122. [an den Vater, Paris, 29. Mai 1778]

[196] 1 Ich befinde mich gott lob und Danck so ganz erträglich; übrigens weis ich aber oft nicht, ist es gehauet oder gestochen – – mir ist weder kalt noch warm – finde an nichts viell freude; was mich aber an meisten aufricht, und guts Muths erhält, ist der gedancke, daß sie, liebster Papa, und meine liebe schwester sich gut befinden – daß ich ein Ehrlicher teutscher bin, – und daß ich, wenn ich schon allzeit nicht reden darf – doch wenigstens dencken darf was ich will. das ist aber auch das einzige. gestern war ich das an mahl bey h: graf v: Sückingen khurf: Pfälzischen gesandten, (denn ich habe schon einmahl mit h: wendling und Raaff dort gespeist) welcher, ich weis nicht ob ich es schon geschrieben habe, ein charmanter herr,Passionirter [196] liebhaber und wahrer kenner der Musique ist. Da habe ich, ganz allein bey ihm, 8 stundn zugebracht. da waren wir vormittag und nachmittag bis 10 uhr abends immer beym clavier; allerley Musique durchgemacht – belobet, bewundert, Recensirt, raisonirt und criticirt. er hat so beyläufig gegen 30spartiti von opern.

Nun muß ich ihnen sagen, daß ich die Ehre gehabt habe, ihr violin schule2 französisch übersezt zu sehen. ich glaube es sind schon wenigstens 8 jahre daß es übersezt ist. ich war just in den Musick-laden, um ein œuvre sonaten v. chobert3 für eine scolarin zu kaufen. ich werde aber nächstens hingehen, und es besser betrachten, um ihnen ausführlicher davon schreiben zu können. die zeit war mir neulich zu kurz. Nun leben sie recht wohl. ich küsse ihnen 1000 mahl die hände, und meine schwester umarme ich von ganzen herzen. mes Complimens à tous mes amis, particulierement à Mr Bullinger.

W.A. Mozart4

Fußnoten

1 Zu Anfang ein längerer Brief der Mutter.


2 Die französische Ausgabe der 1756 veröffentlichten Schule erschien 1770.


3 Schobert.


4 Auf dem Umschlag des Briefes steht von Leopolds Hand: den 7ten abends empf. geantwortet den 11ten Junii. – Antwort des Vaters: 11. Juni.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 197.
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