192.

[87] Salzb: den 3ten Sept: 1778


Mein lieber Sohn!


Ich hoffe Du wirst alle meine Briefe richtig erhalten haben. ich schrieb Dir den 3ten aug:den 13aug: den 27ten aug: und endlich einen kleinen Einschluß für Dich an hl: v grimm. – hingegen hab seit Deinem vom 31 July keinen Buchstaben von Dir gesehen. welches mein ohnehin beklemmtes Herz noch mehr in Unruhe [87] setzet. Die zeit war zu kurz, um Dir im letzten kleinen Brief alles deutlich zu erklären, allein wenn Du mit Überlegung alle die vorhergehenden Briefe gelesen hast, so wirst Du einsehen, daß ich nach Deiner aigenen vorschrift Deinem Entzweck näher und uns alle dadurch beruhigen will. Du liebst Paris nicht. – könnte man nun kein Mittl finden Dich weg zu bringen, so müsstest Du nun freilich alda aushalten, Dich mühsam mit Scolaren Plagenherumlauffen bis Du sie bekommst – herumlauffen wenn Du sie hast, und dann Müde und verdrossen von dieser ohnangenehmen Arbeit sich zu Hause zum Componieren setzen, Deine gesundheit in gefahr setzen, täglich nicht nur für geld zum nötigen Unterhalt, sondern für vorgehends geld sorgen, welches man haben muß, um sich wäsche, Kleidungs Stücke und hundert nothwendigkeiten anzuschaffen, auf die man nicht denket, bis man sie nicht haben muß, und auf die Du schon gar nicht vorzudenken gewohnt bist: und muß man nicht vorgehendes geld im Sack haben um im falle einer Krankheit sich versorgen zu können ohne, wie ein Bettler, vom almosen gutherziger menschen abzuhangen? oder, wenn Dir der barmherzige gott auch Deine gesundheit schenket, willst Du immer in Paris so hin von tag zu tage auf gerathe wohl leben? an einem Ort, wo Du nicht gerne bist? ich glaub, das ist Dein letzter gedanke. Wenn Du nun abreisen und Paris verlassen wolltest, – wer würde Dir das Reise geld geben? vielleicht ich? – wer bezahlt dann was Du dermal schuldig bist? wolltest Du es wohl auf die gefahr ankommen lassen, das gewisse, was Du hier haben kannst, ausser acht zu lassen, – das, was Du hier wohlversorgt in Ruhe genüssen, und Deine Sachen in der Nähe betreiben kannst, hindan setzen, um in dem Dir verhassten Paris im schweis des angesichts und täg und nächtlicher Sorge herumzulauffen – Bach versprach Dir von Engelland zu schreiben und Dir vielleicht etwas aufzutreiben. Da würdest Du das nämliche Handwerk, und mit noch mehr gefahr treiben müssen, weil man dort die Leute wegen 3 und 4 guinéen schulden in arrest nimmt. an dieses ist absolute nicht zu gedenken. itzt kann ich noch helfen, – will und [88] muß helfen. Wenn die Sache aber weiter gieng, so würdest Du mich durch die Erwartung Deiner leeren Hofnungen, wozu Du den rechten weg verfehlest, zu grunde richten, mich und Deine schwester zu bettlern machen, ich würde Dir zuhelffen ausser Stand seyn, und Du würdest zu der zeit, da Du mit den erhabensten gedanken Dich unterhältst, unvermerkt in die äusserste Dürftigkeit herabsinken, und es erst alsdann gewahr werden, wenn weder ich, weder Du selbst Dir helfen kanst. Ich muste nun also als Dein Dich von Herzen liebender vatter überlegen, daß, wenn Du den Winter in Paris bleibst oder bleiben must, solches nur aus Noth geschehen muß, wenn man kein anders Mittl ausfindig machen kann. Du must die Sache wegen des Churf: abwarten. In Paris bist Du zu weit entfernt die Sache zu betreiben. Hier zog man immer um mich herum, ohne, daß ich antwort gab. endlich starb