121. [an den Vater, Paris, 14. Mai 1778]

[194] 1 Nun habe ich schon so viell zu thun, wie wird es erst auf den Winter gehen? – ich glaube ich habe ihnen schon im lezten brief geschrieben, das der Duc de guines2, dessen tochter meine scolarin in derComposition ist, unvergleichlich die flöte spiellt, und sie magnifique die Harpfe; sie hat sehr viell talent, und genie, besonders ein unvergleichliches gedächtnüß, indemm sie alle ihre stücke, deren sie wircklich 200 kann, auswendig spiellt. sie zweifelt aber starck ob sie auch genie zur Composition hat – besonders wegen gedancken – idéen; – ihr vatter aber der (unter uns gesagt, ein bischen zu sehr in sie verliebt ist) sagt, sie habe ganz gewis idéen; es seye nur blödigkeit – sie habe nur zu wenig vertrauen auf sich selbst. Nun müssen wir sehen. wenn sie keine idéen oder gedancken bekömmt (denn itzt hat sie würcklich gar – keine), so ist es umsonst, denn – ich kann ihr weis gott keine geben. Die intention vom vatter ist, keine grosse Componistin aus ihr zu machen, sie soll, sagte er, keine opern, keine arien, keine Conzerten, keinesinfonien, sondern nur, grosse sonaten für ihr instrument und für meines, schreiben. heüte habe ich ihr die 4te Lection gegeben, und was die Regln der Composition, und das sezen anbelangt, so bin ich so ziem lich mit ihr zufrieden – sie hat mir zu den Ersten Menuett den ich ihr aufgesezt, ganz gut den Bass dazu gemacht. nun fängt sie schon an 3stimmig zu schreiben. es geht; aber sie Ennuiert sich gleich; aber ich kann ihr nicht helfen; ich kann ohnmöglich weiter schreiten. es ist zu fruh, [194] wenn auch wircklich dasgenie da wäre, so aber ist leider keines da – man wird alles mit kunst thun müssen. sie hat gar keine gedancken. es kömmt nichts. ich habe es auf alle mögliche art mit ihr Probirt; unter andern kamm mir auch in sinn, einen ganz simplen Menuett aufzuschreiben, und zu versuchen, ob sie nicht eine variation darüber machen könnte? – ja, das war umsonst – Nun, dachte ich, sie weis halt nicht, wie und was sie anfangen soll – ich fieng also nur den ersten tact an zu variren, und sagte ihr, sie solle so fortfahren, und bey deriddee bleiben – das gieng endlich so ziemmlich. wie das fertig war, so sprach ich zu ihr, sie möchte doch selbst etwas anfangen – nur die erste stimme, eineMelodie – ja, sie besann sich eine ganze viertl stund und es kamm nichts. Da schrieb ich also 4 täcte von einen Menuett und sagte zu ihr – sehen sie, was ich für ein Esel bin; izt fange ich einen Menuett an, und kann nicht einmahl den Ersten theil zu ende bringen – haben sie doch die güte und machen sie ihn aus; da glaubte sie das wäre ohnmöglich; Endlich mit vieller mühe – kam etwas an tage; ich war doch froh, das einmahl etwas kamm. Dann muste sie den Menuett ganz ausmachen – das heist, Nur die Erste stimme. über Haus aber habe ich ihr nichts anders anbefohlen, als meine 4 täcte zu verändern, und von ihr etwas zu machen – einen andern anfang zu erfinden – wens schon die nemliche Harmonie ist, wenn Nur die Melodie anderst ist. Nun werde ich morgen sehen, was es ist. – ich werde Nun bald, glaube ich, die Poesie zu meiner opera en deux acts3, bekommen. dan muß ich sie erst, dem Director Mr de huime4 präsentieren, ob er sie annimt. da ist aber kein zweifel nicht; dann Noverre hat sie angegeben; und dem Noverre hat de huime seine stelle zu dancken. Noverre wird auch bald ein neues Ballet machen, und da werde ich die Musique dazu setzen. Rudolph5 (der waldhornist) ist hier in königlichen diensten, und mein sehr guter freünd. er versteht die Composition aus dem grund, und schreibt schön. Dieser [195] hat mir die organisten stelle angetragen zu versailles, wenn ich sie annehmen will. sie trägt das jahr 2000 livres, da muß ich aber 6 Monath zu versailles leben. die übrigen 6 zuParis, oder wo ich will. ich glaube aber nicht das ich es annehmen werde. ich muß guter freünde rath darüber hören. 2000 livres ist doch kein so grosses geld. in teutscher Münze freylich, aber hier nicht. es macht freylich das jahr 83 louisd'or, und 8 livres, das ist, unsriges geld, 915 fl: und 45 kr:, (das wäre freylich viell) aber hier nur, 333 thaller, und 2 lires – das ist nicht viell. es ist erschröcklich, wie geschwind ein thaller weg ist. ich kan mich gar nicht verwundern, wenn man aus den louisd'or nicht viell hier macht, denn es ist sehr wenig. 4 so thaller, oder eine Louis, welches das nemliche, sind gleich weg. Nun Adieu. leben sie recht wohl. ich küsse ihnen 1000 mahl die Hände, und meine schwester umarme ich vom gantzen herzen und bin dero gehorsamster sohn

Wolfgang Amadé Mozart


an alle gute freund und freundin meine Empfehlung besonders an h: bullinger6.

Fußnoten

1 Zu Anfang ein längerer Brief der Mutter.


2 Früherer Gesandter in London, der bei der KöniginMarie Antoinette besonders viel galt. Seine Tochter heiratete noch im Sommer 1778 Herrn de Chartus (de Castries).


3 S. den Brief vom 5. April.


4 de Vismes, Generaladministrator der Pariser académie royale de musique.


5 J.J. Rodolphe (17301812), ein bedeutender Ballettkomponist der Noverreschen Richtung.


6 Antwort des Vaters: 28. Mai.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 196.
Lizenz:
Kategorien: