Siebenzehnter Abschnitt.
Gluck's letzte Plane und Arbeiten. Dessen Tod. Denkmale und Dichtungen zu dessen Ehre.

Ueber Gluck's letzte Plane und Arbeiten haben der frühere Redakteur der »Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung,«1 der geistreiche Hofrath Friedrich Rochlitz, ferner der Wiener Hofkapellmeister Anton Salieri,[390] dann auch Joh. Friedrich Reichardt ihre Forschungen angestellt, denen der Herausgeber dieser Schrift die seinigen anfügt. Salieri besonders konnte in dieser Hinsicht Manches wissen, weil er von frühester Jugend an ein leidenschaftlicher Verehrer und Nacheiferer des grossen Tonmeisters und der herrlichen Werke desselben gewesen ist. Durch einen günstigen, uns bereits bekannten Umstand in seine Bekanntschaft gezogen, und seit dem Jahre 1769 in sein Vertrauen und sein Haus aufgenommen, blieb er bis zu des erhabenen Meisters, im Jahre 1787 erfolgtem Tode mit diesem in traulicher Verbindung. Gluck hatte ihn mit der Aufführung derjenigen seiner Werke betraut, die in Wien gegeben wurden, und ihn ferner zum Tonsetzer der, ihm von der Pariser Akademie der Tonkunst zuletzt aufgetragenen Oper »Les Danaïdes« – vorgeschlagen, und bei dieser Arbeit – Salieri's erster für Paris – durch seine unschätzbaren Rathschläge unterstützt.

Dass Gluck ein »Stabat Mater« geschrieben habe, ist in Wien gänzlich unbekannt; wenigstens müsste dieses in sehr früher Zeit geschehen, und die Arbeit in späterer von ihm selbst, als nicht geachtet, wieder vertilgt worden seyn, da er derselben niemals erwähnt hat. Auch schien es Gluck's Grundsätzen ganz zuwider, sich mit Kirchenmusik zu beschäftigen: »Einer kann nicht Alles,« – pflegte er zu sagen – »und ist er vernünftig, so will er nichts, als was er kann. Was ich kann, und was nicht, das weiss ich recht gut.« –

Gluck hat im Kirchenstyle nur zwei Stücke gearbeitet, nämlich ein »De Profundis« – das er dem Salieri kurz vor seinem Tode übergab, um es der Sammlung des Kaisers einzuverleiben. Joseph II. wünschte es zu hören, und Salieri liess es bei der Todtenmesse, die dem verewigten Verfasser in Wien abgehalten wurde, aufführen. Es kam auch in Berlin mit Beifall zur öffentlichen Aufführung.

Dieses Tonwerk ist, nach Salieri's Urtheile, eben nicht meisterlich gearbeitet, wenn man mit diesem Ausdrucke Tondichtungen voll Künstlichkeit bezeichnet, aus denen Gluck zu solchem Behufe nicht viel machte; wohl aber ist es wahrhaft [391] christ lich geschrieben, und dadurch seinem Zweck entsprechender, als so viele andere, zwar meisterlich, aber nicht christlich geschriebene Werke, die für den religiösen Gebrauch ganz unpassend, ja sogar nachtheilig erscheinen.

Zweitens schrieb Gluck noch den achten Psalm: »Domine Dominus noster quam admirabile«etc., der zwischen dein Jahren 1753 und 1757 in einem Hofkonzerte zur Aufführung gelangte.2 Wir haben diesen Tonsatz nie gesehen, wohl aber findet man die Partitur des »De Profundis« in der Wiener-Hofbibliothek.

In der höchst interessanten Sammlung älterer klassischer Musik jeder Gattung, vorzüglich der kirchlichen, des verstorbenen k.k. Hofrathes Herrn Raphael Kiesewetter von Wiesenbrunn finden sich zwar noch drei Motetten von Gluck, die Letzterer in dem Kirchenmusik-Vorrathe der Pfarrei St. Leopold in Wien aufgefunden hat: allein diese Stücke sind Arien aus seinen Opern, die man, um sie für die Kirche zu benützen, mit lateinischen Wortunterlagen versehen hatte. Sie sind: 1. Ein »Ave Regina coelorum« – für Alto solo con Violini, Alto e Basso; 2. »Motetto de Sancto« a Tenore solo con Violini, Trombe e Basso; und 3. »Motetto de Beata Virgine,« a Tenore solo, con Violini, Viola e Basso.

Welcher Oper die erste dieser Nummern entlehnt wurde, ist bis jetzt noch nicht erhoben; die zweite und dritte jedoch stammen aus dessen »Innocenza giustificata« und sind die Arien, die mit den Worten: »Guercia annosa« – und »Sempre è maggior del vero« – beginnen.3

Von Gluck'scher Musik zu Gellert's und Klopstock's Gedichten besteht, was die Ersteren betrifft, zuverlässig gar nichts; was die Andern anbelangt, besitzt die Wiener Hofbibliothek folgende kleine Zahl mit Klavierbegleitung: 1. Vaterlandslied; 2. Wir und Sie; 3. Schlachtgesang; 4. Der Jüngling;[392] 5. Die Sommernacht; 6. Die frühen Gräber; 7. Die Neigung, und 8. Willkommen o silberner Mond! –

Der Kapellmeister Reichardt gedenkt noch eines Liedes von demselben Dichter, das er aus Gluck's Munde zu Papiere brachte, nämlich: » der Tod.« Die grosse Zahl der übrigen, die er in geselligen Kreisen aus dem Textbuche zu singen pflegte, wurde niemals niedergeschrieben. Mehrere der bereits erwähnten Lieder erschienen bei Artaria zu Wien im Stiche.

