Fünfzehntes Kapitel.

Repertorium des kurfürstlichen Nationaltheaters (1789–1792).

Die Mitteilungen des anonymen Bonner Mitarbeiters an Reichards Theaterkalender tragen alle Kennzeichen, als seien auch sie aus der geschäftigen Feder Neefes geflossen, was, wenn es wahr ist, natürlich ihren Wert erhöht. Es wird keiner Entschuldigung bedürfen, wenn wir denselben ein Kapitel widmen und aus ihnen ein Verzeichnis der Opernaufführungen ausziehen, in denen Beethoven als Mitglied des Orchesters mitwirkte, und denselben die kritischen und anderen Notizen, von denen sie begleitet sind, sowie einige Angaben aus anderen Quellen hinzufügen. Wenn diese Notizen auch keinen andern Wert hätten, so können sie doch dem Leser eine Vorstellung von dem damals in Bonn herrschenden Geschmacke geben; einige derselben aber haben einen noch höheren Anspruch auf Mitteilung.

Die Saison wurde eröffnet am 3. Januar, geschlossen am 23. Mai 1789.

Die Operndarstellungen waren folgende:


1. Der Baum der Diana (L'arbore di Diana), Musik von Vicente Martin. »Die Musik gefiel. Die Handlung schien dem größten Theile des Publikums zu allegorisch zu sein.«

2. Romeo und Julie, von G. Benda. »Gefiel.«

3. Ariadne, Duodrama von G. Benda. »Gefiel.«

4. Das Mädchen von Frascati (La Frascatana) von Paesiello. »Demoiselle Willmann, eine brave Sängerin, debütirte darin als Violante.«

5. Julie, von Desaides.

6. Die drei Pächter (Les trois fermiers) von Desaides. »Gefiel.«

7. Die Entführung aus dem Serail, von Mozart. »Gefiel sehr.«

8. Nina, von d'Alayrac. »Gefiel.«

9. Trofonio's Zauberhöhle (La grotta di Trofonio) von Salieri. »Die Handlung mißfiel sehr.«

10. Der eifersüchtige Liebhaber (L'amant jaloux), von Gretry. »Mißfiel.«

[251] 11. Der Schmaus (Il convito), von Cimarosa. »Mißfiel fast gänzlich.«

12. Der Alchymist, von Schuster [Kapellmeister in Dresden], »Gefiel.«

13. Das Blendwerk (La fausse magie) von Gretry. »Gefiel«1.


Von diesen wurden Nr. 1, 3, 4 und 7 je zweimal aufgeführt, die übrigen nur einmal. Am Schlusse der Saison verließ Toussy die Gesellschaft.

Die zweite Saison begann am 13. Okt. 1789 und dauerte bis zum 23. Febr. 1790; am 24. kam die Nachricht vom Tode von Maximilians Bruder, dem Kaiser Joseph II., nach Bonn, und das Theater wurde geschlossen. Die Eröffnungsoper war:


1. Don Giovanni, von Mozart. »Die Musik gefiel den Kennern sehr. Die Handlung mißfiel.« Dann folgten:

2. Die Colonie (L'isola d'amore) von Sacchini. »Gefiel.«

3. Der Barbier von Sevilla, von Paesiello. »Gefiel.«

4. Romeo und Julie, von Georg Benda. »Gefiel diesmal außerordentlich.«

5. Die Hochzeit des Figaro, von Mozart. »Gefiel ungemein. – Sänger und Orchester wetteiferten miteinander, dieser schönen Oper Genüge zu thun. Auch waren die Kleider prächtig und geschmackvoll, ohne das Kostume zu verletzen.«

6. Nina, von d'Alayrac.

7. Die schöne Schusterin, von Umlauf.

8. Ariadne, Duodrama von G. Benda.

9. Die Pilgrimme von Mecca, von Gluck. »Mißfiel sehr. – Es war, als wenn an diesem Abend ein böser Dämon über dieser Oper waltete, die doch sonst gefallen hat.«

10. Der König Theodor in Venedig (Il Re Teodoro), von Paesiello. »Gefiel.«

11. Der Alchymist, von Schuster.

12. Das listige Bauernmädchen (La finta giardiniera), von Paesiello. »Ward ebenfalls viel gelacht.«

13. Doctor und Apotheker, von Dittersdorf. »Gefiel.«


[252] »Herr Pleisner spielte den Herrn Tarnow im Alchymisten, den Junker Hannes im listigen Bauernmädchen und den Sichel im Apotheker; ward aber nicht angenommen. – Abgegangen: die beiden Demoiselles Keitholz, Dem. Töpfer, Hr. Dardenne, Herr Demmer, Herr Vohs; an deren Stellen neue Mitglieder erwartet werden.«

Von diesen Opern und Operetten wurde Figaros Hochzeit viermal, Don Giovanni dreimal, Nr. 3 und 7 zweimal, die übrigen einmal gegeben.

