90.

[111] Mon trés cher Pére!


wir haben die letzten 2 briefe, den vom 29:ten october und den vom 6:ten Nov:bre richtig erhalten. Nun mus ich auf alles genau antworten. ich habe dem brief, in welchen steht daß ich mich erkundigen soll, um die letlrn dlo blcul1, erst in Mannheim bekommen, folglich zu spätt um dieses ins werk zu stelln; denn selbst wäre es mir gar nicht eingefallen dieses zu thun, weil mir in der that gar nichts daran liegt. Nun, will der Papa wissen, wie ich von ihm bin empfangen worden? – – recht gut, und sehr höflich. er fragte wo ich hin gienge, ich sagte, glaublicherweise nach Paris. er rathete mir dann vielles, indem er sagte, er seye auch erst dort gewesen. mit lection geben werden sie sich viell machen, denn das Clavier wird in Paris sehr hochgeschäzt. er machte gleich anstalt daß man mich zur officier taffl nahm. er machte daß ich mit den fürsten sprechen konnte. es war ihm sehr leid daß er just halswehe hatte, (welches aber wircklich wahr war) und nicht selbst ausgehen könnte, um mir unterhaltung zu verschaffen. es war ihm auch leid daß er mir zu ehren keine Musick machen lassen könnte, weil die meisten diesen tag eben aus recreation zu fuß bis was weis ich, gereiset sind. ich muste auf [111] sein ersuchen sein clavicord versuchen, welches sehr gut ist. er sagte oft Bravo. ich Phantasirte und spiellte die sonata ex B und D. mit einem wort, er war sehr höflich, und ich höflich aber ganz serieux. wir wurden von unterschiedlichen sachen zu reden, unterandern von wieñ, daß nemlich der kayser kein grosser liebhaber von der Musick seye, er sagte, das ist wahr, ein kenner ist er vom Saz, sonst weiter nichts. ich weis mich noch zu errinern, (hier rieb er sich die stirne) daß wie ich vor ihm spielten muste, so wuste ich gar nicht was ich spielten sollte, so fieng ich denn anfuguen zu spielten, und dergleichen kindereyen, wo ich heimlich selbst darüber lachte. – – ich habe geglaubt ich kann mich nicht halten und muß ihm sagen: mein herr, ich gebe ihnen zu daß sie darüber gelacht haben, aber schwerlich so sehr, wie ich gelacht haben würde, wenn ich sie gehört hätte. weiters sagte er, (wie es auch wahr ist), daß beym kaiser im Cabinet musick gemacht wird, daß die hunde darvonlaufen möchten. da sagte ich halt, daß ich allzeit, wenn ich mich nicht bald aus dem staub mache, bey dergleichen Musicken kopfweh bekomme. O nein, das macht mir gar nichts. eine schlechte Musick greift meine Nerven nicht an; aber eine schöne; da kann ich kopfweh bekommen. Da dachte ich mir wieder. ja, ein seichter kopf wie du bekommt freylich gleich schmerzen, wenn er etwas hört welches er nicht begreifen kann. Nun etwas von hier. gestern habe ich mit Canabich zum h: intendant graf savioli gehen müssen, um mein Präsent abzuholen. war so wie ich mir es eingebildet habe. nichts in geld. eine schöne goldene uhr. mir wären aber iezt 10 Carolin lieber gewesen, als die uhr, welche man mit ketten und Devisen auf 20 Carolin schäzet. auf der Reis braucht man geld. Nun habe ich mit dero erlaubniss 5 uhren. ich habe auch kräftig im sinn mir an jeder hofen noch ein uhrläscht machen zu lassen, und wenn ich zu einem grossen herrn komme, beyde uhrn zu tragen (wie es ohnehin ieztMode ist) damit nur keinem mehr einfällt mir eine uhr zu verehren. Ich sehe aus des Papa schreiben, daß sie des Voglers buch2 nicht gelesen [112] haben. ich habe es iezt gelesen, denn ich habe es von Canabich entliehen. Nun seine histori ganz kurz. er kamm Miserable her; Producirte sich auf dem Clavier. machte einenBallett. mañ hatte mitleiden. der Churfürst schickte ihn in italien. als der Churfürst nach Bologna kam, fragte er den P. valoti wegen den Vogler: O altezza. questo è un grand uomo! Etcc. er fragte auch den P. martini. Altezza; é buono; ma à poco à poco. quando sarà un poco più vecchio, più sodo. si farà, si farà. ma bisogna che si Cangi molto. als der vogler zurück kamm. wurde er geistlich und gleich Hofkaplan. Producirte ein Miserere, welches, wie mir alles sagt, nicht zu hören ist. dann es geht alles falsch. er hörte daß man es nicht viell lobte. er gieng also zum Churf. und beklagte sich daß das orchestre ihm zu fleis und zu troz schlecht spiellte; mit einem wort, er wuste es halt so gut herum zu drehen (spiellte auch so kleine ihm nuzbare schlechtigkeiten mit weibern) daß er vice-kapellmeister geworden. er ist ein Narr, der sich einbildet, daß nichts besseres und vollkommeneres seye als er. das ganze orchestre von oben bis unten mag ihn nicht. er hat dem Holzbauer viell verdruß gemacht. sein buch dienet mehr zum Rechnen-lernen, als zum Componiren lehrnen. er sagt, er macht in 3 wochen einen Compositeur, und in 6 Monath einen sänger. man hat es aber noch nicht gesehen. er veracht die grösten Meister. mir selbst hat er den bach3 verachtet. Bach hat hier zwei opern geschrieben, wofon die erste besser gefallen als die 2te. Die 2te war lucio silla; weil ich nun die nehmliche zu Mayland geschrieben habe,4 so wollte ich sie sehen. ich wuste vom holzbauer daß sie vogler hat. ich begehrte sie von ihm. vom herzen gern, Morgen werde ich sie ihnen gleich schicken. sie werden aber nicht viell gescheutes sehen. etliche täg darauf, als er mich sah, sagte er zu mir ganz spöttisch. Nu, haben sie was schöns gesehen, haben sie was daraus gelernt? – – eine aria ist gar schön – – wie heist der text, fragte er einen der neben ihm stund – – was für ein aria?

