Im Juni des Jahres 1754 übernahm, auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia, Jakob Graf von Durazzo ganz allein die Oberleitung des Hoftheaters, und Gluck wurde in der selben Zeit, mittelst Vertrags, als Kapellmeister der Oper an eben diesem Theater mit einem Gehalte von 2,000 Fl. angestellt. In dieser Eigenschaft blieb er bis zum Jahre 1764, in welchem[67] Jahre der genannte Herr Graf eine diplomatische Bestimmung bei der Republik Venedig erhielt.
Von dieser Zeit an widmete sich unser Tonmeister einer vielseitigen Thätigkeit. Er schrieb sowohl für das Theater, als auch für die Kammer und die häuslichen Feste des allerhöchsten Kaiserhofes eine bedeutende Zahl von Melodramen und Symphonien, obschon er zu letzterer Tonsatzgattung keine sonderliche Neigung fühlte: denn die Musik übte nur dann die entschiedenste Wirkung auf sein Gemüth aus, wenn sie einer Wortdichtung und einer dramatischen Handlung angepasst war.
Gegen das Ende des Jahres 1754 wurde Gluck von Neuem nach Rom gerufen, wo er mit seinen Opern: »Il Trionfo di Camillo« und »Antigono« grossen Beifall erwarb und vom heiligen Vater zum Cavaliere dello Sperone d'oro ernannt wurde.
Hier war es, wo ein edler hochgestellter, durch seinen geläuterten Geschmack und seine Kenntnisse im Gebiete der Künste und Wissenschaften, so wie als Staatsmann in ganz Europa gleich berühmter Mann1 sich unserem Gluck erbot, sein ganzes Ansehen anzuwenden, um eine schändliche Kabale zu zerstören, die gegen den deutschen Tonsetzer angesponnen worden war, um seinen bereits erworbenen Künstlerruhm böswillig zu untergraben. Gluck aber, ohne für dieses ehrenvolle Anerbieten undankbar zu seyn, schlug es aus, sich dessen zu bedienen, er wollte lieber durch das Uebergewicht seines Genius über den Neid und die Bosheit triumphiren, und sich nur durch seine Schöpfung den Beifall des verständigeren Theiles der römischen Kunstwelt erwerben.
Und so geschah es! –[68]
Als Gluck im Mai des Jahres 1755 wieder nach Wien zurückgekehrt war, nannte und schrieb er sich bereits »Ritter von Gluck,« welche Bezeichnung auch in dem »Répertoire des Théâtres de la ville de Vienne de l'Année 1752 jusqu'à l'Année 1757« gefunden wird.
In den Jahren 1755 und 1756 kamen zwei dramatische Arbeiten seiner Feder zur Aufführung, und zwar erstens:
In dem kaiserl. Lustschlosse Laxenburg Metastasio's dramatisches Gedicht: »La Danza.«2 – Es sangen darin der Tenor Josef Friberth die Rolle des Tirsi und die berühmte Gabrieli jene der Nice.
Die Ouverture oder Symphonie dieser dramatischen Kleinigkeit enthält 3 Sätze, und zwar ein Allegro in A maj. C Takt, ein Andante in A min. 2/4 Takt und einAllegro in A maj. 3/8 Takt. Das ganze Tonstück ist von keiner Bedeutsamkeit. Die übrigen Nummern sind:
1. Aria di Tirsi, Andante grazioso in B dur, 6/8 Takt: »Va della Danza« – mit Streichquartett und 2Corni inglesi.
2. Aria di Nice, Adagio in G maj. 3/4 Takt: »Se tu non vedi tutto il cor mio« – mit Streichquartett.
3. Aria di Tirsi, Allegro in F maj. C Takt: »Che ciascun per i sospiri« – mit Begleitung des Streichquartetts und 2 Corni. Sie hat zwar ein ungewöhnlich langes Eingangs-Ritornel, aber einen schönen, fliessenden Gesang.
4. Aria di'Nice, Andante in G maj. 3/4 Takt: »Che chiedi? che brami? «– mit Streichquartett, Fagotto solo, und vieler Bravour im Gesange. Der Fagott führt mit der 2. Violine in der Octave eine Begleitung in Achtelnoten, welche die letztere pizzicato[69] vorträgt, und gewiss eine eigenthümliche Wirkung machen muss.
5. Ein langes Duetto, Andante in C maj. Takt: »Mille volte mio tesoro« – vom blossen Streichquartett begleitet, und nicht ohne Ausdruck, schliesst das kleine Drama.
Dieses Werk wurde in demselben Jahre und mit demselben Schäferballette verbunden, auch im Burgtheater zur Aufführung gebracht.
Das zweite, während dieser Jahresfrist im Hofburgtheater zur Darstellung gelangte Stück hiess: »L'Innocenza giustificata.«3
In diesem einaktigen, aus Scenen verschiedener Opern Metastasio's zusammengesetzten, die Geschichte einer Vestalin behandelnden Drama wurde die Sopranpartie der Vestalin Claudia von der Catharina Gabrieli, die Sopranpartie der Priesterin der Vesta, Flaminia, von der Marianna Beneventi, die Tenorrolle des römischen Consuls Valerio von Carlo Carlani, und die Sopranrolle des römischen Ritters Flavio von dem Musico Tommaso Guarducci gesungen.
Die Ouverture oder Symphonie besteht aus 3 Sätzen, einem Allegro in D maj. C Takt, einem Andante in G maj. 3/4 Takt und einem Presto ebenfalls in D maj. 3/4 Takt. Das Tonstück hat mit Beziehung auf den Consul Valerio eine kriegerische Haltung. Das Singspiel selbst beginnt mit einem Recitative; dann folgen:
1. Aria di Flavio, Allegro in D maj. C Takt, mit Begleitung des Streichquartetts, 2 Oboi und 2 Corni. Die Worte: »D'altre nubi è il sol ravvolto, luce infausta il ciel colora« sind aus Metastasio's[70] Cantate: »Il Natal di Giove« genommen, und in Melodie und Harmonie sehr glücklich ausgedrückt; in letzter findet man den kühnen Bass:
Uebrigens wird der Ausdruck oft durch Bravourgänge unterbrochen. Der Sänger dieses sehr langen Tonstückes hatte einen Umfang von einem Tone über zwei Oktaven.
2. Aria di Valerio, Allegro in G maj. 3/8 Takt: »Sempre è maggior del vero« (aus »Attilio Regolo«) – mit Begleitung des Streichquartetts. Das Hauptmotiv ist schön durchgeführt, aber nicht minder durch Bravoursätze gestört. Diese Arie wurde später als Motette de Beata Maria Virgine mit dem Texte: »Aula divinitatis« benutzt.
3. Instrumentirtes Recitativ mit Streichquartett sammt Aria di Claudia in B maj. Takt: »Guarda pria se in questo fronte« (aus »Ezio«) – vom Streichquartett begleitet. Sie ist eine Bravour-Arie für einen hohen Sopran mit wechselndem Zeitmasse.
4. Aria di Flaminia in G maj. 3/4 Takt: »Ai giorni suoi la sorte« (aus »Il Natal di Giove«) – mit Streichquartett, 2 Flauti und 2 Corni. Der Gesang ist vortrefflich geführt, und von keiner Bravour verunstaltet.
5. Recitativo stromentale sammt Duettto zwischenClaudia and Flavio, Andante in F maj. Takt: »Và ti consola Addio« (aus »Zenobia«) – mit Streichquartett. Auf den Worten: »Che barbaro martir« findet man eine bizarre, eintönige Tonverlängerung mit Trillern, welche Stelle jedoch am Schlusse des ersten Tempo überaus herrlich ausgedrückt wird. Den Mittelsatz bildet eine Art Canon in der Quinte.
6. Cavata di Claudia, Moderato in Es maj. C Takt: »Fiamma[71] ignota nell' alma« (aus der »Olimpiade«) – mit Streichquartett, 2 Oboi und 2Corni. Die Begeisterung der Vestalin, welche in diesem Tonstück ausgesprochen ist, wird in der trefflichsten und zugleich einfachsten Weise bezeichnet.
7. Aria di Valerio, Allegro in D maj. C Takt: »Quercia annosa sull' erte« (aus: »Il sogno di Scipione«) – mit Streichquartett und 2 Trombe. Einfacher Gesang auf einen höchst undankbaren und unmusikalischen Text. (Auch diese Arie wurde später in den Kirchen Wiens als Motette de Sancto zu dem Texte: »Io triumphe Atleitha« – benützt.
8. Aria di Claudia, Andante in G maj. 3/4 Takt: »La meritata palma si fausti« (aus: »La pace fra la virtù e bellezza«) – mit Begleitung des Streichquartetts, 2 Viole, 2 Oboi, 2 Fagotti und 2 Corni. Die Instrumentirung ist von unserem Meister in dieser Arie schon häufiger angewendet worden, als in irgend einer der vorhergehenden. Man sieht hier Gluck's Fortschritt
in der wirkungsvollen Benützung der Tonmittel ausser dem Bereiche der Singstimme.
9. Aria di Flavia, Andante C maj. C Takt: »Non è la mia speranza« (aus: »Attilio Regolo«). Bravourgesang mit Begleitung des Streichquartetts.
10. Coro in A maj. Takt: »Deh seconda ospite Nume« – mit Streichquartett, 2 Oboi und 2 Corni. Der Chor greift hier schon überraschend in die Handlung ein, und wird öfters vom Recitativ unterbrochen. Der Text dieses Chores (nicht von Metastasio) ist daher freier, als gewöhnlich, behandelt und die ganze Scene mahnt an Gluck's klassische Periode.
11. Arietta di Claudia in G maj. C Takt: »Ah rivolgi o casta Diva.« – Eigentlich eine Preghiera, bloss von Violinen im Einklange und Viola col Basso pizzicato begleitet. Auch sie wird vom Recitativ unterbrochen.
12. Chor mit Soli, in D maj. 3/8 Takt: »Grazie al ciel che amico« – mit Streichquartett, 2 Corni und 2Trombe. Dieser dem Texte anpassende Chor schliesst die Oper.[72]
Im Dezember des Jahres 1756 liess zur Feier des Geburtstages des Kaisers der schaffende Genius Gluck's wieder ein grösseres, dreiaktiges dramatisches Tonwerk auf der Hofbühne erscheinen und zwar: »Il Rè Pastore.«4
In dieser Oper sang der Tenor Pietro de Mezzo die Rolle Alexanders, Königs von Macedonien; der Sopran-Sänger Ferdinando Mazzanti jene des Schäfers Aminta, Elisa's Geliebten; die Catharina Gabrieli jene der edlen phönizischen Nymphe Elisa; die Francesca Gabrieli die Rolle der flüchtigen Prinzessin Tamiri, und der Musico Paolo Barreggi die Rolle desAgenore, eines Sidon'schen Edlen. Die drei letzteren Parte sind Soprane.
Die Ouverture, genannt Introduzione, ist ein Allegro für Streichquartett, 2 Oboi, 2 Corni, 2 Trombe und Timpani. Sie wendet sich gegen das Ende aus dem Grundtone C maj. nach C min., und schliesst auf der Dominante G maj., woran sich gleich die Eingangs-Arie des Aminta knüpft. Sie ist die längste, am fleissigsten und trefflichsten gearbeitete Ouvertüre unter ihren bisherigen Geschwistern und zugleich die erste, welche Gluck in einem und demselben Zeitmasse gesetzt hat. Ihr folgen:
Im I. Akte. 1. Aria d'Aminta in C maj. Takt: »Intendo amico rio« – mit Streichquartett, 2 Flauti und 2 Corni. Der Gesang ist schön, mit sanft dahinfliessender Begleitung durch das darauffolgende Recitativ unterbrochen.
2. Aria d'Elisa, Allegro in B maj. C Takt: »Alla selva, al prato, al fonte.« – Sie ist sehr lang, mit Bravourstellen durchwebt und geht bis in das dreigestrichene C.[73]
3. Aria d'Aminta, Allegro in C maj. C Takt: »Sò che pastor son' io.« Eine sehr lange Bravour-Arie.
4. Aria d'Allessandro, Allegro maestoso in A maj. C Takt: »Spande al sole in faccia« – mit Streichquartett, 2 Oboi, 2 Corni und Trombe. Diese Tenor-Arie ist sehr einfach und grossartig gehalten und die edle Malerei in der Begleitung von grosser Wirkung.
5. Aria d'Agenore, Andante in G maj. 3/4 Takt: »Per me rispondete begli astri« – von 2 Violini, 2Viole, Basso und Flauti begleitet.
6. Aria di Tamiri, Allegro in C maj. 6/8 Takt: »Di tante sue procelle« – mit Streichquartett, 2 Oboi und 2 Corni. Man sieht, wie die Instrumentirung steigt. Sie enthält eine schöne, heitere Malerei, die jedoch zu dem hohen, dieser Oper aufgeprägten Ernste nicht ganz zu passen scheint.
7. Duetto d'Elisa e d'Aminta, Andante in G maj. 3/4 Takt: »Vanne, a regnar ben mio« – mit Streichquartett, 2 Oboi und 2 Corni. Das Tonstück ist in beiden Stimmen mit reichlicher Bravour ausgestattet.
Im II. Akte. 8. Recitativ und Aria di Tamiri, Moderato in F maj. C Takt: »Al mio fedel dirai« – mit Streichquartett. Diese Arie hat einen originellen Anfang mit einer Note über dem Ausrufungsworte: »Oh!« auf dem vierten Takttheile mit einer kleinen Septime unter einer Corona . Sie ist einfach und ausdrucksvoll.
9. Aria d'Elisa in C maj. Takt: »Barbaro, oh Dio! mi vedi« – mit Streichquartett und vieler Bravour.
10. Aria d'Agenore, Allegro in E maj. 3/4 Takt: »Ogn 'altro affetto ormai« – mit Streichquartett und 2 Corni.
11. Aria d'Aminta, Andante in B maj. Takt: »Ah per voi la pianta umile« – mit Streichquartett, 2Corni inglesi, 2 gewöhnlichen Corni und 2 Fagotti. Auch eine Bravourarie! Seltsam ist es, dass Gluck ähnliche Arien stets von mehreren Instrumenten begleitet auftreten liess, die er jedoch nicht als obligat einführte, sondern nur zur Ausfüllung der Harmonie verwendete.[74]
12. Aria d'Alessandro, Allegro in G maj. 3/8 Takt: »Se vincendo vi rendo felice« mit Streichquartett und 2 Flauti. Das Stück ist sehr einfach gehalten.
13. Instrumentirtes Recitativ mit Streichquartett, das, wie immer, sich durch eine sehr gute Deklamation auszeichnet.
14. Quartetto, Allegro in F dur, C Takt: »Ah l'amor tuo fini« – mit Streichquartett, 2 Oboi und 2Corni. Diesem vier stimmigen Satze verleiht eine schöne, durchaus edle Gesangsführung hohen Werth.
Im III. Akte. 15. Begleitetes Recitativ mit Streichquartett. Es wird, wie gewöhnlich, gut deklamirt.
16. Aria d'Aminta, in C maj. 3/4 Takt: »L'amerò, sarò costante« – mit Streichquartett, 2 Flauti und 2Trombe. Diese Arie ist reich an Bravour und sehr lang.
17. Aria d'Elisa, Adagio in F maj. C Takt: »Io rimaner divisa« – mit Streichquartett und 2 Oboi.
18. Aria d'Agenore, Andante in B maj. C Takt: »Se tu di me fai dono« – mit Streichquartett und 2Corni.
19. Aria d'Agenore, Andante non molto in A min. C Takt: »Sol può dir come si trova un amante« – mit Streichquartett, 2 Fagotti und Violoncelli. Dieses Gesangstück ist so einfach, dass nur hier und dort und an jenen Stellen einige Achtelnoten vorkommen, wo die Viertelnoten durch Punkte verlängert werden. Die Tonführung ist schön.
20. Aria d'Alessandro, Allegro in D maj. Takt: »Voi che f'austi ognor donate« – mit Streichquartett, 2 Oboi, 2 Corni, 2 Trombe und Timpani, 2 Viole und Violoncelli. Diese mit Bravoursätzen verzierte Tenor-Arie ist die erste mit Pauken. Auch hier hat Gluck, wie man sieht, eine reichere Instrumentirung angebracht, während jene Arien, die sich durch Einfachheit und musikalischen Ausdruck auszeichnen, nur vom Streichquartett
begleitet werden.
21. Quintetto in D maj. 3/8 Takt: »Dalla selva e dall' ovile« – mit einem äusserst kurzen Chor von 35 Takten, in welchem auch die Hauptpersonen als Rippieni mitwirken. Die Begleitung besteht aus dem Streichquartett, 2 Corni und 2 Trombe. Wahrscheinlich[75] gingen die Flauti und Oboi mit den Violinen und die Fagotti mit dem Basse, was jedoch in der Partitur nicht angedeutet wird. Die Oper wurde vortrefflich aufgeführt und mit grossem Beifalle gekrönt.
In dem Zeitraume von 1755 bis 1762 schrieb Gluck, nebst den bereits vorangeschickten Opern, für das kaiserliche französische Theater noch eine Anzahl »Airs nouveaux« oder Gesänge mit einfacher Clavierbegleitung im leichten französischen Style zu den unten folgenden dramatischen Werken, wovon nach den Angaben in den Studien für Tonkünstler von Reichardt die Operetten »La Fausse Esclave; le Cadi Dupé; l'Arbre Enchanté; l' Yvrogne Corrigé; le Diable à Quatre« und noch andere (meldet eine kleine französische Handschrift, welche Reichardt über Gluck's Leben in den Händen hatte, und welche dieselbe ist, von der auch der Herausgeber dieser Blätter eine Abschrift besitzt,5 ebenfalls von Gluck in Musik gesetzt seyn sollen. Sie wurden theils in den kaiserlichen Lustschlössern zu Schönbrunn und Laxenburg, theils in der kaiserlichen Favorita und in den Sälen der Hofburg, nur in Gegenwart der allerhöchsten Familie und des hohen Adels aufgeführt.
Diese »Airs nouveaux« wurden geschrieben, um den wiederholten Aufführungen dieser französischen Singspiele, deren mehrere von Gluck selbst gesetzt waren, einen Reiz der Neuheit zu verleihen, wozu auch andere Tonsetzer ihr Scherflein beitrugen. Denn der Graf von Durazzo hatte sich von Favart in Paris, mit dem er seit dem Jahre 1759 einen ununterbrochenen Briefwechsel unterhielt, von Zeit zu Zeit komische Operntexte mittheilen lassen, damit sie von Wiener Tonsetzern bearbeitet würden.6 Eben so musste Favart zur Besetzung[76] der französischen Bühne der österreichischen Residenz Schauspieler und Tänzer anher senden.
Die Gluck'schen Arbeiten dieser Gattung werden in einer Reihe von schön geschriebenen, in rosenfarbene Seide gebundenen mit Goldschnitt gezierten kleinen Folio- und Quartbänden in der Wiener Hofbibliothek aufbewahrt und sind folgende:
I. Airs accompagnés de la Pastorale: »Les Amours champêtres.« 1755. Die Worte sind von Favart, und enthalten 15 Nummern auf 38 Blättern. Die Ritornelle sind meistens im Violinschlüssel gezeichnet, eben so nicht selten die Singstimme. Die Personen sind: Philinte, Richard und Helène.
