Viertes Kapitel.

Weitere Nachrichten über Musik und Musiker unter Max Friedrich.

Wenn irgendeine Entschuldigung erforderlich scheinen sollte für den Raum, welcher in den vorigen Kapiteln den Mitteilungen aus den Dokumenten des Düsseldorfer Archivs gewährt worden ist, die sich auf die Anstellung usw. der Bonner Hofmusiker beziehen, so bedarf es derselben sicherlich nicht, wenn wir noch einige fernere Seiten mit ähnlichem Inhalte füllen, da wir jetzt die Periode erreicht haben, in welcher Ludwig van Beethoven sich vom Kinde zum Jüngling entwickelte und in beständige Berührung mit jenen kam, deren Namen hier zu nennen sind. Einige derselben treten viele Jahre später in Wien wieder auf; andere spielen ihre Rolle schon in der Kindheitsgeschichte Beethovens.

Indem wir für jetzt ein Gesuch Johann van Beethovens übergehen, beginnen wir mit dem des Joseph Demmer aus Köln vom 23. Januar 1773, welches folgendermaßen lautet:


»Hochwürdigster Erzbischof und Churfürst,

gnädigst. Herr etc. etc.


In hiesigem Archidiaconal stifft bin ich zum Chorsänger mit 80 Rthr. jährlichen gehalt aufgenohmen worden, in der Music habe ich mich solchergestalt geübet, daß das meinige zu höchster zufriedenheit leisten zu können, mir unterthänigst schmeichle.

Nachdeme nun ggst bekanter dingen der Bassist van Beethoven abständig, und als solcher gebraucht zu werden, Nimmermehr im stande sich befindet, der Contre Bassist Noisten hingegen seine stimme nicht zu Moderiren vermag: dahero gelangt zu Ew. Churfürstl. gnaden mein unthgste bitte höchst dieselbe huldreichest geruhen wollen, mich zu höchst dero Bassisten mit ggst. gefälligem gehalt in höchsten gnaden aufzunehmen; ich erbiete mich dabey, wans ggst. erfordert werden wolte, denen operetten zugleich mit beyzuwohnen, und dazu in geringer zeit mich zu qualificiren. Von Ew. Churfürstl. gnaden bloßem winck hanget es aber in diesem fall alleinig ab; daß dieses dem bey dem Archidiaconal stifft bekleidenden [60] Cantorsamt nicht hinderlich falle. um deren von selbigem mir ausgeworffnen 80 rthlr. jährlich's nicht verlüstig zu werden.


ich bin in tiefschüldigster Verehrung

Ewer Churfürstl. gnaden

Unterthänigster

Joseph Demmer.«


Die Anstellung wurde ihm erst unter der Voraussetzung einjähriger Dienstleistung und dreimonatlichen Unterrichts bei »dem jungen Hrn. v. Beethoven« zugesichert; darauf bezieht sich folgendes


»Pro Memoria.


Der Cantor Demmer hat in einem Jahr zum allerhöchsten 106 rthlr. sp. gemacht, wann er keine von denen großen oder kleinen Horis versäumbt.


zalt bey dero Cammer Canzlisten Kügelgen

für die kost jährlich – – 66 Rl.

für das quartier – – – – 12 Rl.


muß übrigens sich wasch, und kleydung selbst erspahren und anschaffen, weilen sein Vatter der untersacristan im domb zu Cöllen annoch mit 6 kinderen überladen ist.

derselbe hat würklich für 3 Monath an den jungen H. Beethoven zahlt 6 rthr.«


Nach einem neuen, durch L. van Beethovens Tod veranlaßten Gesuche erging folgendes


»Decret als hof-vocal Bassist für

Joseph Demmer.


Demnach Ihro Churfl. Gnad. z. Cöln, M. F., Unser gdster Herr, auf unthgstes Bitten Josephen Demmer, demselben die gnade gethan und ihn zu höchst Dero vocal Bassisten auf'm Churfl. Toxal mit einem jährlichen gehalt von zwei Hundert Flor., in quartalien eingetheilt, und mit laufenden anzufangen, gdst. auf-und angenommen haben: Thuen auf- und annehmen auch hiemit und Kraft dieses, als wird ihme Demmer darüber gegenwärtiges Decret in gnaden mitgetheilt, wornach die Churfl. Hof-Cammer sich der Zahlung halber und ein jeder, den es angehen mag, gehorsamst zu achten und das ferner erforderliche zu verfügen hat. Urkund p. Bonn den 29sten May 1774.« [61] Zwei Jahre später, am 11. April 1776, wurde dem Joseph Demmer Urlaub auf 6 Monate bewilligt, um nach Amsterdam zu gehen und sich in der Musik weiter auszubilden, jedoch mit Verlust seines Gehalts während seiner Abwesenheit.

Nach einer Verfügung vom 18. Mai 1774 kann Joh. Ignaz Willmann »seine nächsten zwei Quartals-Bezahlungen im Voraus erhalten, wenn er wirklich seine Reise antritt«. Ohne Zweifel trat er diese Reise an, denn sein Name verschwindet seitdem aus dem Hofkalender1.

Nicht lange nachher wurde die Stelle des Kapellmeisters Beethoven wieder besetzt; durch Dekret vom 26. Mai 1774 wurde Andreas Lucchesi zum Hofkapellmeister mit 1000 Gulden Gehalt ernannt. In seiner französisch geschriebenen Eingabe sagt er, daß er dem Kurfürsten schon drei Jahre diene; damit stimmt Gerbers Angabe überein, daß er 1771 mit einer Operngesellschaft als deren Kapellmeister nach Bonn kam (s. u. S. 72). Nach einem Dekrete vom 9. Oktober 1774 soll Lucchesi, wie die früheren Kapellmeister, kurfürstlicher Rat heißen, nicht Hofrat oder Musikdirektor. Im Jahre 1783 erbat er sich, wiederum französisch, einen Urlaub von 12 bis 15 Monaten, um eine Reise in sein Vaterland wegen Familienangelegenheiten zu machen er erhielt ihn am 26. April 1783, unter der Bedingung, daß er auf Befehl zurückkehre und für Vertretung sorge.

Gleichzeitig mit Lucchesi wurde der Italiener Caetano Mattioli zum ersten Violinisten und Konzertmeister mit 1000 Gulden ernannt. Am 24. April 1777 folgte seine Ernennung zum »Musique Director«. Dabei wurde ihm eine vollständige Instruktion erteilt; er soll »auf die Schuldigkeit der Hofmusikanten« wachen, Streitigkeiten und Unordnungen verhüten, sorgen, daß jedesmal »schickliche Musik aufgelegt« werde, und daß niemand fehle; kurz, einer bisher oft wahrgenommenen Unordnung ein Ende ma chen. Er blieb, wie noch zu erwähnen sein wird, bis 1784 in kurfürstlichen Diensten.

Ein dritter Name, der jetzt in den Vordergrund tritt, ist der von Franz Anton Ries, Sohn des oben S. 34 genannten Johann Ries; er war geboren am 10. November 1755. Auch er war Violinspieler und wurde schon als Knabe zur Hofmusik herangezogen. Am 23. November [62] 1774 wurden ihm, dem 19 jährigen jungen Mann, 25 Tlr. quartaliter bewilligt; am 13. April 1778 erhielt er einen sechsmonatlichen Urlaub und sein Gehalt für zwei Quartale im voraus, um Wien zu besuchen. Am 2. März 17802 erbittet er, eben von seiner Reise zurückgekehrt, ein Gehalt von 500 Gulden, »nicht die Hälfte dessen, was er anderswo verdienen kann«. Da zwei Monate vergingen, ohne daß er Antwort erhielt, petitionierte er wieder und erhielt ein Dekret vom 2. Mai, nach welchem er zu seinen bisherigen 28 rth. 2 alb. 6..3 als Zulage »annoch so viel« erhalten sollte, d. i. ein Gehalt von 400 G. »in quartalien eingeteilt«4. Er war nachmals der beste Violinspieler der Kapelle und hatte zeitweise die Leitung der Aufführungen wahrzunehmen.

Die Schwester von Ries, Anna Maria, wurde am 29. Mai 1774 in ihrem Gehalt von 250 auf 300 Gulden erhöht. Am 13. Mai 1775 erhält sie zusammen mit dem Violinisten Ferdinand Trewer [Drewer] »Erlaubniß auff vier Monate«, im Juni mit zwei Quartalien im voraus zu beginnen. Im Hofkalender für 1775, der etwa 7 Monate vor diesem Datum gedruckt war, wird sie bereits Madame Drewers geb. Ries genannt. Sie galt als die beste Sängerin der Kapelle.

Wir lassen nach einige Angaben über andere Mitglieder folgen. Am 29. August 1774 wurde Ferdinand Wagner als Hof-Violinist »im Docksaal« angestellt; am 4. April des folgenden Jahres wurden ihm [63] 100 Taler als Gehalt bewilligt. Am 23. Okt. 1774 wurde Candidus Passavanti Contre-Bassist mit einem Gehalt von 600 Gulden, welches am 23. Jan. 1776 auf 1000 Gulden stieg. Am 26. Dezember 1774 wurde Susanna Neuerin angestellt als »Hofsängerin aufm Toxal, Cabinet und Theater und wo sonsten Dienste« mit 600 Gulden. Am 29. Dezember bittet Christoph Brandt, »Hofgeiger und Sänger« (s. o. S. 53), um Gehaltszulage; er hat eine Offerte vom Prinzen Heinrich von Preußen mit 200 Dukaten erhalten, zieht es aber vor, in Bonn zu bleiben. Sein Gehalt steigt auf 400 Gulden. Durch Dekret vom 10. Febr. 1775 werden Anna Gertrude und Eva Franziska Grau als Hofsängerinnen mit 300 und 200 Gulden Gehalt angestellt. In demselben Jahre begegnet zuerst der später zu so hohem Ansehen gelangte Name Simrock. Auf eine Eingabe vom 23. März 1775 wurde Nikolas Simrock zum »Waldhornisten aufm Churfürstl. Toxal im Cabinet an die Tafel« bestellt und ihm am 1. April 1775 ein Gehalt von 300 Gulden verliehen. Die gleiche Verfügung erging für Andreas Bamberger. Beide erhielten vom 1. Juli 1781 ab eine Zulage von 100 Gulden. Vom 1. Juli 1784 ab bezog Simrock außerdem 40 Tlr. jährlich zur Anschaffung der für die »höchsten Dienst« zu liefernden Musikalien; die Bewilligung erfolgte, wie es in einem späteren Reskripte (23. Jan. 1787) heißt, »nicht für die Kirchen-, sondern für An- und Beischaffung der Kurfürstl. blasenden Harmonie-Musik«5. Sein Gehalt sowie dasjenige Bambergers wurde am 1. Juli 1784 nochmals um 100 G. erhöht. Am 13. Jan. 1776 wurde Arnold, der jüngste Sohn von Franz Winnekin (im Hofkalender Winiken) als Akzessist angestellt. Am 15. April 1777 wird der vierzehnjährige Johann Goldberg, Violinspieler, als Akzessist angestellt; am 20. April B. J. Mäurer als Hof-Violoncellist mit 200 Tlr. Gehalt; letzterer ist derselbe, von welchem wir weiter unten Aufzeichnungen über Beethoven zu erwähnen haben. Am 24. April 1778 wird Christian Hubert Delombre als Tenorist angestellt, am 30. Juli Joseph Philippart als Akzessist.

[64] Unterm 22. Mai 1778 zeigt J. van Beethoven an, »daß die nach Coblenz zum Capellmeister Sales6 zu schickende Sängerin Averdonk für Kost und Logis monatlich 15 flor. zahlen solle, für die Unterweisung aber nur eine douceur verlangt, und für dieselbe hinzubringen etc. ungefähr 20 Thlr. erfordert werden«. Darauf wurde folgendes verfügt:


– »auf die unthgste Anzeige des hofmusicanten Betthoven, die Sängerin Averdonk betr.


Kurfürstl. Hofkammer Rath Forlivesi hat zu einvermeldetem Behuf, fünfzehn flor. Monatlich mit nächstkünftigem Monate anzufangen, auf ein Jahr, an seine behörde auszuzahlen, und zu bestreitung der Reise Kösten zwanzig Rth. einmal für all, so bald die Reise angetreten wird, herzugeben. Urkund p. Bonn den 22. May 1778.«


Diese Schülerin Johann van Beethovens, Johanna Helena Averdonk, in Bonn am 11. Dez. 1760 geboren und von ihrem Lehrer im März 1778 in einem Konzert zu Köln vorgeführt, erhielt am 2. Juli »aus besonderer Gnade« 120 Tlr. und wurde am 18. Nov. 1780 als Hofsängerin mit 200 Tlrn. angestellt. Sie starb schon 13. August 1789.

Am 8. März 1779 erhielten aus dem Gehalte des verstorbenen Magdefrau (600 Tlr.) folgende Musiker Zulagen: Delombre 50 Tlr., Ernst Riedel und F. A. Ries jeder 15 Tlr., Franz Rovantini, Wagner, Toepfer, Poletnich, Haveck, Walther und Noisten jeder 10 Tlr., alle »in quartalien eingeteilt«. Am 8. Febr. 1780 wurde Gaudenz Heller Violoncellist an Stelle des B.J. Mäurer; am 12. Febr. wird Mäurers Gesuch um Entlassung mit einem Zeugnisse über gute Führung gewährt; am 24. Febr. wird dem Christ. Brandt und der Christina Hartmann (Schwester der Schauspielerin Frau Großmann) auf ihre Bitte erlaubt, ohne »Ausrufung« zu heiraten, und ihnen ein Urlaub von einigen Monaten bewilligt. Im August bittet »Hoforganist van den Ede in Betracht seiner 54 jährigen diensten ihn mit dem durch Absterben des Hofmusici Salomon vacant gewordenen Gehalte mildest zu begnädigen«. Achtzehn andere erbitten dasselbe. Die Entscheidung des geheimen Rates lautet so: »Huttenus und Esch, zwischen beyden zu theilen. Letzterem muß aber ein Decretum als Musicantvocalist gegeben werden.« Johann Huttenus, »Sänger, Jurist und Musicus«, erhielt am 12. September sein Dekret als Hofsänger-Akzessist; aus dem Gehalte des verstorbenen Salomon soll er 50 Gulden erhalten. Am 16. April 1781 erhält er ein Geschenk von [65] 6 Tlr., da er nach München reisen wollte, um bei Raaff weiter zu studieren; sein Gehalt hörte vorläufig auf. Dem Akzessisten Peter Esch wurden gleichzeitig mit Huttenus 50 Taler bewilligt. Eine Bittschrift der Witwe Tussy um eine Jahresrente und um Anstellung ihres Sohnes als Hofmusikus wird nicht bewilligt (Oktober 1780). Im folgenden Jahre bat sie nochmals. Der Name verschwindet seitdem aus dem Hofkalender, in welchem er 30 Jahre lang gestanden hatte.

Am 15. Febr. 1781 begegnet uns zum ersten Male der Name Chr. G. Neefes in den Akten. Derselbe war schon seit 1779 in Bonn und bat nun um die Bestallung für die ihm bereits zugesagte Organistenstelle als Nachfolger des hochbetagten und offenbar nicht mehr dienstfähigen van den Eeden. Es erging das Dekret: »placet et expediatur auf absterben des würklich organist van der Eede«, und es wurden ihm 400 Gulden Gehalt bewilligt.

Am 18. Febr. 1781 wurde Johann Baptist Paraquin aus Köln als Baßsänger und Kontrebassist mit 345 G. angestellt, nachmals ein sehr angesehenes Mitglied der Kapelle und mit Beethoven wohl bekannt. Johann Goldberg erhielt am 16. Mai 1782 aus dem Gehalt des am 9. Sept. 1781 verstorbenen Franz Rovantini eine Zulage von 50 Gulden; 9 Bewerbungen hatten vorgelegen. Johann van Beethoven bat ebenfalls »um die durch obigen Todesfall erledigten 3 Malter Korn«, welche ihm, wie aus späteren Dokumenten hervorgeht, gewährt wurden. Am 13. Dez. 1782 werden die Gesuche des Tenoristen Heller und der Witwe Katzendobler, sich verheiraten zu dürfen, sowie das der letzteren, daß die 100 Tlr. für Erziehung ihrer Kinder ihr auch ferner ausbezahlt werden möchten, bewilligt7. Am 24. März 1783 wird auf die Bitte der Gertrude Poletnich, ihr den Kontrabaß ihres verstorbenen Mannes herauszugeben, beschlossen, ihr den Wert desselben zu bezahlen. Am 22. Juli 1783 wird Maria Josepha Gazzenello als Akzessistin mit 120 Tlrn. angestellt. Auch sie hatte anfangs bei Johann van Beethoven Unterricht; in ihrem Gesuche nennt sie sich Schülerin des Kapellmeisters Graff im Haag. Diesen ihren alten Lehrer zu besuchen, erhielt sie am 6. Oktober einen Urlaub von 6 Monaten; ihr Gehalt für diese Zeit soll in die Armenkasse fließen.

Einige noch aus Max Friedrichs Zeit herrührende, auf die Familie Beethoven bezügliche Dokumente heben wir für eine andere Stelle auf.

[66] Die Bemühung, über den Charakter der musikalischen Aufführungen am Hofe des Kurfürsten aus den überlieferten Angaben eine einigermaßen richtige Vorstellung zu gewinnen, ist für diese Regierung von besserem Erfolge belohnt gewesen, als für die vorhergehende; freilich bleibt für die Zeit bis zum Jahre 1778, in welchem das Theater auf eine andere Grundlage gestellt wurde, und seit welchem seine Geschichte genügend bezeugt ist, noch viel zu wünschen übrig. Doch sind die Nachrichten, welche sich in den Zeitungen von Bonn aus jenen Jahren über Opern-Aufführungen zerstreut finden, immerhin zahlreich genug, um eine Vorstellung von dem Charakter derselben zu geben; während die damit verbundenen Bemerkungen über die Hoffeste ein ziemlich klares Bild von den geselligen Vergnügungen in den höchsten Kreisen gewähren. Wir geben die Mitteilungen in möglichst kurzer Form und, gleich den übrigen, in chronologischer Folge. Sie beginnen mit dem Ende der Weihnachtswoche 1763.

Am 3. Januar 1764 wurde im Theater des kurfürstlichen Schlosses die komische Oper Il filosofo di Campagna von Balthasar Galuppi zum ersten Male mit großem Beifall aufgeführt. Am folgenden Sonntage (dem 8.) war nachmittags eine große Gesellschaft im Schlosse, ein großartiges Souper in der großen Galerie, wobei viele Zuschauer zugegen waren, und zuletzt ein Maskenball.

Am 23. März war die zweite Aufführung von La buona figliuola, Musik von Nic. Piccini. Am 13. Mai, dem Geburtstage des Kurfürsten, kamen Le Nozze von Galuppi und zwei Ballette zur Darstellung, am 20. Mai nochmals Il filosofo; der Anzeige ist die Bemerkung beigefügt, daß der Kurfürst im Begriffe sei, für den Sommer nach Brühl überzusiedeln, aber Bonn zweimal in der Woche besuchen wolle, »an den Tägen, wenn Opera sein wird«. Es folgte am 21. September La pastorella al Soglio (von G. Latilla?) und zwei Ballette (der Komponist ist nicht angegeben), und am 16. Dezember La Calamità di Cuori (wohl von Galuppi [zuerst Venedig 1752]) und zwei Ballette. Dies war die »erste Aufführung der Gesellschaft Mingotti unter der Direction von Rizzi und Romanini«.

Das Jahr 1765 begann am 6. Januar mit Le aventure di Rudolfo (Komponist nicht angegeben8), aufgeführt von derselben Gesellschaft, nebst einer Pantomime L'Arlequino fortunato per la Maggia. Nach der Vorstellung war großes Souper, wobei der päpstliche Nuntius als Gast zugegen war, und zuletzt ein Maskenball, welcher bis 6 Uhr morgens dauerte.

[67] Am 13. Mai 1767 wurde der Geburtstag des Erzbischofs feierlich begangen. Aus der langen Beschreibung in der »Bönnischen Anzeige« geben wir das Programm in kurzem Auszuge.

1. Frühmorgens dreimaliges Feuer des Geschützes auf den Festungswällen.

2. Hof und Publikum wurden gnädigst zugelassen, seiner Durchlaucht Hand zu küssen.

3. Feierliches Hochamt, mit Kanonensalven.

4. Großes öffentliches Diner, wobei die beiden päpstlichen Nuntien, die auswärtigen Minister und der Adel als Gäste anwesend waren, und unter Begleitung von »treflicher Tafelmusik«.

5. Nach dem Diner »zahlreiche Assemblee«.

6. »Eine Serenade, eigens auf höchsterfreulichen Tag verfertigt«, und eine komische Oper, im Hoftheater mit großem Beifalle aufgeführt.

7. Souper von 130 Kuverts.

8. Maskenball bis 5 Uhr morgens.

Offenbar müssen sich die Finanzen unter Belderbuschs Verwaltung verbessert haben, oder der Kurfürst muß in seinen Ausgaben verschwenderischer geworden sein.

Die Textbücher der beiden dramatischen Stücke (Nr. 6), in der Sammlung des Herrn von Merlo befindlich, haben folgende Aufschriften:


1. Serenata festivole tra Bacco, Diana ed il Reno.


Bacco – – – Luca Carlo Noisten

Diana – – – Anna Maria Salomon

Il Reno – – – Anna Jacobina Salomon

Virtuosi di Capella di S. A. E. E.

La Scena si finga su le sponde del Reno.


Es wird weder der Verfasser des Textes noch der der Musik (Lucchesi?) genannt.


2. La Schiava finta, drama giocoso del celebre Don Francesco Garcia, Spagnuolo, in 2 Akten; die Musik wahrscheinlich von Piccini9.


Aromato, Zio di

DorindoAnna Jacobina Salomon

Dorindo– Giovanni van Beethoven

Lucrina, Sposa di

DorindoAnna Maria Salomon,

Virtuosi etc. etc.

ScenaPalermo.


[68] Am 16. Mai 1768 »wurde auf der Hofschaubühne ein eigends auf den höchsten Geburtstag verfertigtes musicalisches deutsches Gedicht, demnächst ein wälsches Zwischenspiel, betitelt La Nobiltà delusa, mit vielem Beyfalle aufgeführet«.

Im Jahre 1769 fanden die Geburtstags-Festlichkeiten am 17. Mai statt, an welchem nach der Anzeige »ein eigends auf den höchsten Geburtstag verfertigtes Italienisches Singspiel« aufgeführt wurde; aber der Titel erregt die Vermutung eines Mißverständnisses:Il riso d'Apolline, mit Musik von Petz, war, wie früher mitgeteilt ist (S. 13), schon 1701 in Bonn aufgeführt worden.

In das Jahr 1770 fällt die erneute Aufführung eines bereits früher (S. 41) erwähnten Stückes, diesmal in italienischer Sprache. Der Titel des Textbuches10 lautet so:


S. S. Cipriano e Giustina Martiri, Oratorio rappresentato alla Corte Elettorale per commando di S. A. E. E. di Colonia nella Caresima dell' Anno 1770. Die Personen sind folgende:


Cipriano prima Ma-

go, et poi penitente– Il Signor Christoph

Brandt

S. Giustina vergineLa Signora Anna

Maria Salomon

Eusebio Sacerdote

Christiano occulto– Il Signor Ludov.

van Beethoven

Aglaide Giovane pagano,

amante di S. Giustinala Signora Anna

Jacobina Salomon

Virtuosi di Capella di S.A.E.E. di Colonia.


Der Komponist ist auch diesmal nicht genannt; er ist vielleicht unter den Bonner Musikern zu suchen, was auch die Wiederholung des Stückes gerade in Bonn erklären würde11.

Auch aus dem Jahre 1771 hat sich nur ein Textbuch gefunden, welches aber gerade besonderes Interesse gewährt. Wir geben hier das Personenverzeichnis:


[69] »Silvain, comedie en un Acte, melée d'ariettes représentée« etc. etc.


Bonn 1771.


Text von Marmontel, Musik von Gretry.


Dolmon, PèreMons. Louis van

Beethoven, Maitre de

chapelle.

Dolmon, fils ainé,

sous le nom de SilvainJean van Beethoven.

Dolmon, fils cadetN. Brandt.

Helene, femme de

SilvainAnne Marie Ries.

Pauline, Fille de

SilvainAnne Marie Salomon.

Lucette, Fille de

SilvainAnne Jacobine Salomon.

BazileChristophe Brandt.


Am 27. Febr. 1772 wurde aufgeführt: Le Donne sempre Donne, Musik von Andr. Lucchesi; im März desselben Jahres, bei Gelegenheit der Eröffnung der Landstände: La Contadina in Corte von Sacchini. Die an dem kurfürstlichen Geburtstage dieses Jahres gegebenen Stücke waren: Il natale di Giove von Lucchesi und La buona figliuola von Piccini. Letzteres wurde am 17. nach Ankunft des französischen Gesandten Grafen von Monteguard wiederholt.

