183.

[51] Salzb: den 13 July 1778


Mein liebes Weib, und mein lieber Sohn!


Um Deinen Namenstag, mein liebes Weib, nicht zu verfehlen, schreibe unter heutigem dato, wo der Brief noch sicher einige Täge vorher eintreffen muß. Ich wünsche Dir Million glück, solchen abermals erlebt zu haben, und bitte den allmächtigen Gott, daß er Dich diesen Tag noch vielle Jahre gesund, und, so viel es auf diesem veränderlichen Welttheater möglich, auch vergnügt möge erleben lassen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß Dir zu Deinem wahren vergnügen Dein Mann und Deine Tochter mangelt. Gott wird nach seinem ohnerforschlichen Rathschluß und heiligster Vorsehung alles zu unserm Besten wenden. Hättest Du wohl vor einem Jahre geglaubt, daß Du Deinen kommenden Nahmens Tag in Paris hinbringen würdest? – – So unglaublich es damals manchem geschienen [51] hätte, (obwohl uns eben nicht) – eben so möglich ist es, daß wir mit der Hilfe Gottes, eher als wir es vermuthen, wieder Alle beysamm sind: denn dieses alleine ist, was mir am Herzen liegt, – von euch getrennt zu seyn – von euch entfernt, und so weit entfernt zu leben; sonst sind wir, gott sey gelobt, gesund! Wir beyde küssen Dich und den Wolfgang millionmahl, und bitten euch hauptsächlich für die Erhaltung euerer gesundheit besorgt zu seyn. – Nun hat endlich die Kriegsscene sich eröffnet! Man wird es in Paris schon wissen, daß den 5t dieses der König in Preussen von Glaz aus über Nachod gegenKönigsgraz in Böhmen eingedrungen. gewiß ists, daß der Krieg ausbrechen muste, da beyde Mächte ohne ihrer Ehre zu nahe zu tretten ihre Kriegsheere nicht mehr zurückziehen konnten. Man hat schon seit einigen Wochen von Seiten Österreichs dem König durch Marche und Contremarche da und dort Platz und gelegenheit lassen wollen, einen Einfahl zu unternehmen und den angrief zu machen: allein der König fand nicht vor gut etwas zu unternehmen; nun hat der Kayser bey Nachod ein sehr starkes falsches Magazin anlegen lassen; und dieses hat den König zum Einfall bewogen. Das Magazine war aber falsch und nichts als nur etwas anscheinendes darinn. Mann muste dieses wagen, es mag nun ausfallen, wie es will, indem östereich der angreiffende Theil nicht seyn konnte und nicht seyn wollte, die Croaten aber als vorposten (zu dem sie eigentlich nur zu gebrauchen sind) kaum mehr im zaum zu halten waren; weil diese Leute immer etwas zu erbeuten hoffen und wünschen, auch desswegen gerne zu felde gehen. Die Sächsischen Truppen haben sich mit Preussen vereiniget und es ist vermuthlich war, daß sie zum Corpo des Prinz Heinrichs gestossen, und wahrscheinlicher weise gegen Eger und die obere Pfalz etwas unternehmen werden. Die nächste Post wird wohl nähere Nachricht mitbringen: dieses ist den 11 mit der östereich: Post eingelauffen. Dieser Krieg wird einer der blutigsten Kriege werden, der König wird mit Ruhm sterben und der Kayser sein Kriegs-Leben mit Ruhm anfangen wollen. Dieses vorherstehende schrieb ich gestern den 12t. Heute den 13 vormittags, das ist diesen augenblick [52] vor 10 uhr erhalte Dein betrübtes Schreiben vom 3 July.1 Du kannst Dir leicht vorstellen, wie uns beyden um das Herz ist. Wir weinten zusamm, daß wir kaum den Brief lesen konnten. – und Deine schwester! – grosser Barmherziger gott! Dein allerheiligster Wille geschehe! Mein lieber Sohn! bey aller meiner immer möglichen Ergebung in den göttl: Willen wirst Du es doch ganz menschlich und natürlich finden, daß ich durch thränen fast gehindert werde zu schreiben. was kann ich endlich für einen schluß machen? – Keinen andern als itzt, da dieses schreibe, wird sie vermuthlich Tod – oder sonst muß sie besser seyn, denn Du schreibst den 3t, und heute ist schon der 13te. Du schreibst sie war auf das Aderlassen gut. allein einige täge hernach klagte sie frost und hitze. Euer letzter brief war vom 12t Juny, und da schrieb sie gestern hab ich mir Adergelassen: das war also den 11ten. – und warum denn an einem Samstage – an einem fasttage? – Sie wird wohl fleisch gespeist haben. Sie hat mit dem Aderlassen zu lange gewartet. ich habe es ja erinnert, weil ich sie kenne, daß sie gerne alles von heut auf morgen verschiebt besonders an einem fremden Ort, wo sie sich erst um einen Chyrurgen erkundigen muß. Nun ist einmal die Sache so – und nicht mehr zu ändern. Da ich mein vollkommenes vertrauen in Deine Kindliche Liebe setze, daß Du alle menschenmögliche Sorgfalt für Deine gewiß gute Mutter getragen hast, und, wenn Gott uns sie noch schenket, immer tragen wirst; für Deine gute Mutter, dessen augapfel Du warest, und die Dich ganz ausserordentlich geliebt hat, – die völlig stoltz auf Dich war, und die (ich weiß mehr als Du) gänzlich in Dir gelebt hat. Sollte nun aber alles unser Hoffen vergebens seyn! Sollten wir Sie verloren haben! – grosser gott! So hast Du freundenötig; redliche freunde! sonst kommst Du um Deine Sachen, Begrabniß-unkösten! etc: Mein gott! manche Dir ganz unbekannte unkösten, wo man einem fremden betrügt – übernimmt – hintergehet – in unnötige Kösten bringt und aussaugt, wenn man nicht redliche freunde hat: Du kannst es nicht verstehen. Sollte nun dieses unglück vorgefahlen [53] seyn, so bitte h: Baron v Grimm, daß Du Deiner Mutter sachen alle zu ihm in verwahr bringen därfst, damit Du nicht auf gar so viel Sachen achtung zu geben nothwendig hast: oder versperre alles recht gut, den wenn Du ganze Täge oft nicht zu Hauß bist, kann man ins zimmer brechen und Dich ausrauben. gott gebe, daß alle diese meine vorsorge unnötig ist: an dieser erkennest Du aber Deinen vatter. Mein liebes Weib! mein lieber Sohn! – Da Sie einige Täge nach der Aderlaß unbäßlich geworden, so muß sie sich seit dem 16 oder 17Juny krank befinden. ihr habt doch zu lang gewartet – Sie hat geglaubt es wird durch Ruhe im Bette – durchdiäte, – durch aigene Mittl besser werden, ich weis wie es geht, man host und schiebt von heut auf morgen: allein, mein lieber Wolfg: das Laxiern bey Hitz erfordert augenblicklich einen Medicum um zu wissen, ob man die Hitze benehmen oder noch lassen muß, da die abkühlenden Mittel noch mehr Laxieren machen: und stellt man den Durchlauf zur unrechten Zeit, so geht die Materia peccans in einen Brand. – Gott! Dir sey alles überlassen.