Der oben angeführte Brief an die »Berliner Annalen des Theaters« fügt einiges Tatsächliche und Kritische bei; er nennt wenigstens noch drei im Theaterkalender nicht erwähnte Opern und macht es wahrscheinlich. daß das Theater, wiewohl nach dem Eintreffen der Nachricht von Josephs Tode geschlossen, bald wieder eröffnet und eine Reihe von Darstellungen gegeben wurde, die der andere Schreiber nicht aufgezeichnet hat. Das Datum des Briefes ist der 3. März 1790.


»Die hiesigen Komödien sind nicht mehr, was sie bei Großmann waren, der bei uns noch immer in gutem Andenken steht. Die Stärke des hiesigen Theaters besteht in der Oper, worin die ältere Keilholz und die jüngere Willmann wetteifern; allein die Keilholz gewöhnt sich eine Unverständlichkeit in Sprache und Gesang an, und die Willmann ist keine sonderliche Actrice. Für Trauerspiele sind gar keine Leute vorhanden, und im Lustspiel muß es Lux allein thun; er ist aber auch in bas comique ganz vortrefflich. Als er neulich den Ritter Tulipan [in Paesiellos ›il Marchese Tulipano‹] machte und auf seinem Rappen saß, war ein so allgemeines Lachen, daß man weder Gesang noch das starke Orchester hören konnte. Man hat Thränen gelacht. In voriger Woche haben die italienischen Schauspieler vor Monsieur [Mad. Bianchiprima donna] zweimal en passant hier gespielt; das erstemal den Avaro inamorato [Anfossi oder Sarti?] und die Serva padrona [Pergolese]: das zweitemal La villanella di spirito [von?] mit vielem Beifall aufgeführt.«


Die dritte Saison begann den 23. Okt. 1790 und dauerte bis zum 8. März 1791. Ihre Geschichte findet sich im Theaterkalender von 1792. Der Berichterstatter sagt:


»Das Personale ist geblieben wie im vorigen Jahre, außer daß Herr Koberwein mit seiner Familie vom December 1790 bis März 1791 engagirt waren. Folgende Vorstellungen [musikalisch-dramatischer Werke] sind vom 23. October bis zum 27. November gegeben worden:

[253] 1. König Theodor in Venedig (Il Re Teodoro), von Paesiello. Herr Müller spielte den König mit Anstand. Herr Lux belustigte als Gastwirth und Demoiselle Willmann zeichnete sich durch ihren Gesang in der Rolle der Lisette aus.

2. Die Wilden (Azemia), von d'Alayrac. Eine niedliche Operette. Prosper und Azemia sind allerliebste naive Rollen, die von Dem. Willmann und Hrn. Müller gut dargestellt wurden; nur paßte das Organ des letzteren nicht recht. Ueberhaupt aber gefiel dieß Singspiel sehr. Die Musik ist herzig. Mad. Müller, die ehedem zu München, Prag und beim Seilerschen Theater als Mademois. Meyerfeld getantzt, hatte die Erfindung und Einstudirung des Ballets übernommen, nach Neefens Musik, und sie hatte Ehre davon.

3. Der Alchymist, von Schuster. Gefiel. – Demois. Luise Neefe sang die Rolle des Gustel zum erstenmal, man war mit ihrem Spiel und Gesang zufrieden. Mad. Kybutz hätte wohl etwas weniger taumeln können.

4. Kein Dienst bleibt unbelohnt (von?). Stück, Darstellung, Musik – alles mißfiel im höchsten Grad. Der Name des Verfassers, der einige gute Schauspiele geliefert; auch manche sentimentalische Stellen, die sich gut lesen lassen, mochten wohl zur Wahl dieses Stücks verleitet haben. Demois. Tribolet, die ein artiges Talent und Stimme hat, würde in der Rolle des Lieschens, besonders als Anfängerin betrachtet, mehr gefallen haben, wenn sie weniger in Accent und Gesticulation affectirt hätte. Sie ist nicht ohne Talent, nur muß sie sich an den Rath wahrer Kunstverständigen halten2.

5. Der Barbier von Sevilla, von Paesiello; ward gut gespielt und gefiel sehr.

6. Die schöne Schusterin, von Umlauf. In dieser Operette verdienen Herr Brand als Baron von Picourt, Hr. Müller als Michel, Hr. Lux als Meister Sock und Demois. Willmann als Frau Lehne allen Beifall.«

In der Adventszeit blieb die Bühne geschlossen.

Vom 27. Dez. 1790 bis 7. März 1791 ward gegeben [von musikalischen Werken]:

[254] 7. »Lilla, von Martin. Gefiel sehr. Die Königin war geputzter, als wir sie je auf unserem Theater gesehen haben. Madame Bekenkam, die sie vorstellte, hat eine angenehme Stimme, Dem. Willmann sang mit Geschmack, ohne die Gesänge mit Zierathen zu überladen. Herr Lux und Demois. Koberwein, als Tita und Bertha, spielten ihr Zankduett vortrefflich.

8. Die Geitzigen in der Falle, aus dem Italienischen mit Musik von Schuster, die populär und sehr gefällig. Die Französischen Geitzigen haben aber mehr Handlung und Gretrys Musik mehr Karakter.

9. Nina, von d'Alayrac. Dem. Willmann, die an der Dem. Christel Keilholz in der Rolle der Nina eine gefährliche Vorgängerin gehabt hatte, übertraf doch alle Erwartung. Selbst ihre Widersacher, die ihr der Partheigeist zugezogen hatte, mußten zugestehen, daß sie dieser Rolle Gnüge gethan habe.

10. Dr. Murner, aus dem Italienischen, mit Musik von Schuster, und verschiedenen Tänzen von Horschelt. Ein wahres Fastnachtsstück. Es gereicht dem hiesigen Publikum zur Ehre, daß diese Oper nicht gefiel: nur Hans Hagel belachte und beklatschte die Herren Esel, die in Natura erschienen. Schuster's hübsche Musik ist zu bedauern, daß sie in so schmutziger Gesellschaft ist.

Am 8. März wurde die Saison mit einem Ballet von Horschelt, (11.) Pyramus und Thisbe, geschlossen.

Wir hatten drei Abonnements, jedes Abonnement zu 12 Vorstellungen. Gewöhnliche Spieltage: Dienstag und Sonnabend.

Am Fastnachtssonntage [6. März] führte der hiesige Adel auf dem Redoutensaale ein karakteristisches Ballet in altdeutscher Tracht auf. Der Erfinder desselben, Se. Excellenz der Graf von Waldstein, dem Komposition des Tanzes und der Musik zur Ehre gereichen, hatte darinn auf die Hauptneigungen unserer Urväter, zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen Rücksicht genommen. Am 8. März kam sämmtlicher hohe Adel in dieser altdeutschen Kleidung in das Schauspielhaus, und dieser Aufzug gewährte einen großen, prächtigen und respectabeln Anblick, auch ward man gewahr, daß die Damen nichts von ihren Reitzen verliehren würden, wenn sie wieder die Trachten der Vorzeit wählten.

Am 7. August starb Herr Berner [Perner], ein trefflicher Musicus in churfürstl. Diensten und angehendes brauchbares Mitglied unserer Schaubühne. Jeder Rechtschaffene bedauert seinen frühen Verlust. – Romberg, Andreas, hat componirt ›das graue Ungeheuer‹ und ›den Raben‹, zwei [255] Opern nach Gozzi von D. Schwick. Romberg, Bernhard, hat componirt ›die wiedergefundene Statue‹, nach Gozzi von D. Schwick.«

Im Vorhergehenden ist eine Verbesserung zu machen; die Musik zu dem Ritterballett war nicht von Graf Waldstein, sondern von Ludwig van Beethoven3.

In dem obigen Verzeichnisse wurde Nr. 6 dreimal gegeben, Nr. 1, 2, 7 und 9 jede zweimal, die übrigen nur einmal.

Infolge der langdauernden Abwesenheit des Kurfürsten, der besten Sänger und des größeren Teiles des Orchesters begann die vierte Saison erst am 28. Dez. 1791. Wir teilen die Geschichte des musikalischen Teiles derselben, nebst einigen Zusätzen aus andern Quellen, nach dem Theaterkalender für 1793 mit.

»Das Personale ist geblieben wie im vorigen Jahre. Die Koberweinsche Familie ist wieder auf zwei Jahre engagirt worden. Erwartet werden: Madam Müller, Sängerin, nebst ihrem Mann, Herr Vohs und Herr Hasslinger. Vom 28. Dec. 1701 bis zum 20. Feb. 1792 ist aufgeführt worden [von musikalischen Werken]:

1. Doctor und Apotheker, von Dittersdorf, ging gut und gefiel. Dem. Koberwein sang die beiden nicht leichten Arien der Rosalie mit vieler Leichtigkeit.

2. Robert und Caliste, von Guglielmi. Ward kalt aufgenommen; sonst paradirte man mit dieser Oper.

3. Felix, von Monsigny; wollte anfänglich nicht recht behagen; vom zweiten Act an gefiel sie sehr. Dem. Willmann und Hr. Müller sangen ihr Duett mit viel Empfindung, und das süße herzige Terzett mußte wiederholt werden. Die letzte Scene zwischen Herrn von Strahlheim und der Amme ward von Hrn. Steiger und Mad. Neefe lebhaft gespielt. Hr. Dardenne machte die Rolle des Rechtsgelehrten recht gut.

4. Die Dorfdeputirten, von Schubauer. Ging gut.

5. Im Trüben ist gut fischen (Fra due litiganti il terzo gode), von Sarti; hat sonst überall mehr Sensation als hier gemachet: vermuthlich weil sie zu spät auf unsere Bühne kam, da wir schon zu sehr an Mozartsche Musik gewöhnt waren. Die meisten italienischen Componisten erscheinen itzt so durchsichtig wie der Hunger. Doch werden Salieris, Righinis und andere ähnliche Arbeiten mit Recht ausgenommen.

6. Das rothe Käppchen, von Dittersdorf; gefiel außerordentlich. Fast gewann es das Ansehen, als würden wir in einem Abend diese Oper[256] zweimal sehen: denn im ersten Act mußten drei Arien hintereinander, jede zweimal gesungen werden. Auch im zweiten und dritten Act wurden Arien wiederholt, worunter eine von Neefe im Dittersdorfischen Ton war, die er statt einer Bravourarie gesetzt hatte.

Diese Musik des Herrn von Dittersdorf ist nun zwar nichts weniger als Mozartisch. Aber der Ton derselben war für das hiesige Publicum neu; es ist alles so populär! so faßlich! Die Begleitung der Instrumente so abwechselnd, lebhaft und glänzend. Darum wohl gefiel sie auch so. Viel solche Musiken darf man jedennoch nicht kurz hintereinander hören, wenn sie Beifall behalten sollen.

7. Lilla, v. Martin. Hier widerfuhr dem Herrn Lux die Ehre, daß die Ohrfeige, die er als Tita von seiner Bertha bekam, tüchtig applaudirt wurde. Man begehrte sogar durch fortgesetztes Klatschen eine Wiederholung der Ohrfeige; Hr. Lux aber sagte, nachdem es ruhiger war, an das Parterre: daß er demjenigen, der so viel Geschmack an Ohrfeigen habe, seine Stelle augenblicklich gern überlassen wolle; worauf der Pöbel (denn dieser nur machte die ungezogene Prätension) stille ward und das Spiel weiter ging.

8. Der Barbier von Sevilla, v. Paesiello [Großmanns Übersetzung]; wird wohl bald ausgedient haben.

Die Fastenzeit hindurch blieb die Bühne geschlossen, wurde aber wieder eröffnet am 1 ten Mai mit Schröders Drama: Irrthum auf allen Ecken.

9. Ende gut, Alles gut; die Musik vom Churcoll. Hauptmann d'Antoin. Diese Operette führt sonst den Titel: Der Fürst und sein Volk, und ist zu Leipzig gedruckt. Sie war sehr verändert und verkürzt worden, erwies sich aber trotzdem als langweilig. Die Musik gefiel. Demois. Neefe mußte ihr kleines Rondo zweimal singen.

10. Die Entführung aus dem Serail, von Mozart; gefiel sehr. Vivat Bacchus etc., hat sich nun schon das Recht erworben, wiederholt zu werden. Herr Spitzeter spielte und sang dießmal seinen Osmin ganz vortrefflich. Er gerieth bei der Arie: Ha! wie will ich triumphiren etc. in ein Feuer, das alle Zuhörer entzückt, und ihm ein allgemeines Händeklatschen zuwege brachte.

