Drittes Kapitel.

Mendelssohn's erste Schöpfungen.

Nicht bei allen grossen Tonmeistern zeigte sich der schaffende Genius so früh und in gleicher Weise sicher und bestimmt die Bahn bezeichnend, innerhalb welcher er um- und neugestaltend sich erweisen sollte, als bei Mendelssohn. Nur wenige fanden sich früh schon in den, der Entfaltung ihres Genius günstigen Boden versetzt, und für keinen weiter waren so viele Hände bereit, alles fern zu halten, was diese Entfaltung hemmen konnte. Daher erscheinen auch Mendelssohns Jugendarbeiten meist bedeutender, als die der anderen Meister; seine Individualität ist bereits vollständig entwickelt in dem Alter, in welchem sie bei jenen nur eben erst deutlicher erkennbar wurde. Auf diese ersten Aeusserungen des schöpferischen Genius wirken Bildungsgang und äussere Umgebung so stark ein, dass es meist sehr schwer wird, die eigentlich individuellen Züge zu erkennen. Auch die glänzendste Begabung offenbart sich in den Jugendarbeiten in der Regel nur dadurch, dass sie sich früher und rascher die überkommenen Mittel und Formen ihrer Zeit aneignet und sie in überraschender Weise verwendet; nur in einzelnen, meist sehr verborgenen Zügen giebt sich die besondere Richtung zu erkennen, nach welcher das Kunstwerk weiter geführt werden soll. Unter dem energischen Bestreben, die Kunstmittel seiner Zeit sich zu eigen zu machen, wird selbst der geniale Zug zurückgehalten und eingeschränkt durch die nothwendige Lehre und Unterweisung.

[40] Dass die äusseren Verhältnisse oft stärker sind, als die Macht des Genius, wird namentlich durch Händel und Gluck erwiesen. Beide haben die eine Hälfte ihres Lebens hindurch, und zwar die für Produktion meist ergiebigste, einzig im Sinne und im Anschluss an ihre Zeit gearbeitet, ehe sie ihre eigentliche Aufgabe ergriffen und ihre Mission erfüllten. Beide begannen erst in reiferen Jahren, jener das Oratorium, dieser die heroische Oper zur Höhe der Vollendung zu erheben.

Früher als diese beiden Meister erfasste Joh. Seb. Bach seine Mission. Er sollte die verschiedenen Strömungen, in welche die Kunstpraxis seiner Zeit sich ausgebreitet hatte, wiederum einheitlich zusammenfassen und den strengen Contrapunkt der alten Schule mit den neuen Kunstmitteln beweglicher und freier gestalten, um dadurch zugleich diesen eine höhere Bedeutung zu geben. Dem alten Contrapunkt die Innigkeit des Volksliedes zu vermitteln und die Mittel französischer und italienischer Sang- und Spielweise dem gesamten Kunstorganismus zum ewigen Besitz einzuverleiben, in diesem Bestreben finden wir ihn von vornherein thätig. Schon als Knabe lässt er sich keine Mühe verdriessen, den alten Contrapunkt sich anzueignen Später aber scheut er nicht mühselige Fussreisen, um in Celle in der Capelle des Herzogs Georg Wilhelm die französische Compositionsweise zu studiren. Er bearbeitete die Violinconcerte des seiner Zeit hochberühmten Violinvirtuosen Vivaldi, um die Vorzüge der italienischen Schreibweise seiner eigenen zu vermitteln, und ist zugleich unablässig bemüht alle, die Kunstmusik verjüngenden Elemente der Volksmusik abzulauschen und durch sie seine eigene Phantasie zu erfrischen und zu befruchten. Alle diese einzelnen Momente sind schon in den frühesten, uns erhaltenen Arbeiten des Meisters zu erkennen, sowohl in den erwähnten Bearbeitungen der Concerte von Vivaldi, wie in den Choralvorspielen und den variirten Chorälen, welche er als »partite diverse« zusammenfasste, und die er unzweifelhaft noch vor seinem zwanzigsten Lebensjahre schrieb. In der grossen Cantate, die er zur Rathswahl in Mühlhausen (1708) im Alter von 23 Jahren schrieb, erscheinen sie bereits in jener Vermittelung, die des Meisters ganze Grösse begründet.

[41] Mehr durch äussere Verhältnisse, als durch innern Drang wurde Joseph Haydn früh in die Richtung geführt, in welcher er der Instrumentalmusik eine neue Basis geben sollte. Weder der Unterricht im Capellhause der Stephanskirche in Wien, noch das Studium der theoretischen Werke von Mattheson und Fux wären vermögend gewesen, in ihm jene Gebilde zu erzeugen, mit denen er den Instrumentalstil begründete. Das äussere Leben sollte jetzt Einfluss gewinnen auf die spezielle Musikgestaltung und dies selbst nur vermochte die nächste Anleitung dazu zu geben. An jenen Cassatio und Serenaden, die er nach seinem Abgange aus dem Capellhause für das »gassatim Musiciren« componirte, übte er den neuen Orchesterstil, und als Esterhazy' scher Capellmeister erweiterte er denselben und gab ihm jene künstlerische Gestaltung, welche ihn zum Träger der wunderbaren Ideen eines Beethoven machte. Haydn schrieb sein erstes Quartett im 18ten, seine erste Sinfonie im 27sten Lebensjahre.

Ein seltenes Bild frühester selbstschöpferischer Thätigkeit bietet unstreitig Mozart. Wir besitzen von ihm Menuetten, die er im 5ten und 6ten, eine Reihe von Sonaten für Clavier und Violine und Variationen, die er im 7ten, 8ten und 9ten Lebensjahre schrieb, sodann seit seinem 9ten Lebensjahre (1765) Sinfonien für Streichquartett, 2 Clarinetten und 2 Hörner, zu denen wohl auch Fagotten und Trompeten und Pauken treten, wahrhaft staunenswerth in ihrer formellen Abrundung, da sie, ganz im Stile ihrer Zeit gehalten, nicht nur den Schematismus, sondern auch den Organismus dieser Formen erfassen. Diese Beherrschung der Formen steigert sich von Jahr zu Jahr bei dem ausserordentlichen Fleiss, den der Knabe entwickelt. Wohl mögen die Anregungen des Vaters die grössern Werke aus jener Zeit veranlasst haben. Der Vater wollte die Anerkennung der genialen Begabung des Sohnes erzwingen, und so liess er kaum eine Gelegenheit ungenützt vorübergehen, die sich ihm hierzu darbot. Ausser einer Reihe von Kirchenmusiken aller Art, meist für die kirchliche Aufführung in Salzburg bestimmt, entstanden sonach mehrere grössere Werke, wie das »Galimathias musicum« (1766), die lateinische Comödie »Apollo et Hyacinthus« (1767) [42] u.a. Alle diese Arbeiten beweisen, mit welch' spielender Leichtigkeit der Knabe sich die Kunstmittel seiner Zeit aneignete. Der Clavierstil ist noch vorwiegend der, wie er sich durch Friedemann und Phil. Em. Bach und durch Leopold Mozart ausgebildet hatte: vorwiegend zweistimmig, aus cantablen und mehr gang-oder passageartigen Sätzen zusammengefügt und Mozart ist über diesen Stil in seinen späteren Sonaten für Clavier wenig hinausgegangen. Jenen, mehr aus der besondern Klang- und Spielart des Instruments hervortreibenden Clavierstil, der namentlich durch Joseph Haydn angeregt und dann von den spätern Meistern mit so grossem Erfolge gepflegt wurde, hat Mozart vornehmlich nur in seinen spätern Clavierconcerten gefördert. Die beiden ersten Werke, in denen seine Individualität bereits lebendig hervorbricht, schrieb er, 12 Jahre alt, 1768. Es sind dies die Operette »Bastien et Bastienne« und die Oper »La finta semplice«. Beide Werke enthalten nicht allein schon einzelne Sätze, die seine späteren Arbeiten der höchsten Reife kaum verunzieren würden, sondern sie beweisen zugleich, wie der Knabe schon seine Mission zu erfassen begann. Jene Operette ist, auf das deutsche Lied basirt, echt deutsch gehalten, während die Oper sich der Weise der damaligen italienischen Oper anschliesst. Mit diesen beiden Werken hatte Mozart vollständig Besitz ergriffen von jenen beiden Richtungen, dem deutschen Liederspiel und der Opera seria jener Zeit, die er beide zur sogenannten romantischen Oper verschmelzen sollte. Das Jahr 1773 brachte denn auch die ersten Instrumentalwerke, in welchen seine eigenste Individualität in ihrer ganzen bezaubernden Liebenswürdigkeit Ausdruck fand, die als Op. 94 bekannten sechs Quartette, ein Quintett, ein Clavierconcert und Sinfonien.

Nicht minder interessant, wenn auch nicht entfernt so zahlreich als die Mozarts, sind die Jugendwerke Beethovens. Die ersten, uns noch erhaltenen Werke sind neun Variationen für Clavier, die bekannten, wie man weiss durch Beethovens Bruder ohne Zustimmung des Meisters als Op. 33 herausgegebenen Bagatellen und eine Fuge, welche der Knabe Beethoven 1782, also im Alter von 12 Jahren schrieb. Aus dem folgenden Jahre [43] stammen die drei Sonaten in Es-dur, F-moll und D-dur, welche mehrfach veröffentlicht als Jugendarbeiten Beethoven's hinlänglich bekannt sind, ebenso wie die als »Oeuvres posthumes« gedruckten drei Quartette für Clavier und Streichinstrumente, welche 1785 entstanden. Ein Clavierconcert in Es-dur hatte der Knabe bereits ein Jahr vorher componirt. Von den Arbeiten der nachfolgenden Jahre – ausser einem Ritterballet sind es Werke für Kammermusik, Lieder und Variationen – interessieren uns namentlich die als Op. 1, 1795 veröffentlichten drei, dem Fürsten Lichnowsky gewidmeten Trios für Pianoforte, Violine und Violoncell, welche nach den neuesten Forschungen noch der Bonner Zeit (1791–92) angehören. Fast ausschliesslicher noch als die frühesten Werke Mozarts gewinnen die Beethovens nur formelle Bedeutung; diese aber erscheint schon grösser, als bei jenen Erstlingen Mozarts. In den fast zwei Jahrzehnten, welche zwischen ihnen liegen, hatte der neue Clavierstil namentlich auch durch Virtuosen, wie Clementi eine so bedeutende Pflege gefunden, dass Beethoven bereits von einer höheren Stufe desselben ausgehen konnte. Schon jene drei erwähnten Sonaten für Clavier aus dem Jahre 1783 und die Quartette des folgenden Jahres stehen auf dem Boden dieser neuen Claviertechnik, die nicht dem Vocalen, wie noch jener vorwiegend zweistimmige Claviersatz, nachgebildet ist, sondern sich in einer eigenen, an keine Stimmzahl gebundenen Polyphonie entwickelt. Haydn hatte mit diesem Stil zugleich die speziellen Formen der Sonate bestimmt, die dann Clementi wiederum durch eine brillantere Austattung mit Figurenwerk bereicherte und somit endlich Beethovens Sonate den Weg bahnte, welche alle diese Elemente zusammenfasste, um sie der Idee dienstbar zu machen. Diese ist bei dem heranreifenden Jüngling noch keine spezielle; es ist nur die allgemeine Idee der Form, die auch seine frühesten Sonaten und Quartette entstehen lässt. Aber sie ist als solche schon zu so äusserst lebendiger Gestalt geworden, dass nun jene fortschreitend verfeinerte individuelle Darstellung beginnen konnte, welche in den letzten Werken die Form fast in Frage stellt.