Lollj, nun wurde es ernsthafter. man gab mir Hofnung, daß nun meine Umstände auch könnten verbessert werden und ich glaubte dieß wäre der zeitpunkt Dich Deiner absicht näher zu bringen. denn da der Churf: ganze Hof den 15 Sept: in München erwartet wird, so kannst Du bey Deiner Durchreise Deine Freunde, den graf Seau, und vielleicht den Churfürsten selbst sprechen, – Du kannst sagen daß Dich Dein vatter in Salzb: zurück zu sehen gewünschet, da Dir der Fürst einen gehalt von (da liegt man 2 oder 300 f dazu) 7 oder 800 f als Concertmeister ausgeworffen, daß Du aus kindlichem respect gegen Deinen vatter solches angenohmen, obwohl er gewunschen hätte Dich in Churf: Diensten zu sehen, NB aber mehr nicht! Dann kannst Du wünschen eine opera in München zu schreiben. – und dieses letzte muß und kann man von hier aus immer betreiben, und das wird und muß gehen, weil zur deutschen opera Composition die Meistermangeln. schweitzer und Holzbauer werden nicht alle Jahre schreiben, und sollte der Michel eine schreiben, so wird er bald ausgemichelt haben. Sollte es Leute geben, die durch zweifel und solche Possen, es zu hindern trachteten, so hast Duprofessori zu Freunden, die für Dich stehen: und dieser Hof [89] führt auch unterm Jahre zu zeiten etwas auf. – Kurz! Du bist hier in der Nähe: unsere Einkünfte sind so, wie ich Dirs geschrieben habe; – durch Deine hiesige Lebensarth wirst Du an Deinem studieren undSpeculieren nicht gehindert; Du darfst nicht violin spielen bey hofe, sondern hast beym Clavier alle gewalt der Direction, so wie mir die ganze Musik – alle des Fürsten Musikalien, und die Inspection des Capellhauses itzt ist übergeben worden. unsere schulden sind zwar groß, allein sie sind an hiesige Leute, die so ehrlich sind, und mich nicht treiben, und unsere beyden Einkünfte, wie Du aus meinem vorletzten schreiben ersehen, sind alsdann so, das wir alle Jahre ein paar Hundert gulden und noch darüber abzahlen und doch unterhaltlich leben können; wo Du nebenbey Dich immer in München im andenken erhalten kannst. Noch eine Sache must Du nicht ausser acht lassen. Du must die Nähmen und adressen der besten Musikhändler, die etwas kauffen um gravieren zu lassen, mit Dir nehmen, sonderheitl: desjenigen, der Dir Deine Clavier Sonaten abgekauft hat, damit Du mit ihnen Correspondieren kannst. auf diese art wird es eben so viel seyn, als wenn Du in Paris wärest, man kann mit ihnen handeln, so dann die Composition einem Kaufman oder freunde einschicken, der es dem Musikverläger gegen Baare bezahlung ausliefert, und so kannst Du alle Jahre 15 oder 20 Louisd'or von Paris beziehen und Deinen Nahmen aller Orten theils mehr bekannt machen, theils in der gemachten Bekanntschaft erhalten. – frage den hl: B: v. grimm, ob ich nicht recht habe? Hier wirst Du gewiß Unterhaltung genug finden, wenn man nur nicht ieden Kreuzer ansehen muß, dann geht alles gut. Hier können wir nun auf alle bälle im fasching auf das Rathshaus gehen. Die MünchnerCommoedianten kommen Ende Sept: und bleiben bis die fasten den ganzen Winter hier mit Commoedien und operetten: alle Sontage ist unser Bölzlschüssen, und wenn wir in Compagnie gehen wollen, so kommt es nur auf uns an, wenn man einen bessern gehalt hat so ändert sich alles. Was die Mdssle Weber anbetrifft so darfst Du gar nicht glauben, als hätte ich etwas gegen diese Bekanntschaft. [90] alle junge Leute müssen am Narrnseil lauffen. Du kannst, wie itzt, Deinen Briefwechsel fortsetzen, ich werde Dich gar nicht darum fragen, noch weniger etwas zu lesen verlangen. noch mehr! ich will Dir selbst einen Rath geben, Du hast bekannte Leute genug hier, Du kannst die Weberischen Briefe an iemand andern addressieren lassen und unter der Hand erhalten, wenn du Dich vor meinem vorwitz nicht gesichert glaubst. Mir scheint aber Du wirst für den hl: Weber, und er für sich selbst nicht viel vortheilhaftes ausdenken, wenn nicht andere helfen. weist Du warum ich schrieb, ich glaube hl: Weber habe keinen Kopf? das versteht sich zum Nachdenken. – auf die Hof-frage, wer mit nach München folgen will x:? gab er die schriftliche antwort: bey meinen zerritteten Umständen bin, so sehnlich ich es auch wünschete, nicht im Stande gnädigster Herrschaft nacher München zu folgen1. Nun kann ich zwar zu voreylig seyn, weil ich nicht weis wie sehr dieser Mann in schulden stecket; allein ich würde, an seiner Stelle, da er 4 Tage zeit hatte, zu meinen glaubigern gegangen seyn, und würde ihnen gesagt haben, daß es nun darauf ankomme, ob ich dem Hof nach München folgen kann oder nicht, kann ich dem Hof folgen, so bleibt mir die sichere Hofnung bevor durch meine Tochter auch mein glück zu verbessern, und bin beym Hofe, wo mehr Nebenverdienste zu hoffen sind, folglich ich auch meine glaubiger zu befriedigen gegründetere Hofnung habe: muß ich aber wegen meiner schuldenlast in Manheim zurückbleiben, so ist meine Tochter aus den augen des Hofes, Manheim wird eine Einöde, und ich werde weniger Nebenverdienste haben, ihr mögt dann nach meinem Tode statt paar geld eine Stube voll Kinder nehmen: wenn ich nach München ziehe stehe ich immer unter dem näm: Herrn, ihr könnt mich eben so gut finden, als wäre ich in Manheim. – Ich kann gründlich von der Sache nicht urtheilen weil eine nahe Kenntniß der Nebenumstände dazu nötig ist, und[91] dann werde ich rathen und helfen, so gut ich kann. In Paris wirst Du ihnen nicht helfen. hier wird Dir bald von der Mdsle Weber gesprochen werden; ich habe sie gar zu oft gerühmt, und ich werde alles ausdenken, daß sie hier gehört wird. – Nun muß ich auf die schuldforderung des Duc d'Eguine kommen2. Du wirst sie wohl hoffentl: eingefordert haben, oder einfordern? – Du wirst ja so was nicht zurücklassen? – hl: B: v grimm wird Dir rathen. Das Concert ist auch nicht bezahlt? Das ist zu schmutzig. Ich hatte einen solchen zufahl in Wienn, ich schrieb damals an die Cammerjungfer der Fürstin von Ulefeld, daß wir keine Erkänntlichkeit von der Fürstin erhalten hätten, und vermuthen müssten, daß zwar eine Anschaffung erfolgt wäre, daß aber der, welcher die ordre etwa erhalten, solches vergessen hätte, ich wäre versichert, daß es der Fürstin sehr unangenehm wäre, wenn ich ohne mich zu melden, Wienn verlassen wollte, ohne, bey sich ergebender gelegenheit, die angebohrene generositè des Fürstl: Hauses Ulefeld anzurühmen. Die Fürstin schickte mir 20 Duggatten, und bedankte sich daß ich mich gemeldet, mit der Entschuldigung daß es unbeliebig vergessen worden. frage hl: B: v grimm, ob es nicht (wenn Dich der Fürst nicht vorlässt, auf so ein art zu machen wäre. Nun muß ich Dir nochmals sagen, – und ich schwere Dir als Dein vatter und Freund, daß Du bey Hofe nicht violinspielen, sondern nur, wie der seel: adlgasser: wenn gesungen wird accompagnieren