Ueberhaupt war Klopstock der Lieblingsdichter Gluck's; ihm fühlte der Tonsetzer sich nahe; er verehrte, liebte und benützte ihn in seiner letzten Zeit vielfältig. Dass er von diesen lyrischen Schöpfungen so wenig niederschrieb, mag sich, wenigstens in späterer Zeit auf eine wunderbare Schreibscheu gründen, woran wohl seine grosse Lebhaftigkeit, sein Mangel an sogenanntem Sitzfleisch, und auch, was jene Kompositionen anbelangt, der Gedanke schuld war, man werde solche Stücke von ihm nicht gehörig verstehen und würdigen, weil sie so höchst einfach wären, wie sie ausser ihm schon damals kein Mensch mehr schrieb, wenigstens nicht in Deutschland und Italien. Gluck setzte sich lieber zu seinem und seiner Freunde Ergötzen an den Flügel, legte einen Abdruck von Klopstock's Oden, in denen er in Absicht auf die Deklamation nur kleine Zeichen, die auch nur er verstand, gemacht hatte, vor sich, und sang nun selbst die Gedichte mit freier Deklamation und voll hoher Begeisterung, mehr nach Art des gemessenen Recitativs, als des melodischen Gesanges, wozu er sich meistens nur wenige volle Akkorde auf dem Flügel angab, und höchstens zwischen den Strophen kleine Zwischenspiele aus den Hauptgedanken seines Gesanges ausführte. Es dürfte wohl eine Zeit kommen, wo man wieder Sinn für diese zwar einfachen, aber originellen und tiefgeschöpften Kompositionen haben wird. Ihr Verlust ist daher immer nicht ganz zu verschmerzen. So mögen die Barden einer längst verklungenen Zeit zu den Akkorden ihrer Harfen die Thaten ihrer Helden, und die Gefühle ihrer Brust gesungen haben.

Weit grösser und auf immer unersetzlich aber ist seine[393] Musik zu Klopstock's »Hermannsschlacht,« deren Satz, sicheren Nachrichten zufolge, der Tonmeister als den höchsten und letzten Flug seines Genius unternommen hatte, und zu der fast alle Gesänge, selbst die Hauptchöre ganz fertig, leider aber nur in seinem Kopfe und Herzen geblieben sind. Klopstock, der sich einige dieser Gesänge zu wiederholten Malen von Gluck ausgebeten, aber nie erhalten hatte, noch konnte, weil sie noch nicht aufgesetzt oder ausgearbeitet waren, fürchtete mit Recht, dass das herrliche Kunstwerk verloren gehen würde. Gluck, uneingedenk seines hohen Alters, antwortete stets auf dessen Bitten, er müsse erst noch neue Instrumente erfinden, die gegenwärtigen genügten ihm nicht ganz zu seinem Werke.

In Absicht auf Grösse des Entwurfes, Tiefe des Geistes, hinreissende Gewalt des Ausdrucks und Neuheit der ganzen Behandlung, gehörten diese seine Kompositionen unter das Herrlichste, was Gluck jemals in seinen glücklichsten Stunden geschaffen hatte. In der Anordnung des Ganzen und der seltsamen Verwendung der Kunstmittel, die ihm zu Gebote standen, waren sie sogar mit keinem seiner grossen Opernchöre zu vergleichen. Er selbst, der kräftige, feurige alte Mann, ward zum Jünglinge, ja er schien ein ganz anderes höheres Wesen, wenn er sie, so gut, als es ihm möglich war, vor dem Instrumente vortrug, und, um der Einbildungskraft der Zuhörer, da, wo Ein Mann nicht Alles in der Ausführung auch nur andeuten konnte, nachzuhelfen, seinen Vortrag durch Erklärungen und Nachweisungen unterstützte. Auch in diesen Kompositionen trat die getreueste Auffassung des Dichters, gepaart mit bewunderungswürdiger Freiheit des Musikers siegend hervor, und im letzteren Betrachte verband sich die erhabenste Einfachheit durchgängig mit Originalität, mit grossem Reichthume und immer neuer Mannigfaltigkeit. Zur Begleitung hatte er sich eine ganz eigene Zusammenstellung und Benützung aller Orchesterinstrumente ausgedacht, zu denen er noch ganz neu zu verfertigende Hörner (nach Art der russischen Jagdhörner), die nur mit einzelnen Akkorden bei den mächtigsten Stellen einfallen sollten, hinzuzusetzen dachte. Hofrath Rochlitz erinnerte sich noch am[394] bestimmtesten dieser seiner Behandlung des erhabenen Chores: »O Wodan, der im nächtlichen Hain« – den er vor allen zu lieben schien, und der sich auch für die Musik so vorzüglich eignet; er sah ihn noch, wie ihm z.B. beim Vortrage der Strophe: »Wodan, unbeleidigt von uns, | Fielen sie bei deinen Altären uns an! | Wodan, unbeleidigt von uns, | Erhoben sie ihr Beil gegen dein freies Volk!« – helle Thränen die Wangen herabflossen: aber beschreiben kann man diese Musik weiter nicht. Die Hauptgedanken hatte er, wie man gewiss weiss, notirt, aber nur in so flüchtigen Skizzen, dass sie schwerlich Jemanden, als ihm selbst, dienen konnten; wahrscheinlich sind auch diese einzelnen Blätter nach seinem Tode verloren gegangen. Er trug überdiess selbst seinen Freunden eben diese Gesänge in dem letzten Jahre sehr selten vor. Man weiss, was Klopstock bei Uebersendung dieses seines Gedichtes und des bekannten Sendschreibens an den Kaiser, von dem feurigen, durchgreifenden Joseph, besonders auch für deutsche Literatur, Poesie und Kunst erwartete. Gluck war von denselben Wünschen und Hoffnungen wie Klopstock entzündet, und wollte durch diese seine Arbeit einen Anfang zur Mitwirkung liefern. Allein es lag in den Umständen der Zeit, dass dieses Alles nicht in Erfüllung gekommen ist. Da wandte sich der Tonsetzer von dieser Arbeit, und alles Zureden seiner Freunde, sie wenigstens der Nachwelt fertig zu hinterlassen, blieb fruchtlos; auch hatten Alter und Krankheit dem ehrwürdigen Greise bald die Gedanken verwischt, die sein Geist empfangen hatte.

Eine Probe davon, meldet Salieri, wollte Gluck dennoch mehrmals in den letzten Tagen seines Lebens, da er durch einen Anfall von Apoplexie den Gebrauch der rechten Hand verloren hatte, ihm in die Feder diktiren und zwar dasselbe Stück, das von ihm verschiedene Male bei Hofe war gesungen worden, wo er aber immer nur den herrlichen Text vor sich hatte. Das kleine Geschäft würde auch wahrscheinlich zu Stande gekommen seyn, wenn die, für das Leben ihres Gatten tief besorgte Frau v. Gluck Jenen nicht immer gebeten hätte, irgend eine[395] nothwendige Verrichtung vorzuwenden, wesshalb er ihm nicht zu Willen seyn könne, aus Furcht, durch Erhitzung der Fantasie möchte ein neuer Anfall der Krankheit herbeigeführt werden. Da endlich Gluck auf diesem Vorhaben bestand, legte sich der Arzt ins Mittel, und untersagte es mit Bestimmtheit aus demselben Grunde.

So hat denn der grosse Geist diese seine himmlischen Ideen mit zum Himmel genommen! Etwas von diesen, nachdem man sie ihn vortragen gehört, im Gedächtniss zu behalten, und es dann selbst aufzuschreiben, war darum nicht möglich, weil er sie das zweite Mal nicht wie das erste, und das dritte Mal nicht wie das zweite Mal vortrug; er änderte jederzeit mit mehr oder weniger Wirkung ganze Stellen ab, woraus hervorgeht, dass er mit sich selbst darüber noch immer nicht ganz einig war. So ging denn das unsterblichste seiner Werke Deutschland verloren! –

Das letzte, wenig bekannte Werk, das lange Zeit dem unsterblichen Gluck zugeschrieben wurde, ist ein Melodrama. Die Dichtung war ursprünglich in französischer Sprache mit dem Titel: »Le Jugement dernier« – vom Chevalier Roger geschrieben, für die Société d'Apollon in Musik gesetzt, und von dieser unter dem Beifalle aller Kenner aufgeführt worden. Die Wiener Hofbibliothek besitzt die Partitur mit deutschem Texte und mit folgender, von Salieri's Hand entworfener Ueberschrift: »Das letzte Gericht. Grosser Chor in Musik gesetzt und dem hochwohlgeborenen Hrn. Ignaz von Mosel, k.k. Hofsekretär gewidmet von seinem Freunde und Verehrer Anton Salieri, erstem k.k. Hofkapellmeister in Wien und Mitglied der königl. französischen Ehrenlegion.« – Dabei die Bemerkung: »Dieser Chor wurde von dem Compositeur ursprünglich in französischer Sprache in Musik gesetzt und dann von dem kaiserl. Hofsekretär von Mosel in das Deutsche übersetzt.« – Herr von Mosel empfing die Partitur von der Hand des Meisters am 20. Juli 1817. Sie zählt 16 Blätter, beginnt in D min. Siebenzehnter Abschnitt Takt, Allegro assai, und ist reich instrumentirt, nämlich mit 2Tromboni, 2 Flauti, Oboe, Clarinetti, Fagotti, Timpani und einem gran Tamburo. Das Werk wurde am 30. März des Jahres 1788 zum ersten Male in[396] einem geistlichen Konzerte aufgeführt. Pauken und Trompetten kündigen den Untergang der Welt an; die Völker drücken in Chören ihren Schrecken und ihre Gewissensbisse aus. In dem Augenblicke, wo sie ausrufen: »Wohin fliehen, wohin uns verbergen?« erreicht die Wirkung der Instrumente ihren höchsten Grad; da kündigt eine sanfte Melodie das Nahen des Heilandes an; er erscheint, ruft in einem langsamen, nur von einfachen Akkorden begleiteten Recitative (Un poco Andante in C maj. 3/4 Takt, Tenor) die Auserwählten zu sich heran, und weis't die Sünder strafend hinweg. Ein Doppelchor, in welchem die Einen ihr Glück besingen, die Andern ihre Wuth aushauchen, und in dem die Gegensätze mit der grössten Kunst behandelt sind, schliesst das Ganze. Im Allgemeinen erkennt man in diesem schönen Melodrama den Stempel Gluck's wieder; Salieri hat indess auch einige Stücke gesetzt, und hierüber erzählt man eine interessante Thatsache. Gluck hatte nämlich lange Zeit darüber nachgesonnen, in welcher Weise er den Heiland singen lassen sollte: er fragte Salieri um Rath, aber dieser bezeugte ihm seiner Seits dieselbe Verlegenheit. »Nun denn« – erwiderte Gluck – »da wir den Ton nicht kennen, welchen wir dem Heiland geben sollen, so werde ich ihn in wenigen Tagen selbst aufsuchen.«4

Vier Tage darnach (es war der 15. November des Jahres 1787) war unser Gluck nicht mehr unter den Lebenden. Schon drei Jahre früher, wie wir bereits gemeldet haben, war er zweimal vom Schlagflusse berührt worden. Er verlor gleich beim ersten Anfalle den Gebrauch des rechten Armes und des rechten Beines, und nur die Anwendung von Mineralbädern und eine höchst regelmässige Lebensweise vermochten ihn wieder so ziemlich herzustellen.

An diesem verhängnissvollen 15. November bewirthete Gluck in seinem Hause auf der alten Wieden zwei, vor[397] kurzem aus Paris angekommene Freunde. Auf Anrathen der Aerzte musste Gluck täglich nach Tische ausfahren, sowohl um die freie frische Luft zu geniessen, als auch eine mässige Bewegung zu machen. Das Mahl war geendet, Kaffee und Liqueure aufgetragen, und Frau von Gluck, nachdem sie zuvor den beiden Gästen eingeschenkt hatte, ging hinaus, den Wagen zu bestellen. Während ihrer Abwesenheit verweigerte Einer der Fremden von dem kredenzten Liqueur zu trinken; Gluck, der früher derlei Getränke sehr geliebt hatte, dem sie aber nun, der Erhitzung des Blutes halber, auf das strengste verboten waren, ermunterte Anfangs seinen Freund, das Gläschen zu leeren, und als dieser sich fortan entschuldigte, ergriff er es selbst im komischen Zorn über den Widerspenstigen, stürzte es schnell hinunter, wischte sich eben so schnell den Mund, und bat die Gäste scherzend, ihn seiner Frau ja nicht zu verrathen. Diese kehrte in das Zimmer zurück; der Wagen war angespannt, Frau von Gluck bat die Gäste, sich einstweilen im Garten zu unterhalten, mit dem Beifügen, dass sie und ihr Gatte in einer halben Stunde wieder zurück seyn würden. Die Fremden begleiteten das Ehepaar bis an den Wagen: »Au revoir! adieu!« – scholl es von beiden Theilen: doch dieses Lebewohl war Gluck's letztes! – Kaum waren sie eine Viertelstunde gefahren, als ein dritter Anfall von Schlagfluss den theuren Mann überraschte; die erschrockene Gattin liess ihn sogleich nach Hause fahren, aber er hatte alle Besinnung verloren, der Schleimschlag hatte sich wiederholt, und in wenigen Stunden sein ruhmgekröntes Leben im 73. Altersjahre geendet.

Sein Leichnam wurde mit grosser Feierlichkeit am 17. November eingesegnet, und auf dem Matzleinsdorfer Friedhofe vor der Linie gleichen Namens nach christkatholischem Gebrauche in das dazu bereitete Grab gesenkt, wobei die zahllosen Verehrer des Mannes aus allen Ständen sich versammelt hatten, um ihm die letzte Ehre zu erzeigen.

Eine höchst einfache, kaum einen Fuss im Umfange haltende Tafel von rothem Marmor, auf der die Inschrift eingegraben ist, bezeichnete, einen Fuss über der Erde in der Friedhofmauer befestigt,[398] vor der Wiederherstellung des Denkmales das Grab des grossen Meisters der Töne, das sich an der rechten Seitenmauer, nächst der Baron von Dietrich'schen Familiengruft, als das 42ste Grab mit der Nummer 668 befindet.

Schlicht und einfach, wie der Leichenstein, ist die kurze, aber treffende Inschrift:


»Hier ruht

ein rechtschaffener deutscher

Mann. Ein eifriger

Christ. Ein treuer Gatte.

Christoph Ritter Gluck,

der erhabenen Tonkunst

grosser Meister.

Er starb am 15. November 1787.«


Ihm zur Seite ruht seine liebevolle Gattin. Eine eben so einfache, aber grössere Platte von gelbem Schiefer, die über dem Denksteine ihres Gatten angebracht war, enthält die, in den Stein eingegrabene, vergoldete Inschrift:


»Hier

ruhet sanft neben ihrem Gemahl

Maria Anna Edle von Gluck, geborne Pergin.

Sie war eine gute Christinn

Und im Stillen die Mutter der Armen.

Von jedem, der sie kannte, geliebt und geschätzt,

Endete sie im 71. Jahre die Laufbahn ihres Lebens,

Und lohnte mit Grossmuth jene,

Die es verdienten.

Sie starb den 12. März 1800.

Dies

Denkmal der innigsten Verehrung

von

ihrem dankbaren Neffen

Karl von Gluck.«[399]


Da Gluck's Grabstein durch die Unbilden der Zeit und der Witterung dem Verfalle nahe war, so wurde schon im Anfange der Vierziger Jahre dessen Wiederherstellung von verschiedenen Kunstfreunden in Anregung gebracht; doch dieser Wunsch fand damals keinen Anklang, bis Herr August Schweigerd, nun Beamteter bei der k.k. obersten Polizeibehörde in einem, am 8. August des Jahres 1845 an die Redaktion der Wiener Musik-Zeitung gerichteten Schreiben den Wunsch aussprach, den kleinen Stein durch einen grösseren, des grossen Tonsetzers würdigeren zu ersetzen. Es wurde demnach eine Subscription eröffnet; aber die Beträge gingen so sparsam ein, dass der Plan, den die Herren Ludwig Milichhofer und Dr. August Frankel thätig unterstützten, bald wieder fehl geschlagen wäre, wenn nicht der berühmte Klavier-Heros, Herr Alexander Dreyschock, der die Ertragshälfte eines am 17. Jänner 1846 veranstalteten Konzertes als namhaften Beitrag für den kleinen Fond zur Errichtung des Gluck-Denkmales bestimmte, dieser Angelegenheit einen bedeutenden Aufschwung gegeben hätte. Die Wasserburg'sche Kunstwerkstätte in der Vorstadt Rossau erhielt sofort den Auftrag, die Zeichnung und den Kostenüberschlag, die auch nach kleinen Abänderungen angenommen wurden, dazu zu liefern. Das Denkmal ist in folgender Weise gefertiget worden: Auf einem, aus Sandstein gehauenen Felsen erhebt sich ein Obelisk von 9 Fuss Höhe aus geschliffenem Granit, an dessen äusserer, vorderer Fläche Gluck's Bildniss aus Erz gegossen, in Form eines Medaillons angebracht ist; darunter stehen die Worte: »Errichtet am 132. Geburtstage 1846.« – Im Würfel des Obelisken ist der kleine alte Grabstein aus rothem Marmor eingefügt.

Am Tage der Enthüllung dieses Monumentes wurde in der Kirche zu den Paulanern, wo einst Gluck's sterbliche Hülle eingesegnet worden war, von dem Orchester-Personale des k.k. Hof-Operntheaters unter Mitwirkung der vorzüglichsten Sänger und Sängerinnen dieses Theaters das Mozart'sche Requiem aufgeführt. Am Grabe selbst wurden Nachmittags verschiedene Reden an die Anwesenden gehalten, und die Festlichkeit mit[400] einem, von dem Wiener-Männergesangvereine vorgetragenen Chore aus Gluck's »Iphigenia,« dem man andere Worte unterlegt hatte, in edler Weise beschlossen. Die ganze schöne Feierlichkeit fand, verschiedener eingetretener Hindernisse wegen, anstatt am 4. erst am 11. Juli Statt.5


Die Wiener Zeitung vom Jahre 1787 No. 93 enthält einen treugemeinten Nachruf an den Dahingeschiedenen in folgenden Worten: »Samstags, den 15. d.M. verstarb allhier Hr. Ritter Christoph von Gluck in einem Alter von 73 Jahren. Wer immer den Namen kennt, der kennt auch den Ruhm, der ihn begleitet, und kann die Grösse des Verlustes ermessen, den die Tonkunst durch den Tod eines Mannes erleidet, der ihre Wirkung auf den höchsten Grad erhob. Wo man diese empfand, wird man über den Verlust trauern. In Wien, wo er seit langen Jahren Theresiens und Joseph's Wohlthaten und die allgemeine Achtung genoss, fliessen auch dem rechtschaffenen, liebenswürdigen und bescheidenen Manne Thränen der Freundschaft.« –


Wenn Gluck's Verlust allgemein bedauert wurde, so war diess ganz besonders der Fall in Frankreich, wo er seine schönsten Lorbeeren gepflückt hatte, wo sein unschätzbarer Werth als lyrischer Tonsetzer am rühmlichsten gewürdigt wurde, und woher Roquit-Lieutaud noch im J. 1785 an Salieri schrieb: »Selbst unser grosser Corneille hat nie so viel Aufsehen unter uns erregt, als Ihr berühmter Freund. Ich glaube,[401] ganz Paris würde aus seinen Mauern strömen, ihm entgegen zu gehen, wenn man wüsste, dass er wieder zu uns käme.« – Auch liess man es dort nicht bloss bei diesen Gefühlen der Achtung und Bewunderung bewenden; man legte sie auch an den Tag, indem man dem Ritter Gluck eine herrliche Todtenfeier bereitete, bei welcher auch sein »De Profundis« aufgeführt wurde, und welcher Gossec vorstand.

Mit den letzten Tönen dieser Trauermusik war dort keineswegs sein gefeierter Name verhallt. Im folgenden Jahre (1788) wurde, wie der Chev. Roger an Salieri berichtet, das grosse Operntheater mit Gluck's »Alceste« eröffnet, welcher seine »Iphigénie,« und dieser seine »Armide« folgte, die bei ihrer 300sten Darstellung nur noch schöner und frischer erschien, während Piccini's »Dido« schon nach der 50ten des Todes verblichen war. Diess ist die Kraft der Harmonie, fügt Roger hinzu, »und der Vortheil eines Tonsetzers, der den dramatischen Theil seiner Kunst beherrscht, über denjenigen, der nur Arien zu setzen versteht.« – Auch vergassen die Franzosen nicht, dass sie dem Umschwunge, den dieser unsterbliche Meister in der Opernmusik bewirkte, und den Grundsätzen, auf die er sein System gebaut hatte, so viele herrliche Werke ihrer Méhul's, Cherubini's, Boïeldieu's, Catel's, Spontini's und Anderer verdanken, die Paris zu dem schönsten Kunsttempel erhoben haben, den die dramatische Kunst in Europa besitzt.6

Diese schöne Anerkennung, die dem Verdienste Gluck's für die Erhebung und Verbesserung der französischen Musik gezollt wurde, erlosch nur auf kurze Zeit in dem Sturme der Schreckensperiode der Neunziger Jahre, wo die Franzosen aus Wuth gegen Alles, was rechtmässigen Herrschern zugethan war, sogar Gluck's und Salieri's Namen auf die Proscribirten-Liste schrieben. Als jedoch der politische Horizont Frankreichs wieder eine heitere Gestalt angenommen hatte, wurden auch die Werke beider Meister wieder hervorgezogen und den Freunden der[402] Kunst bis in die neueste Zeit herein zu neuem Genusse gebracht.

Gluck's Andenken wurde durch Denkmäler und Musikfeste verherrlicht. Schon im Jahre 1778 liess man in Paris mittelst Subscriptionsgeldern von dem Bildhauer Houdon dessen Büste anfertigen, die auf Befehl des Königs neben den Büsten Quinault's, Lully's und Rameau's im Opern-Saale aufgestellt wurde.

Piccini, dessen Freunde, wie bekannt, mit denen des Ritters von Gluck den grossen musikalischen Streit führten, hatte im Dezember 1787 öffentlich eine Subscription zur Stiftung eines jährlichen grossen Konzertes auf Gluck's Todestag, an welchem kein anderes Stück, als von dessen Komposition gespielt werden sollte, vorgeschlagen. Dieses Institut sollte auch öffentlich gewährleistet und mit der grossen Oper in Verbindung gebracht werden; und fiele sein Gedächtniss gerade auf einen Operntag, so sollte auch keine andere Oper, als eine Gluck'sche gespielt werden. Dieser Vorschlag, der dem Charakter des vortrefflichen Piccini, der mit Gluck übrigens in Freundschaft gelebt hatte, zur Ehre gereichte, fand allgemeinen Beifall.

Der darauf bezügliche Brief, wie er im »Journal de Paris« vom 13. Dezember 1787 eingeschaltet war, und wie ihn später Ginguené in sein Werkchen aufgenommen hat, ist folgender:7

Meine Herren! ich will in diesem Briefe, den ich Ihnen zu übersenden die Ehre habe, auf den grossen Tonsetzer, von dessen Ableben Ihr Journal uns benachrichtigte, keine Lobrede halten. Der musikalische Krieg, dessen Ursachen dieser berühmte Mann und ich waren, dessen Opfer er aber nicht, war, würde diese Lobrede bei jenen verdächtigen, welche mich nur aus meinen Werken, oder nach meinem Namen kennen. An Ihnen, meine Herren, den Geschichtschreibern dieses Krieges und der musikalischen Revolution, die in Frankreich dadurch[403] bewirkt wurde, ist es, den Mann würdig zu loben, dem Ihr lyrisches Theater so viel verdankt, als wie das französische Schauspiel dem grossen Corneille. Italien weihte mehr als eine Lobrede, so gut sie seyn mochte, dem Gedächtnisse Sacchini's; Florenz hat ihm ein Brustbild in seiner Gallerie bestimmt; Rom hat das Bild dieses Compositeurs im Pantheon aufgestellt, und der Marmor zeigt den Augen eines Volkes, welches die Musik wahrhaft liebt, die Züge eines Mannes, der diese Kunst am meisten geehrt hat.

»Ich wage es, Ihnen für den Ritter Gluck eine Huldigung vorzuschlagen, die länger als der Marmor dauern kann, und die selbst der fernsten Nachwelt nicht seine Züge, (diese wird die von Ihnen aufgerichtete Büste bewahren,) aber das Bild des Geistes überliefern kann, den die Kunst und Frankreich zu ehren verpflichtet sind. Ich schlage Ihnen also vor, zur Ehre des Ritters Gluck ein jährliches Konzert zu gründen, das an seinem Todestage statt zu finden hätte, wenn dieser Tag nicht ein Operntag ist, und in welchem nichts, als seine Musik aufgeführt werden sollte. – Eine ähnliche Institution scheint mir die würdigste, Gluck's Gedächtniss zu heiligen, und sie verbindet mit diesem Vortheile zugleich den, der Kunst auch nach seinem Tode zu dienen, die er während seines Lebens auf eine so herrliche Weise geübt hat. Sie wissen, meine Herren, wie sich die musikalischen Ueberlieferungen verlieren und verderben, viel leichter, als die des Spiels und Vortrages auf Ihren andern Bühnen. Diese Institution hätte den Vortheil, die Bewegung, den Charakter, den Geist, in welchem Gluck seine gelehrten Kompositionen schrieb, zu erhalten. Sie würde den Sinn aller jener Theile überliefern, welche besonders die Ausführung eines musikalischen Werkes bedingen; und man könnte zu allen Zeiten die Meisterstücke dieses Compositeurs wieder aufnehmen, um die Nachwelt mit seinem Genie bekannt zu machen.

Die Philosophie der Musik gewänne dabei nicht minder. Sie wissen, dass diese Kunst, die vielleicht ihren Zauber nur ihrer Beweglichkeit verdankt, und die, ich wage es zu sagen, über eine gewisse Unbeständigkeit in ihren Formen herrscht, bei[404] jedem Volke sich in dem Masse verändert, als sie der Vollkommenheit näher rückt, oder als gewisse Nachtheile derselben sich fortpflanzen. Vielleicht, dass sie durch die Nothwendigkeit der Abwechslung, welche die Kunst in Italien verdorben hat, bei Ihnen gewinnt, und dass die Musik, die Sie in vierzig Jahren haben werden, vielleicht nicht mehr derjenigen gleicht, die Ihnen jetzt Vergnügen gewährt. Die Institution, die ich vorschlage, hätte zugleich den Vortheil, Ihre Komponisten zu den Grundsätzen der Kunst und zu jener Art von Wahrheit zurückzuführen, welche jene der Musik bedingt. Das Bild der grossen Muster, welche Gluck Ihnen zurückliess, wird bei seinen Nachfolgern den Charakter und den Gang der dramatischen Musik bewahren, welche beide den Geist dieses grossen Mannes darstellen.

Dieses sind die Ideen, meine Herren, welche mich veranlassten, Ihnen den Vorschlag einer Subscription zu machen. Wenn Ihnen die Ausführung möglich scheint, wenn die Fürstin, die diesen grossen Mann begünstigte, so wie sein Nebenbuhler, ihn anzunehmen geruht, werde ich es wagen, das Publikum zu bitten, dass es mir erlaube, die letzten Zuckungen einer verlöschenden Stimme in dem ersten Konzerte, das durch diese Subscription zu Stande kommen wird, dem Ruhme eines Mannes von Genie zu weihen, dessen Tod in mir kein anderes Gefühl weckte, als den Wunsch, das Gedächtniss eines Komponisten unsterblich zu machen, dessen Name als Bezeichnung für die Revolution dienen wird, die auf einem der schönsten Theater Europa's durchgeführt worden ist.« –


Am 20. August des Jahres 1846 fand zu Paris in der Kirche St. Eustache unter ungeheuerem Volksandrange ein grosser Trauergottesdienst zu Ehren Gluck's Statt. Das Requiem ward von 500 Musikern und Sängern aufgeführt; die Stühle in dem Schiffe der Kirche wurden mit einem Franc bezahlt, und[405] die, zur Errichtung eines Denkmals für unsern Tonsetzer bestimmte Einnahme war sehr bedeutend. Wahrscheinlich ist auch dieser Zweck an den Zeitverhältnissen gescheitert.

Auch für die Karlskirche in Wien war ein Gluck-Denkmal beantragt und Beiträge dazu gesammelt worden; eben so für J. Haydn und Mozart: aber auch dieses Projekt kam nicht zu Stande.

Nur dem hohen Kunstsinne des Königs Ludwig von Bayern, der so viele herrliche Werke der Kunst in's Leben gerufen hat, war es vorbehalten, dass Gluck in Deutschland ein schönes Monument erhielt. Der begeisterte Fürst, der Gluck's Andenken schon in der berühmten Walhalla verewigte, weihte es den Manen des grossen Meisters der lyrischen Scene aus seinen Privatmitteln. Dieses äusserst gelungene, lebensgrosse, von dem jungen, talentvollen Künstler Friedrich Brugger erfundene und ausgeführte, von dem königlichen Inspektor Miller in Erz gegossene Standbild wurde am 15. Oktober des sturmbewegten Jahres 1848 auf dem Odeons-Platze neben dem Tonfürsten Orlando di Lasso am Geburtstage der Königin feierlich enthüllt. Den Zeitumständen mag es beigemessen werden, wenn die Theilnahme an dieser Apotheose des Künstlers nicht so gross war, wie bei sonstigen derartigen Gelegenheiten: denn es fehlte dazu jene Ruhe, die zum freudigen Genuss an der Kunst und ihren Werken unumgänglich nothwendig ist.


Gluck erhielt auch in Südtyrol ein Denkmal.

Ein Banquier zu Roveredo, Namens Jos. Ant. Bridi, der einst in Wien sich aufhielt und Mozart's grosser Freund war, auch in den Privatvorstellungen des »Idomeneo« sang, hat sieben auserwählten grossen Meistern der Tonkunst, nämlich: Ant. Sacchini, Georg Friedrich Händel, Christoph Gluck, Nic. Jomelli, Jos. Haydn, Jo. Petr. Aloys. da Palestrina und Wolfg. Amad. Mozart, in seinem reizenden[406] Garten einen Tempel der Harmonie bauen, mit sinnreichen Fresken ausschmücken, in demselben die Bildnisse der genannten Tonsetzer errichten, und diese von B. Beltramo mit lateinischen Inschriften versehen lassen. Gluck's Inschrift lautet:


Christophorus. Gluckius.

Natione. Bohemicus. (sic!)

In. Modis. Musicis.

Verbo. Aptissimis. Faciendis.

Clarissimus.

Decessit. A. MDCCLXXXVII.


W. Häser8 hat diesen Tempel, mit Beziehung auf ein, von demselben kunstsinnigen Bridi herausgegebenes, die Biographien der verherrlichten Männer enthaltendes Werkchen ausführlich beschrieben.