Nur bei einem der jetzt folgenden Meister des rein lyrischen [44] Ausdrucks ist der Gang der frühesten Entfaltung ein ähnlicher – bei Felix Mendelssohn-Bartholdy. Auch er gewann die grösste Formvollendung, ehe sein Genius sich ganz und fessellos zu offenbaren vermochte, während bei jenen andern beiden Meistern derselben Richtung – bei Schubert und Schumann – die Individualität viel früher sich geltend macht, ehe sie noch in den Gesammtbesitz der Mittel zu ihrer Darstellung gelangt sind. Diese wurde ihnen weniger durch spezielle Unterweisung, als vielmehr durch die praktische Musikübung vermittelt und sie benutzen sie meist sofort, um eigen Empfundenes und eigen Gedachtes darzustellen. Dieser Prozess vollzog sich, meist durch äussere Umstände bedingt, wiederum bei Schubert früher, als bei Schumann. Als Schubert ins Jünglingsalter trat, hatte er schon einige jener wunderbaren Lieder geschrieben, mit denen er einen neuen Liederfrühling heraufzauberte. Die Glut und Innigkeit der Empfindung, welche in diesen Liedern lebt, ist so gross, dass sie sich selbst durch das strophische Versgefüge nicht immer zügeln lässt; erst allmählich gewinnt der Meister die knappe Liedform; instrumental gelangte er zu dieser formellen Festigung nur in einzelnen Werken.

Schumann begann erst während seiner Jünglingsjahre die künstlerische Laufbahn zu verfolgen, und da auch ihm die Formbildung mangelte, suchte er sie durch objektive Anschauungen und Bilder, an welchen er seine Phantasie schulte und zügelte, zu ersetzen, bis auch er in energischem, rastlosem Streben die künstlerische Form gewann.

Mendelssohn's Erziehung dagegen war darauf gerichtet, ihn früh zu einem vollendeten Künstler heranzubilden, und dies gelang so vollkommen, wie nur bei wenigen. Wenn es auch fraglich erscheinen könnte, ob die virtuose Ausbildung des Knaben Mendelssohn an die des Knaben Mozart heranreichte, so ist doch unzweifelhaft, dass Mendelssohn die Compositionstechnik kaum minder früh meisterlich erfasste, als Mozart. Der rührenden Sorgfalt, welche im Elternhause über der Entwickelung des genialen Sohnes waltete, verdanken wir auch die Erhaltung einer grossen Reihe seiner frühesten Compositionsstudien, die in drei Bänden [45] gegenwärtig im Besitz der Musikabtheilung der Königl. Bibliothek in Berlin sich befinden. Der erste Band bringt unterm 7. März 1820 zunächst einen Satz für Clavier und Streichinstrumente, von dem der Anfang hier stehen möge, mit Beibehaltung der, zum Theil incorrecten rythmischen Aufzeichnung:


Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

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[47] In dieser Weise geht es dann etudenmässig weiter. In den Streichinstrumenten ist für die letzten neun Takte der Einleitung der 3/4 Takt vorgezeichnet.

Das, was selbst an diesem Stück interessiert, ist der Sinn für Klangwirkung, der sich namentlich in der Behandlung der Streichinstrumente verräth; diese verwerthen das Pizzicato schon in reizvoller Weise.

Darauf folgen französische Scenen von einem gewissen Liebreiz und in feiner Ausführung:


Drittes Kapitel

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[48] In dem anschliessenden Duett (Vermeille und Lubain) erhalten auch Flöten zu thun und in der Arie der Blanche werden noch zwei Oboen und Fagott hinzugezogen, aber nach sieben Takten bricht das Stück ab.

Es folgt nun ein vierhändiges Klavierstück, das aber ebenfalls unvollendet bleibt.

Was diese Stücke entstehen liess, ist nicht nur Lust am Schaffen, sondern zugleich jener knabenhafte Drang, es den Meistern gleichzuthun. Wie andere Knaben in diesem Alter gern den Feldherrn oder doch den Anführer oder auch nur den Pfarrer oder Schulmeister spielen, so spielt Felix hier den »Meister der Töne« nicht nur ausübend, sondern auch schöpferisch. Namentlich ist es Beethoven, der ihm hier als Muster vorschwebt; das zeigen die 30 Takte Sonate für Violine und Clavier, die nunmehr in dem Bande Manuscript folgen:


Drittes Kapitel

[49] Darauf folgt ein Trio für Clavier, Geige und Bratsche mit der Bezeichnung am 5. April 1820. Der zweite Satz desselben – das Scherzo – bringt schon die ersten Spuren jenes Motivs, mit dem der jugendliche Meister den Elfentritt so prächtig charakterisirte. Am Adagio scheitert auch dies Werk, es ist nur bis zu acht Takten gelangt, und auch diese sind durchstrichen. Dann folgen Praeludien, zu denen jedenfalls der Knabe von den Bachschen die Anregung erhielt. Vom ersten mögen die Anfangstakte hier stehen:


Präludium 1. = 160Drittes Kapitel


Drittes Kapitel

[50] Diesen Praeludien folgt das Adagio und der Schlusssatz zum Trio unterm 9. Mai 1820 und man merkt ihnen wohl an, wie er seine Technik an den Praeludien erweiterte. Nach einem menuettartigen Andante folgt noch eine Einschaltung von 15 Takten zum Adagio des Trio. Unterm 11. Mai sind dann zwei Clavierstücke eingeschrieben, von denen das zweite im D-moll schon manches von der Eigenart Mendelssohns erkennen lässt. Auch in der nunmehr folgenden Sonate in C-moll für Clavier zeigt sich der romantische Einfluss in verschiedenen einzelnen Zügen, namentlich im Scherzo. Nach zwei weitern Clavierstücken folgt das


Lustspiel in 3 Scenen


ein Schwank, der sich im elterlichen Hause zwischen den beiden Firmeninhabern Joseph (dem Onkel) und Abraham Mendelssohn (dem Vater des Componisten) abspielt, und der dessen Begabung gerade für das Genre glänzend erweist, sodass man versucht wäre anzunehmen, dass er auch auf diesem Gebiet Bedeutendes geleistet haben würde, hätte ihn nicht die Welt der Wirklichkeit früh in Conflicte gebracht, die ihn zur Flucht in die erträumte Welt der Romantik drängten.

Die erste Scene zeigt die Firmeninhaber in schönster Eintracht:


Drittes Kapitel


Drittes Kapitel

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[53] Darauf folgt ein kurzes Adagio zum Preise der Freundschaft und Eintracht, die indes sehr bald gestört erscheint. J. Mendelssohn erweist sich als Verehrer von Spontinis Olympia, weshalb ihm A. Mendelssohn alles Verständnis für Musik abspricht. Ein fremder Künstler kommt hinzu, der in Berlin concertiren will und einigt die beiden Streitenden in sofern als sie ihm vereint die Thür weisen. Die Scene spielt dann drollig im Comptoir weiter.

Seltsam erscheint es, dass dem jungen Genius das Wesen der Vocalmelodie viel später erschlossen wurde, als das der Instrumentalmelodie, da er doch Gesang ebenso früh übte und ganz besonders den Vocalsatz unter Zelter studirte. Das »Ave Maria« aus Walter Scotts »Fräulein am See« componirte er wohl zu einer Zeit, in welcher ihm Schuberts wundervolle Musik dazu kaum bekannt sein konnte; aber weder in diesem, noch in dem Lied »Der Verlassene«, das er am 24. September 1821 componirte, ahnt man etwas von der reichen Melodik seiner reifern Lieder; selbst das Wesen der Zelterschen klangvollen Declamation scheint ihm noch unerschlossen. Ein Jagdlied für Männerstimmen vom 20. April 1822 zeigt schon mehr accordischen Reiz; ein Wiegenlied ist dagegen fast im Bänkelsängerton des Kgl. preuss. Hof-Capellmeisters Himmel gehalten.