darfst. daß Du nur die Hauptfeste im Domb die orgel spielen darfst, das übrige muß der Paris verrichten. Daß ich nichts wenigers verlange, als Dich hier anzubinden, sondern daß, wenn Du willst durch Deine Freunde Dein glück am Münchner hofe suchen kannst und sollst, welches Du ungemein vorträglicher von hier aus thun kannst, da Du alle wochen 2 schreiben und 2 mahl antworten, und iede vortheilhafte gelegenheit erfahren und benutzen kannst. Ich will vielmehr, daß Du Dich dem Kays: gesandten B: Lörbach (der in München seyn wird) empfehlen sollst, daß Du Dich nur darum um eine opera bewerben sollst, um Dich[92] zeigen zu können. Um des Himmels willen, wie kann der Churfürst zum Entschluß kommen Dich zu seinem Hof Componisten zu nehmen, da er nichts von Dir gehört hat? – von hier aus muß die Sache betrieben werden, nun wirst Du leichter eine opera zu schreiben bekommen, weil die welschen sich nicht eindringen können; und dann geht die Sache von sich selbst. und endlich schwere ich Dir hoch und Theuer, daß ich, wie Du selbst weist, nur wegen Deiner seel: Mutter mich an Salzburg gebunden, um sie allenfalls doch wegen einer pension sicher zu stellen. Das ist nun vorbey, die brauch ich nicht mehr, folglich lassen wir uns keineswegs verdruss machen, sonst sind wir weg. Du schreibst in Deinem letzten Brief – das Herz lacht mir, wenn ich aus den glückl: Tag denke, wo ich wieder das vergnügen haben werde sie zu sehen und von ganzem Herzem zu umarmen. Nun kommt der Tag, mein lieber Sohn, ich wünsche, daß gott mich solchen erleben lässt, Du wirst Deinen armen vatter kaum kennen, der Erzbischof, als ich zu ihm 2 mahl geruffen wurde, erschrack so sehr an mir, daß er es allen erzehlte. Du hast mich krank verlassen, nun wird es ein Jahr – und was habe ich wohl dieses Jahr alles erleben müssen? – meine Natur ist von Eisen, sonst wäre ich schon tod, allein, wenn Du nicht mit Deiner gegenwart mir den schweren Stein vom Herzen hebst, so unterdrückt er mich, alle Bruststerkende Kraftmittl sind vergebens eine gemüths Krankheit zu heilen. Niemand kann mich vom Tod erretten als Du – und niemand wird dir getreuer und mit aller nur menschenmöglichen Bemühung zu Deinem vergnügen helfen, als Dein vatter der Dich segnet. liebt, Küsst und von ganzem Herzen zu umarmen wünschet –

Ich empfehle mich an hl: B: v grimm gehorsamst.

Ich schrieb daß der Erzb: in Lauffen ist, und daß Du nicht abreisen sollst, als bis ich nicht das Decret unterschrieben in handen habe. Es war noch niemand wegen starkem Regen hinunter gefahren, – heute aber sind einige hinunter, und den 7ten diesses werde den letzten Brief schreiben, und zu gleich nach Strasburg anstalt machen, und in dem nämlichen brief Dir Nachricht geben. Ich bitte Dich, [93] lieber Sohn, erhalte mir Deine gesundheit, und dadurch mein Leben, glaube, daß ich alles vernünftig zu Deinem besten ausgedacht habe. Du wirst es sehen, und erfahren daß ich Dich zu Deinem vergnügen den nächsten weg führe, Wenn gott will! Deine schwester Küsset Dich millionmahl. Noch einmahl, liebster Wolfgang! habe mittleid mit Deinem alten vatter, und sorge für Deine gesundheit!

Fußnoten

1 Vgl. hierzu Wolfgangs Brief an Fr. Weber vom 29. Juli.


2 S. Wolfgangs Brief vom 31. Juli.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 4. München/ Leipzig 1914, S. 94.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon