Nach den Lebensanschauungen, die im Bachschen Geschlechte herrschten, war es ziemlich selbstverständlich, daß Sebastian im Wittwerstande, zu welchem er durch den plötzlichen Tod seiner ersten Gattin verurtheilt war, nicht verblieb. Sein Vater hatte in gleichem Falle und bei viel vorgerückterem Alter schon nach sieben Monaten eine neue Ehe geschlossen. Wußte sich nun gleich der Sohn nicht während einer so kurzen Zeit über den schmerzlichen Verlust zu trösten, so traf er doch am Ausgange des Jahres 1721 zu einer neuen Vermählung Anstalt. Schon seit lange war er mit der herzoglichen Capelle zu Weißenfels bekannt; einen der dortigen Kammermusiker hatte er im Jahre 1714 zum Pathen seines Sohnes Philipp Emanuel erwählt. In der jüngsten Tochter des Hof-und Feld-Trompeters Johann Caspar Wülken fand er diejenige, welche ihm die so jäh zerstörte Häuslichkeit von neuem gründen sollte. Anna Magdalena Wülken war damals einundzwanzig Jahre alt; die Hochzeit fand am 3. December in Bachs Hause statt. So hatte es der Fürst Leopold befohlen, der um so innigern Antheil an diesem bedeutungsvollen Schritte seines Schützlings nahm, als er, genau acht Tage später, seine eigne Vermählung mit der neunzehnjährigen Prinzessin von Anhalt-Bernburg, Friederike Henriette, feierte1. Die junge Frau wurde dem Meister eine Quelle andauernden, innigen Eheglückes. Sie war sehr musikalisch und nahm an der Künstlerthätigkeit des Gatten weit mehr als nur genießenden Antheil. Mit einer vortrefflichen Sopranstimme begabt wirkte sie bei der Ausführung von Sebastians Compositionen freilich nicht öffentlich mit, desto eifriger aber im Familienkreise, und bildete den Mittelpunkt der kleinen Hauscapelle, welche Bach von nun an allmählig aus dem Bestande seiner eigensten Familienmitglieder heranzuziehen begann. Anmuthig schreibt er darüber am 28. October 1730 an seinen Freund [754] Georg Erdmann: »Ingesamt aber sind sie [näml. die Kinder] gebohrne Musici und kann versichern, daß schon einConcert vocaliter und instrumentaliter mit meinerFamilie formiren kan, zumahle da meine itzige Frau gar einen saubern Soprano singet, auch meine älteste Tochter schlimm einschläget [d.h. tapfer mit eingreift]«. Auch mit der Notenfeder wußte Anna Magdalena sehr wohl umzugehen, und nicht selten setzte sie sich, wenn die häusliche Arbeit gethan war, nieder, um dem vielbeschäftigten Gatten beim Copiren eigner oder fremder Musikalien behülflich zu sein. So hat sie an einer schönen Handschrift der Solo-Sonaten für Violine und Violoncell mitgearbeitet, und eine Abschrift von Händels Composition der Broc kes'schen Passionsdichtung ist zum größten Theile von ihr gefertigt. Ihre Notenschrift ist etwas weniger leicht als die Sebastians und von dieser in der Form des C-Schlüssels, der Quadrate und Kreuze und andrer Kleinigkeiten unterschieden, doch sehr flüssig und ausgeschrieben, ohne eine Spur weiblicher Ungeübtheit, ebenso die Buchstabenschrift, welche gleichfalls in einzelnen Formen von der des Gatten abweicht; aber der ganze Ductus von Noten sowohl als Buchstaben ist oft der Bachschen Handschrift so ähnlich, daß die Unterscheidung schwer fällt. An ihren lateinischen Lettern läßt sich dagegen die Hand sofort erkennen und ein mit großen Zügen hingemaltes
wird man charaktervoll und schön nennen dürfen. Aber hiermit nicht genug; sie wurde auch eine eifrige Schülerin des Gatten im Clavierspiel, ja sogar im Generalbassspiel. Zeugen sind zwei von beiden Eheleuten gemeinsam mit mannigfaltigem Inhalte gefüllte Notenbücher, die ein inniges, zärtliches Verhältniß in rührender Weise zu Tage treten lassen2. Das ältere von beiden ist in klein Querquart, hat einen bescheidenen grünlichen Einband mit Rücken und Ecken von braunem Leder. Auf der Innenseite des Einbandes steht mit gothischen Buchstaben nicht sehr regelmäßig geschrieben: »Clavier-Büchlein | vor | Anna Magdalena Bachin | ANNO 1722. |« Dann folgt noch der Buchstabe B in [755] einer neuen Zeile, als ob noch etwas hätte hinzugefügt werden sollen; sodann von Bachs Hand Folgendes:
»Anti Calvinismus und von D. Pfeifern.
Christen Schule item von D. Pfeifern.
Anti Melancholicus von D. Pfeifern.«3
Das Büchlein war also unmittelbar nach der Verheirathung angefangen worden. Die unter dem Titel stehenden Worte bezeichnen in gedankenvoller Spielerei den Zweck des Buches: gegen die kunstfeindliche, schwunglose calvinistische Religionslehre, welche in Cöthen die herrschende war, gegen alle Leiden und bittren Erfahrungen des Lebens, die »Schule des Christen«, gegen alle trüben Gedanken und Verstimmungen sollte es ein Mittel sein. Kann man die Zwecke der Musik für Kirche und häusliches Leben naiver und vollständiger bezeichnen? Dominus Pfeifer stellt vermuthlich den Geber des Buches dar. In Cöthen lebte Keiner dieses Namens4, im übrigen ist derselbe zu häufig, als daß mit einiger Sicherheit auf die Persönlichkeit zu rathen wäre. Der Titel deutet auf einen Geistlichen, das Büchlein war vielleicht ein Brautgeschenk. Seinen Inhalt machen größtentheils die »französischen Suiten« aus, auf welche wir gleich zurückkommen. Außerdem steht ein colorirter dreistimmiger Choral: »Jesus, meine Zuversicht« darin5, eine fragmentarische Fantasie für Orgel, – wollte Anna Magdalena auch die Orgel spielen lernen? – eine Arie mit darüber begonnenen Variationen und ein Menuett6. Das zweite, größere Buch tritt in einem grünen, goldgepreßten Einbande mit Goldschnitt und braunseidnem Hebebande am Oberdeckel anspruchsvoller auf. In der Mitte des Deckels steht mit Gold-Buchstaben und Zahlen:
A. M. B.
1725.
Es gehört also schon in die Leipziger Zeit und wird ein Geschenk des Gatten sein. Außer zwei Clavierpartiten (A moll und E moll des [756] ersten Theils der Clavierübung), zwei der »französischen Suiten«, dem C dur-Praeludium des »wohltemperirten Claviers« und der Arie zu den Goldbergschen Variationen (im vierten Theile der Clavierübung veröffentlicht), stehen darin hauptsächlich kleinere, von Anna Magdalena selbst geschriebene Stücke, Polonaisen, Menuette, Märsche und dergleichen, die wohl nicht alle Sebastians Compositionen sind, ein Menuett (auf Seite 70) trägt ausdrücklich die Aufschrift »fait par Mons. Böhm«. Doch stößt man auch auf verschiedene Gesangstücke. Zuerst begegnet das schöne Lied des Paul Gerhard: »Gieb dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens«. Es muß ein Liebling Bachs gewesen sein, denn es findet sich dreimal hinter einander und mit zwei ganz neuen Melodien, aus F dur und E moll (oder G moll), versehen. Bei letzterer ist Bach ausdrücklich als Componist bemerkt, und mit Recht wurde auf diese Melodie ein besonderes Gewicht gelegt, sie ist eine der ergreifendsten geistlichen Arien, die es giebt, und wer je Gelegenheit hatte, sie in Bachs vierstimmigem Tonsatze in würdiger Umgebung zu hören, wird einen unvergeßlichen Eindruck fürs Leben davon getragen haben7. Gegen das Ende hin hat Bach noch eine schöne eigne Composition des Liedes von B. Crasselius eingeschrieben: »Dir, dir, Jehovah, will ich singen«8, vor und nach diesem finden sich die Gesänge »Schaffs mit mir, Gott, nach deinem Willen« und »Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen«9. Außer diesen zwischen Gemeinde- und Kunstgesang in der Mitte sich haltenden Tonstücken stehen einige für Anna Magdalenas Stimme berechnete wirkliche Arien darin. Den Preis unter ihnen trägt das kostbare Stück davon: »Schlummert ein, ihr matten Augen, fallet sanft und selig zu«, nebst dem zugehörigen Recitativ aus der Kirchen-Cantate »Ich habe genug, ich habe den Heiland« herübergenommen und, um es der Sängerin bequem zu machen, aus Es dur nach G dur transponirt10. Eine zweite, mehr liedhafte Arie [757] in Es dur: »Gedenke doch, mein Geist, zurücke ans Grab und an den Glockenschlag« u.s.w. mahnt zur Vorbereitung auf den Tod; auch sie ist jedenfalls eine Composition Sebastians und weist Anna Magdalenas Handschrift auf. Ihr folgt, wenngleich in anderer Tonart, so doch jedenfalls in der Stimmung der Schreiberin mit ihr verbunden der Choral: »O Ewigkeit, du Donnerwort«. Eine dritte, ähnliche Arie in F moll: »Warum betrübst du dich und beugest dich zur Erden, mein sehr geplagter Geist« handelt von der Ergebung in Gottes Willen. Wie innig das Verständniß der jungen Frau für die großartige, melancholisch beleuchtete Gedankenwelt des Gatten sein mußte, wird aus der Beschaffenheit dieser Gesangstücke recht deutlich. Traulicheren Charakters sind zwei andre Lieder. Die »erbaulichen Gedanken eines Tabakrauchers« zeigen den Hausvater Bach in bürgerlicher Behaglichkeit, aber auch hier ernsten Betrachtungen hingegeben:
So oft ich meine Tabakspfeife,
Mit gutem Knaster angefüllt,
Zur Lust und Zeitvertreib ergreife,
So giebt sie mir ein Trauerbild,
Und füget diese Lehre bei,
Daß ich derselben ähnlich sei.
Diese Aehnlichkeit zwischen der zerbrechlichen Thonpfeife mit ihrem rasch verdampfenden Inhalte und dem hinfälligen Menschenleibe wird sodann in fünf Strophen durchgeführt. Das Lied ist zweimal vorhanden, zuerst in D moll, sodann für den Sopran nach G moll transponirt; Anna Magdalena wollte es selbst singen und hat es auch geschrieben. Das zweite ist, seiner cyklischen Form wegen, wieder mehr Arie zu nennen. Sein Text:
Bist du bei mir, geh ich mit Freuden
Zum Sterben und zu meiner Ruh.
Ach wie vergnügt wär so mein Ende,
Es drückten deine schönen Hände
Mir die getreuen Augen zu.
der, wie man sieht, als Anrede des Mannes an das geliebte Weib gedacht ist, hat einen merkwürdig empfindsamen, ganz zart ans Sinnliche streifenden Charakter; Bach setzte eine innige, keusche Musik dazu (Es dur 3/4). Auch sie ist dem Sopran bestimmt, auch sie [758] hat Anna Magdalena selbst geschrieben, nur ein paar Auflösungszeichen wurden, wenn ich mich nicht täusche, nachträglich vom Gatten hineincorrigirt. Dieses An- und Nachempfinden der Stimmungen eines Mannesgemüths ist ein Zeugniß inniger, kindlicher Hingabe11.
Die Musikalien des Buches reichen bis zu dem Choral »O Ewigkeit, du Donnerwort« auf Seite 121; hiermit hört die Paginirung auf. Dann folgt nach einer leeren Seite ein zweistrophiges Hochzeitsgedicht; natürlich kann es nur Anna Magdalena selbst gegolten haben. Daß es nach einer Reihe von seitdem verstrichenen Jahren hier noch seinen Platz fand, ist wohl ein sprechender Beweis glücklicher Ehestimmung:
Ihr Diener, werthe Jungfer Braut,
Viel Glücks zur heutgen Freude!
Wer sie in ihrem Kränzchen schaut
Und schönen Hochzeit-Kleide,
Dem lacht das Herz vor lauter Lust
Bei ihrem Wohlergehen;
Was Wunder, wenn mir Mund und Brust
Vor Freuden übergehen.
Cupido, der vertraute Schalk,
Läßt keinen ungeschoren.
Zum Bauen braucht man Stein und Kalk,
Die Löcher muß man bohren,
Und baut man nur ein Hennen-Haus,
Gebraucht man Holz und Nägel,
Der Bauer drischt den Weizen aus
Mit groß und kleinem Flegel.
Mit diesen beiden, durch beliebte Zweideutigkeiten gewürzten Strophen hatte sich der »übergehende Mund« des Verfassers, sicherlich eines Cöthener Localpoeten, wohl kaum Genüge gethan; wir werden den Verlust des Weiteren verschmerzen können. Auf der Kehrseite [759] des Blattes beginnen dagegen, über vier Seiten fortlaufend, Generalbassregeln. Die erste, kleinere Partie, worin Dur- und Moll-Tonleiter, und Dur-und Moll-Dreiklang erläutert werden, hat Anna Magdalena wohl nach einem Concept Sebastians abgeschrieben, alles folgende, was eine wirkliche Anweisung zum Spielen von bezifferten Bässen enthält, hat Bach eigenhändig eingetragen, und in einer Schlußbemerkung angedeutet, daß der mündliche Unterricht das Weitere thun solle. Auf den Inhalt dieser Generalbass-Regeln kommen wir bei einer andern Gelegenheit zurück.
Anna Magdalena gebar ihrem Gatten in 28jähriger Ehe dreizehn Kinder, nämlich sechs Söhne und sieben Töchter; Bach hat also mit seinen beiden Frauen im Ganzen zwanzig Kinder gezeugt. Ein Oelbild von ihr, zwei Fuß einen Zoll hoch und 23 Zoll breit, von Cristofori gemalt, besaß später der Stiefsohn Philipp Emanuel12. Die in jenen Ständen damals seltene Auszeichnung, portraitirt zu werden, erfuhr sie jedenfalls auf Sebastians Veranlassung; ein neuer Beweis seinerseits von der Liebe und Hochschätzung, auf welche das musterhafte eheliche Leben dieses Künstlerpaares gegründet war.
Als Bach im Jahre 1707 die erste Ehe schloß, überraschte ihn ein Legat seines kurz vorher gestorbenen Oheims Tobias Lämmerhirt aus Erfurt13. Es war ein merkwürdiger Zufall, daß wenige Monate vor seiner zweiten Verheirathung auch dessen Wittwe ohne Nachkommen starb und laut testamentarischer Bestimmung ihm ein Theil des Vermögens zufiel. Sebastian hatte mit der Tante in gutem Einvernehmen gestanden und sie auch zu seinem ersten Kinde als Pathe gebeten. Er fand jetzt Gelegenheit zu beweisen, daß seine Gesinnung gegen sie über das Grab hinaus reichte, da über ihre Hinterlassenschaft alsbald Erbschaftsstreitigkeiten ausbrachen. Tobias Lämmerhirt hatte nämlich kurz vor seinem Tode ein Testament aufgesetzt des Inhalts, daß im Falle seines Hinscheidens zunächst an seine Geschwisterkinder, seine Pathen und Halbgeschwister Legate von einem genau bestimmten Umfange ausgezahlt werden sollten. Das Uebrige solle seiner Wittwe als Universalerbin anheim [760] fallen, jedoch mit der Einschränkung, daß, wenn sie im Wittwenstande bliebe, nach ihrem Tode die Hälfte des Vermögens an seine nächsten Blutsfreunde zurückgehe. Die Wittwe zahlte die Legate aus, blieb im Wittwenstande und setzte am 8. October 1720 ihrerseits wieder ein Testament auf, in dem sie das Vermögen ihres Gatten als ihr Erbe und Eigenthum ansah, davon nach ihrem Tode eine Reihe von Legaten abgeführt wissen wollte und was übrig blieb unter zehn Erben zu gleichen Theilen vertheilte, deren fünf, dem Willen ihres Mannes gemäß, nächste Verwandte desselben, fünf ihre eignen waren. Eröffnet wurde das Testament am 26. September 1721; man war dessen Verordnungen zuerst auch nachgekommen, hatte von der Hinterlassenschaft die Legate abgezogen und den Rest in zehn gleiche Theile zerschlagen. Hernach erst kam einigen der Verwandten des Tobias Lämmerhirt der Gedanke, das Testament noch mehr zu ihren Gunsten ausdeuten zu können. Sie verlangten vor allem die Hälfte des Vermögens zur Herausgabe, das Tobias Lämmerhirt bei seinem Tode hinterlassen und dessen Vollbestand sie auf 5507 Thlr. 6 ggr. berechneten. Von der andern Hälfte sollten dann zuerst die von der Wittwe ausgesetzten Legate abgezogen und der Rest noch einmal in zehn Theile zerlegt werden. Dieser Antrag wurde am 24. Januar 1722 im Namen von sämmtlichen fünf erbschaftsberechtigten Verwandten eingebracht, nämlich Johann Christoph Bach aus Ohrdruf, Johann Jakob Bach, Johann Sebastian Bach, Maria Salome Wiegand geb. Bach, und Anna Christine Zimmermann geb. Lämmerhirt, einer Bruderstochter des Tobias Lämmerhirt. Aber thatsächlich ging er nur von den beiden letzten Personen aus, die, um ihrer Sache mehr Nachdruck zu geben, ohne weiteres Befragen die Zustimmung der Bachschen Brüder zu diesem Vorgehen vorausgesetzt hatten. Mit welcher Leichtfertigkeit sie hierbei zu Werke gegangen waren, wird einleuchtend, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Johann Christoph Bach schon seit dem 22. Februar 1721 nicht mehr am Leben war. Dabei hatten sie den Anwalt, welcher ihnen die Imploration aufsetzte, so oberflächlich informirt, daß dieser in derselben für die Zustimmung Sebastians in Cöthen seinen Bruder Jakob in Stockholm gut sagen ließ, wenn man nicht gar dahinter vermuthen soll, daß sie jenem, dessen noble Denkungsart ihnen bekannt sein mußte, mit dem ganzen Handel garnicht zu kommen [761] wagten. In der That erfuhr Sebastian nur durch die dritte Hand davon. Er sandte darauf dem Rathe zu Erfurt folgenden Brief:
»HochEdle, Veste und Hochgelahrte,
auch Hochweise Herren,
Insonders Hochgeehrteste Herren Patroni.
Ew. HochEdlen ist albereit bekant, welchergestalt ich und mein Bruder, Joh. Jacob Bach, (so in Königlich Schwedischen Diensten ist) MitErben bey der Lemmerhirtischen Verlaßenschafft seynd. Weil ich nun eußerlich vernehme, daß die andern Herrn MitErben gesinnet seyn, einen process über solche Verlaßenschafft anzuspinnen, gleichwohl aber mir und meinem abwesenden Bruder damit nicht gedienet ist, indeme nicht gesinnet bin das Lemmerhirtische Testament rechtlich anzufechten, sondern mit deme zufrieden bin, was mir und meinem Bruder darinne gegönnet und verordnet worden, maßen ich vor mich und sub cautione rati nomine meines Bruders hiermit allenprocess-Wesen krafft dieses renunciiret und mit gewöhnlicher protestation verwahret haben will. So habe diesem nach es vor nöthig erachtet, solches an Euer HochEdlen dienstlich zu eröffnen, mit gehorsamster Bitte, diese meine respective renunciation und protestation hochgeneigt anzunehmen und die mir und meinem Bruder noch zukommenden Erbschaffts quotas, so wohl von deme, was albereit in deposito liegen als was noch künfftig deponiret werden möchte, hochgütigst abfolgen zu laßen, welche hohe Faveur ich mit ergebensten Dancke erkenne und dafür beharre
Ew. Hochedlen
ergebenster Diener
Joh: Seb: Bach.
Hochfürstlich Anhalt-Cöthenischer
Capellmeister.
Cöthen. d. 15. Martij
[Adresse:]
Denen HochEdlen, Vesten, Hochgelahrten und | Hochweisen Herren Stadt-Schultheißen, Bürge- | meistern, Syndico und andern Raths-Collegen! | Meinen insonders Hochgeneigten Herren Patronis | in Erffurth.|«14
[762] Nach dieser entschiedenen Erklärung wird es wohl zur Einleitung des Processes garnicht gekommen sein, es sind auch keine Spuren von Acten, die darauf Bezug nähmen, vorhanden. Um das pietätlose Vorgehen seiner Verwandten zu hindern, trat Sebastian zugleich im Namen seines Bruders Jakob auf, dessen gleich anständiger Gesinnung er sicher war. Johann Jakob Bach hatte, nachdem er 1704 der stillen Heimath Valet gesagt15, alle die kühnen Züge des Schwedenkönigs Karls XII. tapfer mitgemacht, an der Schlacht bei Pultawa theilgenommen und mit seinem königlichen Herrn das türkische Bender erreicht. Dort hatte er bis zum Jahre 1713 treulich ausgehalten und dann die Erlaubniß bekommen, sich als Hofmusicus nach Stockholm in den Ruhestand zu begeben. Er war von Bender zuerst nach Constantinopel gegangen und hatte dort eine Weile das Flötenspiel studirt bei Pierre Gabriel Buffardin, dem späteren Dresdener Kammermusiker und Lehrer des berühmten Quanz, welcher sich zufällig bei der dortigen französischen Gesandtschaft aufhielt und späterhin selber die Thatsache an Sebastian Bach erzählte16. Ob er dann durch Deutschland nach Schweden ging und bei dieser Gelegenheit seine Geschwister in Thüringen besuchte, wissen wir nicht. Nachweislich bezog er von 1713 an aus der Hofkasse in Stockholm seinen Jahresgehalt bis zum Jahre 1721 einschließlich. Im Jahre 1722 muß er gestorben sein, kaum 40 Jahre alt und vermuthlich durch die übermäßigen Anstrengungen des russischen Feldzuges gebrochen. Er hat also wahrscheinlich von der Angelegenheit, in welcher Sebastian seine Ansprüche vertrat, nichts mehr erfahren. Dieser aber mußte nach dem kurz zuvor eingetretenen Tode Johann Christophs, des brüderlichen Lehrers, und einer hochgeschätzten Anverwandten nunmehr auch den Verlust des letzten Bruders betrauern17.
[763] So waren denn wechselnd zwischen Lust und Leid schon mehr als vier Jahre in Cöthen verlebt worden; was aber die Grundlage von Bachs Glücke dort bildete, war sich stets gleich geblieben. Das lebendige, verständnißvolle Kunstinteresse des Fürsten hatte ihn auch die Enge des musikalischen Kreises, in welchen er dort gebannt war, die ausschließliche Beschränkung auf die Kammermusik, das Fehlen jeder kirchlichen Kunstthätigkeit, ganz vergessen lassen. Da sich jedoch Bach hierfür eigentlich bestimmt fühlen mußte, so bedurfte es nur irgend eines äußerlichen Anstoßes, um ihm zum Bewußtsein zu bringen, daß sein Genius ihm nicht gestatte, an dieser wenngleich noch so geliebten Stelle auf immer seine Hütte zu bauen. Diesen Anstoß gab die schon gemeldete Verheirathung des Fürsten. Dessen Gemahlin war nicht musikalisch und nahm die Aufmerksamkeit des jungen Gatten um so mehr für sich in Anspruch, als sie zart und schonungsbedürftig war. Das Interesse für Musik schien bei ihm etwas abzunehmen, und jetzt wurde es Bach plötzlich klar, daß er nicht dazu da sei, mit seinen überragenden Gaben einen einzigen dilettantirenden Fürsten zu bedienen. In dem schon erwähnten Briefe an Erdmann erzählt er dies mit schlichten Worten selbst18. »Von Jugend auf«, schreibt er aus Leipzig, »sind Ihnen meine Fata bestens bewust, bis auf die mutation, so mich als Capellmeister nach Cöthen zohe. Daselbst hatte einen gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten, bey welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich aber fügen, daß erwehnter Serenissimus sich mit einer Berenburgischen Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob die musicalische Inclination bey gesagtem Fürsten in etwas laulicht werden wolte, zumahle da die neue19 Fürstin schiene eine amusa zu seyn: so fügte es Gott, daß zu hiesigem Directore Musices, und Cantore an der Thomas Schule vociret wurde. Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden. Weßweg auch meine Resolution auf ein vierthel Jahr trainirete, jedoch wurde mir dieseStation dermaßen favorable beschrieben, daß endlich |: zumahle [764] da meine Söhne denen Studiis zu incliniren schienen :| es in den höchsten Nahmen wagete und mich nacher Leipzig begabe, meine Probe ablegete und so dann die Mutation vornahme.« Daß das zeitweilige Erkalten des musikalischen Interesses beim Fürsten wirklich nur der äußere Anstoß zu einem Schritte war, dessen Notwendigkeit ganz allgemein in Bachs künstlerischem Wesen begründet lag, ergiebt sich deutlich daraus, daß sein Entschluß bestehen blieb, obgleich die »musenfeindliche« Persönlichkeit, die Fürstin Friederike Henriette, schon am 4. April 1723 starb; erst im Mai des Jahres verpflichtete er sich in Leipzig zur Uebernahme des Cantorats an der Thomas-Schule. Unterdessen erfolgte in Cöthen die Beisetzung der Verstorbenen ohne jede musikalische Feierlichkeit20. Der Fürst verheirathete sich zum zweiten Male am 2. Juni 1725 mit Charlotte Friederike Wilhelmine, einer Prinzessin von Nassau-Siegen. Hatte er sich gleich örtlich von Bach trennen müssen, so blieb dieser doch sein Capellmeister »von Haus aus«21. Als solcher componirte er zum 30. November 1726, dem ersten Geburtstage der zweiten Fürstin nach ihrer Vermählung, eine Gratulations-Cantate, zu welcher der Leipziger Gelegenheitsdichter Christian Friedrich Henrici, oder Picander, wie er sich als Jünger Apolls zu nennen pflegte, die Worte geliefert hatte22. Sie beginnt mit einem Chore: »Steigt freudig in die Luft zu den erhabnen Höhen« (D dur 3/4), bringt dann zwischen vier Recitativen drei anmuthige Arien, deren zweite sich vielleicht nicht ohne Absicht besonders hervorthut; sie ist für den Bass geschrieben und Fürst Leopold war selbst ein tüchtiger Bassist. Den Abschluß macht ein fröhlicher, homophoner Chor im Gavotten-Rhythmus, Recitativ-Sätzchen sind hineingefügt; sein Anfang stimmt, beiläufig bemerkt,[765] fast genau mit dem Thema von Beethovens Chor-Fantasie überein. Das freundliche, wenn auch nicht sehr bedeutende Werk wurde später mit etwas verändertem Text noch zu einer andern Geburtstags-Huldigung verwendet und endlich auch zur Cantate auf den ersten Advents-Sonntag umgearbeitet, wo denn die Recitative ausgeschieden und statt deren Choralbearbeitungen eingesetzt wurden23. Bald darauf hatte Bach die Todtenfeier des geliebten Gönners durch seine Kunst zu schmücken, der am 19. November 1728 sein kurzes Leben beschloß24. Es geschah dies durch eine großartige Trauermusik, welche er 1729, vermuthlich am Anfange des Jahres, selbst in Cöthen aufführte. Das musikalische Personal dazu (wohl auch schon zu der Gratulationscantate) wird er von Leipzig mit herüber gebracht haben; in Cöthen selbst war man auf dergleichen nicht eingerichtet. Den Text machte wieder Picander25. Er besteht aus vier Abtheilungen und ist auf Doppelchöre angelegt. Die Musik existirte noch bis zum Jahre 1819; dann verschwand sie spurlos, und wir haben nichts, das uns für diesen vielleicht auf immer eingetretenen Verlust entschädigen kann, als das begeisterte Lob ihres letzten Besitzers26. Unfraglich hatte der Meister dafür seine ganze Kraft zusammen genommen. So zerriß erst der Tod das Band, das die Ferne nicht hatte lösen können. Wehmutherfüllt und schweren Herzens zog Bach jetzt davon27. Aber was der Cöthener Aufenthalt für ihn sein konnte, war er gewesen: durch eine mehr als fünfjährige fast ausschließliche Beschäftigung mit der instrumentalen Kammermusik hatte er seinen Genius an der reinsten und unmittelbarsten Quelle der Tonkunst weiter gekräftigt, um nun gerades Weges jene allerhöchsten Ziele zu erreichen, für welche er geboran war.
[766] Er hatte die Zeit redlich benutzt. Wir versuchten die dichte Fülle der Kammermusikwerke zu überblicken, welche theils nachweislich, theils wahrscheinlich in Cöthen componirt sind. Noch fehlen aber in dem Gesammtbilde jene zwei Werke, welche mit den Inventionen und Sinfonien zusammen die höchsten Spitzen der cöthenischen Claviercompositionen darstellen. Es sind die »französischen« Suiten und das »wohltemperirte Clavier«.
Die französischen Suiten stehen, wie gesagt, größtentheils in Anna Magdalenas erstem Büchlein und füllen dasselbe fast ganz aus28. »Französische« hat man sie später, wohl ohne Zuthun des Componisten, wegen der knappen Formen ihrer Bestandteile genannt, die sich auch in den äußern Dimensionen möglichst eng an den zu Grunde liegenden Tanztypus anschließen. Hiermit stehen sie zu den breiten, symphonischen Formen der späteren Partiten und sogenannten englischen Suiten im Gegensatz. Im übrigen ist an eine Nach- und Weiterbildung besonderer französischer Eigenthümlichkeiten nicht zu denken; dergleichen findet sich bei Bach überhaupt nicht vor und konnte auch nur in frühesten Jugendwerken möglich sein29. Eher läßt sich von einer gewissen Verwandtschaft mit Georg Böhms Suiten reden, der ja allerdings von französischer Seite stark beeinflußt war; aber die Verwandtschaft ist eben nur eine innere. Die Gestalt der französischen Suiten ist durchweg die oben ausführlich beschriebene; Allemande, Courante, Sarabande, Gigue bilden die notwendigen Bestandteile; zwischen die beiden letzten Stücke sind Intermezzi eingeschoben. Ein Praeludium besitzt keine; zu der vierten scheint ursprünglich eins vorhanden gewesen, dann aber der Einheitlichkeit wegen getilgt zu sein30. Ueberhaupt macht das Werk den Eindruck nicht einer durch Zufälligkeiten entstandenen oder bestimmten Collection, sondern eines mit künstlerischem Verstande geordneten und aus einem Gusse gestalteten Ganzen. Wie bei den Inventionen und Sinfonien, so finden sich auch hier Paralipomena in nicht unbeträchtlicher Anzahl, die beweisen, mit welcher Sorgfalt der Meister das Beste auswählte. Nicht weniger als [767] drei vollständige Suiten von derselben Beschaffenheit im Einzelnen und Ganzen liegen noch außerdem vor. Sie stehen in A moll, Es dur und E moll und sind so vortrefflich, daß es schon etwas ausgesucht schönes sein mußte, was sie zurückdrängen konnte31. Mit sorgfältiger Abwägung stehen die drei ersten der französischen Suiten in Moll (D moll, C moll, H moll), die drei letzten in Dur (Es dur, G dur, E dur). Aber auch die Moll-Suiten sind weniger tiefen und ernsten, als sinnigen, elegischen Charakters, der sich jedesmal durch die Gigue am Schlusse kräftig und elastisch emporrichtet. Eine formelle Seltsamkeit ist die Gigue der D moll-Suite; sie steht im Takt und schreitet gewichtig und entschieden daher, fast wie das Grave einer französischen Ouverture; der Typus ist jedenfalls ganz unkenntlich geworden. Eine entzückende Stimmung waltet in den drei letzten Suiten, eine selige und beseligende Fröhlichkeit, ein zufriedenes, glückliches Gefühl, daß die Welt so schön ist und der Mensch sich ihrer freuen darf; Frühlingssonnenschein und Veilchenduft glänzen und duften überall hervor. Fürwahr, der rechte Antimelancholicus! Die einzelnen Stücke überbieten einander an unaussprechlichem und stets verschiedenem Reize; eitles Bemühen wäre es, über sie im Besondern etwas sagen zu wollen. Die Formen sind die allereinfachsten. Schumann meint einmal32, über manches in der Welt lasse sich garnichts sagen, z.B. über die C dur-Symphonie mit Fuge von Mozart, auch über einiges von Beethoven. Wenn wir fortfahren: über vieles von Bach, zumal über die französischen Suiten, wird es wohl in seinem Sinne geschehen. Daß ihn, den Bach-verwandten Geist, grade auch dieses Werk ganz gefangen genommen hatte, hat er unabsichtlich bewiesen durch die Nachbildung, welche die Gavotte der E dur-Suite in einem seiner Streichquartette erfuhr33.
[768] Viele einzelne Beispiele haben uns bereits gezeigt, zu welcher alles überragenden Meisterschaft es Bach in der Fugenform gebracht hatte, vor allem auf der Orgel, dann aber auch in der Clavierfuge. Es mußte ihm der Gedanke nahe sein, auch von Tonstücken dieser Gattung eine Anzahl zu einem Sammelwerke zusammenzuschließen. Die Ausführung des Planes fand im Jahre 1722 statt. Dem Werke gab er folgenden Titel: »Das wohl temperirte Clavier oder Praeludia und Fugen durch alle Tone und Semitonia so wohltertiam majorem oder Ut Re Mi anlangend, als auchtertiam minorem oder Re Mi Fa betreffend. Zum Nutzen und Gebrauch der Lehrbegierigen Musicalischen Jugend als auch derer in diesem Studio schon habil seyenden besondern Zeit Vertreib aufgesetzet und verfertiget von Johann Sebastian Bach p.t. Hochfürstl. Anhalt. Cöthenischen Capell-Meistern und Directore derer Cammer-Musiquen. Anno 1722.« Der instructive Zweck ist also auch hier deutlich ausgesprochen. Er war es jedenfalls zunächst, der das Princip der Zusammenstellung bedingte: einen Lauf durch alle 24 Dur- und Moll-Tonarten, deren einige damals noch ganz ungebräuchlich waren, und zu denen durch die neue Methode des Fingersatzes und seine Art, das Clavier zu stimmen, Bach zuerst den Zugang eröffnet hatte34. Auch darin tritt die lehrhafte Absicht in ihrer ganzen Schlichtheit hervor, daß Bach die 24 Tonarten nicht nach dem Gesetze innerer Verwandtschaft geordnet hat, wie eine solche schon zehn Jahre zuvor Heinichen in seinem »musikalischen Zirkel« dargelegt hatte, sondern in einfacher chromatisch aufsteigender Folge. Und nicht minder ist diese Schlichtheit den einzelnen Musikstücken eigen. Sie verzichten auf jeden äußerlich bestechenden Schmuck; höchste Solidität, ein keusches, bis in die letzte Note bedeutungsvolles Wesen ist ihr gemeinsames Merkmal. Den bei weitem größten Theil derselben hat Bach jedenfalls während der Cöthener Periode, ja wahrscheinlich in einer und derselben Zeit rasch hinter einander geschrieben. Eine glaubwürdige Tradition berichtet, daß dies an einem Orte geschehen sei, wo er jede musikalische Beschäftigung, ja alle musikalischen Instrumente habe entbehren müssen; hier habe er Unmuth und Langeweile durch einen [769] solchen Zeitvertreib von sich fern zu halten gesucht35. Vermuthlich war dies auf einer der Reisen gewesen, auf denen er seinen Fürsten zu begleiten hatte. Jedoch derartig aus einem Guß, wie die französischen Suiten oder auch die Inventionen und Sinfonien, ist das Werk nicht: einmal tragen einige, wenngleich nur wenige Fugen deutlich den Stempel einer früheren Entstehungszeit, sodann sind auch nicht alle mit ihren Praeludien zusammen gedacht und geschaffen. Am greifbarsten verräth sich als älteres Werk die Fuge aus A moll, zunächst durch den am Schlusse eintretenden Pedalton – ein unorganischer Effect, auf den wir an verschiedenen Stellen aufmerksam gemacht haben, und den der Componist in reiferen Jahren gänzlich verschmähte. Außerdem tritt an diesem Pedalton zu Tage, daß die Fuge ursprünglich für Cembalo gesetzt war. Hiermit steht sie aber zu der Intention des Gesammtwerkes im Gegensatz, das zunächst für eine Ausführung auf dem Clavichord bestimmt ist. Nach der Stellung, welche Bach zum Clavichord einnahm, ist dies bei einem Werke, wie das wohltemperirte Clavier, schon an sich fast selbstverständlich; es läßt sich aber auch aus Takt 15 auf 16 der Es moll-Fuge beweisen, wo jedenfalls nur deshalb in der Oberstimme nicht von nach fortgeschritten wird, weil dieses auf den meisten Clavichorden fehlte; ferner geht es aus Takt 30 der A dur-Fuge hervor, wo der beschränkten Claviatur zu Liebe die regelrechte Imitation der rechten Hand abgeändert wurde36. Desgleichen schreitet der Bass, von einigen unwichtigen Octavenverdopplungen abgesehen, nicht unter C hinab, während das Cembalo nach beiden Seiten größeren Umfang hatte, den Bach auch ohne Anstand benutzt37. Nun aber kommt weiter hinzu, daß die A moll-Fuge eine offenbare Nachbildung einer Buxtehudeschen Orgelfuge gleicher Tonart ist38. Dies tritt besonders in der Disposition hervor. Erst erfolgt eine Durchführung in motu recto [770] bis T. 14, dann in motu contrario bis T. 27; dann Engführung in motu recto bis T. 48, Engführung in motu contrario bis T. 64; von hier an tritt zunächst Engführung zweier Stimmen in motu recto ein, zweier andrer dagegen in motu contrario, dann noch eine eben solche Engführung zwischen Alt und Bass in F dur, endlich von T. 76 an das Thema in verkehrter Bewegung, der Gefährte eine Secunde höher in rechter, Engführung in rechter Bewegung von T. 80 und Schluß über einem Orgelpunkt. Das Hin- und Wiederspielen zwischen rechter und verkehrter Bewegung bildet nun genau so das Entwicklungs-Motiv in Buxtehudes Fuge, nur hat derselbe nach seiner Weise den Bau durch Taktwechsel mit motivischer Umbildung und ein passagenreiches Nachspiel erweitert. Bach bewahrt äußerlich eine größere Concentrirtheit, allein seine ganze Anlage erscheint mehr verstandesmäßig kühl ersonnen, als lebendig in der Phantasie geschaut. Die Fuge hat etwas studienhaftes, entwickelt sich nicht innerlich und bringt es zu keinen Höhepunkten. Ein Hauptgrund liegt darin, daß das Thema sich zu so ausgedehnten Engführungen nicht eignet, sie bewegen sich fast durchhin in Sexten- und Terzen-Intervallen, klingen also nur als Harmonisirung des Themas mit und binden eine reichere harmonische und polyphone Entfaltung; auch ermüdet der Rhythmus. Noch weniger kann die Umkehrung des Themas befriedigen. Der charakteristische Septimenschritt -gis ist zerstört, in der Umkehrung erscheint er nicht mehr als eine nothwendige melodische Folge, sondern als eine unmelodische, willkürliche Versetzung des Themas in die höhere Octave, denn das Ohr verlangt an dieser Stelle jedesmal einen halben Ton abwärts geführt zu werden. Auch wird die Tonart unsicher, das Thema geräth dabei immer aus Moll nach Dur und aus Dur nach Moll. Es bedarf nur eines Blickes auf die ganz ähnlich angelegte B moll-Fuge im zweiten Theile des wohltemperirten Claviers, um zu erkennen, wie ein reifer Meister mit derartigen Kunstmitteln schaltet. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir die Entstehungszeit der A moll-Fuge um 1707 oder 1708 suchen. Auch in der Gis moll-Fuge ist eine Jugendarbeit ziemlich klar erkennbar. Das Thema fällt durch eine etwas steife Bewegung auf, die mit der unvergleichlichen Elasticität andrer Bachscher Gedanken merkwürdig contrastirt; die accordische Contrapunctirung, welche hier nicht selten aufstößt, läßt man sich wohl [771] bei Buxtehude, Buttstedt und andern Künstlern der älteren Generation gefallen, von Bach erwartet man sie nicht, eben so wenig das Hinaufschieben einer und derselben Tonphrase auf höhere Tonstufen. In der Behandlungsweise sind einige Aehnlichkeiten mit einer früher genannten A moll-Fuge vorhanden39, die mit dieser dieselbe Entstehungszeit haben mag, doch ist sie viel zierlicher und graziöser40.
Was die Praeludien betrifft, so war schon Rob. Schumann, in gewisser Hinsicht der competenteste Bach-Beurtheiler neuerer Zeit, der Meinung, daß wohl viele derselben in keinem ursprünglichen Zusammenhange mit den Fugen ständen41. Wir wissen in der That auch schon, daß Bach das Praeludium als selbständige Form cultivirte42. Und weiter läßt sich nachweisen, nicht nur daß alle Praeludien beider Theile des wohltemperirten Claviers auch ohne die Fugen von Bach zu einem selbständigen Ganzen zusammen gefaßt wurden – es geht dies aus der Beschaffenheit eines an andrer Stelle beschriebenen Autographs deut lich hervor –, sondern auch daß eine Anzahl der zum ersten Theil gehörigen als in sich abgeschlossene Stücke anfänglich gedacht sind. In Friedemann Bachs Clavierbüchlein nämlich, das 1720 angelegt wurde, finden sich alleinstehend die elf Praeludien aus C dur, C moll, D moll, D dur, E moll, E dur, F dur, Cis dur, Cis moll, Es moll, F moll. Ist schon an sich nicht der geringste Grund vorhanden, anzunehmen, daß dieselben weniger selbständig sein sollten, als die andern im Clavierbüchlein enthaltenen Praeludien, so wird diese Selbständigkeit noch fester dadurch begründet, daß mehre von ihnen zur Verwendung im wohltemperirten Clavier eine ausweitende Bearbeitung erfuhren. Es geschah dies [772] nachweislich bei den Praeludien aus C dur, C moll, D moll und E moll43. Auch ist es nicht schwer zu erkennen, daß die Stimmung manchmal nicht recht mit der der Fuge harmoniren will, so namentlich bei dem C dur-Praeludium, und auch das winzige A moll-Praeludium ist vor der in voller Waffenrüstung einher stolzirenden Fuge nicht recht am Platze.
Nichtsdestoweniger bleibt das wohltemperirte Clavier auch als Ganzes eins der größten instrumentalen Meisterwerke Bachs. Was darin sich nicht auf der höchsten Höhe hält, ist doch noch immer bedeutend genug, um mit Würde seinen Platz zu behaupten; ohne das hätte es auch der Meister, der eine so scharfe und unermüdliche Selbstkritik übte, sicherlich verworfen; um einen Ersatz konnte er ja nicht verlegen sein. Daß er selbst bedeutende Stücke auf das Werk hielt, beweisen die drei (beziehungsweise vier) Originalhandschriften, in denen es sich erhalten hat, eine für ein so umfangreiches Werk seltene Anzahl! An eine Herausgabe hat er jedoch wohl kaum gedacht, obgleich Mattheson den »berühmten Herrn Bach in Leipzig, der ein großer Fugenmeister ist«, öffentlich zu etwas derartigem aufforderte44. Bei der gewöhnlichen Art von clavierspielenden Liebhabern war mit solch tiefsinniger, origineller Musik kein Glück zu machen, und die Organisten schilt Mattheson unwissende Leute, die gern einträgliche Dienste haben wollten, aber nichts thun noch lernen, »als was sie umsonst erschnappen«. Für vorgerücktere Clavierschüler benutzte Bach das Werk als Uebungs- und Bildungs-Material45, und schuf zu ihm in späteren Jahren noch einmal 24 Praeludien und Fugen als Gegenstück, auf die wir am gehörigen Orte zurück kommen. Man begreift sie mit dem jetzt in Betrachtung stehenden Werke gewöhnlich unter dem Gesammttitel »Das wohltemperirte Clavier«, obgleich diese originelle Benennung von Bach nur bei der älteren Reihe angewendet ist46.
[773] Was der ästhetischen Gesammtbetrachtung vor allem auffällt, ist die großartige Mannigfaltigkeit im Charakter der 24 Fugen. Jede ist in der That ganz und gar von jeder andern verschieden. Auch von den weniger bedeutenden gilt das, und das Streben danach war vielleicht der Grund, weshalb Bach die in ihrer Jünglingshaftigkeit eigenartigen Stücke aufnahm. Nicht weniger mannigfaltig sind die Praeludien, obgleich die Mehrzahl in einer und derselben Form gehalten ist, derjenigen nämlich, die Bach auch für seine alleinstehenden Praeludien zu nehmen pflegte. Aus einem ganghaften Motiv wird der ganze Satz herausgesponnen, zuweilen neigt sich dasselbe schon zu den festeren Umrissen eines Themas hinüber, oft ist es gar nur rhythmisch ausgeprägt, und träumt ganz in sich gekehrt von Harmonie zu Harmonie weiter. Ein Muster dieser Compositionsart, von der wir schon mehre Beispiele zu verzeichnen hatten, ist das berühmte C dur-Praeludium, ein Stück von unsäglichem Zauber, über das eine große, selige Melodie körperlos hinzieht, wie Engelsgesang durch die stille Nacht über flüsternde Büsche und Bäume. Die zugehörige Fuge ist wohl nicht ohne Grund zu einem höchst complicirten Ricercar herausgearbeitet, sie sollte ihren ersten Platz würdig ausfüllen. Eine staunenswürdige Kunst offenbart sich in den verschiedenartigen Engführungen in der Quinte, Octave, Terz, Septime, Quarte, welche abwechselnd auf dem dritten, fünften und siebenten Achtel und großentheils auch im doppelten Contrapunct ausgeführt werden, in der rechten und umgekehrten Verwendung des Gegensatzes und seiner Versetzung in den Contrapunct der Duodecime47. Auch für den Spieler wird eben keine leichte Aufgabe darin gestellt. Das Fugenthema beginnt mit dem zweiten Achtel des vollen Taktes; es darf nicht unbemerkt bleiben, daß darin jene, Bach eigenthümliche, innige Erregtheit sich offenbart, indem erst nach dem Verlaufe von fast einem Takte der stärkste Accent hörbar wird, dem alles vorhergehende in eigner Unbefriedigung zustrebt. Es ist dies ein innerliches Crescendo, dem der Meister so viel als thunlich auch beim Spiel Ausdruck gegeben haben wird. Bei weitem die meisten Themen seiner Clavierfugen sind so oder ähnlich geformt. Von den 48 Nummern der beiden Theile des wohltemperirten Claviers beginnen [774] sie bei achtzehnen nach dem ersten Achtel (beziehungsweise Sechzehntel), bei sieben nach dem ersten Viertel, und bei dreien nach den ersten anderthalb Vierteln. Auch bei der Mehrzahl der übrigen Clavierfugen Bachs, z.B. in den Toccaten aus E moll, Fis moll, C moll macht man dieselbe Bemerkung. Mit dem vollen Takte beginnen in beiden Theilen des wohltemperirten Claviers nur vierzehn Themen und mit Auftakt gar nur sechs. Bei den Orgelfugen ist das Verhältniß ein anderes, der Einsatz mit dem vollen Takte herrscht hier vor, doch findet sich auch das Entgegengesetzte, namentlich nicht selten in früheren Werken, und ist hier um so fühlbarer, da die Orgel accentuirungsunfähig ist und somit das Gefühl für das richtige rhythmische Verhältniß erst allmählig durch andre Mittel hergestellt werden kann. Dem Wesen der Orgel nachgebend beschränkte Bach solche Aeußerungen innerer Bewegtheit und Unruhe später mehr auf das intimere Clavier; hier setzte er dann auch jene rhythmischen Spannungen fort, für welche die Fis moll-Fuge im zweiten Theil des wohltemperirten Claviers ein vorzügliches Beispiel liefert48. – Das C moll-Praeludium theilt mit dem vorhergehenden die allgemeine Anlage, doch ist es, auch abgesehen von der Tonart, trüber und krauser; das Motiv besteht nicht nur in einem gebrochenen Accorde, sondern hat auch etwas von melodischer Gestalt; gegen den Schluß bricht sogar eine heftige Leidenschaft hervor. Auch der unbeschreiblich graziösen, reizenden Fuge, die durch kühnen Gebrauch des harmonischen Querstandes etwas besonders pikantes erhält, fehlt nicht ein nachdenklicher Zug. Das Cis dur-Praeludium haben wir schon früher als ein Paralipomenon der zweistimmigen Inventionen angeführt; es gehört mit der fünften, neunten und zwölften in eine Kategorie. Voll gilt dies aber nur von seiner älteren und kürzeren Gestalt, die später um fast 40 Takte erweitert wurde. Man erinnert sich, daß Bach die Inventionen ursprünglich Praeambulen genannt hatte. So wie dort sind auch hier beide Hände in der abwechselnden Verarbeitung einer vollständigen melodischen Periode thätig; ein höchst anmuthiges, heiter auf- und niedergaukelndes Tonstück zieht vorüber. Ueber ein genial erfundenes, kühnes Thema ist die ausgezeichnete Fuge gebaut, welche die glückliche, lebensfreudige Stimmung [775] des Praeludiums fortsetzt und erhöht. Das Cis moll-Praeludium geht in eine Gattung hinüber, die schon an den späteren weimarischen Orgelcompositionen zu beobachten war; es liegt ihm ein imitatorisch verarbeitetes wirkliches Thema zu Grunde49. Zu diesem herrlichen, tief schwermüthigen Satze stimmt die nachfolgende fünfstimmige Tripelfuge, eine der allergroßartigsten Schöpfungen im gesammten Bereiche des Claviers. Zu einem viernotigen, wie aus Granitquadern gebauten Hauptthema gesellt sich vom 35. Takte ein zweites in gleichmäßigem Achtelflusse, endlich Takt 49 ein energisch drängendes drittes, und nun breitet sich, noch über sechzig Takte lang, ein Tonsatz aus von so ungeheurer Fülle und Erhabenheit, so riesiger, fast zermalmender harmonischer Kraft, wie selbst Bach nur wenige geschaffen hat. Es ist als triebe man auf weitem Meer: Woge auf Woge steigt schaumgekrönt so weit das Auge reicht, ernst und groß spannt sich der Himmel über das gewaltige Naturschauspiel und den willenlos hingegebenen Menschen.
Die Praeludien in D dur und D moll sind aus ganghaften Sechzehntelmotiven gesponnen und fast durchaus zweistimmig und homophon; anmuthig spielend ist das erste, unruhig suchend das zweite. Ein scharf geschnittenes Charakterbild bietet die D dur-Fuge, deren Thema mit trotzigem Lockenschütteln das Haupt erhebt, um dann stolz und mit etwas steifer Würde einher zu schreiten. Höchst interessante motivische Bildungen nehmen einen nicht unbedeutenden Raum ein, was bei der eigentümlichen Gestalt und der Kürze des Themas geboten war; von Takt 17 an tritt es garnicht wieder auf und grade hier entfaltet das Stück erst seinen höchsten Glanz, die beiden Gegensätze, welche das Thema enthält: jähes Aufbrausen und pathetische Grandezza neben und mit einander entwickelnd. Die D moll-Fuge ist merkwürdig durch ihre künstlichen Umkehrungen und Engführungen und durch eine außergewöhnliche Sparsamkeit im Verbrauch des musikalischen Stoffes; der Ausdruck ist herbe und eigensinnig, wie es auch des Componisten Wesen zu Zeiten sein konnte50. Eine eigentümliche Erscheinung tritt uns in dem Es dur-Praeludium [776] entgegen. Dasselbe ist aus zwei Themen breit, kunstreich und streng vierstimmig gewoben; sie werden aber zuvor allein nach einander in freier und mehr nur andeutender Weise durchgeführt, zuerst das bewegte Thema bis Takt 10, von da das ruhige, in Viertel- und halben Noten gehende bis Takt 25. Der scharfe Gegensatz zwischen den beiden Gruppen erinnert sofort an die Form der Toccate, wie dieselbe auch Bach zu beginnen pflegte; auch eine solche Exposition des Materials ist uns von dorther schon bekannt51. Was in dem letzten Satze der D moll-Toccate mehr nur versucht war, ist hier in jeder Beziehung meisterlich hinausgeführt. Der Ausdruck ist höchst edel, tief und bedeutend. Alles das gereicht freilich der folgenden Fuge zum Nachtheil, die trotz ihrer Anmuth und Lieblichkeit doch gegen das Praeludium zu leicht wiegt, während eigentlich dieses nur auf sie vorbereiten und zu ihr hinanführen müßte. Keinesfalls sind beide Stücke ursprünglich zusammen concipirt; Bach wird den schönen Toccatensatz in dem Werke haben verwenden wollen, und da er als wirkliches Praeludium zu gewichtig war, so drehte er hier einmal das Verhältniß um und fügte ihm absichtlich eine ganz leicht geschürzte Fuge an, dreistimmig und ungefähr nur zur Hälfte so lang. Zu den allergenialsten Praeludien gehört dasjenige aus Es moll. Aus diesem Keim
der bald in der rechten, bald in der linken Hand, nach verschiedenen Richtungen gewendet, bald zerlegt, bald in Figurationen aufgelöst erscheint, während dazu in lastenden Accorden dieser Rhythmus sich durchzieht, entwickelt sich ein unter Bachs Werken einzig dastehendes Stück. Der Triumph, den die motivische Kunst hier feiert, ist um so größer, als man sich ihrer garnicht bewußt wird bei der magisch bannenden Stimmung, die uns schwer und dumpf umfängt, wie an schwülen Gewitterabenden, wenn kein Lüftchen sich regt und bläulicher Wetterschein am schwarzen Horizonte aufflackert: todestraurig wird der Ausdruck vom 29. Takte an, schaurig haucht das Dur des Schlusses. Vortrefflich paßt hierzu die dreistimmige Fuge, wiederum ein wahres Ricercar und das einzige Stück des ersten Theiles, in dem das Mittel der Themavergrößerung angewendet wird [777] (von Takt 62 an). Die Kunst ist hier auf eine solche Spitze getrieben, daß, nachdem schon früher Engführungen und Umkehrungen reichlich verwendet waren, von der genannten Stelle an das Thema in vergrößerter und gewöhnlicher Gestalt in rechter und verkehrter Bewegung zusammengeführt wird, von T. 77 an sogar in allen drei Stimmen. Dies dicht geschlungene Stimmengewebe macht den Eindruck nervöser Aufgeregtheit, ängstlichen und leidenschaftlichen Suchens, man höre dazu noch die Gänge der Oberstimme in Takt 15–16 und Takt 48–52, die sich in der contrapunctirenden Geigenstimme zu dem Choral: »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, ich bitt, erhör mein Klagen« wiederfinden, welcher den Schluß der Cantate »Barmherziges Herze der ewigen Liebe« bildet52. Auf Joh. Ludwig Krebs hatte diese Fuge einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er eine Nachbildung derselben versuchte53. – Ein fröhliches, reizend aus einem Motiv von sechs Achteln herausgearbeitetes Praeludium haben wir in E dur, noch entzückender ist die Fuge, deren Thema mit keckem Sprunge ansetzt und dann ebenmäßig fortgleitet. Man muß nur andre Fugenwerke jener Zeit vergleichen, um die unerhörte Erfindungskraft Bachs, die in der Verschiedenartigkeit der Themen zu Tage tritt, in vollem Umfange zu würdigen; das sind Gebilde, die man nie wieder vergißt, wenn man sie einmal mit Antheil gehört hat. Das E moll-Praeludium ist, so wie es jetzt vorliegt, die Ueberarbeitung eines kleinen Stückes, das für Friedemann Bach zur Uebung der linken Hand geschrieben zu sein scheint: in dieser rollen Sechzehntel hin und her, während die rechte kurze Accorde anschlägt. Mit der nur ihm eignen Meisterschaft hat Bach zu dem Basse eine freie Melodie erfunden. Als Formideal schwebten ihm dabei offenbar jene phantastischen Adagiosätze der italiänischen Violinsonate vor, deren er ja selbst in seinen Sonaten so vortreffliche geschaffen hat. Vom 23. Takte an wird dann aber in schnellerem Tempo das Bassmotiv einer weiteren Durchführung beider Hände unterworfen, die von der Zweistimmigkeit ausgehend endlich zum vierstimmigen Satze anwächst. Diesem höchst originellen Praeludium folgt eine eben so merkwürdige Fuge, die einzige zweistimmige des Werkes. [778] Eine für den zweistimmigen Satz unerhörte Freiheit ist das zweimal vorkommende Unisono (Takt 19 und 38), das man ohnehin schon in der Bachschen Schreibweise nicht erwartet, geschweige denn grade hier. Es finden sich jedoch einige Stellen, aus denen hervorgeht, daß der Meister auch dieses Mittel nicht verschmähte, wenn es ihm auf eine besondere Wirkung ankam. Einen Fall haben wir schon bei Gelegenheit der Cantate »Bereitet die Wege« kennen gelernt, in deren erstem Recitativ Singstimme und Instrumentalbass zweimal ins Unisono hinein und wieder herausströmen, um die Vereinigung des Christen mit dem Heilande zu illustriren54. Ein andres Beispiel gewährte der wilde erste Satz der Gambensonate aus G moll. Eine dritte Stelle findet sich in dem kleinen G moll-Praeambulum aus Friedemanns Clavierbüchlein55, im fünften Takte vom Schlusse; eine vierte in der Burlesca der A moll-Partite aus dem ersten Theile der Clavierübung, Takt 16 des zweiten Theils56. Auch in unserer E moll-Fuge ist die Absicht auf eine besondere Wirkung unverkennbar. Beide Male fließen die Stimmen nicht auf ihren natürlichen Wegen zusammen, sondern die eine bricht gewaltsam und eigenwillig ins Gehege der andern hinein. Dieser Charakter des Eigenwilligen, ja Widerborstigen ist aber der ganzen Fuge eigen, und wird schon durch das heftig sich durchs Tondickicht hindurchzwängende Sechzehntel-Thema festgestellt. F dur-Praeludium und -Fuge sind freundlich und wohlklingend, formell ohne hervorstechende Eigenthümlichkeiten. Sehr tief und leidenschafterfüllt ist dagegen das folgende Paar in F moll; hochvortrefflich wird das Praeludium fast durchaus aus diesem Motive
gestaltet, von der ergreifenden Innigkeit der Fuge kann schon allein das Thema
Zeugniß geben, das in breitester Form durchgeführt wird. Praeludium in Fis dur ist wieder eine zweistimmige Invention, und bildet mit der glücklich sich hin-und herschaukelnden Fuge eine unbeschreiblich [779] reizende Einheit. Fis moll entspringt aus einem rollenden Sechzehntelmotiv von der Länge eines Taktes, das mit großer Erfindungskraft ausgebeutet wird; das Ganze ist sehr rund und knapp, die Stimmung trüb und seltsam. Dem langathmigen Fugenthema im 6/4 Takt tritt dieser echt-Bachische Contrapunct gegenüber:
und gewinnt im Verlaufe der Fuge einen immer innigeren Ausdruck, besonders von Takt 35 an, indem er nunmehr in Terzen- und Sexten-Verdopplungen erscheint. Solche Contrapuncte meint Kirnberger, wenn er sagt57: »Sobald der Cantus floridus (wo mehr Noten gegen eine gesetzet werden) der Vorwurf des Componisten ist, so nimmt Bach gleich einen bestimmten Charakter an, den er durch das ganze Stück durchführt.« In dieser Allgemeinheit ausgesprochen ist die Behauptung freilich nicht richtig, vielmehr ist Bach ja grade in der Erfindung stets neuer Contrapuncte so groß und unerschöpflich. Doch hat Kirnberger, wie aus dem Zusammenhange sich erkennen läßt, auch noch etwas andres im Sinne gehabt, die Kunst nämlich, mit der Bach seine Contrapuncte aus dem ersten Gegensatze zu entwickeln pflegt; denn durch dieses Mittel wird ein großer Theil jener bewunderungswürdigen Einheit und charakteristischen Bestimmtheit erreicht, die jede Bachsche Fuge zu einer musikalischen Persönlichkeit machen, während die meisten seiner Vorgänger und Zeitgenossen zufrieden waren, nur überhaupt zu contrapunctiren, eben so wie ihnen auch die Durchführung eines Motivs im Orgelchoral unnöthig erschien. Auf das fröhlich gaukelnde Praeludium in G dur folgt eine sehr frische, lustige Fuge, in der besonders die Umkehrung des Themas eine übermüthige Keckheit ausspricht. Zu der Form des G moll-Praeludiums scheinen wieder die zuvor erwähnten Violin-Adagios den Anlaß gegeben zu haben: eine aus langen Tönen und bunten Figuren gewobene Melodie zieht über interessanten Harmonienfolgen dahin; doch werden nun auch die Rollen getauscht, der Bass übernimmt zeitweilig die Melodie und concertirt dann mit den Oberstimmen. [780] Ernst und tief ist der Ausdruck und bleibt es auch in der sehr gemessenen Fuge. Das muntere As dur-Praeludium dankt sein Leben gänzlich dem Motiv:
an der Fuge fällt außer der Kürze des Themas noch auf, daß es aus der Tonart kaum herausgeht und melodisch nicht bedeutend ist; so wirkt es denn auch im Fortgange mehr in der Stille und äußerlich wenig bemerkbar. Ein sehr geistvolles Stück von subtilster Textur ist das Gis moll-Praeludium, über die Fuge wurde schon gesprochen. Das A dur-Praeludium gehört in die Gattung der dreistimmigen Sinfonien und steht diesen herrlichen Kunsterzeugnissen ebenbürtig zur Seite. Prächtig erfunden ist wieder das Thema der Fuge, das mit seinem ersten Tone gleichsam anklopft und dann nach einer Pause von drei Achteln behaglich hineinwandelt; später bringt ein Contrapunct in Sechzehnteln erhöhtes Leben. Der Werth der A moll-Fuge und ihr Verhältniß zum Praeludium ist schon oben erörtert. Auf ein feuriges, in Zweiunddreißigsteln bald sich wiegendes, bald auf- und niederstürmendes Praeludium folgt eine Fuge von schmeichlerischem, überaus wohllautendem Charakter, und an die schöne D dur-Sinfonie nicht undeutlich erinnernd. Das ungewöhnliche Ebenmaß der Perioden trägt dazu bei, den Charakter herzustellen58. Von tief melancholischer Schönheit ist das B moll-Praeludium; in genialer Weise läßt es Bach aus dem Keime
hervorwachsen. Bemerkenswerth sind in Takt 20–22 die Anklänge an den fünften Satz des HändelschenConcerto grosso in F moll, zu dem Bach die Stimmen ausgeschrieben hatte59. Eine großartige, durch ein lapidares Thema, mächtige Harmonien und kunstvolle Engführungen ausgezeichnete Fuge schließt sich ah. Die beiden letzten Praeludien und [781] Fugen bringen die Gegensätzlichkeit, welche zwischen allen 24 Paaren des Werkes besteht, am Schlusse noch einmal recht lebhaft zum Bewußtsein. Das H dur-Praeludium sproßt vor uns auf aus dem Motiv
in wundervollster Ordnung und Freiheit; herzerquickend in der frischen Stimmung, sauber und blank bis auf die unbedeutendste Note läuft es mit dem 19. Takte ab, ein wahres Cabinetsstück der Kammermusik. Dagegen das H moll-Praeludium, allein unter allen des ersten Theils zweitheilig mit Repetition, ist ein imitatorisches Duett über einem stetig in Achteln wandelnden Basse, meisterlich ebenfalls bis in alle Kleinigkeiten, doch scheinbar als Praeludium zu streng und geschlossen. Scheinbar; so lange man die Fuge nicht betrachtet hat. Während die dem H dur-Praeludium zugehörige fröhlich, wohlgemuth und unbehindert ihren Weg nimmt, zieht diese:
langsam, seufzend, mit herben, ja schmerzverzerrten Zügen auf endlos scheinendem Pfade vorüber. Sie gehört in das Stimmungsgebiet der früher analysirten F moll-Sinfonie, aber der Ausdruck des Schmerzes ist hier fast zum Unerträglichen gesteigert60. Nur muß man sich auch bei dieser Fuge hüten, in ihrer schneidenden Herbigkeit das Resultat bloßer contrapunctischer Künstelei sehen zu wollen. Darauf hin betrachtet leistet sie garnichts außergewöhnliches, und selbst wenn sie es thäte – Bach hat wohl genugsam gezeigt, daß er auch bei größter Complicirtheit wohllautend zu bleiben weiß. Nein! er wollte ein solches Bild menschlichen Jammers entwerfen, wollte es grade in seiner Lieblingstonart, wollte es am Schlusse dieses herrlichen [782] Werkes, in dem er seine tiefsten allgemein menschlichen Empfindungen Gestalt gewinnen ließ. Denn das Leben ist Leiden; dieser Gedanke durchdringt wie ein Orgelpunkt die vielgestaltige, bunte, unübersehbare Schaar der Werke, welche der rastlose Fleiß des Meisters allmählig aufthürmte, und zieht sie endlich in seinen Accord zurück.
Noch ein andrer Gedanke drängt sich bei diesem Ausgange des wohltemperirten Claviers von neuem auf. Wie mußte der so gar nicht auf die Theilnahme des großen musikalischen Publikums rechnen, der einem seiner vorzüglichsten Instrumentalwerke, das doch als Ganzes gedacht war, eine solche Dornenkrone aufsetzte! Was ihm ein Gott in die tief empfindende Brust gelegt, das sagte er ohne Nebenrücksichten. An den allerkleinsten Kreis williger Schüler und verständnißvoller Freunde nur wendete er sich. Aber ihre Zustimmung, der er sicher sein durfte, verführte ihn nicht, in willkürlichen Phantasien seine Empfindungen auszugießen; die strengstmögliche Form mußte sie reinigen und verklären. Nie genug hervorzuheben ist diese wahrhaft hehre künstlerische Sittlichkeit. Es ist ungemein schwer, über die einzelnen Fugen etwas allgemein charakterisirendes zu sagen. Ihre Formen sind mit geringen Einschränkungen dermaßen vollendet, daß sich ihr Unterscheidendes nur durch eingehende technische Analysen aller oder doch der meisten von ihnen aufzeigen läßt, was sich an dieser Stelle von selbst verbietet. Der Totalcharakter aber ist, trotz seiner ungemeinen Schärfe, dem beschreibenden Worte viel schwerer noch erreichbar, als bei andern Instrumentalwerken, wegen der hohen Idealisirung, die der Inhalt durch die Strenge der Form erfährt. Die Sage erzählt von einer im Meere versunkenen Wunderstadt: aus der Tiefe dringt noch der Glocken Ton hervor und bei stillem Wasser erblickt man durch die klare Fluth Häuser und Gassen und ein buntes, bewegtes Bild menschlichen Treibens und Leidens, aber es bleibt unerreichbar weit und jeder Griff nach ihm trübt nur und zerstört die Erscheinung. So ist es dem, der sinnend diesen Tönen lauscht. Alles was an Liebe und Haß, an Seligkeit und Schmerz durch die Brust des Tondichters zog, liegt mit seinen zufälligen und flüchtigen Anlässen tief im Grunde; leise, leise klingt es herauf, und hinabschauend durch den reinen Spiegel der Tonfluth werden wir inne, daß er lebte, litt und fröhlich war, [783] wie wir. Nur was ihn bewegte, läßt sich nicht ergreifen. Und daß ein jeder noch das Selbsterlebte mit anheimelndem Gefühle darin begrüßen konnte, ein jeder von allen denen, die seit anderthalb hundert Jahren mit Ernst sich in dies Werk versenkten, das hat es bis auf den heutigen Tag zu einer vollströmenden Quelle der Freude, der Erhebung, der Stärkung gemacht. Ja, bei ihm gilt im vollsten Maße, was wir früher aussprachen, daß Bach seine Clavierwerke für ein ideales Instrument geschrieben habe, dessen Gewinnung erst unserer Zeit beschieden war. Ein von tiefster Wehmuth überströmender Satz wie das Cis moll-Praeludium, und dessen Fuge, durch welche Gottes Odem schaurig erhaben hindurch braust, hatten in dem Clavichord keinen irgendwie ausreichenden Interpreten. So erschließt sich erst uns die ganze Wunderpracht, welche des Meisters Phantasie erfüllte, wir hören stärker den Glockenton aus der Tiefe und deutlicher grüßen von unten die Gestalten herauf. Aber das Werk wird auch unsere Tage überdauern, es wird bleiben, so lange die Grundfesten der Kunst bestehen, auf denen Bach bauete. Es habe am Ende dieses Abschnittes seinen Platz, zum Abschiede noch einmal das Wesen der ganzen Cöthener Periode zurückspiegelnd, ihre Sinnigkeit und Stille, ihre tiefe und ernste Sammlung.
1 Gerber, L. I, Sp. 76. – Pfarr-Register der Kathedralkirche zu Cöthen. In Weißenfels geboren scheint Anna Magdalena nicht zu sein, da die Pfarr-Register daselbst keine Auskunft über sie geben.
2 Beide befindlich auf der königl. Bibl. zu Berlin.
3 Genau gelesen wohl: »Ante Calvinismus«, was auf Verschreibung beruht, wenn es nicht eben nur eine Undeutlichkeit ist.
4 Wenigstens haben wiederholte gründliche Nachforschungen zu dieser Vermuthung geführt.
5 P.S. V, C. 5, Anhang Nr. 2.
6 P.S. I, C. 13, Nr. 11, I.
7 Veröffentlicht durch L. Erk, Johann Sebastian Bachs mehrstimmige Choralgesänge und geistliche Arien. Leipzig, C.F. Peters. I, 43 und 44; II, 208.
8 L. Erk, a.a.O. I, 19 und 20.
9 Die Melodie des ersteren hat L. Erk mitgetheilt a.a.O. I 111. Beides waren bekannte Dichtungen und stehen auch in dem Schemellischen Gesangbuch.
10 B.-G. XX, 1, Nr. 82. Die Begleitung ist nicht hingeschrieben, da Bach nach der Cantaten-Partitur die Begleitung aus dem Stegreif transponirt haben wird.
11 Diese letzte Arie beginnt auf S. 75 und setzt sich auf S. 78 fort; vermuthlich schlug die Schreiberin aus Versehen ein Blatt zu viel um. In den leeren Raum der S. S. 76 und 77 ist nachher die Arie der Goldbergschen Variationen eingetragen. – Ueber die Unechtheit des Bach zugeschriebenen, und ebenfalls in diesem Buche befindlichen, bekannten Liedes »Willst du dein Herz mir schenken« s. Anhang A. Nr. 44.
12 Gerber, L. II, Anhang S. 60; jetzt leider verloren gegangen.
13 Vrgl. S. 336.
14 Befindlich nebst den Acten, welche der Darstellung zu Grunde liegen, auf dem Stadtarchiv zu Erfurt, Abth. IV, Nr. 116. Ein paar Abkürzungen in dem Briefe habe ich aufgelöst. Die erste Kunde von seiner Existenz verdanke ich Herrn Ludwig Meinardus in Dresden.
15 Vrgl. S. 231.
16 Nach der Genealogie und Fürstenau II, S. 95.
17 Kinder hat Johann Jakob Bach nicht hinterlassen. Auch ob er überhaupt verheirathet war, konnte ich nicht erfahren. In den »Rechenschaften« des königl. schwedischen Hofes figurirt er als »Johann Jakob Back«. Die Gehalte wurden damals aus bekannten Gründen nicht sehr pünktlich ausbezahlt; so hat denn »Back« fast jedes Jahr eine Forderung an die Krone, die ihm in den Rechenschaften creditirt wird. Zum letzten Male geschieht dies im Jahre 1723; die Zahlung werden seine Erben, vermuthlich in Deutschland, erhalten haben.
18 Das Original des Briefes befindet sich im kaiserlich russischen Archive zu Moskau; s. darüber das Vorwort.
19 So vermuthlich. Der Moskauer Copist scheint das Wort nicht haben lesen zu können.
20 Die zu diesem Zwecke gehaltene Leichenpredigt wurde mit sämmtlichen Trauer- und Lobgedichten auf die verstorbene Fürstin 1724 in Folioformat gedruckt. Eine Trauer-Cantate oder sonst ein Text für Musik, den Bach hätte componiren können, ist nicht darunter. Die Schloßbibliothek zu Cöthen besitzt ein Exemplar dieser Funeralien, das auch mit dem Kupferstich der Fürstin geziert ist.
21 So meldet die Genealogie. Das Verhältniß bestand also auch noch im Jahre 1735.
22 Sie finden sich gedruckt in: »Picanders | Ernst-Schertzhafft | und | Satyrische | Gedichte | Mit Kupffern. | LEIPZIG, | In Commission zu haben bey Boetio. | Anno 1727. | « S. 14–17.
23 In dieser Gestalt herausgegeben B.-G. VII, Nr. 36; s. dazu das Vorwort und den Anhang des Bandes.
24 Nicht am 17. Nov., wie in J. Ch. Krauses Geschichte des Hauses Anhalt angegeben ist.
25 »Picanders | bis anhero herausgegebene | Ernst-Scherzhafte | und | Satyrische | Gedichte, | auf das neue übersehen, | und in einer bessern Wahl und Ordnung | an das Licht gestellet. | Vierte Auflage. | «Leipzig, 1748. I. Theil, S. 328–333.
26 Es war Forkel, der im Jahre 1818 starb. Ueber das Werk redet er S. 36.
27 Mizler, Nekrolog S. 166.
28 P.S. I, C. 7, Nr. 5. – B.-G. XIII, 2, S. 89–127. – S. Anhang A. Nr. 45.
29 Vrgl. S. 199 und 207.
30 Es findet sich auf der königl. Bibl. zu Berlin in einer Handschrift sign. P. 289.
31 P.S. I, C. 3, Nr. 6, 7, 8. – Außerdem existiren noch Praeludium, Sarabande und Gigue in F moll (P.S. I, C. 9, Nr. 17), und handschriftlich: Allemande und Gigue in C moll; Praeludium, Fuge, Sarabande, Gigue in C moll. Letzteres Werk schwankt zwischen Violin- und Claviermäßigem und ist vielleicht, wie es vorliegt, nur ein arrangirtes Geigenstück. Seine Echtheit bezeugt Philipp Emanuel Bach. Befindet sich in mehren Handschriften auf der königl. Bibl. zu Berlin, die Anfänge der Sätze im thematischen Katalog S. 84, Nr. 2. Die erstgenannten beiden Stücke sind auf derselben Bibl., aber nur in neuerer Abschrift.
32 Gesammelte Schriften I, S. 198 (erste Aufl.).
33 Das Quasi Trio im Finale des A dur-Quartetts Op. 41, Nr. 3.
34 Heinichen sagt in seiner Generalbasslehre S. 511, §. 17, daß man »heut zu Tage« (das Buch erschien 1728) in H dur und As dur nur selten, in Fis dur und Cis dur aber überhaupt kein Stück zu setzen pflege.
35 Gerber, L. I, Sp. 90. Glaubwürdig ist die Tradition deshalb, weil der Lexicograph sie von seinem Vater, Heinrich Gerber, haben wird, der bald nach 1722 Bachs Schüler in Leipzig war.
36 Auch im zweiten Theile des wohltemperirten Claviers kommt nicht vor, mit einziger Ausnahme von Takt 68 des As dur-Praeludiums.
37 Vrgl. in der Ouverture der D dur-Partite (Clavierübung, 1. Th. Nr. 4) Takt 68–70 und 90–91 der Fuge, und für die dreigestrichene Octave viele Stellen der Goldbergschen Variationen.
38 Vrgl. S. 271.
39 Vrgl. S. 428 f.
40 Die Ansicht, daß im ersten Theile des wohltemperirten Claviers einige Jugendarbeiten enthalten seien, äußert auch Forkel (S. 55), wie ich glaube nicht ohne eine allgemeine Information von Seiten der Söhne Bachs. Im Besondern kann ich freilich seinem Urtheil keineswegs immer beipflichten, zumal ist er wohl im entschiedensten Irrthum, wenn er die Fugen aus C dur und F moll für frühe Werke hält. F dur, G dur und G moll erscheinen auch mir nicht zu den bedeutendsten der Sammlung zu gehören, doch kann ich keine Anzeichen finden, die gradezu verböten, daß sie gleichzeitig mit den bedeutendsten entstanden wären.
41 Gesammelte Schriften II, S. 102.
42 Vrgl. z.B. S. 429 ff.
43 Das C dur-Praeludium ist in der Fassung, die es in Friedemann Bachs Clavierbüchlein hat, mitgetheilt als Beilage 4. Uebrigens s. Anhang A. Nr. 46.
44 Vollkommener Capellmeister S. 441, §. 66.
45 Gerber, L. I, Sp. 492.
46 Von Ausgaben nenne ich hier nur die von Franz Kroll besorgte B.-G. XIV. Im Vorworte daselbst findet man ein sehr sorgfältiges Verzeichniß der Handschriften und Drucke. Ueber ein bis jetzt unbekannt gebliebenes Autograph s. Anhang A. Nr. 47.
47 Vrgl. Kirnberger, Kunst des reinen Satzes II, 2. S. 192 f.
48 Vrgl. S. 249.
49 Vrgl. S. 582.
50 Die Fuge ist erschöpfend analysirt von S.W. Dehn, Analysen dreier Fugen aus Joh. Seb. Bach's wohltemperirtem Clavier und einer Vocal-Doppel-fuge A.M. Bononcini's. Leipzig, C.F. Peters, 1858. S. 1–7.
51 Vrgl. S. 436.
52 Vrgl. S. 541.
53 Aus A moll; handschriftlich in meinem Besitz.
54 Vrgl. S. 551, Anmerk. 36.
55 P.S. I, C. 9, Nr. 16, XI.
56 B.-G. III, S. 78. – P.S. I, C. 5, III.
57 Gedanken über die verschiedenen Lehrarten in der Komposition. Berlin, 1782. S. 8.
58 Durch dieses Ebenmaß bewogen hat R. Westphal, Elemente des musikalischen Rhythmus. Erster Theil. Jena, H. Costenoble, 1872. S. 227–240 die Fuge rhythmisch analysirt. Daß im übrigen grade die Fuge als polyphone Form zur Lieferung des Nachweises wenig geeignet ist, daß die rhythmischen Lehrsätze des Aristoxenus auch auf unsere Musik Anwendung finden, ist ihm nicht entgangen. Wenn auf dieser Basis nennenswerthe Resultate erreicht werden sollen, muß man die Bachschen Suitensätze auf ihren Rhythmus untersuchen. Hierüber vielleicht später ein Mehres.
59 Vrgl. S. 623.
60 Ihre harmonische Construction entwickelt Kirnberger, Die wahren Grundsätze zum Gebrauch der Harmonie. S. 55 ff. Ich benutze noch diesen Ort, um auf Carl van Bruyks Technische und ästhetische Analysen des wohltemperirten Claviers (Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1867) hinzuweisen. Kann ich gleich mit den dort ausgesprochenen Ansichten nicht immer übereinstimmen, so enthält das Buch doch manche hübsche Bemerkung und ist mit wirklicher Begeisterung für die Sache geschrieben.
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