II. Airs accompagnés de l'Opéra comique: »Le Chinois Poli en France« – représentée à Laxenbourg 1756. Die Worte von Anseaume. 11 Nummern auf 29 Blättern. Die Sopranstimmen im Violinschlüssel, die Gesänge des Hamsi im Bass. Die Personen nennen sich: Eglé, Noureddin, Hamsi undZaïde. Dieses Singspiel wurde, mit Balleten versehen, auch im Hofburgtheater aufgeführt.
III. Vaudevilles nouveaux du: »Deguisement Pastoral.« Opéra comique représentée à Schoenbrunn 1756. Die Worte sind von M. Bret. 23 Nummern auf 17 Blättern. Dieser Band enthält die Gesänge im Violinschlüssel ohne alle Begleitung, mit Ausnahme der Nummern 1, 19, und 23. Die Personen sind: Collette, Rosette, Maturine, Colin, Lison, und Lucas.
IV. Airs accompagnés de l' Isle de Merlin. Opéra comique représentée à Schoenbrunn 1758. 22 Nummern auf 49 Blättern im kleinen Querfolio. Die Gesänge mit Bassbegleitung, die Ritornelle im Violinschlüssel. Die Personen heissen: Pierrot, Scapin Argentine, Diamantine, un Philosophe, La Candeur, un Chevalier, Hanif, un Notaire. Diese Operette wurde auch in der Stadt aufgeführt.
V. Airs nouveaux de l'Opéra comique: »La Fausse Esclave« – représentée à Vienne 1758. 13 Nummern auf 43 Blättern in 4. Die Sopranstimmen im Violinschlüssel, Die Acteurs sind: Agathe (Bodin), Chrisante (Rousselois), Lisette (Favier), Valère (Valère).[77]
VI. Airs nouveaux de Cythère Assiégée. Opéra comique 1759. Die Worte von Favart und Fagan. 25 Nummern auf 54 Blättern im kleinen Querfolio. Die weiblichen, Singstimmen im Sopranschlüssel mit Bassbegleitung. Die Personen sind:Cloé, Daphné, Carite, Barbarin, Olgar und Brontés. Die Chöre bei Nr. 1, 11, 16 und 17 fehlen hier.
Die Opern: »La Cythère Assiégée« und »L' lsle de Merlin« wurden dem Herrn Favart nach Paris gesendet, der sie dort zur Aufführung brachte und ihnen rücksichtlich des Ausdrucks, des Geschmacks, der Harmonie und selbst der französischen Prosodie volles Lob ertheilte.7 Später hat Gluck die zuerst genannte Operette (so wie »L' Arbre Enchanté«) umgearbeitet und mit Divertissements von ihm und M. Berton im Jahre 1775 in Paris wieder zur Darstellung gebracht.
VII. Airs nouveaux de l' Yvrogne Corrigé. Opéra comique – représentée en 1760. 15 Nummern auf 54 Blättern in Querfolio. Die Worte von M. Anseaume. Die Ritornelle im Violinschlüssel. Das Singspiel wurde in Wien aufgeführt. Die Personen sind:Lucas, Maturin, Maturine, Colette, Cléon, Pluton, Colas und zwei Furien.
VIII. Airs nouveaux du Cadi Dupé. Opéra comiqne représentée 1761. 16 Nummern auf 58 Blättern in Querfolio. Die Worte sind von Lemonnier. Auch Monsigny hat diese Operette gesetzt. Die Personen nennen sich Fatime, Noureddin, Zelmire, le Cadi, Omar und Ali.
Dieses zweiaktige Singspiel wurde von André aus dem Französischen übersetzt und mit dem Titel: »Der betrogene Cadi« im Jahre 1783 zu Berlin sehr oft zur Aufführung gebracht.
IX. »On ne s'avise jamais de Tout.« Opéra comique 1762. Die Worte von Sedaine, mit ursprünglicher Musik von Monsigny. 16 Nummern auf 59 Blättern im Querfolio. Die Singstimmen durchaus im Sopranschlüssel. Die Personen sind: Dorval, Monsieur Tue, Margarita, Lise und ein Commissaire.[78]
X. Airs nouveaux de l' Arbre Enchanté. Opéra comique composée par Mr. le Chevalier de Gluck pour le Clavecin. 15 Nummern auf 45 Blättern in Querfolio. Die Singstimmen mit Bassbegleitung, die Ritornelle im Violinschlüssel. Die Personen sind: Lubin, Blaise, Claudine, Thomas, Lucette und M. Bonsecours.
Auch diese Operette bildet die Grundlage zu seinem späteren, etwas grösseren Werke, das am 27. Februar 1775 in Paris aufgeführt worden ist.
Gluck war in dieser Zeit (nämlich vom Jahre 1750 bis 1760) auch in anderen Beziehungen sehr thätig. Er strebte die Mängel seiner ersten Erziehung zu verbessern und alles dasjenige nachzuholen, was zur Ausbildung der ganzen Summe seiner Fähigkeiten und Erkenntnisse noch mangelte. Von Natur aus mit einer gleich grossen Vorliebe zur Literatur als zur Musik begabt, arbeitete er nun mit rastlosem Eifer auch in diesem Gebiete. Er verlegte sich, wenn auch etwas spät, auf die gründlichere Erlernung der lateinischen und französischen Sprache und auf das Studium der Poesie; er verband sich mit den ausgezeichnetsten wissenschaftlichen Männern, um in ihrem Umgange und in der Gesellschaft mit guten Büchern jene Ideen zu nähren, die schon längst in seiner Seele Wurzeln geschlagen hatten, nämlich die Ideen über, die mächtigen Wirkungen der Tonkunst und ihre enge Verbindung mit der Dichtung, wovon damals nur sehr Wenige träumten.
Der Hof war, wie wir bereits erwähnten, auf das hohe Talent unsers Gluck schon längst aufmerksam geworden, und hatte demselben von dieser Aufmerksamkeit bei verschiedenen Gelegenheiten die schönsten Beweise geliefert. Nun aber trat der Umstand ein, dass man ihm bei den Vermählungsfeierlichkeiten[79] des Erzherzogs Joseph von Oesterreich, nachmaligen Kaisers, mit Isabella von Bourbon, Prinzessin von Parma, selbst mit Beseitigung des ersten Hofkapellmeisters, J.G. Reutter, die Leitung der Hof-Musikfeste in der kaiserlichen Burg übertrug.
Gluck fühlte sich durch dieses Ansinnen hochgeehrt und strebte den, höchsten Orts an ihn gestellten Anforderungen nach Kräften und mit Freude zu genügen.
Diese glänzenden Feierlichkeiten wurden im Herbste des Jahres 1760 in der Residenzstadt Wien abgehalten und dauerten vom 8. bis 10. Oktober; Gluck und Hasse mussten sie mit ihren Schöpfungen verherrlichen. Des Letzteren »Alcide in Bivio,« auf Metastasio's Dichtung gesetzt, wurde an dem ersten dieser Tage, und – damit das Ende dem Werke die Krone aufsetze – Gluck's dramatischer Tonsatz, oder Serenata: »Tetide«8 am Schlusse der Festlichkeiten in dem grossen Redoutensaale aufgeführt, welcher Aufführung auch die Majestäten beiwohnten. Diese Serenata wurde auf allerhöchsten Befehl am Namenstage der Kaiserin wiederholt.
Das Stück war prachtvoll ausgestattet. Die Scene stellte die Burg der Göttin dar. Der ganze, über einer leuchtenden Klippe sich erhebende Bau schien, sammt seinen Bögen und den sie stützenden Säulen, aus gefrorenem Meerwasser zusammengesetzt, und weit eher ein launiger Einfall der erfindungsreichen Natur, als ein Erzeugniss der bildenden Kunst zu seyn. Alghen schlängelten sich um die Säulen, Korallen schossen in Aesten hervor und überall erglänzten Muscheln, gleich Edelsteinen,[80] nebst noch vielen anderen Schätzen des Oceans. In den Zwischenräumen, die das wunderliche Gebäude unterbrachen, lagerten Nereïden, Tritonen und verschiedene Halbgötter des Meeres; andere sassen auf kleinen, mit grünem Moose bedeckten und mit Meerpflanzen bekleideten Klippen und noch andere wandelten in den Wellen umher, welche die Burg rings um-flossen. In grösseren und ungleichen Entfernungen sah man die Urnen der Flüsse, die dem Meere ihren gewohnten Tribut zollten. Inmitten der Klippen sass die Göttin Thetis auf ihrem Throne, umgeben von verschiedenen, in den mannigfaltigsten Stellungen gruppirten Nymphen und anderen Gottheiten des Meeres.
In der aus vierzehn Musikstücken bestehenden melodramatischen Dichtung sangen die Katharina Gabrieli die Tetide (Sopran); – der Musico Giovanni Manzoli den Apollo (Sopran); – Carlo Carlani den Mars (Tenor); – die Maria Pinelli die Pallas (Sopran); – und die Teresa Giacomazzi die Venere (ebenfalls Sopran).
Den Chor bildeten die Gottheiten des Meeres.
Die Musiksätze sind:
1. Die Ouverture in A maj. Takt, Presto für Streichquartett, 2 Oboi, 2 Fagotti und 2 Corni; sie besteht aus einem lebhaften, im Style der italischen Oper jener Zeit gehaltenen Satze, der von einem Andante in A min., 2/4 Takt gefolgt, und von einem dritten Theile, Allegro in A maj. 3/4 Takt geschlossen wird.
2. Die Introduzione ist ein von Apollo und Mars unterbrochener Chor in D maj., C Takt, Allegro, mit den Anfangsworten: »A chi tu fidi Achille.« – Da den, in der Ouverture befindlichen Instrumenten hier noch Trompetten und Pauken beigegeben sind, wird das Tonstück feierlich und marschartig.
3. Instrumentirtes Recitativ der Tetide, das der Tenor (Marte) aufnimmt, und der Bass allein begleitet. Die darauf folgende Aria di Marte, Allegro in G maj., C Takt: »Stese all' acciar la manou« – ist von ernstem und feierlichem Charakter, mit einigen wohl, angebrachten Tonblumen und der, damals üblichen Schluss-Fermate, welche letztere dem Sänger Gelegenheit gab,[81] seine Stimmmittel und Schulvorzüge glänzen zu lassen. Einem kurzen Zwischensatze folgt das übliche Da Capo.
4. Aria d'Apollo, Andante in F maj. 3/4 Takt »Quante volle a lui imprese.« Sie wird von einem einfachen Recitativ eingeleitet und trägt das Gepräge des Sanften, ist einfach und edel gehalten und wird vom Streichquartett und 2 Corni getragen.
5. Ein Recitativ, dem eine Arie der Tetide, Allegro in A maj., C Takt, mit den Anfangsworten: »Ah tu del ciel gran Nume« – vom Streichquartett begleitet, folgt. In dieser höchst glänzenden, mit einer Unzahl von Läufern verunzierten Bravour-Arie, die noch dazu bis zum hohen »H« emporklimmt, mag die einst so berühmte Gabrieli wohl einen ihrer schönsten Triumphe gefeiert haben.
6. Kurzes Recitativ, dann Aria di Pallade, Allegro in G min., C Takt: »Nò, nuovi oltraggi ormai nò: non voglio soffrir.« – Sie wird vom Streichquartett, 2 Oboi und 2 Fagotti begleitet, ist sehr leidenschaftlich und ausdrucksvoll gehalten und aller Verzierungen ledig.
7. Recitativ, dann Aria di Venere, Andante in F maj., 3/4 Takt: »Se de' miei preghi altera.« – Einfacher, schöner Gesang, vom Streichquartett und 2Corni geführt.
8. Recitativ und Aria di Pallade, Andante in A maj., C Takt: »Stringe il plettro: in tele esprima.« – Das Tonstück ist ernst und majestätisch gehalten, jedoch mit vieler Bravour ausgestattet. Dem Zwischensatze in A min. folgt die Arie da capo.
9. Recitativ und Aria di Tetide, Allegro in C maj., C Takt, mit Streichquartett: »Alla virtude amico.« – Sehr glänzend, mit vieler Koloratur versehen, steigt sie bis ins hohe C und war, wie Nr. 5, ein Prunkstück der Sängerin Gabrieli.
10. Kurzes Recitativ, dann Quartett der Pallade und Venere, des Apollo und Marte, Andante in G maj. C Takt: »Chi de' nemici sdegni.« – Dieses grössere Tonstück finden wir, da es stark instrumentirt ist, nebst dem Streichquartett, noch von 2 Oboi, 2Flauti, 2 Corni und 2 Trombe begleitet. Es ist ein anziehendes Ensemble-Stück.[82]
11. Recitativ, dann Aria di Tetide, Allegro in G maj. Takt: »Sotto si fausti rai« – mit Streichquartett. Diese, etwas wilde Arie ist, wie alle übrigen der Tetide, mit Läufern angefüllt, und in der damals allgemein üblichen Form, mit einem Minore und da capo versehen. Diese Arien waren sämmtlich nur für eine Gabrieli geschrieben.
12. Kurzes Recitativ, Aria d'Imeneo, A maj., C Takt: »Oggi amor fra lacci miei« – mit Quartettbegleitung. Einfacher, sanfter und edler Gesang!
13. Recitativ, mit einem Duett der Tetide und desApollo; Allegro moderato in B maj., C Takt: »Ah tu affretta i dolci istanti.« – Ebenfalls in italischer, prunkvoller Schreibweise, mit einem Mittelsatze in Es und vieler Koloratur; sodann Duetto da capo.
14. Recitativ mit Schlusschor, Andante in D maj. 3/4 Takt: »Vieni Imeneo!« – Dieser Tonsatz wird abwechselnd von den Personen des Stückes und dem vierstimmigen Chore vorgetragen.
Das Ganze ist, mit Rücksicht auf den damals herrschenden Geschmack, äusserst fleissig und gut gearbeitet.
Im Jahre 1761 brachte Gluck sein berühmtes Ballet: »Don Juan« oder »das steinerne Gastmahl« im Theater nächst dem Kärnthnerthore mit vielem Beifalle zur Aufführung. Das, lange Zeit verloren geglaubte Programm fand sich glücklicher Weise vor Jahren in einem Winkel der Bibliothek derEcole royale de Musique zu Paris, und ist dem, von Wollank in der Trautwein'schen Buch- und Musikalienhandlung zu Berlin herausgegebenen vollständigen Clavierauszuge des Ballets vorgedruckt. Aus demselben geht hervor, dass der Handlung dieses Ballets die Fabel der Mozart'schen Oper zum Grunde liegt.
Der Trautwein'sche Stich enthält auf 34 Seiten 31 Tonstücke, das alte Manuskript der Hofbibliothek nur 15 Nummern auf 10 Blättern. Der erstere ist demnach viel vollständiger und ausgearbeiteter. Beide sind bloss Clavier-Auszüge.
Bei einer dieser Vorstellungen, die am 3. November desselben Jahres stattfand, ereignete sich ein besonders trauriger[83] Vorfall. Bald nach beendigtem Ballete brach eine so heftige Feuersbrunst im Theater aus, dass das Schauspielhaus nach wenigen Stunden ein Raub der Flammen wurde. Der Kassier, der die Theatergelder retten wollte, kam wegen des, durch die Flammen versperrten Rückweges im Angesichte des versammelten Publikums vor dem eisernen Fenstergitter auf die jammervollste Weise um das Leben.
Gluck erhielt einen neuen Ruf nach Italien und zwar nach Bologna, um für die Stagione des Jahres 1762 zur Einweihung des im Jahre 1760 prachtvoll wieder erbauten Opernhauses eine Oper zu setzen.9 Er reiste demzufolge in Begleitung des Violinvirtuosen Dittersdorf, dann einer jungen Sängerin, Namens Signora Chiara-Marini und deren Mutter, von denen die erstere früher in Wien als Seconda Donna gesungen hatte, später aber durch zwei Jahre an der Prager Bühne Prima Donna gewesen war, und sich jetzt nach ihrer Vaterstadt Venedig zurückbegab, gegen das Ende der Fastenzeit über letztere Stadt dahin ab, und traf am ersten Osterfeiertage in dem Orte seiner Bestimmung ein.
Der zweite Pfingsttag war zur Eröffnung dieses Theaters bestimmt, das an die Stelle des kurz vorher vom Grund aus abgebrannten, mittelst Unterzeichnung der Vornehmsten und Reichsten vom Adel, errichtet worden war, und noch jetzt als Eines der schönsten und grössten in Italiens Städten anerkannt wird.
Der Oberleiter desselben und Theilnehmer der Gesellschaft, Graf Bevilacqua, hatte zu dieser Feierlichkeit die dreiaktige dramatische Dichtung von Metastasio: »Il Trionfo di Clelia«10 bestimmt, und Gluck zur musikalischen Bearbeitung derselben eingeladen.
[84] Primo Uomo war der schon genannte Musico Giovanni Manzoli, Prima Donna die Signora Girelli-Aquillar (Gemahlin des berühmten Oboisten Aquillar, eines gebornen Spaniers, der dem gefeierten Besozzi nicht nachstand); denSecondo Uomo vertrat ein junger Musico Namens Toschi, der zwei Jahre später nach Wien berufen wurde; die Seconda Donna war ein junges, hübsches Mädchen von 16 Jahren, zwar noch Anfängerin, aber mit einer reinen und angenehmen Stimme begabt, deren Namen Dittersdorf vergessen hatte; als Primo Tenore glänzte der gleichfalls berühmte Giuseppe Tibaldi, den Gluck später nach Wien berief, wo er hohen Ruhm erntete.
Zur Führung des Orchesters an der ersten Violine wurde der im besten Rufe stehende Conzertspieler Lucchini aus Mailand, und zur zweiten der nicht minder ausgezeichnete Spagnoletti aus Cremona verschrieben. Das Orchester bestand aus siebenzig und einigen Personen.
Da in Italien zur Leitung eines so grossen Orchesters zwei Flügel üblich waren, so ward für den zweiten der Kapellmeister Mazzoni bestimmt. Er war zu Bologna ansässig, und zugleich in mehreren der angesehensten Kirchen, Klöster und Prälaturen besoldeter Kapellmeister.
Der Graf Bevilacqua, ein sehr liebenswürdiger und leingebildeter Mann, nahm die beiden Wiener Künstler äusserst gütig auf. Gluck stellte Dittersdorf als seinen Schüler vor; denn es war verabredet worden, dass Dittersdorf sich nirgends eher als Conzertmeister ausgeben sollte, bis man nicht zuvor die vorzüglichsten Violinspieler, welche gerade in Bologna weilten, gehört hätte.
Gluck äusserte nun gegen den Grafen das Verlangen, die Sänger des Theaters zu hören, und sogleich veranstaltete dieser am folgenden Tag in seinem Palaste ein Conzert für dreissig der vorzüglichsten Künstler beiderlei Geschlechts, zu welchem, ausser[85] den beiden Wiener Tonsetzern, kein anderer Zuhörer den Zutritt hatte. Dittersdorf war über die Girelli-Aquillar, den Manzoli und Tibaldi ausserordentlich entzückt; vorzüglich aber gefiel eine Arie, bei welcher der Oboist Aquillar seine Gemahlin begleitete, so ausserordentlich, dass sie in unserm Gluck einen bleibenden Eindruck hinterliess. Noch hörte unser Tonsetzer in diesem Conzerte Lucchini und Spagnoletti. Da sagte Gluck heimlich zu Dittersdorf: »Vor diesen Hexenmeistern brauchen Sie sich eben nicht zu fürchten.« –
Gluck fing an zu setzen. Da er aber in Wien bedeutend vorgearbeitet hatte, lieferte er schon nach zehn Tagen den ersten Akt zur Abschrift.
Nachmittags arbeitete Gluck nie, wohl aber fand man ihn des Abends und in den Vormittagsstunden desto thätiger. Nach Tische machte er gewöhnlich Besuche, oder ging in das Kaffeehaus, wo er bis zur Abendmalzeit verweilte.
Einen seiner ersten Besuche zu Bologna stattete er bei dem einst grossen Sänger Farinelli ab, der nach dem Tode seines grossen Wohlthäters, des Königs von Spanien, hier der Ruhe genoss: denn er war bereits ein Greis von beinahe 80 Jahren, und besass ein grosses Vermögen. Er bat Gluck und Dittersdorf einige Male zu Gaste, und bewirthete sie mit fürstlichem Aufwande.
Gluck besuchte nicht minder den weltbekannten, gelehrten Pater Martini, der mit seinem Freunde Farinelli fast in gleichen Jahren stand. Gluck kannte ihn seit vielen Jahren, und nie war er durch Bologna gekommen, ohne diesem »Padre di tutti i Maestri,« wie alle Kapellmeister ihn nannten, seine Ehrfurcht und Aufmerksamkeit zu bezeigen, die der alte Mann stets in väterlicher Weise erwiderte.
Endlich kam es zur Aufführung der Gluck'schen Schöpfung. Sie gefiel ungemein, ungeachtet sie bei weitem nicht nach dem Wunsche des Tonsetzers ausgeführt worden war; denn so viel man auch des Rühmens von den italischen Orchestern zu machen pflegte, so unzufrieden war Gluck damit.
Siebenzehn grosse Proben wurden gehalten, und dessen[86] ungeachtet fehlte bei der Aufführung jenes vollkommene Zusammenwirken (Ensemble) und jene Genauigkeit, die das Wiener Orchester in verschiedenen Zeiträumen ausgezeichnet haben.
Die Partitur dieser Oper ist in der Wiener Hofbibliothek zwar nicht zu finden, wohl aber besass dieselbe der bereits oft genannte verstorbene Herr Alois Fuchs.
Die Personen des in drei Akte getheilten Werkes sind folgende:
Clelia, Tarquinio, Larissa, Orazio (sämmtlich Soprane); Manlio (Alt) und Porsenna (Tenor).
Schreibart und Form der Oper sind noch die damals in Italien gebräuchlichen, weil er diese zunächst für Italiener schrieb. Die Tonstücke sind folgende:
Im I. Akte: Die Ouverture oder Symphonie. Sie besteht aus 4 Theilen und zwar: 1ter aus einer kurzen Einleitung, in C maj. C Takt, Allegro moderato; 2ter aus einem langen Allegro im 3/4 Takt; 3ter aus einem Andante in A min. 2/4 Takt, in 2 Abtheilungen mit Wiederholung, und 4ter aus einem Menuette in C maj. in 3 Abtheilungen. Das ganze Tonstück ist für Streichquartett, Oboi, Flauti, Corni, Fagotto und Trombe gesetzt.
Nr. 1. Die. 1ste Scene wird mit einem Recitative der Clelia und des Tarquinio eröffnet, dem eine vom Streichquartette begleitete Bravour-Arie des Letzteren mit den Anfangsworten: »Vuoi rispetto i cenni tuoi« – in C maj. Takt folgt. Das Minore und da capo fehlen natürlicher Weise dieser und den folgenden Arien noch keineswegs.
2. Aria di Larissa, Larghetto in G maj. 3/4 Takt: »Ah celar la bella face.« – Einfache, schöne Melodie mit untermischten Bravourstellen, und mit derselben Begleitung.
3. Einem langen Recitative folgt die Arie des Orazio, Maestoso in D maj., C Takt: »Resta o cara e per timore« – mit Streichquartett und Corni, sammt veralteter Bravour.
4. Instrumentirtes Recitativ, dann Aria di Clelia, Allegro in D maj., 3/4 Takt: »Tempestà il mare minaccia.« – Glänzend gehalten, darauf ein Minore in A mit Streichquartett, Oboe, Corni und Fagotto.[87]
5. Aria di Porsenna für einen hohen Tenor, der mehrmals bis in das hohe C emporsteigt. Sie ist einAndante in F maj., Takt mit obligaten Flöten: »Sai che pigliar si vede.« –
6. Instrumentirtes Recitativ, dann Aria d'Orazio, Adagio, in Es maj. 3/4 Takt: »Saper ti basti o cara« – mit Streichquartett und Corni inglesi. Einfache und angenehme Melodie ohne Bravour. Dem Mittelsatze in C min. folgt die Aria da capo.
7. Den I. Akt schliesst eine Bravour-Arie derClelia, Allegro in C maj., C Takt: »Mille dubbi mi destano« – mit Streichquartett und Corni. Sie ist durchaus glänzend angelegt und hat als Mittelsatz einAndante in C min. –
Im II. Akte: 1. Recitativ und Aria d'Orazio, Moderato in F maj. 3/4 Takt: »Dei di Roma, ah perdonate« – mit Streichquartett, 2 Flöten und einem Fagott. Durchaus edel, einfach und reizend.
2. Recitativ und Duetto di Clelia e d'Orazio, Andante in G maj.: »Si ti fido al tuo gran core« – mit Streichquartett, Oboi, Corni und einem Fagotte. Das Tonstück ist glänzend gehalten.
3. Recitativ und Aria di Porsenna, Andante in B maj. Takt: »Sol del Tebro in sù la sponda« – mit Streichquartett und Fagott. Gesang und Bravour.
4. Aria di Larissa, Andante in F maj., C Takt: »Dico che ingiusto sei« – mit Streichquartett. Gesang mit Bravour.
5. Aria di Manlio, Andante in G maj., 3/4 Takt: »Vorrei che almen per gioco« – mit Streichquartett,Flauti und Corni. Diese Arie steigt bis ins hohe G, ist aber einfach und edel gehalten.
6. Marsch in D maj. für das Orchester.
7. Scene mit instrumentirten Recitativen des Orazio in D maj. C Takt, zu dem sich später noch Tarquinio gesellt. Sie ist etwas bewegt und leidenschaftlich.
8. Kurze Aria di Clelia, Sostenuto in F maj., C Takt: »Sò nemica« – mit Streichquartett und Oboe. Einfachheit und musikalischer Ausdruck erhöhen den Werth dieses Tonstückes.
9. Recitativ und Aria di Tarquinio in A maj.: »Non speri[88] onusto il pino« – mit Streichquartett, 2 Oboi, 2 Corni. Glanzvoll gehalten und sehr hoch; der Mittelsatz in D maj. ist einfach.
Im III. Akte. 1. Aria di Clelia, in A maj. C Takt: »Tanto esposta alle sventure« – mit Streichquartett. Sie ist einfach und edel durchgeführt.
2. Instrumentirtes Recitativ; dann Aria di Larissa, Tempo di Minuetto, in G maj. 3/4 Takt: »Ah, ritorna età dell' oro« – mit einem edeln, schönen, vom Streichquartette begleiteten Gesange.
3. Recitativ und Aria di Porsenna, Moderato in A maj., C Takt: »Spesso se ben d' affretta« – mit Bravour in damals üblicher Weise, nur vom Streichquartette begleitet.
4. Recitativ und Aria di Tarquinio, Andante in F maj., C Takt: »In questa selva oscura.« – Wie vorher.
5. Instrumentirtes Recitativ des Orazio und Tarquinio; dann eine heroische Arie des Ersteren, Allegro in C maj., C Takt mit Orchester: »De folgori di Giove.« – Dieses Gesangstück ist unter allen am meisten instrumentirt und sehr grossartig ausgeführt. Einem Recitative folgt
6. der, den Schluss der Oper bildende kurze Chor der Clelia und Larissa, des Orazio und Manlio, in D maj., 3/4 Takt, mit vollem Orchester: »Oggi a te gran Rè toscano.«
Im Ganzen genommen hat Gluck in dieser Oper mehr den Anforderungen der nobile direzione, so wie der bei der Aufführung betheiligten Sänger und Sängerinnen, als jenen der dramatischen Kunst entsprochen. Die einzelnen Stücke derselben entbehren daher jenes innigen, geistigen Zusammenhanges, der ein vollkommenes Musikdrama bedingt. Die meisten Arien sind demnach blosse Conzertstücke, in denen die Sänger lediglich ihre Kehlenfertigkeit zu Gehöre bringen.
Nach der dritten Aufführung wollte Gluck nach Venedig zurückkehren, um zum Himmelfahrtsfeste, an welchem dort[89] stets vier bis fünf Theater zu gleicher Zeit geöffnet sind, die neuen Opern zu hören, und dann Mailand, Florenz und einige andere Städte zu besuchen.
Allein Er und Dittersdorf erhielten Briefe vom Grafen von Durazzo, der beide nach Wien zurückberief, weil gegen den Anfang des Herbstes die Krönung des römischen Königs, nachherigen Kaisers Joseph II., zu Frankfurt am Main vor sich gehen sollte. Indessen machte er doch noch einen kleinen Abstecher nach Parma, wo er die Oper: »Catone in Utica« von der Komposition des Londoner Bach zu hören Gelegenheit hatte. Dann nahm er seinen Weg über Mantua und Klagenfurt nach Wien zurück. Kaum hier angelangt, erfuhr er zu seinem Leidwesen, dass die erwähnte Krönung auf das Jahr 1764 verschoben worden sei.
1 | Es war der damalige kaiserliche Minister am päpstlichen Hofe, Herr Cardinal Alexander Albani. |
2 | Der vollständige Titel lautet: »La Danza. Componimento drammatico pastorale à due voci che serve d'Introduzione ad un Ballo cantato in Laxenburg alla presenza della Maestà Loro Imperiali e Reali. L'Anno 1755. La poesia è dell' Abbate Metastasio. La Musica è di Cristoforo Gluck.« Die in der Wiener-Hofbibliothek befindliche geschriebene Partitur zählt 99 Blätter. Diese, bereits im Jahre 1744 von Bonno in Musik gesetzte Dichtung wurde von einer Hofdame und einem Hofkavaliere im Innern der kaiserl. Burg vorgetragen. |
3 | »L'Innocenza giustificata. Dramma per Musica in uno Atto. Rappresentato (li 8. Decembre dell' Anno 1755 e replicato nel mese di Agosto 1756) nel teatro della Corte.« Die geschriebene Partitur der Wiener-Hofbibliothek enthält 165 Blätter im kleinen Querfolio. |
4 | Der vollständige Titel heisst: »Il Rè Pastore. Dramma per Musica in tre Atti da rappresentarsi nell' Imperial privilegiato Teatro presso la Corte nel felicissimo giorno natalizio di Francesco I. Imperatore de' Romani sempre Augusto. L'Anno 1756. La Poesia è dell' Abbate Pietro Metastasio. La Musica è di Cristoforo Gluck.« – Der I. Akt der, in der k.k. Hofbibliothek befindlichen geschriebenen Partitur umfasst 127, der II. Akt 100, und der III. Akt 88 Blätter im kl. Querfolio. |
5 | Ich habe sie von dem Tonsetzer Schenk mit der Bemerkung erhalten, dass sie von Reichardt herstamme. |
6 | S. Favart, Mémoires etc. T. I. p. 4. 5. |
7 | S. Favart, Mémoires et Correspondance, Tome I. p. 11. |
8 | Der vollständige Titel dieses Tonwerkes ist: »Tetide. Serenata da cantarsi per le felicissime nozze delle L.L.A.A.R.R. L'Arciduca Giuseppe d'Austria e la Principessa Isabella di Borbone. Per commando degli Augustissimi Regnanti (Poesia del Sig. Giannambrosio Migliavacca, Consigliere di Legazione e Poeta di S.M. il Rè di Polonia, Elett. di Sassonia etc.« – Das, bei van Ghelen im Jahre 1760 gedruckte Textbuch ist in der Wiener Hofbibliothek, die Partitur jedoch in der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien vorhanden. Sie stammt aus dem Nachlasse des verstorbenen Erzherzogs Rudolph von Oesterreich, Cardinals und Erzbischofs von Olmütz. |
9 | Siehe K.v. Dittersdorf's Lebensbeschreibung. Leipzig 1801. 8. S. 105 etc. – |
10 | »Il Trionfo di Clelia. Dramma per Musica in tre Atti. Poesia dell' Abb. Pietro Metastasio,« – Dieser Text wurde im Jahre 1762 auch von Adolph Hasse bei Gelegenheit der glücklichen Entbindung der Erzherzogin Isabella in Musik gesetzt. |
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