Noch ein anderer, in der Literatur der Tonkunst bekannter Mann und Freund unseres Tonsetzers, der geheime Rath und Reichsfreiherr Boecklin von Boecklins-Au,9 setzte unserem Gluck in seinem Garten zu Rust10 ein Denkmal und beklagt dessen grossen Verlust im folgenden, an den Grafen von Thun in Wien gerichteten Schreiben:11[407]

»Mein edler Freund! Ich weiss, dass der Hintritt unseres unsterblichen Ritters von Gluck, des Klopstock's der Tonkunst, Sie nicht wenig schmerzt! Schliessen Sie aber, würdiger Liebling der Tonkunst! von meinen desshalb traurigen Empfindungen, da ich Gluck, als ich im Jahre 1783 zu Wien gewesen, sehr oft besucht und nicht nur allein seines holden Umganges genoss, sondern sogar auch bei und von ihm so Vieles erlernen konnte, das mir in meinen kleinen Kompositionen nun trefflichst zu Statten kommt, überdiess hingegen mit demselben fast bis an sein Ende correspondirte. Die Nachricht seines Todes zuckte mir durch alle Glieder! – Gluck war ganz Original, besonders in grossen Opernstücken, im Ausdruck und im Gange des redenden Basses, edel im Licht, edel im Schatten, mit melodischem Engelsgesang und Feuerflammen des Kolorits. Er war im Theaterfach, was der grosse Vogler von Mannheim als Kirchenmusik-Komponist ist, und bei der Nachwelt es immer heissen wird. Und darin glaube ich mich nicht zu irren; wenn ich in meiner Seele eine der angenehmsten Erinnerungen hegen will, so darf ich nur an jene Stunden zurück denken, in welchen ich den grossen musikalischen Zeichner, unsern – ach dürft' ich's doch nicht sagen müssen! – erblassten Gluck an seinem Pianoforte seine gesetzten Stücke spielen sah und hörte. Wie beneidenswerth ist Klopstock, dass Gluck von seinen unvergänglichen Gedichten in so herrliche Musik setzte. Wenn Jemand Gluck nie gekannt, noch gesehen, sondern ihn bloss in einem Nebenzimmer spielen gehört hätte, er würde ihn für Einen der lebhaftesten jungen Männer von grösster Kunst, aber gewiss nicht für einen schon so betagt gewesenen Meister gehalten haben. Man war hingerissen, wenn man bei ihm in seinem Enthusiasmus neben seinem Instrumente sass.

Wundern Sie sich also ja nicht, dass er sich so viel Geld ersparte! Voll Vergnügen über seine Produkte gab man ihm allezeit mehr als kaum je einem andern Künstler: ja mehr, als er jemals selbst erwartet hatte. Dieses gestand mir der ehrwürdigste Alte einst selbst. Und – wie liebenswürdig wird nicht ein Priester aus dem Tempel der Musen, wenn er, wie mein seliger[408] Freund Gluck, immerhin die Tugenden und Menschenliebe mit den schönen Wissenschaften vereinigt, in vollem Maasse besitzt? – Seine Opern ›Alceste‹ und ›Iphigenia‹ werden auch wohl noch in hundert Jahren Bewunderung und Beifall erhalten; mittler Weile vielleicht nicht selten die Werke Anderer, obgleich auch edle musikalische Geburten in einige Vergessenheit gekommen seyn mögen.

Segen und Ruhm begleiten seinen vollendeten Lebenslauf. Möchte er doch noch da seyn! Doch der Mensch werde am Morgen des Lebens abgerissen, oder falle im Alter gleich einer reifen Aehre – so fällt er immer zur rechten Zeit nach dem Plane der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat, und als ein Mann gestorben ist. Ihr schönen, ihr schauervollen Scenen meines nun verewigten Freundes Gluck! Wie besänftigt ihr oft die unruhigsten Herzen! wie unbemerkt macht ihr die wildesten Leidenschaften still; und wie sanft flüstern eure Melodien, unterstützt durch ihre Schwester Harmonie, den Unglücklichen Trost zu! –

Da Ihnen die letzten Stücke des verstorbenen Herrn von Gluck unbekannt sind, so sollen Sie solche ebenfalls hören, sobald Sie zu mir hierher nach Rust kommen werden. Alsdann will ich Ihnen aber auch in meinem hiesigen englischen Garten ein, demselben schon geweihtes Denkmal, bei einem sanften Wasserfall, unter einer babylonischen Weide, neben trauernden Fichten und Eibenbäumen, mit Rosenhecken umschlungen, zeigen, worüber die Inschrift befindlich ist:

Geh', glücklicher Schatten! wohin Gott und dein Glück dich rufen. Geniesse der ewigen Harmonie und Seligkeit, indem wir hier deine hinterlassenen Werke bewundern, sie benützen, und deinen Abschied betrauern, zärtlich und dankbar bei deiner Urne an dich denken, und gerecht um dich klagen!

Ist das nicht eben so rührend als wahrhaft? – Lasset uns Blumen und Cypressenketten um die Gräber solcher Verewigten winden! Lasset uns das Andenken aller Würdigen, aller Freunde heilig seyn, bis auch wir in das Land der Ruhe eingehen, wo Zärtlichkeit und Menschheit keine Thränen mehr vergiessen« –

[409] Gluck's Hinscheiden wurde auch durch verschiedene Dichtungen gefeiert, von denen folgende mir bekannt wurden:

1. Auf den Tod des Ritters von Gluck, des Schöpfers des höchsten lyrischen Schauspiels von J.F. Reichardt.12


»Der Schöpfer so schöner Schöpfung – auch er liegt im öden Grab!

Der für die schönste der Zauberkünste sich schwang auf die Höhe,

Die vor ihm keiner erstiegen; der ihr zeichnet' die Bahn,

Die sicher führet durch Labyrinthe hindurch zum Ziele,

Die nur des kühnen Meisters Aug' von solcher Höhe

Mit freiem festen Blick' durchschauet und festet auf immer.

Ach, er musste hinunter in's öde Grab, ob Einer

Von uns ihn erreichte auf seinem Wege, der so viel leichter

Befolgt, als durchbrochen wird! – Nur unser Dank

Und mehrerer Nationen Dank bleibt Dir gewiss,

So lang der Zauber unserer schönen Kunst bestehet.