Ich wünsche Dir glück, daß Du mit Deiner Synphonie im Concert spirituel so glücklich durchgekommen. ich stelle mir Deine Angst vor. – Dein Entschluß, wenns nicht gut gegangen wäre, ins Orchester zu lauffen war wohl nur ein erhitzter gedanke. Behüte gott, diese und alle derley Einfälle musst Du Dir aus schlagen; sie sind ohnüberlegt, ein solcher schritt würde Dir das Leben Kosten, und das setzt doch kein vernünftiger Mensch auf eine Synphonie. ein Dergleichen affront – und zwar öffentl: affront würde und müste nicht nur ein franzos sondern ieder andere, der auf Ehre hält, mit dem Degen in der Faust rechen. Ein Italiäner würde schweigen, und Dich in einem Winckl vorbassend Todschiessen. – von München habe gewisse sichere Nachricht, daß graf Seeau als Musique Intendant für München und ManheimConfirmiert seye; daß der Musique Status nach Manheim geschickt worden; daß die beyden Capellen untereinander gestossen, und die bösten ausgewehlt werden; daß h: Woschitka mit anderen Leib Cammerdienern pr: 400 fl in Pension gesetzt worden, welches mich wundert; daß der Dr: Sanftl die Keckheit gehabt [54] 3000 fl für die Cur zu verlangen, und auf dieses von Titl und gehalt gänzlich Caßiert worden; und endlich daß man sich in München Hofnung macht den Churfürsten und die Churfürstin seine gemahlin nebst dem ganzen Hofstatt schon den 10 augusti wieder in München zu sehen. – Ich schrieb meinen glückwunsch am anfange des Briefs, – und die Nannerl wollte mit ihrem glückwünsche denselben schlüssen. allein sie kann (wie Du Dirs leicht vorstellen Kannst) keinen Buchstaben schreiben, die Sache kommt eben itzt, da sie schreiben sollte, – ieder Buchstabe, den sie hinschreiben soll, treibt ihr einen Thränenguß in die augen. vertrette Du, ihr lieber Bruder, ihre Stelle – wenn Du es, wie wir hoffen und wünschen, noch vertretten kannst. Doch nein! Du kannst es nicht mehr – Sie ist dahin! – Du bemühest Dich zu sehr mich zu trösten, das thut man nicht gar so eyferig, wenn man nicht durch den verlurst aller menschlichen Hofnung oder durch den fall selbst dazu ganz natürlich angetrieben wird. Nun gehe ich zum Mittagessen, ich werde aber appetit haben.

Dieses schreibe um halbe 4 uhr Nachmittag. Ich weis nun daß meine Liebe Frau im Himmel ist. Ich schreibe es mit weinenden Augen, aber mit gänzlicher Ergebung in den göttlichen Willen! Da gestern die Kirchweihe bey der hl: Dreyfaltigkeit war, so wurde unser gewöhnl: Pölzelschüssen auf heute verschoben. ich konnte und wollte es wegen dem Betrübten Briefe so spät nicht mehr absagen lassen. wir assen wenig, die Nannerl aber muste, da sie vor Tische stark geweint hatte, sich erbrechen, bekam erstaunlichen Kopfschmerz, und legte sich hinnach ins Bette. h:Bullinger fand uns, wie alle die übrigen uns antrafen in der betrübtesten Situation. ich gab ihm ohne ein Wort zu sagen Deinen Brief zu lesen, und er verstellte sich trefflich und fragte mich was ich davon hielte. ich antwortete ihm, daß ich fest glaubte mein liebes Weib sey schon Todt: er sagte, daß er in der That fast eben dieses vermuthe; und dan sprach er mir Trost ein und sagte mir als ein wahrer freund alles dasjenige, was ich mir bereits schon selbst gesagt hatte. Ich gab mir Mühe mich aufzuraumen, mich bey der Ergebung in den allerheiligsten göttlichen [55] willen zu erhalten, wir endigten unser schüssen, alles gieng betrübt weg, h: Bullinger blieb bey mir, und fragte mich denn unvermerkt, was ich den davon hielte, ob bey diesen überschriebenen Krankheitsumständen noch hofnung ware. ich antwortete ihm, daß ich glaubte sie wäre nicht nur itzt todt, sondern den tag, da Dein Brief geschrieben worden, schon gestorben; daß ich mich in den Willen gottes gebe, und denken müste, daß ich 2 Kinder habe, die mich hoffent: so lieben werden, als wie ich einzig für sie lebe: daß ich es so gewiß glaube, daß ich Dir so gar Erinnerungen, und Besorgnisse wegen der folge x: an Dich geschrieben habe. Auf dieses sagte er mir, ja, sie ist Todt. und in diesem augenblicke fiel mir der schleyer vom gesicht, den mir dieser schnelle zufahl für die augen hielt, der meine Voraussehung verhinderte, da ich sonst geschwind auf die vermuthung verfallen wäre, Du werdest dem h: Bullinger unter der hand das wahre geschrieben haben, so bald ich Deinen Brief laß. Dein Brief hatte mich aber wirklich dumm gemacht – ich war im ersten augenblicke zu sehr nieder geschlagen um etwas nachdenken zu können. itzt weis ich nichts zu schreiben! wegen meiner kannst Du ruhig seyn, ich werde als ein Mann handeln. Denke nach was Du für eine Dich zärtlich liebende Mutter hattest – itzt wirst Du ihre Sorgen erst einsehen – so wie Du bey reifen Jahren nach meinem Todt mich immer mehr lieben wirst. liebst Du mich – wie gar nicht zweifle – so trage Sorg für Deine gesundheit, – an Deinem Leben hängt mein Leben und der künftige unterhalt Deiner ehrlich Dich von herzen liebenden schwester. Daß es unbegreiflich empfindlich ist, wenn der Tod eine gute glückseelige Ehe zerreisst; das muß man erfahren, um es zu wissen. – schreib mir alles umständlich. vielleicht hat man ihr zu wenig bluth gelassen? – – Das gewisseste ist, daß sie sich zu viel auf sich selbst getrauet, und den Doctor zu späth gerufen: unterdessen hat der Brand in intestinis überhand genommen. Sorge für Deine gesundheit! mache uns nicht alle unglücklich! Die Nannerl weis noch nichts von Bullingers Brief, ich habe sie aber schon so zubereitet, daß sie glaubt, daß ihre beste Mutter todt ist. schreibe mir bald – und alles – wann sie [56] begraben worden – wohin? – grosser gott! das grab meines lieben Weibes muß ich in Paris suchen! Wir küssen Dich beyde von Herzen ich muß schlüssen die Post geht fort.

Dein redlicher u höchstbetrübter vatter

Mozart


Sorge das nichts von euern Sachen verlohren wird.

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Brief vom 3. [4.] Juli.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 57.
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