[113] – – Nu, die abscheuliche aria vom Bach, die Sauerey – – ja, Pupille amate. Die hat er gewis in Puntsch rausch geschrieben. ich habe geglaubt, ich müste ihn beym schopf nehmen; ich that aber als wen ich es nicht gehört hätte, sagte nichts und gieng weg. er hat beym Churfürsten auch schon ausgedient. Nun ist die sonata für die Madselle Rose Cannabich auch schon fertig. vergangenen Sonntag spiellte ich aus Spass die orgl in der kapelle. ich kamm unter denKyrie. spiellte das End davon; und nachdem der Priester das gloria angestimmet, machte ich eine Cadenz. weil sie aber gar so verschieden von den hier so gewöhnlichen war, so gugte alles um, und besonders gleich der holzbauer. er sagte zu mir: wen ich das gewust hätte, so hätte ich eine andere Messe aufgelegt. ja, sagte ich, damit sie mich angesezt hätten! – – Der alte toeschi5 und wendling stunden immer neben mir. die leute hatten genug zu lachen. es stund dan und wan Pizzicato. Da gab ich allzeit den tasten bazln. ich war in meinem besten Humor. anstatt den benedictus muß man hier allzeit spiellen. ich nahm also den gedancken vom sanctus, und führte ihn fugirt aus. Da stunden sie alle da, und machten gesichter. auf die lezt nach dem ita missa est, spiellte ich einefugue. Das Pedal ist anderst als bey uns; das machte mich anfangs ein wenig irre, aber ich kamm gleich drein. Nun muß ich schliessen. schreib der Papa uns nur immer noch nach Mannheim. es ist sicherer. ich werde schon sorgen das wir die brief richtig bekommen. Die sonaten vom Misliwetceck weis ich wie sie sind. ich hab sie ja zu München gespiellt. sie sind ganz leicht und gut ins gehör. mein Rat wäre, meine schwester, der ich mich unterthänigst empfehle, solle sie mit vieller expression, gusto und feuer spiellen, und auswendig lernen. Denn das sind sonaten welche allen leuten gefallen müssen, leicht auswendig zu lernen sind, und aufsehen machen wenn man sie mit gehöriger Precision spiellt. ich küsse dem Papa die hände und bin der gehors.-sohn

Wolfgang Amadé Mozart6


Mannheim den 13 novb: 1777.

Fußnoten

1 Auflösung der Chiffren: eltern des beche [= Beecké].


2 S. hierzu den Brief des Vaters vom 6. November. Das Buch führt den Titel: »Tonwissenschaft und Tonsetzkunst«, Mannheim 1776.


3 Christian Bach, dessen »Temistocle« (1772) und »Lucio Silla« (1776) in Mannheim aufgeführt wurden.


4 Carneval 1772/73, s. hierzu den Brief vom 5. Dezember 1772.


5 Carlo Giuseppe Toeschi (um 1724–1788), Instrumentalkomponist, seit 1759 Mannheimer Konzertmeister.


6 Folgt eine Nachschrift der Mutter. – Antwort des Vaters: 20. November.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 114.
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