Am 13. Mai 1773 wurde zum Geburtstage des Kurfürsten aufgeführt:


L'Inganno scoperto, overo il Conte Caramella, Dramma giocoso per Musica, in 3 Akten. »La musica è del Sig. Maestro Andrea Luchesi, all' attuale Servizio di S. A. A. E.«


La Contessa Olimpia, Mo-

glie del Conte CaramellaAnna Maria Ries.

Il Marchese Ripoli di lei

AmanteFrancesco Bennati.

Il Conte Caramella,

creduto morte, in

abito pelligrinoDionisio Merlini.

Dorina, Giardiniera della

ContessaRosa Scannavini.

Cecco, Contadino di lei

AmanteChristophero Brandt.

Ghitta, Serva rustica della

ContessaJacobina Salomon.

Brunoro, Contadino e

Tamburino di Truppe

suburbaneLudovico van Beetho-

ven.


Auch von den Aufführungen des folgenden Winters: L'Improvisata, o sia la Galanteria disturbata, von Lucchesi (1773), Li tre Amanti ridicoli von Galuppi (1774) undLa Moda von Boroni (1774) [70] haben sich die Textbücher erhalten12. Die Bonner Gesellschaft wurde in diesem Winter von zwei kurfürstlich Trierschen Hofsängern unterstützt.

Die Mittel fehlen noch, um die vielen Lücken in den vorhergehenden Annalen auszufüllen oder dieselben durch die nächsten drei Jahre fortzuführen13. Vielleicht ist jedoch der Verlust nicht von großer Bedeutung; das hier zusammengestellte Material scheint auszureichen, um sichere Schlüsse über den allgemeinen Charakter der Hofmusik zu gestatten. Wenn wir dies der Hauptsache nach für einen anderen Ort aufheben, müssen wir doch hier schon die Aufmerksamkeit auf gewisse Tatsachen lenken, welche bereits hinlänglich klar sind. Die Musiker, Vokalisten wie Instrumentisten, hatten, wie bereits früher bemerkt, in der Kirche, im Konzertsaal und im Theater ihren Dienst zu leisten; ihre Zahl blieb ohne wesentliche Veränderung von den Tagen von Christoph Petz bis zum Lebensende des Kapellmeisters Ludwig van Beethoven; Stellen in diesem Dienste wurden wie eine Art erblicher Güter betrachtet, und die Kinder der früheren Inhaber glaubten ein Recht auf dieselben zu haben, wenn sie hinreichende musikalische Begabung und Kenntnis besäßen. Unter den Mitgliedern finden sich, man kann wohl sagen aus diesem Grunde, nur wenige, vielleicht gar keine Namen hervorragender Virtuosen14, und aller Wahrscheinlichkeit nach erhoben sich die Aufführungen in keiner Weise über die achtungswerte Mittelmäßigkeit einer kleinen Gesellschaft, die ans Zusammenspiel in der leichten und gefälligen Musik des Tages gewöhnt war.

Die dramatischen Aufführungen scheinen sich auf die Operette beschränkt zu haben; und von den Sängern, welche in der Messe lateinisch sangen, scheint man verlangt zu haben, daß sie in gleicher Weise auf der Bühne im Deutschen, Französischen und Italienischen geübt seien. Wir hören von zwei Besuchen der Truppe Angelo Mingottis (S. 40 und 67); und unter Klemens August wurde offenbar wenigstens ein Versuch gemacht, durch die Berufung italienischer Sängerinnen die Oper auf einen höheren Fuß zu setzen.

[71] Unter den Namen der Sänger in den drei oben angeführten Textbüchern finden wir einige, die in Bonn neu waren; sie werden zu der Truppe gehört haben, mit welcher nach Gerber Lucchesi im Jahre 1771 nach Bonn kam (s. o., S. 62). Wir haben keine weitere Aufklärung über diese Truppe auffinden können, mit Ausnahme der folgenden Notiz aus dem »Bönnischen Sitten-Staats- und Geschichts-Lehrer«, welcher unter dem 4. Febr. 1772 folgendes berichtet: »Angekommen am 1ten, hiesiger Kämmerer v. Bissingen und die singende Spieler für hiesigen Hof.« Wie wir sahen, wurde 4 Wochen später Lucchesis Le Donne sempre Donne aufgeführt.

Was angestrebt und was wirklich erreicht wurde in Hebung der Gesangstüchtigkeit und in Vervollkommnung der Hofbühne zu dieser Zeit, das sind Fragen, deren Lösung neue Entdeckungen erfordern würde. Aus dem Gegebenen darf man schließen, daß keine großen Fortschritte gemacht wurden, sicherlich keine dauernden; denn sonst wäre die Bonner Theater-Revolution von 1778 nicht nötig gewesen. Diese müssen wir im einzelnen verfolgen.

Fußnoten

1 Der Verfasser setzte hinzu: »Wahrscheinlich ließ er sich zu Forchtenburg im Hohenloh'schen nieder und war der Vater der Sängerin, welcher wir noch wieder begegnen werden.« [Über die vielfach irrtümlich und konfus dargestellten Familienverhältnisse der Willmann vgl. S. 52, Anm. H.R.]


2 Die an den Kurfürsten gerichteten Gesuche waren selten datiert und wurden nicht immer sofort berücksichtigt; daher darf das Datum eines Dekrets nicht als maßgebend für die Bestimmung des Datums einer Tatsache, die in einem Gesuche erwähnt wird, angesehen werden. Wir haben hier einen Fall, der das Verhältnis erläutert, da das Gesuch von Ries zufällig vom 2. März datiert ist.


3 Ries hatte, wie die folgende Anm. zeigt, inzwischen noch einen kleinen Zuschuß erhalten. Anm. d. Herausg.


4 Bei dieser Petition befindet sich ein Papierstreifen mit folgenden Notizen:


4. Kapitel. Weitere Nachrichten über Musik und Musiker unter Max Friedrich

Ries hatte zu seinen vierteljährlichen 25 Tlrn. noch 15 Taler jährlich erhalten (8. März 1779, vgl. oben), woraus sich die obige Berechnung erklärt.


5 Wie aus dieser Verfügung hervorgeht, ist Simrock somit bereits 1787 neben seiner Stellung als Hornist der Tafelmusik offizieller Hoflieferant der Musikalien für die Blasharmonie. Da er auch ständiger Kassierer der Lesegesellschaft war, so sehen wir ihn in den Verlegerberuf allmählich hineinwachsen. Daß er der Kapelle nicht nur Harmoniemusik, sondern auch andere Instrumentalmusik besorgt haben wird (wenn auch nicht mit festem Auftrag), liegt sehr nahe. Daß Beethoven 1794 bei Simrock anfragt, ob seine Partie in Es (das Oktett Op. 103) schon zur Aufführung gekommen sei, ist gewiß eine mindestens halb geschäftliche Anfrage.


6 Über (Pompeo) Sales vgl. A. M. Z. II, S. 377–384.


7 Im Hofkalender von 1779, S. 12 findet sich der Name Franz Katzendobler, Verwalter zu Augustusburg (Brühl), Kammerdiener.


8 Wahrscheinlich von Nic. Piccini (zuerst 1762 in Bologna gegeben).


9 Zuerst Neapel 1757.


10 Vom Herausgeber (H.D.) mitgeteilt in der Allg. Mus. Ztg. von 1865, S. 142. Das dreiaktige Stück hat den Zuschnitt des nach dem Muster der opera seria ausgebildeten italienischen Oratoriums; es wechseln Rezitative mit Arien, am Schlusse des 2. Aktes steht ein Chor, am Schlusse des 3. ein Ensemble. Anm. d. Herausg.


11 Vgl. S. 41 (Predieri?).


12 Wir teilen die Personenverzeichnisse im Anhange (V) mit.


13 Dem Anscheine nach traten in diesen Jahren die theatralischen Aufführungen vor anderen Festlichkeiten zurück. Bei der Anwesenheit der fürstlichen Familie von Oranien-Nassau im Juli 1776, deren großartige Feier das Intelligenzblatt ausführlich beschreibt, ist von einer Theateraufführung nicht die Rede; dagegen wurde im Poppelsdorfer Schlosse am 2. Juli »von der Hof-Musik eine mit allgemeinem Beyfalle gekrönte Akademie gehalten«. Anm. d. Herausg.


14 Von den Hofmusikern der Zeit vor 1773 haben jedenfalls wenigstens Joseph Clemens dall' Abaco und Johann Peter Salomon Anspruch, als hochstehende Künstler qualifiziert zu werden. H.R.

Quelle:
Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Band 1, 3. Auflage, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1917.
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