Am 20. September 1822 begann er dann das Clavierquartett in C-moll, dessen ersten Satz er am 30. September in Frankfurt a.M. beendete, das ganze Werk aber am 18. October 1822 [54] in Berlin und das (als Op. 1 gedruckt) mit den beiden andern 1823 und 1824 entstandenen (Op. 2 in F-moll und Op. 3 in H-moll) zu den besten der ganzen Gattung zählt und an Kunstwerth die erwähnten von Beethoven unstreitig übertrifft. Es ist wahrhaft staunenswerth, mit welcher Freiheit und Leichtigkeit der Knabe die Form beherrscht, wie sicher und selbstbewusst er ihren Organismus erfasst hat. Die einzelnen Sätze sind so übersichtlich gegliedert und gruppiert, wie nur bei vollendeten Werken dieser Gattung, und die einzelnen Sätze sind so fest und künstlich und so äusserst interessant in einander gewoben, dass dieser Theil der Arbeit einen ganz ungewöhnlichen Ueberblick über die gesammte Kunstgestaltung documentirt. Dabei zeigt sich hier schon jenes ausserordentliche Geschick, mit welchem der Meister in seinen reifsten instrumentalen Werken die einzelnen Theile zu vermitteln verstand. Die Uebergänge, mit welchen der Knabe hier in den Allegrosätzen seiner Quartette, wie der Sonaten und Ouvertüren aus dieser Periode, nach dem zweiten Theil einleitet und dann, nach dem thematisch entwickelten Mittelsatz, den Eintritt des ersten Satzes wieder vorbereitet, sind unstreitig die interessantesten Partieen in diesen Werken. Dadurch schon beweist der Knabe, wie ihm Wesen und Idee der Form vollständig erschlossen sind, wie tief er schon das Darstellungsmaterial erfasst hat; tiefer vielleicht als seine beiden Lehrer Berger, und Zelter. Die besonderen Anschauungen beider erscheinen in diesen ersten Arbeiten in gewissem Sinne vermittelt. Einzelne Stellen, wie der Anfang des ersten, des C-moll-Quartetts, scheinen mehr von dem vocalen Contrapunkt im Sinne Zelters beeinflusst, während in der Anordnung des Ganzen, namentlich in der reichen und vor allem weich vermittelten Harmonik der, dem genialen Kunstjünger die Mittel der Instrumentalmusik zuführende Einfluss Ludwig Bergers erkennbarer wird. Mit dem feinsten Verständniss hält der Knabe die Streichinstrumente und das Pianoforte ganz meisterhaft auseinander, sodass sie sich nirgends gegenseitig aufheben, sondern immer ergänzen. Jene bewegen sich, treu ihrem eigensten Charakter, selbständig mehr polyphon geführt, während das Pianoforte mit seiner freien Polyphonie und [55] seinem leichten, bewegten Figurenwerk gegenüber tritt. In dieser Weise wird namentlich der erste Satz des C-moll-Quartetts energisch innerlich abgerundet. Das zweite Motiv desselben wird von den Streichinstrumenten höchst interessant zu einem einheitlichen Satze verwoben. An sich unbedeutend, gewinnt er unser Interesse durch die feinsinnige Weise, mit der Mendelssohn es harmonisch mannigfaltig gestaltet und die verschiedenen Bearbeitungen unter sich in Beziehung bringt. Das Clavier führt dazu die einfachste Begleitung aus. Als es dann ein verwandtes Motiv aufnimmt, um in reicher Figuration diesen ersten Theil in Es-dur abzuschliessen und wieder den Anfang einzuleiten treten ihm die Streichinstrumente mit dem ersten Motiv in gerader und in Gegenbewegung gegenüber. Ein ähnliches frei contrapunktisches Spiel entwickelt sich im Mittelsatz, natürlich weit reicher und mannigfaltiger. Der erste Theil wird dann, mannigfach im Sinne der ursprünglichen Form verändert, wiederholt. Der Satz gehört in seiner concisen Fassung zu den besten der Gattung. Auch im Adagio ist die thematische Arbeit vorwiegend, weniger im Scherzo, während sie wieder im Finale überwiegt. Hiermit ist zugleich der Geist bezeichnet, welcher in diesen frühesten Arbeiten des genialen Knaben lebt, es ist weder ein origineller, speziell anziehender Inhalt, der sich in ihnen ausspricht – ein solcher ist in diesen Werken kaum noch zu ahnen – noch auch die blosse naive Lust am Schaffen, sondern es ist die höchste Freude an der künstlerischen Gestaltung, durch das Gelingen bis zur kindlichsten Seligkeit gesteigert. Man fühlt, der Knabe will nicht nur Musik machen, er will bilden und formen; er will nicht austönen, was ihn bewegt, sondern das Material, welches er sich bisher angeeignet hat, will er zu künstlichen und echt künstlerischen Formen zusammenfügen. Er spielt nicht nur wie in seinen frühesten Versuchen »den Meister der Töne«, sondern er fühlt sich bereits als solcher. Ausser diesem Zuge ist sonst in diesen ersten Leistungen wenig von dem, was die Geschichte als Mendelssohnisch bezeichnet, zu erkennen. Klar tritt er namentlich im Finale des ersten Quartetts [56] heraus. Sein Inhalt ist reinste Schaffensfreude; es ist voll jener Spielseligkeit, die auch dem Meister seine schönsten Triumphe bereiten sollte. Aus diesem Geiste heraus treiben die einzelnen Motive empor und in diesem Geiste erfolgt ihre Verarbeitung. Die künstlerische Gestaltungskraft der jugendlichen Hand setzt uns in Erstaunen; wir erfreuen uns der Feinheit und Freiheit der Erfindung wie der Ausführung; aber jene beglückende Freude, welche dem Knaben bei der Arbeit aus den Augen lacht und sich dieser ganz unmittelbar aufprägt, verleiht diesen Jugendwerken einen ganz eigenthümlichen Reiz, um so mehr, als gerade dieser Zug die einstige Grösse des Meisters ahnen lässt. Die Kunst ist ihm früh als der hellste und leuchtendste Leitstern im Leben der Völker, wie des Einzelnen erschienen und diese Anschauung beherrscht seine ganze Thätigkeit, seine ausübende nicht minder, wie seine neuschaffende. Die Freude an der künstlerischen Wirksamkeit allein ist vermögend, ihn zu selbst körperlich aufreibender Thätigkeit zu veranlassen, und auch jener, über seine gesammten Schöpfungen allmählich sich ausbreitende leise Zug stiller Wehmuth entspringt derselben Quelle. Auch er, der Glückliche, blieb von dem bittern Ernst des Lebens nicht verschont; auch er musste manches herrliche Stück der Traumwelt, die er sich aufgebaut, an der Welt der Wirklichkeit zerschellen sehen und es musste ihn dies um so schmerzlicher berühren, als im Vaterhause alle Hände und Herzen bemüht waren, seiner Kindheit selige Träume nicht zu zerstören, sondern möglichst zu verwirklichen. Daher erscheint auch jener helle Zug süsser Schaffensfreude nur in denjenigen Werken des Vaterhauses etwas getrübt, in welchem der Knabe mehr äusserlich, durch bestimmtere Vorgänge angeregt zu sein scheint. Wir rechnen dazu schon ein Werk des folgenden Jahres (1823): Sonate für Pianoforte und Violine (F-moll), als Op. 4 gedruckt, welche er neben dem bekannten zweiten Quartett (Op. 2) und mehreren kirchlichen Sachen schrieb.

Man braucht nicht anzunehmen, dass dem Knaben hier schon bestimmte Bilder vorschwebten, an denen er seine Phantasie zu entzünden und zu formen versuchte. Noch ist jene [57] schwelgerische Lust am Schaffen, welche das erste Quartett fast ausschliesslich erzeugte und durchdringt, auch in den Werken dieses Jahres vorwiegend, aber neben ihr gewinnt doch schon das bewusste Streben, es den besten Meistern gleichzuthun, immer entscheidendere Bedeutung. Hierauf deutet auch das Recitativ hin, mit welchem die Sonate (Op. 4) beginnt, wie die Cadenzen im Adagio und im Schlusssatz. Derartige aussergewöhnliche Formbildungen lassen bei unsern Meistern auf ein ganz spezielles Erfassen der Idee der Form schliessen, wie es selbst bei einem so genialen Knaben wohl kaum vorauszusetzen ist. Diesem imponirt nur die Besondersgestaltung der Form, weshalb er sie nachzubilden trachtet. Auch in der weitern Anordnung und Ausführung lehnt er sich hier mehr an seine Vorbilder, namentlich Beethoven an, als früher und auch später. Besonders in den Allegro-Sätzen der Sonate wirkt schon das Bestreben: die Themen und Motive mehr charakteristisch zu erfinden und zu gestalten, zersetzend auf die ursprüngliche Geschlossenheit der Form. Der Knabe begnügt sich nicht mehr damit allein, der ursprünglichen allgemeinen Idee der Form im Kunstwerk Gestalt zu geben; er möchte diese zugleich mehr individuell erfassen. Schon will er nicht nur bilden und formen, sondern zugleich einen, wenn auch vielleicht noch nicht lebendig erkannten, doch gefühlten Inhalt offenbaren. Dieser aber ist freilich noch nicht stark genug, um eine wirkliche Neugestaltung der Form herbeizuführen; daher erscheint letztere nur loser und freier gefasst, nicht in derselben Vollendung, wie im vorigen Werk. Es ist dies kein Rückschritt, den der Knabe macht, vielmehr eine nothwendige Consequenz seines Bildungsganges. Dieser führte ihm zuerst alle Mittel der formellen Darstellung zu, und als dann die Individualität des jungen Genius hervorbrach, musste ganz nothwendig die Formvollendung beeinträchtigt werden. Diese Eigenthümlichkeit des Entwickelungsganges Mendelssohn's tritt noch entschiedener in dem zweiten Quartett hervor. Hier unterscheiden sich diejenigen Partien, in welchen er nur zu gestalten und zu bilden versucht, wie in den Mittelsätzen des Anfangs- und Schlussallegro, im Adagio und [58] Intermezzo merklich von jenen, in denen er nach einem mehr charakteristischen Ausdruck ringt, wie in den eigentlichen Hauptsätzen des ganzen Werkes. Erstere sind sicher und fest zusammengefügt; sie verrathen durch nichts die Knabenhand, welche sie schuf; während die letzteren in ihrer mehr losen und lockern Fassung recht wohl an dieselbe erinnern. Ganz besonders gilt dies von dem Adagio, dessen Hauptsatz, mehr liedmässig, an Franz Schubert anschliessend gehalten, schon ziemlich erkennbar Mendelssohn's Individualität zeigt. Aber erst im weitern Verlauf erhebt sich auch dieser Satz durch die contrapunktische Verarbeitung, wie durch die harmonische Ausstattung und die klangvolle instrumentale Darstellung zu der Bedeutung der andern Sätze. Auch dadurch, dass Mendelssohn diesem Adagio nicht ein Scherzo, sondern ein Intermezzo folgen lässt, verräth er, wie er bemüht ist, von dem Herkömmlichen, soweit es eben nur als solches erscheint und nicht dem Organismus angehört, sich zu befreien. In diesem Intermezzo erkennen wir auch schon jenen Drang, mit welchem er uns später in die luftige, von Elfen und Kobolden bewegte romantische Märchenwelt einführt. Eine meisterliche und dabei originelle Art der Behandlung der Motive zeigt endlich der Schlusssatz. Das erste Motiv ist ziemlich genau dem Schlusssatz der Beethovenschen C-moll-Sonate (Op. 10, Nr. 1) entlehnt; indessen wird es von Mendelssohn in so abweichender Weise verarbeitet, dass es dadurch zu seinem eigensten Besitzthum wird.

Eine durchgreifendere Vermittelung beider Elemente, jenes bis zur Meisterschaft ausgebildeten Formengeschicks mit den frühesten Regungen der selbständigen Individualität, zeigt das dritte Quartett (H-moll, Op. 3), das im folgenden Jahre (1824), neben der Ouvertüre für Harmoniemusik, dem Sextett für Piano, Violine, 2 Bratschen, Cello und Contrabass (als Op. 110 gedruckt) dem ersten Akt der Oper: »Die Hochzeit des Gamacho« (Op. 10) und den beiden Motetten »Ich bin durch der Hoffnung Band« und »Jesus meine Zuversicht«, entstand. Während in den früheren Werken der junge Genius noch von der Form beherrscht wird, so zwar, dass er sich nur in [59] der Meisterschaft der Technik, oder aber in der Lockerung der Form verräth, gewinnt er jetzt die Herrschaft über sie. Im ersten und im letzten Satze des erwähnten Quartetts macht er die alte Form schon zum Träger seiner Individualität, in den beiden mittleren Sätzen, dem Andante und Scherzo, wird er selbst neugestaltend. Die Thematik des ersten und des letzten Satzes, wie die spezielle Verarbeitung, erinnern immer noch sehr an die Vorbilder, weniger schon an die strenge Schule des genialen Jüngers der Kunst; neben Beethoven, an dessen A-dur-Sinfonie beispielsweise das zweite Motiv des ersten Satzes ziemlich bestimmt erinnert, wird Webers Weise der Einführung eines brillanten und äusserst klangvollen Figurenwerks, welche in jenen Jahren namentlich in Berlin begünstigt wurde, einflussreich. Allein der jugendliche Künstler Mendelssohn fügte diese Mittel einer mehr individuellen Kunstgestaltung nur jenen, mehr allgemeinen zu, die ihm Schule und Unterweisung zugeführt hatten, um sie dann in eigener Weise zu verarbeiten. Weber's Spiel- und Klangfülle sättigt er mit einer an Bach genährten Harmonik und die gewaltige Thematik Beethovens verhüllt er mit dem Schleier der romantischen Unendlichkeit, der ja auch der Meister Mendelssohn seine bedeutendsten Kunstwerke entkeimen liess. Ueber beide Sätze ist wieder jene Schaffensfreude ausgebreitet, welche das erste Quartett durchzieht, und sie erscheint hier noch mehr bewusst und erhöht in dem beseligenden Gefühl, dass er, der geniale Knabe, nicht mehr gezwungen ist, nur den verehrten und geliebten Meistern bildend nachzugehen, sondern dass sich ihm schon neue Bahnen für eine Neugestaltung des Kunstwerks eröffnen, die er in den beiden Mittelsätzen schon rüstig zu verfolgen beginnt. Das Andante erwächst auf dem Boden der neuen Richtung. Es ist weder im Stil des Hymnus, wie die meisten Andante's oder Adagio's von Beethoven und Mozart, noch in dem des variirten Couplets, wie die von Joseph Haydn, sondern im Liedstil, der die ganze Musikentwickelung, namentlich seit der Neugestaltung durch Schubert vollständig zu beherrschen beginnt, geschrieben. Wir konnten bereits erwähnen, dass der eine Lehrer Mendelssohn's: Ludwig Berger, [60] einer der hervorragendsten jener Berliner Künstler war, welche auch dem deutschen Liede sich zu eifriger Pflege zuwandten; sein Einfluss auf Mendelssohn ist unverkennbar, wie wir bei der Betrachtung der Lieder dieser Periode nachweisen werden. Allein auch ohne diesen musste, durch die neue Richtung bedingt, das Adagio in dieser Weise umgestaltet werden. Die neue Phase der Kunstentwickelung, welche dem Kunstwerk eine mehr individuelle Bedeutung gab, musste auch nothwendig dem Adagio des ältern Kunstwerks eine mehr liedmässige Fassung geben. Daher steht auch das erwähnte Andante Mendelssohn's dem alten Adagio immer noch näher als dem modernen Liede. Dies scheint sich viel mehr aus jenem abzulösen, während das spätere Andante direct aus dem Liede hervorgeht, so zwar, dass es eine eigene neue Gattung erzeugt, das »Lied ohne Worte«.

Weniger noch, als die Pflege des älteren Adagio ist die Weiterentwickelung des Scherzo im Sinne Beethovens in der ganzen, durch ihn bezeichneten Phase der Musikentwickelung begründet. Aus dem Menuett hervorgegangen, hatte Beethoven es in eine höhere Sphäre der Kunstgestaltung erhoben. Seine Rhythmik verlässt allmählich die engen Pas' des Menuett; sie stürmt in geflügeltem Schritt einher und ordnet sich in so weiten Maassen, wie sie das Menuett nimmer hatte. Dem entsprechend erweitern sich auch die harmonischen und melodischen Mittel, sodass jetzt diese Form zu einem Gefäss wird, in dem nicht nur die bunte Lust des Lebens, sondern der ganze Humor desselben in überwältigender Weise entfaltet ist. Diesen Weg weiter zu verfolgen, erscheint nach solchem Vorgange zwecklos oder doch gefährlich; die nächste Entwickelungsphase, mit der wir uns beschäftigen, fasste diese ganze Richtung wiederum mehr individuell zugespitzt. Sie verlegte den ganzen Gestaltungsprozess mehr nach innen und so wurde aus dem wilden, feurigen Reigen bedeutender Mächte ein mehr nur erregtes, wunderbar belebtes Spiel der Phantasie. Nach dieser Richtung nun fand jene Schaffensfreude unseres jugendlichen Meisters der Töne ein weites Feld der Bethätigung. Seine Phantasie erscheint noch nicht von Kobolden und Elfen bevölkert, aber schon herrscht in [61] ihr eine ungewöhnliche Geschäftigkeit, ein unendlich reich bewegtes Leben. Das sehen wir am dritten Satze des H-moll-Quartetts, in welchem es zum ersten Mal in dieser Weise künstlerisch Gestalt gewinnt, und zwar in einer eigentümlichen, durch den Inhalt bedingten Form. In ihren Grundzügen ist die alte Form des Scherzo natürlich noch festgehalten, aber sie erscheint wesentlich anders gefasst, weder so scharf in ihren Umrissen, noch so mannigfaltig in ihren einzelnen Partien, aber nicht minder reich ausgestattet und organisch entwickelt. Sie entfaltet sich im lebendigsten Wechselspiel der einzelnen Instrumente, so dass sie uns ein reiches Stück bewegten Lebens der Phantasie darlegt. Einen specifischen Charakter scheint dies noch nicht zu tragen; aber aus dem Mittelsatz erkennen wir schon den Boden, dem die duftigen Märchen vom »Sommernachtstraum«, »der schönen Melusine« und den »Hebriden« entspringen sollten.

Wie bewusst auch Mendelssohn hier schon von dem Gebiet der musikalischen Darstellung, auf welchem er seine höchsten Erfolge erreichen und Werke von monumentaler Bedeutung schaffen sollte, Besitz ergriffen zu haben scheint, so schrieb er doch noch eine Reihe von Werken, die ausserhalb desselben liegen, oder nur den Weg zu den höchsten Erzeugnissen der sogenannten musikalischen Romantik bezeichnen. Zu jenen gehört die erste Sinfonie (Op. 11), ebenso die Ouvertüre für Härmoniemusik (Op. 24), welche, wie wahrscheinlich auch die Sinfonie, im Jahre 1824 entstand. Beide stehen noch ganz auf dem Boden der alten Richtung, welche erst in dem genialen Octett (Op. 20) aus dem Jahre 1825 im sonnenhellen Licht der Mendelssohn'schen Individualität erscheint. Unmittelbar der neuen Richtung angehörig und jenes erste bedeutende Werk derselben vorbereitend, erscheinen dagegen mehrere Nummern aus der Oper »Die Hochzeit des Gamacho«, welche 1824 und 25 entstand, wie das Capriccio (Op. 5) aus demselben Jahre, das Quintett (Op. 18) aus dem Jahre 1826, wie endlich namentlich die Sonate (Op. 6), die er in der ersten Hälfte des Jahres 1827 componirte, die Charakterstücke (Op. 7) und mehrere Lieder aus Op. 8 und 9, die wahrscheinlich alle um dieselbe Zeit entstanden. Das Rondo [62] capricciosö möchten wir für einen unmittelbaren Nachklang der Sommernachtstraum-Ouvertüre halten, wenn es diese nicht vielleicht auch noch mit vorbereiten half.

Die erste Sinfonie Mendelssohn's gehört zu den Werken, welche am wenigsten von dem specifischen Gepräge seiner Individualität erkennen lassen. Sie ist unstreitig noch vollendeter in der Form, als die Quartette, aber auch bei weitem unselbständiger als diese. Zwar schliesst sie sich augenscheinlich mehr an jenen ältern Meister, mit welchem Mendelssohn die meiste Verwandtschaft offenbart, an Mozart an, aber daneben wird doch auch das Bestreben sichtbar, an Tiefe auch Beethoven, den grössern Meister der Sinfonie, zu erreichen, und hierdurch wird die eigene Individualität zurückgedrängt. Im ersten Satze erinnert eigentlich nur die Zähigkeit, mit welcher das eine Motiv:


Drittes Kapitel

festgehalten wird, an die Schaffensfreudigkeit des, seiner grossen contrapunktischen Tüchtigkeit und seines Formgeschickes sich bewussten Knaben. Das Andante con moto ist ganz in der süssen, herzgewinnenden Weise Mozarts gehalten und auch das Menuett erinnert mehr an ihn, als an Mendelssohn's andere Vorbilder. Es erscheint hier nur erweitert. Die äusserst knappe Form der Ménuetten von Mozart gewährte der rastlos geschäftigen Hand des Kunstjüngers nicht den genügenden Spielraum und so erweitert er sie ganz bedeutsam. Nur die langgehaltenen Accorde der Blasinstrumente und der einfachste Contrapunkt der Streichinstrumente im Trio lassen vermuthen, dass dem Knaben wieder eine Ahnung jener wunderbaren Märchenwelt aufging, die er später entschleiert in seinen besten Werken vorführen sollte. Jener süsse Klang, der das Trio einzig und allein entstehen [63] lässt, beherrscht das ganze spätere Kunstwerk dieser Richtung. Der Schlusssatz der Sinfonie ist wiederum ganz in der Weise Mozarts gehalten, nur mehr behaglich, mit der ganzen Lust am Tonspiel die Form erweiternd, während Mozart gern rasch und schlagfertig seine Finale's zu Ende führt. Dasselbe gilt von der Ouvertüre, welche Mendelssohn für die Dobberaner Bademusik schrieb und später erst für vollständige grosse Militärmusik einrichtete. Sie trägt allerdings sehr das Gepräge einer Gelegenheitsmusik; allein neben jenem beseligenden Schaffenstrieb, der auch hier dem Knaben die Hand führt, lassen sich einzelne, echt Mendelssohn'sche Züge, wie nachstehende erkennen:


Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Solche vereinzelte Züge zeigen weder das Sextett, noch das Octett, aber über beide ist der volle Zauber der Individualität ihres Schöpfers gegossen. Hier ist weder ein Anlehnen an Vorbilder, noch auch ein bewusstes Streben nach einem, von neuem Inhalt erfüllten Kunstwerk bemerkbar. Nur die hellste, keuscheste [64] und reinste Freude, die künstlerisches Schaffen gewährt, und das beglückende Bewusstsein des völligen Gelingens und der schon oft erprobten Kraft liessen dies Werk erstehen. Namentlich das Octett strahlt in so frischem Zauber jugendlicher Lust, wie wenige Werke nicht nur Mendelssohn's, sondern auch anderer grosser Meister. Die Wahl der Instrumente schon lässt diesen Grundzug des ganzen Werkes erkennen. Die Streichinstrumente sind überhaupt die schall- und tonreichsten des ganzen Orchesters, und in so grosser Anzahl (4 Violinen, 2 Violen und 2 Celli) aufgeboten, vermögen sie natürlich ihre gesamten Vorzüge zu entfalten. Wohl sättigen die hinzutretenden Blasinstrumente den Klang der Streichinstrumente zu grösserer, intensiver Wirkung, und sie führen dem Orchester eine Menge neuer Klangfarben zu. Aber sie waren hier dem jungen Künstler entschieden zu tonarm. Er brauchte, um seine ganze frische Freude auszutönen, weitschallende, im prächtigsten Figurenwerk aufgelöste Stimmen, und diese boten ihm nur die Streichinstrumente, und nicht in der gewöhnlichen Zusammensetzung von nur vier, sondern von acht Instrumenten. Erst als diese Stimmung eine specifische Richtung nimmt, als sie sich in der Sommernachtstraum-Ouverture an einem bestimmten Object concentrirt, zieht er auch die Blas-und Schlaginstrumente mit hinzu, und die besondere Weise, wie er dies thut, giebt zugleich einen neuen Beweis dafür, wie früh er seine eigentliche Aufgabe und die rechten Mittel für ihre Lösung echt künstlerisch erfasste. Lebendig polyphon geführt, vereinigen sich im Octett sämmtliche Instrumente zu einem äusserst bewegten und frisch dahinströmenden Wechselspiel. Selbst das Andante lässt jenen wehmütigen, fast sentimentalen Zug, der sich schon einschleichen möchte, nirgend zur Geltung kommen. Auch hier ist alles bewegt und belebt, thematisch entwickelt und mit dem reichsten Figurenwerk ausgestattet. Eine spezielle Analyse beider Sätze, die hier natürlich nicht Zweck sein kann, würde nachweisen müssen, wie aus einem ausserordentlich einfachen thematischen Material eine unverdrossene, von edelster Individualität und einer echt adeligen Gesinnung geleitete Künstlerhand das anziehendste Meisterwerk zu schaffen [65] verstand. Eine spezielle Idee, welche sie nachzubilden trachtete, vermögen wir nicht zu erkennen, wohl aber, wie bereits erwähnt, die uralte ewige Idee der schönen Form, im Lichte der harmonisch durchbildeten, vom reinsten Seelenadel verklärten Individualität Mendelssohn's. Im Scherzo gewinnt diese dann schon jenes mehr spezifische Gepräge, das wir bereits etwas näher bezeichneten, aus welchem die erwähnten Tonmärchen stammen. Aber immer noch ist es vorwiegend nur der eigenthümliche Ton, der hier anklingt, jedoch noch nicht zu festen Figuren verdichtet ist. Das Scherzo stammt schon aus jener phantastisch construirten Welt, aber diese erscheint noch nicht erfüllt mit jenem leichten Völkchen neckischer Gestalten, die der reife Meister lebendig werden liess im luftigen Reich der Töne; daher gewinnt auch hier noch die reine, objectlose Schaffenslust vorwiegend Ausdruck, wie dann im Schlusssatz, welcher sich wieder auf dem Boden der ersten beiden Sätze bewegt1. In dem Entwickelungsgange von diesem mehr absichts-und objectlosen Formen und Bilden bis zu jenen Schöpfungen, in welchen der Meister ganz bestimmten und bewusst erfassten Idealen künstlerischen Ausdruck giebt, bilden offenbar die Vocalwerke, vor allem die Opern, die er schrieb, wesentlich fördernde Elemente. Diese führten ihn direct auf concrete Verhältnisse und Vorgänge, denen er einen bedeutsamen Antheil an der musikalischen Erfindung gewähren musste, und die einflussreich auf die Besondersgestaltung der, in der Phantasie erzeugten Tonbilder werden mussten. Namentlich in diesem Sinne wird die erwähnte Oper »Die Hochzeit des Gamacho« ausserordentlich bedeutungsvoll für die ganze Entwickelung unseres Meisters.

[66] Der Stoff der Oper ist Cervantes »Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote von La-Mancha« entlehnt. Der Ritter von der traurigen Gestalt trifft auf seinen abenteuerlichen Zügen mit Studenten zusammen, welche ihn bewegen, einer Hochzeit beizuwohnen, die von besonderem Interesse zu werden verspricht. Die schönste Braut im ganzen Lande, Quiteria, soll sich mit dem jungen und reichen Gamacho verheirathen, den sie nicht liebt. Sie ist mit einem jungen armen Schäfer, Basilio, aufgewachsen der in allen Künsten des Leibes wohl erfahren ist und herrliche Naturgaben besitzt; ihm nur gehört ihr Herz. Der aber ist dem Vater zu arm, weshalb er die Tochter mit dem reichen Gamacho verlobt und dem armen Basilio jeden weiteren Verkehr in seinem Hause untersagt. Am Hochzeitsfest weiss dieser sich indess mit List in den Besitz der Braut zu setzen. Er ersticht sich anscheinend Angesichts des Brautpaars und der Hochzeitsgäste, und dem Sterbenden wird, weil er sonst die Sterbesacramente zu nehmen verweigert, die Braut angetraut. Nachdem dies aber geschehen, wird er plötzlich gesund; er hatte den Degen nicht in seine Brust, sondern in eine mit Blut gefüllte Scheide gestossen und war so der Gatte der geliebten Quiteria geworden. Den über diesen Betrug in die hellste Wuth gerathenden Gamacho, wie seine Vettern beschwichtigt zumeist der edle Löwenritter Don Quixote, indem er für das bedrängte Paar muthig in die Schranken reitet. Die eigentliche dramatische Bedeutung des Stoffes ist auch dadurch nicht grösser geworden, dass der Libretto-Dichter noch ein anderes Liebespaar, den Poeten Vivaldo und seine Lucinde, welche sich an der Intrigue gegen Gamacho betheiligen, mit hineinzieht und dass er schon auf die, erst in einem der nächsten Kapitel von Cervantes erzählten Abenteuer in der Montesinoshöhle Bezug nimmt. Nur für den Componisten wurden diese Erweiterungen bedeutungsvoll, indem sie einige ganz reizende Tonstücke veranlassten.

Die Bedeutung der Oper an sich, wie innerhalb der ganzen Entwickelung Mendelssohn's, wird uns am klarsten werden wenn wir die einzelnen Nummern einer wenigstens flüchtigen Betrachtung unterziehen.

[67] Die ziemlich weit ausgeführte Ouverture (in E- dur), welche die Oper eröffnet, ist vorwiegend unter dem Einfluss der Weberschen Instrumentalmusik entstanden. Nicht nur das glänzende Colorit, sondern die Anordnung des Ganzen, wie einzelne Wendungen deuten darauf hin. Mendelssohn fasst das fahrende Ritterthum, welches Cervantes in seinem Roman persiflirt, mit dem ganzen Adel seiner Anschauung auf, und so wurde er unwillkürlich auf jenes helle, schimmernde Colorit, in welchem die Instrumentalwerke Webers strahlen, geführt. Wie dieser, setzte er ferner die Ouverture in directe Beziehung mit der Oper, indem er auf einzelne dramatische Momente derselben Bezug nimmt. Die Ouverture lehnt sich vorwiegend an das Ballet des zweiten Acts, in welchem der Sieg der Liebe dargestellt wird, und die Melodie aus dem daran schliessenden Chor zu den Worten: »Liebe, Liebe ist allmächtig; Liebe siegt in jedem Streit« bildet in Verbindung mit dem Tanzmotiv, in welchem die Einmischung des Löwenritters von der traurigen Gestalt angekündigt zu sein scheint, das zweite Hauptmotiv der Ouvertüre:


Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

[68] Das grössere Formengeschick, das schon der Knabe Mendelssohn vor Weber voraus hatte, bewahrte ihn bei alledem vor der mehr potpourriartigen Anordnung und Verwendung der einzelnen Motive, die den Orchesterstyl des älteren Meisters weniger organisch entwickelt als stückweis zusammengesetzt erscheinen lassen. Mendelssohn hatte früh den Organismus der Form erfasst, daher verletzt er ihn auch hier nicht, wo er, scheinbar aneinander reihend, nicht nur einzelne, verschiedenen Situationen angehörige Motive zu Hauptpartien verarbeitet, sondern sogar zu einem einzigen verknüpft.

Unter den übrigen Nummern ragen alle diejenigen hervor, in welchen sich ein bedeutenderer Gefühlsinhalt offenbart, oder die eine bedeutsamere Situation charakterisiren.

Die erste Nummer, das Duett zwischen Quiteria und Basilio: »Beglücktes Jugendleben, von Liebe geschmückt«, in welchem beide der vergangenen schönen Tage gedenken und mit Bangen in die Zukunft schauen, ist ganz angenehm aber äusserst anspruchslos gehalten, ebenso wie im weitern Verlauf das Duett (Nr. 3, G-dur): »So kehrst Du wieder, Geliebter, mir treu« zwischen Lucinde und Vivaldo und des letzteren Lied (Nr. 4, E-dur) »Nur frischer Muth und klares Blut«, die conventionell in der hergebrachten Weise mit Geschmack, aber ohne irgend welche hervorragenden Züge gearbeitet sind. Nr. 5 hingegen, das Terzett zwischen Carrasco, Quiteria und Basilio, ist äusserst charakteristisch und dramatisch wahr gehalten. Der ergrimmte Vater der Braut (Carrasco), der die beiden Liebenden (Quiteria und Basilio) überrascht, ist diesen beiden gegenüber ganz vortrefflich gezeichnet, und auch sie werden jetzt von dem Componisten viel schärfer individualisirt, als in dem ersten Duett, wodurch dieses Terzett überaus wirksam wird, indem es uns nicht nur mitten in die Situation hinein versetzt, sondern uns auch schon die Hauptträger des Ganzen in bestimmten Umrissen vorführt. Der Character Carrasco's verliert sich allerdings im weitern Verlauf etwas ins Possenhafte, so dass er sich dann wenig von Sancho unterscheidet, den der junge Meister ganz geschickt dem irrenden Ritter Don Quixote gegenüberzustellen wusste. Diese [69] beiden Charactere sind neben Quiteria, seltsam genug, überhaupt am Bestimmtesten festgehalten, und die Ensemblesätze, in welchen sie eingeführt werden, sind die am meisten dramatischen.

Schon die Arie Carrasco's (mit Chor): »Bei Liebeln und Grübeln« wirkt nur komisch durch den Parlando-Gesang und entbehrt der Feinheiten, denen wir später bei einzelnen Nummern Sancho's und seines Herrn begegnen. Der folgende Ensemblesatz: »Lasst mich, lasst mich noch einmal begrüssen« ist wieder mehr dramatisch belebt, namentlich von dem. Moment an, als Sancho zu den verzagenden Liebenden (Quiteria und Basilio) und den Tröstenden hinzutritt. Auch er sucht die komische Wirkung im Parlando-Gesange, aber mit einer gewählteren Harmonik und feiner ausgeführten Begleitung. Von drastischer Wirkung ist dann der Chor der Vettern des Gamacho, welchem letzern Vivaldo einzureden verstanden hat, dass Carrasco seine Tochter an Basilio versprochen habe, weil dieser durch Hexenkünste in der Montesinoshöhle einen Schatz gehoben hätte, und der nun im Verein mit seinen Vettern den »alten Mammonsknecht« zur Rechenschaft ziehen will. Aehnlich ist ein anderer Chor der Vettern Carrasco's gehalten, die wiederum Basilio suchen, um ihn womöglich todt zu schlagen, weil sie der Meinung sind, er habe Quiteria entführt. Nachdem diese in einer Arie (Nr. 9, F-moll), die nicht nur der beste Satz in der Oper sein dürfte, sondern überhaupt den besten Arien, die je geschrieben wurden, beizuzählen ist, die ganze Schwere ihres Leidens ausgeklagt hat, ist sie, von Angst über das Schicksal ihres Basilio erfüllt, nach dem Walde geeilt, um ihn zu suchen. Dort treffen auch die Chöre der Vettern auf einander, und ist das aus diesem Zusammentreffen der Hauptpersonen hervorgehende Finale des ersten Acts dramatisch wirksam gehalten. Von der charakteristischen Weise, in welcher Mendelssohn einzelne Momente zu ergreifen versteht, möge nur die Behandlung des Wortes »wackeln« im Chor der Vettern Zeugniss geben:


Drittes Kapitel

[70] Das Finale beginnt mit einem Arioso Quiterias, das, innig und warm empfunden, namentlich durch die gewählte Begleitung und die feinsinnige Ausführung im Orchester sehr interessirt. Darauf erscheint Basilio, in dessen Plan es nicht liegt, von Quiteria gesehen zu werden, weshalb er, nachdem er sie eine Zeit lang belauscht, sich entfernt. Die einleitenden Accorde der Blechinstrumente der Ouvertüre verkünden das Auftreten des fahrenden Ritters Don Quixote, der in Quiteria seine Dulcinea von Tobosa zu erkennen vermeint und in dem drohenden Basilio den Riesen von Montesino. Der Löwe nritter fordert den Basilio sofort zum Kampf, dieser jedoch geht darauf natürlich nicht [71] ein, nachdem Quiteria davon geeilt ist. Diese ganze Scene, an der sich auch Sancho betheiligt, ist dem Componisten vortrefflich gelungen. Die komische Grandezza, wie der prahlerische Muth des Ritters von der traurigen Gestalt werden neben den tölpelhaften Spässen Sancho's eben so fein musikalisch characterisirt, wie die Zuversicht Basilio's auf das Gelingen seiner List. Belebter wird die Scene darauf, als auch die beiden Chöre der Vettern hinzukommen, von denen selbstverständlich der Löwenritter wiederum Rechenschaft fordert über das, was sie im Walde zur Nachtzeit zu thun haben. Nachdem solche gegeben worden ist, stimmt Vivaldo hinter der Scene sein »Im Walde da lacht der Mond durch die Nacht« an, aus dem sich ein Chor, ganz m Sinne und Geiste Carl Maria von Webers gehalten, entwickelt. Mit Vivaldo und Lucinde erscheint nun auch Quiteria, wodurch Vater und Bräutigam, wie deren Vettern beruhigt werden. Da tönt in dem Chor, der zum Lobe der irrenden Ritterschaft angestimmt worden ist, die Stimme Basilio's hinein mit seinem »Wehe, Gamacho«, mit welchem er seine List einleitet. Er gebietet: die Braut nicht zu berühren, bis sie »ja« am Altar gesprochen, weil derjenige, welcher es thue, ihm ins Schattenreich nachfolgen müsse. Gamacho geräth in grosse Angst, und Don Quixote ist sofort entschlossen, darüber zu wachen, dass man dem vermeintlichen Geiste gehorche. Der arme Bräutigam enteilt mit den Vettern unter Furcht und Zittern, während Lucinde und Vivaldo, die in den Plan eingeweiht sind, ein fröhliches Gelingen hoffen, Sancho sich aber nach dem Essen sehnt, und der edle Ritter Don Quixote wiederholt gelobt, zu wachen: dass des Geistes Wille vollbracht werde. Alle diese verschiedenen Empfindungen sind geschickt ausgedrückt und zu einem wirksamen Ensemble vereinigt.

Der zweite Act beginnt mit einem Chor der Köche und Köchinnen, der wieder etwas interessanter durch das Auftreten Sancho's wird. Dieser wendet sein: »Hat meine Nase mich nicht betrogen« immer nach »Es«-dur, während der Chor in G-dur steht. Das folgende, sehr bedeutungsvolle Lied Sancho's: »Von allen Schöpfungen auf der Welt« wird namentlich durch die [72] Instrumentation hervorstechend. Die erste Strophe ist nur vom Streichquartett begleitet; zur zweiten treten dann Fagotte; zur dritten Oboen, Flöten und Hörner hinzu u.s.w. und in die letzte stimmt auch der Chor mit ein. Der nachfolgende Chor: »Richtend mag das Spiel entscheiden« leitet zu einem Ballet hinüber, das eigentlich den Gipfelpunkt der Oper bildet und vom Componisten mit grosser Vorliebe behandelt wird. Es ist eine Pantomime, und der Componist folgt der Andeutung derselben mit grosser Gewissenhaftigkeit. Er wählte die nationalen Tanzformen des Bolero und Fandango, die er beide auch instrumental characteristisch zu fassen versuchte, wie schon der Anfang des Bolero beweist:


Drittes Kapitel

Wie wir bereits erwähnten, wird der Sieg der Liebe dargestellt; die Pantomime folgt ziemlich treu den Angaben des Cervantes. Die Musik begleitet eng anschliessend an die verschiedenen darstellenden Momente. Das folgende Terzett (Nr. 21 der Original-Partitur) ist gleichfalls äusserst feinsinnig, namentlich in seinem Anfange, ausgeführt. In die schmerzliche Klage Quiterias: »Jugendträume, Hoffnungsträume! Warum so bald verglüht?« klingt das erste Duett des ersten Actes wieder hinein. Die anschliessende leidenschaftliche Arie erinnert wieder stark an Webers Weise der vocalen Behandlung. Ein reizender Brautchor leitet dann die Katastrophe ein, die ohne Musikbegleitung erfolgt. Im Schlussfinale werden alle streitenden Parteien versöhnt. Basilio bleibt im Besitz der durch List erworbenen Quiteria und der Ritter Don Quixote darf sich wieder neuer Heldenthaten rühmen.

[73] Der Erfolg der Oper war, wie erwähnt, nicht der eigentlichen Bedeutung des Werkes entsprechend. Zum Theil mag dies der Text verschuldet haben, da er zu wenig dramatisch Interessantes bietet; allein auch die Musik vermochte nur die anzuregen, welche die grosse Meisterschaft des Knaben zu erkennen im Stande waren und die zugleich in den Experimenten mit fremdem Material die schaffende Hand des Genius wirksam sahen. Die Zahl derer aber war natürlich nur klein. Von um so grösserer Bedeutung wurde die Oper dagegen für die Entwickelung des Componisten selber, der hier der Nöthigung folgen, und, bewusst wohl zum ersten Mal, sich äussern Umständen bei der Erfindung und Ausarbeitung seiner Tonstücke unterordnen musste. Namentlich in der Balletmusik und dementsprechend in der Ouverture arbeitet er unter dem Einfluss ganz bestimmter und bewusster Ideen. Ganz anders als selbst in den Vocalcompositionen, musste er hier an die Begriffswelt anknüpfen; er durfte nicht mehr, wie noch im Octett, blos mit Tönen und Klängen operiren; er musste auch in der Musik das Anbrechen der Nacht im ersten, oder das Aufleuchten des Morgenrothes im zweiten Act andeuten, mit einem Wort Localtöne in seine Musik aufnehmen. Wie solche äussere Andeutungen auch durch die Characterzeichnung geboten werden, ist gleichfalls klar. Mit jener naiven Lust am Schaffen verbindet sich jetzt das bewusste Streben, bestimmte Zwecke zu erreichen, bestimmten Ideen im Kunstwerk Form und Klang zu geben.

Das erste bedeutendere Produkt dieser neuen Phase der Entwickelung, in welchem diese Verbindung instrumental zur Erscheinung kommt, ist die, als Op. 6 gedruckte Sonate für Pianoforte, die der unmittelbare Vorläufer der Ouverture zum Sommernachtstraum gewesen zu sein scheint.

Das Capriccio in Fis-moll (als Op. 5 gedruckt) gehört gleichfalls schon dieser neuen Phase an. Es erscheint als die natürliche Fortsetzung des Scherzo aus dem H-moll-Quartett. Noch vermögen wir keine bestimmten Gestalten zu erkennen, aber der Reigen ertönt schon, mit welchem sie der jugendliche Meister bald einführte. Die eigenthümliche Richtung, die er [74] damit dem Scherzo gab, ist in diesem Capriccio ganz unverkennbar vorgezeichnet. Zugleich ist hier schon die neue Technik derselben vollständig gewonnen. Wenn es in der Instrumentalmusik bisher vor allem nothwendig war, in Contrasten zu wirken, so erfordert diese neue Richtung mehr eine thematisch mannigfache, möglichst reich ausgeführte Entwickelung. Diese pflegte der Knabe schon mit dem emsigsten Fleiss; in dem Fis-moll-Capriccio entfaltet er sie bereits mit grosser Meisterschaft. Aus einem einzigen Thema gewinnt er in einem grossen Reichthum von Figuren die erste Form zur Darstellung jenes phantastischen Lebens, dessen vortrefflicher Bildner er werden sollte. Ein ganz bedeutsames Stück desselben gewinnt dann schon in der erwähnten Sonate für Pianoforte (E-dur) künstlerische Darstellung.

Die ursprüngliche Idee der Form, die noch die ersten drei Quartette für Piano und Streichinstrumente, die Sonate Op. 4 und die erste Sinfonie beherrscht, erscheint hier schon bedeutsam modificirt durch einen speciellen Inhalt, der sich die Form nicht eigentlich dienstbar zu machen vermochte, sie aber auch nicht umgestaltet, sondern nur lockert und ihre festen Umrisse verhüllt. Weit bestimmter als in jener Sonate Op. 4 weisen hier die weit ausgeführten reeitativischen Gebilde auf einen speciellen Inhalt, auf eine bestimmte Idee, unter deren Einfluss der jugendliche Meister arbeitet, und schon der erste Satz verräth uns, dass es jene verschleierte, aber äusserst belebte Traumwelt ist, aus welcher das ganze Werk stammt. Eigentlich Gegensätzliches ist auch in dem ersten Satz nicht zu finden. Er ist, ganz entsprechend der Richtung, aus welcher er hervorgeht, mehr liedmässig gehalten; nur die Anordnung zu grösseren Partien, nicht wie beim Liede zu strophischen Abschnitten, erfolgt im Sinne der ältern Form, ebenso wie die abweichende Behandlung derselben. Wer über den eigenthümlichen Boden, welchem diese Sonate entsprossen ist, noch im Zweifel sein könnte, den verweisen wir auf den Schluss des ersten Theils vom ersten Satze, der am Ende des letzteren wiederkehrt und auch in den dritten Satz aufgenommen wird:


Drittes Kapitel

[75] Doch erscheint dieser ganze Satz mehr als Exposition zu dem duftigen Märchen, welches uns der junge Tonsetzer darstellen will; er soll uns mehr über den Boden orientiren, auf dem es spielt, als von dem eigentlichen Vorgänge viel verrathen. Der nächste Satz: Tempo di Menuetto führt uns schon die handelnden Personen vor die neckischen Geister, die heute noch in der ehrbaren Menuett uns umgaukeln, um uns desto sicherer zu umstricken. Es ist jedenfalls characteristisch, dass der jugendliche Meister hier nicht die Form wählt, die er im Capriccio so recht eigentlich für den Reigen der luftigen Geister geschaffen hat,[76] sondern eine Form, welche direct an die reale Welt erinnert. Er deutet hiermit ganz bestimmt darauf hin, dass er in die luftige Welt des Traumes, der Elfen und der Kobolde ein Stück wirklichen Lebens, vielleicht gar seines eigenen Herzens verlegte, dass die reale Welt ganz bedeutsam in die geträumte hineinragt. Mit dem Adagio e senza Tempo gewinnt der Vorgang, der zu Tonbildern verdichtet wird, spezifisches Gepräge. Es ist ein solang ausgesponnenes Instrumental-Recitativ, wie es wol noch kein Meister vorher geschrieben hat. Recitativische Gebilde in Instrumentalwerken sind nicht selten; wir erinnern an Beethovens neunte Sinfonie, die wenige Jahre (1822 und 23) vorher entstand. Diesen gegenüber ist das erwähnte Recitativ in Mendelssohn's Sonate noch dadurch ganz besonders bemerkenswerth, dass es vierstimmig, und zwar Anfangs in einem ziemlich strengen Canon gehalten ist; wo es dann ein bestimmtes Zeitmaass an nimmt, wird es nur thematisch entwickelt und leitet in einer ganz frei recitativisch gehaltenen Figur in ein kurzes Andante über, dem jene, bereits von uns theilweise mitgetheilte eigenthümliche Schlussformel und dann das Recitativ in der Engführung und freier canonisch zusammengefügt folgen. An das, in derselben Weise wie früher eingeleitete kurze Andante (jetzt in B-dur) schliesst sich wieder die mehrmals erwähnte Schlussformel an, jetzt weiter ausgeführt und mit ganz entschiedenen Anklängen an den ersten Satz. Eine Ueberleitung führt direct in den Schlusssatz (Molto allegro e vivace in E-dur), in welchem schon die »Sommernachtstraumstimmung« mit ihrer Pracht, der hellen Gluth ihrer Farben, wie der grossen Belebtheit ihrer Bilder und Figuren dargestellt erscheint. In der Ouverture zum »Sommernachtstraum« ist sie nur bestimmter gefasst, ohne die Umschweife der Sonate, und gewinnt darum ungleich überzeugendere, wirklich plastisch anschauliche künstlerische Gestalt. Die Exposition, den ersten Satz, wie die Menuett und das dialogisierende Recitativ ersetzt der jugendliche Meister in der Ouverture durch wenige Accorde. So luftig und leicht, wie die Einleitungs-Accorde der Ouverture zum Sommernachtstraum, sind wol noch nie Accorde verbunden, noch nie instrumental dargestellt worden. Sie führen uns sofort ein in das [77] luftige, aus Duft und Mondenschein gewobene Reich der Phantasie, in welchem Elfen und Kobolde ihren Reigen, ihr neckisches Spiel mit den Sterblichen beginnen.

Den besten Kommentar zu dieser Ouverture hat Mendelssohn selbst geschrieben in der im Jahre 1843 vollendeten Musik zu Shakespeare's Drama gleichen Namens. Hier hat er uns klar dargelegt, welche Bilder des Sommernachtstraumes an seiner Seele vorüberzogen und dort die entsprechenden Motive erzeugten. Nr. 12 der Partitur dieser Musik bestätigt, was eigentlich keiner Bestätigung bedarf, dass uns die Anfangs-Accorde, von den Blasinstrumenten ausgeführt, in das luftige Reich Oberons und der Titania führen, und dass das sich unmittelbar anschliessende Geigenmotiv in seiner äusserst pikanten Verarbeitung dem Gesang und Tanz der Elfen:


Bei des Feuers mattem Flimmern

Geister, Elfen stellt euch ein!

Tanzet in den bunten Zimmern

Manchen leichten Ringelreihn!


abgelauscht ist. Selbst der, den gruppenbildenden Stillstand des Tanzes bezeichnende Accord:


Drittes Kapitel

(Tact 39 der Partitur) fehlt nicht.

Das nächste Motiv (Tact 62) weist dann der Meister dem Segensspruch, mit welchem Oberon das Hochzeitshaus der verlobten Paare weiht, zu, und in Verbindung mit jenem andern, mit welchem er Theseus und die Jäger einführt:


Drittes Kapitel

[78] bildet es einen prächtigen Gegensatz zu jenem luftigen Spiel der Elfen, das indess bald wieder die ganze Arbeit zu beherrschen beginnt, nachdem auch noch der Tanz der Rüpel (Nr. 11 der Partitur) Aufnahme gefunden hat. Ganz directen Bezug auf den Scherz, welchen die Elfen mit Zettel und seinen Genossen treiben, nimmt endlich noch der Bassgang im Fagott, Horn und in der Bassclarinette, der täppisch in das luftige Spiel der Elfen hineingreift.

Dies ist das, durch ganz bestimmte Vorgänge in der Phantasie des Tondichters erzeugte Material, aus welchem er unter dem fortdauernden Einfluss jener Vorgänge und mit der ihm eigenen, von uns längst erkannten Meisterschaft der thematischen Verarbeitung das reich und mannigfach belebte Bild des Sommernachtstraums gestaltet. In diesem Werke erst hat die Lust am Bilden und Formen, die vorwiegend das gesamte Kunstschaffen des jungen Künstlers beherrschte, eines bestimmten Darstellungsobjekts sich bemächtigt. Jene Richtung, welche das Scherzo der ältern Meister zum Capriccio umgestaltet, die reale Welt ihrer endlichen Grenzen entledigt und sie in das unbegrenzte, unendliche Reich der Phantasie versetzt, in eine Märchenwelt verwandelt, ist vollkommen in einem vollendeten Kunstwerk in die Erscheinung getreten.

Es ist dies indess nur eine Seite der neuen Richtung. Diese ging nicht einzig darauf hinaus, neue, bisher verborgene Schätze der Phantasie zu heben und der staunenden Welt in ihrem schimmernden, farbenstrahlenden Glanze vorzuführen, sondern sie versuchte auch dem menschlichen Empfinden neue und tiefere Laute zu entlocken, es in seinen feinern Regungen zu erfassen und auszutönen, mehr als es bisher geschehen war. Auch nach dieser Seite sehen wir unsern jugendlichen Meister unablässig thätig; er schreibt nicht nur fleissig Kirchenmusik, sondern [79] er beginnt auch schon an der Zeitigung des Liederfrühlings, der mit unter seinen Händen dem deutschen Volke aufs neue erblühen sollte, selbstthätig sich zu betheiligen.

Wie erwähnt, gehörten seine Lehrer Ludwig Berger und Carl Friedrich Zelter zu jenen Berliner Meistern, welche dem lange, fast ein Jahrhundert von den Tonkünstlern vernachlässigten deutschen Liede von Neuem eine sorgfältige Pflege widmeten. Nachdem Goethe wieder in der deutschen Dichtung den rechten Ton und die rechte Form für den Erguss der individuellen Empfindung gefunden hatte, wandten sich auch die deutschen Tondichter mit Eifer zum deutschen Liede zurück, neben Joh. Friedr. Reichardt auch der langjährige Freund Goethe's – Zelter. Wie Reichardt hatte auch er dem Volksliede mancherlei abgelernt, was sein eigenes Lied durchzieht und was für das Goethe'sche Lied, welches ebenfalls an das alte Volkslied anknüpfte, entsprechendes Ausdrucksmittel wurde.

Wir konnten bereits erwähnen, wie namentlich das Lied von Zelter dadurch Bedeutung gewinnt, dass Wortaccent und Volksliedweise sich gegenseitig durchdringen; dass die Melodie innig und doch characteristisch und leicht fasslich dem Text sich anschmiegt und die Bedeutung einer wirklichen Interpretation gewinnt. Die Volksliedweise lässt die Grundstimmung mehr allgemein ausklingen und erst in der Aufnahme der Sprachaccente erlangt sie grössere Bestimmtheit des Ausdrucks. Dem entsprechend wird auch die Clavierbegleitung bei Zelter bedeutsamer als bei Reichardt. Dieser ist nur bestrebt, die harmonische Grundlage der Melodie claviermässig darzustellen, während Zelter mehr bedacht ist, durch characteristische, aus der Stimmung heraus entsprungene Motive jene Interpretation zu unterstützen. Diesen Bestrebungen, das Lied tiefer zu erfassen, schloss sich auch Ludwig Berger an, und er ist zugleich bemüht, ihm jene süsse itnd weiche Klangfarbe zu vermitteln, die so recht geeignet ist, zum Ausdruck der erregten Innerlichkeit verwendet zu werden. Wenn ihm dies auch nicht so vortrefflich gelingt, wie dem ziemlich gleichzeitig thätigen Wiener Meister des Liedes Franz Schubert, so sind doch einzelne der Lieder, namentlich aus Berger's [80] Cyklus: »Die schöne Müllerin« bedeutsame Erzeugnisse des neuen Liederfrühlings, und sie waren recht wohl geeignet, die eigenthümlich rasche Entwickelung Mendelssohns auch nach dieser Seite fördern zu helfen. Eins haben freilich die Lieder dieses Kunstjüngers vor denen des ältern Meisters schon voraus: eine feinere und freiere Harmonik, aus der die Melodien auch breiter und sang- und klangreicher emportreiben. Hier erweist sich der Einfluss Schubert's, dessen Lieder seit dem Beginne des dritten Decenniums auch in Norddeutschland allmälig Verbreitung fanden, wie der Beethoven's, dessen »Liederkreis an die ferne Geliebte« namentlich anregend für den jungen Künstler wurde, weit mehr fördernd als bei Berger. Der romantische Zug, der in seinen erwähnten instrumentalen Werken ziemlich plötzlich zum Durchbruch kommt, machte auch die vocale süsse Melodik in ihm frei, die seine reifern Lieder bald zu Lieblingen nicht nur der Nation, sondern der ganzen civilisirten Welt machte. Einzelne Lieder dieser Periode schrieb Mendelssohn unzweifelhaft für bestimmte Sänger oder Sängerinnen, deren Individualität und Kunstfertigkeit er entschieden berücksichtigte, und wenn wir endlich noch erwähnen, dass er jetzt schon bemüht war, seinen eigenen, bis zu einem gewissen Grade entwickelten Instrumentalstil dem Liede dienstbar zu machen, so kann es nicht Wunder nehmen, dass er die seiner Individualität entsprechende Form hier nicht so früh fand, wie auf instrumentalem Gebiet. Die Lieder dieser Periode erscheinen mit wenig Ausnahmen noch stillos einfacher, wie die gleichzeitigen andern Werke. Das erste der unter Op. 8 veröffentlichten Lieder: »Minnelied im Mai« ist zart und ganz aus der Stimmung herausgesungen, aber unverkennbar in der Weise Bergers.2 In Nr. 4. Erntelied: »Es ist ein Schnitter« wie in Nr. 5. »Pilgerspruch« werden schon einzelne mehr individuelle Züge, namentlich in der Harmonik bemerkbar. Das »Frühlingslied« in schwäbischer Mundart (Nr. 6), ursprünglich mit Begleitung von Flöte, Clarinette, 2 Hörnern [81] und Violoncell gesetzt, ist augenscheinlich eine Gelegenheitsmusik für bestimmte Persönlichkeiten componiert. Wie immer versucht der junge Künstler die Stimmung auch hier zu erfassen, zugleich aber auch in ihrem Detail darzustellen; das gelingt ihm hier nur mit grossen Umschweifen, nicht in der präzisen Form des Liedes, und da er auch jene scenische Erweiterung, welche das Lied bei Beethoven erfährt, wie in mehreren der frühern Lieder Schubert's, nicht sicher zu ergreifen vermochte, so bietet er hier ganz interessante Einzelheiten, aber nicht in der formellen Festigung, die er früh schon im Instrumentalsatz bekundete. Dasselbe gilt von dem »Mailied« (Nr. 8), wie von der Romanze Nr. 10, während das »Mailied« (Nr. 7) und das »Abendlied« (Nr. 9) wieder ganz im Stile Berger's gehalten sind. Die Individualität Mendelssohn's spricht sich nur in einem Liede unverkennbar aus, in No. 11 (Op. 8) »Im Grünen«, aus welchem schon die ganze Stimmung des, unter dem Namen »Jagdlied« bekannten »Liedes ohne Worte« (Op. 19, Nr. 3) herausklingt. Die künstlerisch bedeutsamsten Lieder bringt erst das unter Op. 9 veröffentlichte Werk; es sind dies die Romanze: »Sie trug einen Falken auf ihrer Hand«, die zu dem Vortrefflichsten gehört, was in dieser Gattung geschrieben ist, und den eigenthümlichen Romanzenton so sicher trifft, wie nur wenige derartige Musikstücke; ferner das Herbstlied: »Ach wie schnell die Tage fliehen« (Nr. 9) und »Scheiden« (Nr. 6). Namentlich das Herbstlied ist von vollendeter Schönheit; die süsseste Melancholie hat hier in der knappsten Form so vollständig erschöpfend Ausdruck gewonnen, wie nur in den reifsten Werken des Meisters, während in dem andern erwähnten Liede jene verklärte, selige Ruhe ausgebreitet ist, die wiederum mehrere der reifsten Werke zu monumentalen erhob. Von den übrigen Liedern wäre nur noch: »Entsagung« jenen an die Seite zu stellen.

Obwol, wie oben schon angedeutet, Mendelssohn seine höchsten und ewig mustergültigen Schöpfungen auf instrumentalem Gebiet hervorbringen sollte, so wurden doch auch diese vocalen von unberechenbarem Erfolge für seine gesamte Entwickelung. Die alten Meister der Instrumentalmusik: Haydn und [82] Beethoven konnten das Vocale vernachlässigen, ohne in der Erfüllung ihrer eigenen Mission gehemmt zu werden. Die Meister der neuen Richtung bedurften desselben nicht nur deshalb, weil eben ein Theil ihrer Mission auf dem Gebiet des Vocalen lag, sondern auch deshalb, weil, wie später noch nachzuweisen ist, sie auch instrumental an das Lied anknüpfen mussten, wenn sie nicht in ein nur geistvolles, nicht auch gestaltenreiches Tonspiel sich verlieren wollten. Auch Mendelssohn's: »Sommernachtstraum-Ouverture« würde uns nicht so vollständig erfassen und gefangen nehmen, wenn sie nur jenem neckischen Spiel folgte, und nicht auch in den süssen, aus der Liedstimmung direct hervorgehenden Ritornellen, mit denen die einzelnen Partien verbunden sind, unser Herz und Gemüth zu erregen verstände, wie es die eigenthümliche Natur des Darstellungsobjects bedingt. Hierauf namentlich beruht der tiefgreifende Unterschied, der zwischen der Weise Schubert's und Mendelssohn's bei aller Verwandtschaft dennoch besteht. Schubert machte den instrumentalen Ausdruck wol dem vocalen dienstbar, nicht jedoch auch umgekehrt. Seine Lieder überragen die Instrumentalwerke an Tiefe und Innigkeit der Empfindung so sehr, dass es nicht immer leicht ist, den gemeinsamen Boden beider zu erkennen. Auch in seinen selbständigen Instrumentalwerken gewinnen die Instrumente eigentlich keine andere Bedeutung, als in seinen vocalen. Hier wird die Instrumentalbegleitung hinzugezogen, um das, was im Gesange bereits fassbare Gestalt gewonnen hat, zu erläutern und reicher auszustatten; der im gesungenen Liede ausströmende Gefühlsinhalt wird instrumental vertieft und erweitert. In den selbständigen Instrumentalformen versäumt Schubert nun meist, jenen fehlenden vocalen Ausdruck auch instrumental zu ersetzen; er paraphrasiert und interpretiert ihn sofort, und wie prächtig und in wie blendenden Farben und mannigfachen Formen das auch geschieht, das so entstandene Kunstwerk vermag meist nur unsere Phantasie zu erregen, nicht auch Herz und Gemüth, nicht den gesamten Menschen zu ergreifen. Indem Mendelssohn in seiner Phantasie jene Märchenwelt aufbaut und sie zugleich mit seinem Herzen erfasst, wird er über jenes [83] schwelgerische Spiel mit Instrumentalklängen zu wirklich gefestigten Bildern geführt, die er mit der Innigkeit seines Liedes beseelt. In wie üppiger Farbenpracht auch manche seiner Instrumentalwerke strahlen, wie hinreissend launig und geschäftig sich seine Scherzi entfalten, dennoch geht durch alle jener seelische Zug, der die farbenschimmernde Märchenwelt uns erst menschlich näher treten lässt. Wie als letzte und höchste Consequenz dieser Richtung das »Lied ohne Worte« entkeimen musste, ist später nachzuweisen. In den Werken der nächsten beiden Jahre (1827 und 1828) wirkt sie wieder mehr die überlieferten Formen zersetzend, als wirklich neu gestaltend. In dem A-moll-Quartett (Op. 13. 1827) wie in dem Es-dur-Quartett (Op. 12. 1828) sind die Formen technisch weit loser gefasst, als in den ersten Quartetten. In jenem bildet das Lied: »Ist es wahr?« in diesem die Canzonetta den Schwerpunkt, und die andern Sätze erscheinen mehr wie im Sinne der Form unternommene Variationen der in jenen Liedsätzen gipfelnden Stimmungen. Andere Werke: die als Op. 81 gedruckte Fuge für Streichquartett und die in dem Sammelwerk: »Notre temps« erschienene E-moll-Fuge für Pianoforte, wie die Cantaten über Choralmelodien, welche im Jahre 1828 entstanden, hatten wol auch für ihn nur den Werth der Studien. Erst in den Variationen für Pianoforte und Violoncell (D-dur, Op. 17) gelangt wieder der Geist der neuen Richtung in eigenthümlicher Form ungetrübt zur Erscheinung. Vor allem in jener zweiten der Concert-Ouverturen, durch welche er dem instrumentalen Gebiete neue Wege bahnte: »Meeresstille und glückliche Fahrt«, die in demselben Jahre entstand, aber erst später als Opus 27 veröffentlicht wurde. An die beiden Gedichte gleichen Namens von Goethe anknüpfend, schuf Mendelssohn in dieser Ouverture ein nicht minder gestaltenreiches Bild, als in der zum »Sommernachtstraum«, in nur etwas veränderter Weise. Mit dieser war er dem grössten britischen Dichter in das Reich der Romantik, in das phantastische Märchenland der Elfen und Kobolde gefolgt, und wie herzlichen Antheil er auch an dem lustigen Treiben nimmt, das dort herrscht, und wie sehr er auch bemüht ist, es mit dem ganzen Zauber seiner Individualität zu beseelen, [84] es bleibt immer doch eine, ihm und uns ursprünglich fremde Welt, in die wir geführt werden. Die Ouverture »Meeresstille und glück liche Fahrt« wird nur durch rein persönliches Empfinden erzeugt. Mit dem Dichter versenkt sich der Componist in die Anschauung der ihn umgebenden Welt, aber nur, um wie jener zu einer abgerundeten und bedeutsamen, der Erzeugung eines Tonbildes fähigen Stimmung zu gelangen. Zwar gehen einzelne, besonders hervortretende Momente der äussern Begebenheit in mehr oder weniger realistischer Malerei in das Tonbild über, aber nur als einzelne Züge desselben. Selbst das »Säuseln der Winde«, obgleich es noch eine, dem Ton nächst verwandte Naturerscheinung ist, lässt sich nicht musikalisch darstellen; noch weniger das »Zerreissen der Nebel«, das »Aufziehen der Segel« oder »der helle Himmel«. Sie vermögen nur in der Phantasie des Tondichters Tonbilder zu erzeugen, durch die jene Vorgänge um so treuer wiedergegeben werden, je näher sie selbst dem Ton verwandt sind, je heller die Naturlaute in ihnen erklingen. So konnte das »Säuseln der Winde« oder die wirksame Weise (in den Streichinstrumenten am Anfange des Allegro vivace), mit welcher Aeolus das »ängstliche Band« (der verminderte Septimenaccord in den Blasinstrumenten am Schluss des Adagio und Anfange des Allegro) löset, eine entsprechendere musikalische Darstellung erzeugen, als jene Anschauung von dem Aufziehen der Segel u.s.w. Indem der Tondichter alle diese Anschauungen einzeln ausgeführt einheitlich, verbindet, hat er natürlich mehr gethan, als der nur beschreibende Wortdichter. Der Tondichter befindet sich solchen Aufgaben gegenüber immer noch in derselben Lage, wie bei einem vocal zu gestaltenden Text. Wie bei diesem hält er nicht nur an dem Begriff fest, sondern er geht auf das denselben erzeugende Bild zurück, um dieses in Musik umzusetzen. Mendelssohn greift in dem vorliegenden Falle noch weiter. Er geht auf die ganze, das Gedicht erzeugende Situation ein, und führt sie auch in den einzelnen Zügen aus, welche der Dichter selbst nicht andeutet. Am engsten schliesst sich noch das Adagio an das Gedicht an; über dasselbe ist die Ruhe des Meeres, das nur unter der Oberfläche, in seinen Tiefen ein[85] unheimliches Leben entwickelt, meisterlich wie im Gedicht ausgebreitet. Aber mit dem, natürlich künstlerisch umgestalteten Signal der Schiffspfeife beginnt eine weit regere Schilderung des Lebens auf dem Schiff, neben der oben erwähnten der ganzen Situation, als sie das Gedicht giebt. Es kann nicht Aufgabe sein, diese weiter zu verfolgen, um so weniger als das alles mehr empfunden, als gedacht werden muss, wie denn ja auch unser jugendlicher Meister hier weit mehr empfindet als reflectiert.

Ganz besonders bemerkenswerth ist das Werk namentlich noch dadurch, dass mit ihm die besondere Art, wie er seine Stoffe und Darstellungsobjecte an schaute und musikalisch umgestaltete, jetzt genau bestimmt ist. Auch für seine weltgeschichtlichen Stoffe vermochte er nicht jenen höhern Standpunkt zu gewinnen, der sie in ihrer ganzen objectiven Grösse erscheinen lässt; wie jene Ouverturen glänzen sie in dem hellen Licht seiner reichen und geklärten Individualität.

Fußnoten

1 Seb. Hensel, a.a.O., Seite 154 sagt darüber: »Er versuchte die Stelle aus Faust zu componiren:


›Wolkenflug und Nebelflor

Erhellen sich von oben.

Luft im Laub und Wind im Rohr

Und alles ist zerstoben.‹


›Und es ist wohl gelungen‹, bemerkte die Mutter in ihrer Besprechung des Octetts in Felixen's Biographie.«


2 Nr. 2, 3 und 12 in Op. 8, und 7, 10 und 12 in Op. 9 sind von der Schwester Fanny componiert.

Quelle:
Reissmann, August: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Leben und seine Werke. Leipzig: List & Francke, 1893..
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