* *


O dass nun auch ein deutscher Mann sich für der Künste

Edelste und grösste zu jener Himmelshöhe,

Von welcher die Erdenlabyrinthe alle und aller

Zauberkünste Bahnen nicht mehr gesehen werden,

Auf Händel's Hallelujaschwingen kühn aufschwänge,

Und so der heiligen Kunst die ganze Vollendung gäbe,

Der Händel schon mit Riesenschritt entgegen ging!

Den segnen dann noch tausend selige Menschengeschlechter,

Wenn aller Künste Zauber lange nicht mehr besteht,

Den segnet dann auch droben der Geist der von uns Geschiedenen

In jenen Welten des höheren Strebens und der Vollendung.«


2. Gedicht auf Gluck von Daniel Schubart.13


Gluck starb! Zum Seraphinen-Chor

Stieg der Vollendete empor.

Und eben sang die Strahlenmenge

Den Urgesang der himmlischen Gesänge:

Das Heilig, Heilig schon dreimal

Im Einklang durch des Himmels Saal.


[410] Gluck schwieg. – Anbetend horcht er lange

Dem auf der Erde schon geahneten Gesange.

Doch eh' das Hallelujah kam,

Da fluthete sein Geist. Er nahm

Ein goldbezognes Spiel und stürmt' in ihre Chöre

Als wenn er längst ein Engel wäre.


Chor:


Er wallt dahin von dieser Erde,

Hin zur Unsterblichkeit,

Auf dass er ganz ein Engel werde

In Zions Herrlichkeit.

Verklärt, wie er, hängt seine Leier

An Gottes Thron' empor.

Heil Dir! singt ihm in ew'ger Feier

Der Himmelschaaren Chor.14


Von diesem Gedichte wird in der k. Bibliothek zu Berlin eine, von J.N. Forkel gemachte Abschrift aufbewahrt. Auch an diesem Orte zeigt sich dieses Mannes böse Stimmung gegen Gluck dadurch, dass er dieser Abschrift folgende Anmerkung beifügte: »Schade, dass das schöne Gedicht nicht an den rechten Mann gekommen ist!« (!) –


3. Zwei in der Bossler'schen musikalischen Real-Zeitung vom J. 1789. No. 50 mitgetheilte Grabschriften:


a) Ci gît un homme de génie,

Et dont le talent enchanteur

Nous a fait sentir l'harmonie

Qui de l'oreille passe au coeur

Cher à la savante Ausonie,

Couvert de lauriers et de fleurs,

Ce Chantre de la Germanie

Fera long-temps couler nos pleurs.


S. de Sancy.[411]


b) Muses, préparez-lui votre plus riche offrande,

Placez son nom fameux entre les plus grands noms! –

Rien ne peut plus faner l'immortelle guirlande

Dont nous le couronnons.


4. Der elegante spanische Dichter Don Thomas de Yriarte15 hat in seinem didaktischen Gedichte »La Musica« nebst Haydn auch Gluck ein Denkmal der Unsterblichkeit mit folgenden Versen gesetzt:


»Y tu, imortal Compositor de Alceste,

De Ifegenia, de Paris y de Elena,

Cantor germano del Cantor de Tracia,

Gluck, inventor sublime por quien este

Serà ya el siglo de oro de la escena;

Quando Europa le pierda per disgracia

Tu, de laurel perpetuo coronado,

A qui hallaras asiento distinguido,

A qui donde ni elogio interessado,

Ni envidia reina, ó na nacional partido.«

1

S. Band 11. S. 385, und Band 12. S. 196.

2

S. Répertoire des Théâtres de la ville de Vienne. Vienne, 1757. 12. die letzte Seite.

3

Man vergleiche den Ort, wo diese Oper besprochen wird.

4

S. Wiener-Theaterzeitung 1839. Nr. 148 letzte Seite vorletzte Spalte, Seite 742. – und Mosel, J.F. v., Ueber das Leben und die Werke des Anton Salieri. Wien, 1827. 8. S. 116 etc. wo ein Mehreres über dieses Melodram zu lesen ist.

5

Ein Mehreres siehe in der Wiener Musik-Zeitung. Redigirt von Dr. August Schmidt. 1846. S. 337 etc., wo auch die Abbildung des Denkmales zu finden ist.

6

S. Mosel, Salieri's Leben etc. S. 122 etc.

7

S. Ginguené, Notice sur la vie et les ouvrages de Nic. Piccini Notes. p. 134.

8

Siehe Leipziger allgem. Musikalische Zeitung 1828 (30. Jahrg.) Seite 678 und 1824 (26. Jahrg.) Seite 92. – Bridi's Werkchen hat den Titel: »Brevi Notizie intorno ad alcuni più celebri Compositori di Musica. Cenni sullo stato presente del canto italiano. Rovereto, per Luigi Marchesani. 1827.« – 8.

9

Franz Friedrich Sigmund August Reichsfreiherr von Boecklin von Boecklins-Au, geboren zu Strassburg im Jahre 1745 war Doktor der Philosophie und Mitglied der Akademie zu Rom und verschiedener anderer gelehrten Gesellschaften.

10

Eine Stadt in Ungarn am Neusiedler-See, und wegen ihres vortrefflichen Weines berühmt.

11

Siehe dessen Beiträge zur Geschichte der Musik etc. Freiburg im Breisgau 1790. 8. Seite 55 etc.

12

S. dessen Kunstmagazin VI. Stück. Seite 41. –

13

Siehe Cäcilia. Zeitschrift redigirt von S.W. Dehn. 1842. Heft 1.

14

Dieses Gedicht hat schon die Bossler'sche musikalische Real-Zeitung 1789 mit dem Zusatze des obigen Chors und der Bemerkung mitgetheilt, dass es der Hauptmann Beecke in Musik gesetzt habe und dass es das beste Musikstück dieses Tonsetzers sei. Es wurde am 12. Dezember 1788 zu Würzburg in einem Konzerte mit grossem Beifalle aufgeführt.

15

Geboren zu Orotava auf der Insel Teneriffa den 18. September 1750, † zu Puerto de Sancta Maria in Andalusien.

Quelle:
Schmid, Anton: Christoph Willibald Ritter von Gluck. Dessen Leben und tonkünstlerisches Wirken. Leipzig: Friedrich Fleischer, 1854., S. 390-412.
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