).


neue Einlagen.

»Le Chinois poli« wurde auch im Hoftheater aufgeführt, ebenso »L'Isle de Merlin«. Diese Operetten und »La Cythère assiégée« sandte Gluck an Favart nach Paris, der sie dort zur Aufführung brachte, wo sie, wie Favart an Graf Durazzo schreibt5, hinsichtlich des Ausdrucks, Geschmacks, der Harmonie und selbst der französischen Prosodie vollen Beifall gefunden hatten. »Cythère assiégée« arbeitete Gluck später um und brachte sie mit Divertissements von ihm und M. Berton 1775 in Paris zur Aufführung, ebenso wie »L'arbre enchantée«, das gleichfalls erweitert und umgearbeitet am 27. Februar 1775 vor der französischen Königsfamilie zur Aufführung gelangte.

Die zur Vermählungsfeier des Erzherzogs Joseph von Oesterreich, des nachmaligen Kaisers, mit der Prinzessin von Parma, Isabella von Bourbon, im Herbst des Jahres 1760 stattfindenden Festlichkeiten beanspruchten Glucks Thätigkeit wiederum in erhöhtem Maße. Mit Umgehung des ersten Hofkapellmeisters, J.C. Reutter, wurde er mit der Leitung der dabei veranstalteten Musik-Aufführungen betraut, und zugleich waren ihm und Hasse die Compositionen für die Galavorstellungen übertragen. Hasse's Oper: »Alcide in Bivio«, nach Metastasiios Dichtung, wurde an dem ersten Festtage – 8. October – aufgeführt. Gluck hatte die Serenade »Tetide« für diese Festlichkeiten componirt und sie wurde am zweiten Tage, prachtvoll ausgestattet, aufgeführt und auf allerhöchsten Befehl am Namenstage der Kaiserin wiederholt.

Im Jahre 1761 ging sein Ballet: »Don Juan oder der steinerne Gast«, welchem derselbe Stoff zu Grunde liegt, der in Mozarts gleichnamiger Oper höchste künstlerische Gestalt erhielt, in Scene, und im folgenden Jahre wurde er nach Bologna berufen, um zur Einweihung des, nach dem Brande 1760 prachtvoll wieder aufgebauten Theaters eine neue Oper zu schreiben. In Begleitung von Dittersdorf und der [18] jungen Sängerin Chiara-Marini und deren Mutter reiste er ab und kam am ersten Osterfeiertage in Bologna an. Im Hause des Grafen Bevilacqua, Oberleiter des Theaters, das auf Kosten einer, aus dem Adel und den angesehensten reichsten Personen Bolognas zusammengesetzten Gesellschaft, welcher auch Bevilacqua angehörte, erbaut war, einem liebenswürdigen und hochgebildeten Cavalier, fanden Gluck und Dittersdorf gastfreundliche Aufnahme. Der Graf hatte als Eröffnungsoper Metastasio's: »Il Trionfo di Clelia« gewählt und da die Eröffnung der Oper für den zweiten Pfingstfeiertag bestimmt war, so hatte Gluck fleißig zu arbeiten, um die Musik rechtzeitig zu schaffen. Doch hatte er bereits in Wien viel vorgearbeitet, schon nach zehn Tagen konnte er den ersten Act zur Abschrift abliefern.

Dittersdorf giebt in der erwähnten Selbstbiographie ausführlichen Bericht6 über die ganze Reise, dem wir hier noch einzelne Mittheilungen über den Aufenthalt in Bologna entlehnen:

»Gluck bezeugte,« heißt es hier, »dem Grafen sein Verlangen, die Sänger von der Oper zu hören und sogleich besorgte er ein Concert von dreißig der besten Subjecte in seinem Hause für den folgenden Nachmittag, wo außer uns Dreien sonst kein Zuhörer war. Ich war außerordentlich entzückt über die Girelli, über Manzoli und Tibaldi, vorzüglich aber gefiel mir eine Arie, bei welcher Aquilar mit der Hoboe seiner Frau accompagnirte. Auch hörte ich Lucchini und Spagnoletti jeden ein Violinconcert spielen. Nun – sagte Gluck heimlich zu mir – vor diesen zween Hexenmeistern brauchen Sie sich eben nicht zu fürchten.

Nun fing Gluck an zu componiren. Da er aber in Wien schon viel vorgearbeitet hatte, so gab er nach zehn Tagen den ersten Act zum Abschreiben.

Des Nachmittags arbeitete Gluck niemals, sondern blos abends und am Vormittage. Nach Tische gingen wir Besuche zu machen, sodann auf das Kaffeehaus, wo wir gewöhnlich bis zum Abendessen blieben.

Eine unserer ersten Visiten machten wir dem großen Farinelli, [19] von dem meine Leser schon wissen, daß er sich nach dem Tode seines großen Wohlthäters, des Königs von Spanien, hierher begab. Er war damals schon ein Greis von beinahe achtzig Jahren. Er lud uns einigemal zu Gaste und bewirthete uns königlich, Allein es war kein, Wunder, denn er war gegen eine Million reich.

Auch besuchten wir den weltbekannten, klassischen, musikalischen Dictator, den Padre Martini. Er war fast eben so alt, als Farinelli, und beide waren innige Busenfreunde. Gluck kannte ihn schon viele Jahre und reiste nie durch Bologna, ohne diesemPadre di tutti i Maestri (wie ihn noch heute alle Kapellmeister nennen) seine Ehrfurcht zu bezeigen.

Endlich kam es zur Aufführung der Gluckischen Oper. Sie gefiel ungemein, ungeachtet sie lange nicht nach der Idee des Componisten ausgeführt wurde. So viel man des Rühmens von den italienischen Orchestern überhaupt macht, so unzufrieden war Gluck damit. Siebenzehn große Proben wurden abgehalten und demungeachtet fehlte bei der Production das Ensemble und die Präcision, die wir bei dem Wiener Orchester von jeher zu hören gewohnt waren.

Nach der dritten Recita wollten wir nach Venedig zurückkehren, um am All. Ascensione (zur Himmelfahrt), bei welcher Feierlichkeit immer vier oder fünf Theater zu gleicher Zeit in Venedig offen sind, die neuen Opern daselbst zu hören, und dann nach Mailand, Florenz und überhaupt nach anderen großen Städten Italiens zu reisen, allein wir erhielten Briefe vom Grafen Durazzo, der uns nach Wien zurückberief, weil gegen Anfang des Herbstes die römische Königskrönung des nachherigen Kaisers Joseph II. zu Frankfurt am Main vor sich gehen sollte. Wir mußten daher unser Vorhaben aufgeben. Unterdeß machten wir noch einen kleinen Abstecher nach Parma, woselbst wir die Oper ›Catone in Utica‹ von Bachs Composition (dem nämlichen, der nachher mit dem Namen des Londoner Bach in Deutschland benannt wurde) hörten. Etliche Arien waren sehr schön, die übrige Musik aber war nach italienischer Sitte nur so hingeworfen. In Parma beschlossen wir, einen anderen Weg nach Wien zu nehmen. Wir gingen daher über Mantua, Klagenfurth, Trient u.s.w. nach [20] Wien zurück, Kaum waren wir angekommen, so ward die Krönung bis auf künftiges Jahr verschoben und hatten die Reue, Italien ganz unnöthiger Weise so frühe verlassen zu haben.«

In diesen letztvergangenen Jahren der ruhmreichen Thätigkeit unseres Meisters auf dramatischem Gebiete, mitten in seinen Triumphen, waren bereits Zweifel an der Echtheit der italienischen Oper, wie er sie bisher ausschließlich pflegte, als dramatisches Kunstwerk in ihm laut geworden und die großen Erfolge, welche er errang, hatten sie nicht zu zerstreuen vermocht. Die dichterischen Schönheiten, welche die Texte von Metastasio unbestritten enthalten, und die er rückhaltslos erkannte, konnten ihn nicht länger mehr über den Mangel an wirklich dramatischer Gestaltung täuschen. Er erkannte, daß es für die dramatische Darstellung nicht genügt, diese in eine Reihe lyrischer Ergüsse aufzulösen, und sie scenisch abzugrenzen und auch äußerlich darzustellen. Jetzt schon ging ihm die Erkenntniß auf dessen, was er später in seinen Vorreden deutlich ausspricht, »daß die Musik, nur die Dichtung unterstützen müsse, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne die Handlung zu unterbrechen«. Damit sie dies aber könne, mußte der Text die Darstellung der Situationen und der Handlung selbst einzig und allein nur berücksichtigen; durfte nicht, um der Musik die weiteste Entfaltung zu gewähren, sich auf die Darstellung der lyrischen Momente beschränken. Daß die Metastasio'schen Texte diesen Anforderungen nicht genügten, das hatte er schon seit Jahren gefühlt und dies schon zwei Jahre vor seiner Reise nach Bologna, mit dem, damals in Wien lebenden und ihm befreundeten Dichter: Raniero von Calzabigi aus Livorno, K.K. Rath bei der niederländischen Rechnungskammer, ausführlich erörtert. Der Dichter hatte sich bereits durch eine Ausgabe der Werke des Abbate Metastasio und durch seine geistvolle Einleitung hierzu bekannt gemacht. Auch ihm waren die Mängel der italienischen Oper nicht entgangen und er selbst hatte bereits auf Mittel gesonnen, ihr tiefere dramatische Wahrheit aufzunöthigen. Deshalb kam er den Wünschen Glucks mit größter Bereitwilligkeit entgegen und schrieb den Text zu [21] »Orfeo ed Euridice«, den Gluck darauf in Musik setzte, als erstes jener Werke, in denen seine neuen Anschauungen von dem Wesen der dramatischen Musik sich schaffend thätig erwiesen und mit welcher die Reform derselben begann. Es erscheint, auf diesem Wendepunkte in Glucks Entwickelung angekommen, angemessen, die bisher von ihm geschaffenen Werke in ihrem Verhältnisse zur italienischen Oper näher zu betrachten.

Fußnoten

1 Nach Dittersdorfs Selbstbiographie, Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1801, S. 48. machte sie auch in Wien und nächstdem in ganz Deutschland ungeheueres Aufsehen.


2 A.a.O. S. 48 ff.


3 K.K. Feldmarschall Joseph Friedrich Prinz von Sachsen-Hildburghausen, Liebling der Kaiserin Maria Theresia und der Musik leidenschaftlich ergeben.


4 K.K. Hofkapellmeister und Kammercompositeur, starb in Wien 1788 im Alter von 78 Jahren.


5 Favart, Mémoires et Correspondance. Tom. I pag. II.


6 S. 105 ff.

Quelle:
Reissmann, August: Christoph Willibald von Gluck. Sein Leben und seine Werke. Berlin und Leipzig: J. Guttentag (D. Collin), 1882..
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