11. Die beiden kleinen Sovoyarden, v. d' Alayrac. Dieß Operettchen ging recht gut: besonders gefielen die Kinder Luise Neefe und Carl Müller außerordentlich; beide machten ihre Sachen aber auch recht brav. Demois. Louise Neefe mußte ihr ascouta Jeannette wiederholen. [257] Vornehme sich hier aufhaltende Franzosen [émigrés] versicherten, daß sie die Rollen der beiden Savoyarden zu Paris von gemachten Schauspielerinnen nicht besser, oder kaum so gut hätten vorstellen sehen.«

Am 21. Mai kam die Nachricht vom Tode der Witwe Kaiser Leopolds II., Maria Ludovica, nach Bonn, und das Theater wurde bis zum 22. Juni geschlossen; hierauf wurde es für vier Vorstellungen wieder eröffnet, deren erste die dritte Vorstellung von Dittersdorfs rotem Käppchen in der Saison war; eine Mad. Langenthal, »ein junges hübsches Weibchen«, führte die Partie der Schulzin rühmlich aus. Mit dieser einen Ausnahme wurde während dieser Saison keine Oper wiederholt.

Die fünfte Saison begann im Oktober 1792. Von den neuen Opern, die vor der Abreise Maximilians und der Gesellschaft nach Münster im Dezember gegeben wurden, waren die Müllerin von de la Borde, König Axur in Ormus von Salieri und Hieronymus Knikker von Dittersdorf die einzigen in Bonn noch neuen; und nur in den beiden ersten derselben kann Beethoven mitgewirkt haben, – abgesehen von den Proben; denn zu Anfang November verließ er Bonn, und wie sich ergab, für immer. Vielleicht war Salieris Meisterwerk seine letzte Oper innerhalb der vertrauten Räume des kurkölnischen Hoftheaters.

Beethovens 18. Geburtstag fiel in die Zeit der Proben für die erste Saison dieses Theaters; sein 22. gerade nach dem Beginn der fünften. In dem Zeitraume von vier Jahren (1788–1792) hatte er seine musikalische Kenntnis und Erfahrung bereichert in einer Richtung, in welcher er gewöhnlich als weniger bedeutend dargestellt worden ist, als tätiges Mitglied eines Opern-Orchesters; und das Verzeichnis der aufgeführten Werke zeigt, daß die besten Schulen der Zeit, mit Ausnahme der Berliner, von ihm vollständig bemeistert worden sein müssen in ihrer ganzen Stärke und Schwäche.

In jenen Tagen war es das ernstliche Streben der Komponisten, dem Gefühle in der Melodie Ausdruck zu geben. Der musikalische Gedanke war ein Objekt der Schönheit fürs Ohr, wie eine vollkommene Zeichnung ein solches fürs Auge ist. Farbe, Licht und Schatten wurde vom Orchester hinzugegeben. Die lediglich blendenden Wirkungen, welche durch Orchesterkombinationen mit allen Arten kontrastierender Instrumente hervorgebracht wurden, konnten einen Komponisten mit keinem größeren Rechte auf die höchste Stufe setzen, als brillante Darstellungen farbiger Feuerwerke oder großartige Bühnendekorationen dem Feuerwerker oder Szenenmaler einen Namen unter den größten Malern geben würden. [258] Beethovens titanische Gewalt und Größe würde seine Kompositionen unter allen Umständen charakteristisch bezeichnet haben; aber es ist sehr zweifelhaft, ob ohne die Disziplin jener Jahre als Orchestermitglied im kurfürstlichen »Toxal, Kammer und Theater« seine Werke so übersprudelnd von Melodien von so unergründlicher Tiefe des Ausdrucks, von so himmlischer Heiterkeit und Ruhe und von so erhabener Schönheit gewesen wären, wie wir sie kennen, und welche ihn in der Erfindung der Melodie als unerreichten Meister erscheinen lassen.

Fußnoten

1 Nr. 2, 7, 8 und 9 waren um dieselbe Zeit (seit Okt. 1788) auch auf dem neuen Theater in Koblenz aufgeführt worden. Anm. d. Herausg.


2 Sie war die Tochter des Lehrers des Französischen an der neuen Universität, heiratete Maximilian Willmann (den Bruder [nicht Vater] von Magdalene Willmann), war später einige Jahre lang Mitglied von Schikaneders Truppe in Wien und schließlich ein ziemlich namhaftes Glied des Kasseler Theaters.


3 Wir kommen auf die Komposition noch zurück. Anm. d. Herausg.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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