Zwanzigstes Kapitel.

Compositionen in den Jahren

1783–1786.

Violin-Quartetts – [162] Davidde Penitente – Schauspieldirector.

Hier hört die Familien-Correspondenz, die seit dem häuslichen Niederlassen Mozart's in Wien nach und nach immer spärlicher geworden war, ganz auf, und mit ihr verschwindet die Quelle der authentischen und nicht zu ersetzenden zusammenhängenden Nachrichten. Von nun an werden wir weniger Details haben, indem sich die Berichte nur noch auf Sagen, geschriebene Zeugnisse der Zeitgenossen, kostbare, wiewohl sehr oft unvollständige Erinnerungen des Herrn v. Nissen und auf die chronologische Reihenfolge der hervorragendsten Werke Mozart's zu stützen vermögen.

Zu Anfange des Jahres fünfundachtzig gab der alte Mozart seinem Sohne den Besuch zurück, den ihm dieser einige Jahre zuvor abgestattet hatte. Er kam gerade recht, um die drei letzten der sechs, Haydn gewidmeten, Quartetts zu hören. Diese unsterbliche Arbeit war endlich vollendet worden. Nur die Vergleichungen des Datums zeigten, mit welcher Sorgfalt der Componist ein Werk zur Reife und Vollkommenheit gedeihen lassen wollte, das unter den Auspicien Joseph Haydn's erscheinen sollte. Er, der weniger Zeit dazu brauchte, eine Oper zu componiren, als ein italienischer Sänger Zeit nöthig hatte, sie einzustudiren, verbirgt [163] keineswegs die Mühe und lange Arbeit, welche ihn sechs nicht allzulange Piecen kosteten, in denen er nur zwei Violinen, eine Viola und ein Violoncell verwendete21. Aber dießmal war der Vater und das bis dahin einzige Vorbild dieser Gattung sein Richter; die Billigung Haydn's sollte seine Belohnung sein. Es handelte sich darum, daß die Widmung des Meisters ebenso würdig wäre, als des Schülers. Nachdem die Quartetts ganz durchgespielt waren, ging Haydn auf Mozart's Vater zu, und sprach die feierlichen Worte: »Ich sage Ihnen vor Gott und als ein ehrlicher Mann, daß ich Ihren Sohn für den größten Componisten anerkenne, von dem ich nur immer gehört habe.« Wie groß erscheint er selbst, der Vorläufer und Fortsetzer Mozart's, wenn man ihn so die Gerechtigkeit der Nachwelt, einem Manne gegenüber, welchen die Nachwelt stets über ihn stellen wird, zum Voraus üben sieht.

Es existirt noch ein Brief Haydn's, welcher darthut, daß seine Ansicht über Mozart sich nie änderte. Er ist an einen in Prag wohnenden Freund gerichtet, und trägt das Datum vom December 1787. Ich kann nicht umhin, ihn meinen Lesern mitzutheilen. »Sie verlangen eine Opera buffa von mir; recht herzlich gern, wenn Sie Lust haben, von meiner Sing-Composition Etwas für sich allein zu besitzen. Aber um sie auf dem Theater zu Prag aufzuführen, kann ich Ihnen dießfalls nicht dienen, weil alle meine Opern zu viel an unser Personale (das des Fürsten Esterhazy) gebunden sind, und außerdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Localität berechnet habe. Ganz was anders wäre es, wenn ich das unschätzbare Glück hätte, [164] ein ganz neues Buch für das dortige Theater zu componiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen, indem der große Mozart schwerlich Jemand andern zur Seite haben kann22. Denn, könnt' ich jedem Musikfreunde, besonders aber den großen Herren, die unnachahmlichen Arbeiten Mozart's so tief und mit einem solchen musikalischen Verstande, mit einer so großen Empfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde, so würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ringmauern zu besitzen.« Mozart dagegen stellte Haydn über alle Componisten, gestorbene und lebende. »Keiner von uns,« sagte er, »kann Alles wie Vater Haydn: schäkern und rühren, zum Lachen und Weinen bringen, und Eines wie das Andere gleich gut.«

Unter den Componisten Wien's befand sich ein thätiger Mann, aber ein sehr mittelmäßiger Kopf, mit Namen Kotzeluch, der in Folge eines sehr allgemeinen Fehlers meinte, seinen Werken dadurch Geltung zu verschaffen, wenn er die eines großen Meisters herabsetzte. Wo er konnte, suchte er Haydn's Ruhm zu schmälern. Dieser Mensch glaubte an Mozart einen eben so bereitwilligen Verbündeten zu finden, seine Plane befördern zu helfen, als er im Stande gewesen wäre, denselben zu dienen. In dieser Absicht brachte er ihm häufig Quartetts und Symphonieen von Haydn und machte mit triumphirender Miene auf einige jener grammatikalischen Schnitzer aufmerksam, welche das Ohr beinahe nie bemerkt, wie verdeckte Quinten zum Beispiel, die aber nichts desto weniger in den Bereich der pedantischen Kritik gehören. Die Jagd auf Quinten gehörte unter die Leidenschaften des vergangenen Jahrhunderts. Ein geübter Jäger konnte überall welche entdecken. Es gab deren offene und verborgene; einige, welche man nur[165] sehen, andere, die man nur hören konnte; wieder andere, welche weder für das Ohr, noch das Auge bemerklich waren, Einschiebsquinten, also eingebildete Quinten. Mozart, der diese lächerliche Pedanterie von Herzen verachtete, suchte Anfangs den kritischen Bemerkungen des Herrn Kotzeluch auszuweichen; als er aber sah, daß sie der einzige Zweck seiner gar zu häufigen Besuche waren, konnte er nicht mehr länger an sich halten, und sagte ihm eines Tages gerade zu: »Herr, und wenn man uns Beide zusammenschmilzt, wird doch noch lange kein Haydn daraus!« Dieser Ausfall befreite ihn von einem Zudringlichen, dagegen hatte er auch einen Feind mehr.

Die Annalen der Kunst bieten wenige Beispiele, welche den Stand des Künstlers so sehr ehren, und auf die edelste Art die wahre Ueberlegenheit des Talents charakterisiren, als die beständige und ergebene Freundschaft, welche zwischen den beiden größten Musikern der Welt bestand. Die hohe Achtung, die sie stets gegenseitig für einander aussprachen, und, mehr als Alles dieß, die zwischen ihnen bestehende gegenseitige Belehrung: Mozart erklärte von Haydn gelernt zu haben, wie man Quartetts mache, und Haydn, daß er von dem Universal-Musiker Mozart das gelernt habe, wodurch er im Stande gewesen sei, später seine letzten Symphonieen, die Schöpfung und die Jahreszeiten zu schreiben.

Es bleibt mir noch übrig zu sagen, wie die, Haydn gewidmeten Quartetts aufgenommen wurden, als sie neu waren. Der Musikverleger Artaria, der das Manuscript gekauft hatte, schickte eine Anzahl Abdrücke zum Verkaufe nach Italien, von wo man sie ihm aber mit der Bemerkung zurückgehen ließ, daß man eine Ausgabe nicht verkaufen könne, »deren Stich so fehlerhaft wäre.« Sie war aber ganz correct!! Das war aber noch nicht[166] Alles. Ein ungarischer Edelmann, der Fürst Grassalkowitsch, ein großer Musikfreund und Kenner, ließ eben diese Quartetts von den Musikern seiner Capelle aufführen; kaum hatte er aber etwa zwanzig Tacte gehört, als er die Noten zerriß, in Ermangelung einer directen Rache, die er gern am Componisten und dem Verleger genommen hätte, die ihn so schändlich betrogen hätten. Noch mehr: der best bezahlte, wenn auch nicht verdienstvollste Capellmeister seines Jahrhunderts, Sarti, gab über eines der Quartetts kritische Bemerkungen heraus, die mit dem Satze schließen: si può far di più per stonare gli professori? (Kann man mehr thun, um die Spielenden aus dem Tone zu bringen?)

Das waren also die Ehrenbezeugungen, welche den geliebten Kindern zu Theil wurden, nachdem sie ihr Vater unter dem Schutze Haydn's in die große Welt geschickt hatte23. So wurde also bei seinem Einstehen ein Werk verstanden, das der ewige Typus dieser Gattung sein wird, ein Wunder der Tonschöpfung, in der die erhabene Kunst Bach's, neu erstehend, sich mit allen Blendwerken der modernen Musik verbindet. An wem lag der Fehler? an Mozart ohne allen Zweifel. Als er diese Quartetts schrieb, dachte er zu viel an Haydn und zu wenig an die Verleger, die Dilettanten, die ausübenden Künstler und an seine Zeitgenossen.

Die Vorsteher des Pensions-Vereins für die Wittwen und Waisen der Künstler ersuchten Mozart, für das jährlich stattfindende Concert (1785) um ein Oratorium. Die Zeit war kurz zugemessen. Ein neues Werk von der Länge zu schaffen, daß es einen ganzen Abend ausgefüllt hätte, wäre physisch unmöglich gewesen; weil aber Mozart nicht der Mann war, bei solchen Veranlassungen seine Mitwirkung zu verweigern, so schlug er einen [167] Ausweg ein, den die Nothwendigkeit allein rechtfertigen konnte. Er nahm das Kyrie und Gloria aus der Messe, die er in Salzburg ex voto componirt hatte, und fügte zwei Arien, eine für Sopran, eine andere für Tenor, und überdieß ein Trio hinzu. Das Ganze wurde, wohl oder übel, einem italienischen Texte angepaßt, welchen die Gesellschaft ihm lieferte. Aus diesem Flickwerke entstand Davidde penitente, ein Werk, dessen außerordentliche Schönheit, und namentlich dessen prachtvolle Chöre, es ohne allen Zweifel Mozart's classischen Werken anreihen, obgleich dasselbe uns nicht den vollkommenen Maßstab abgibt, was der Componist im Gebiete der Oratorien zu leisten im Stande gewesen wäre, wenn er Zeit und Gelegenheit gehabt hätte, eines zu schreiben. Das Oratorium hat, wie Jedermann weiß, einen ganz eigenthümlichen Styl, der im Allgemeinen zwischen dem für die Kirche und für das Theater die Mitte hält, wozu noch besonders die Eigenthümlichkeiten des Gegenstandes kommen, den es behandelt. Ein Bruchstück also aus einer Messe, das anderen Worten als denen des Rituals angepaßt wird, bleibt deßhalb doch immer Kirchenmusik, und kann folglich vernünftiger Weise nur in Hinsicht auf den ursprünglichen Text beurtheilt werden. Davidde penitente ist also zwar nach Titel und Dichtung, aber nicht in Betracht der Musik, ein Oratorium24.

Im folgenden Jahre (1786) hatte Mozart den Schauspiel-Director zu schreiben, eine Komödie mit Gesang in einem Acte. Diese Arbeit bestellte der Kaiser für ein Fest in Schönbrunn bei ihm, welches er am 7ten Februar dem Generalgouverneure der Niederlande gab. Das Stück zählt nur vier Musikstimmen: [168] die Ouverture, zwei Arien und ein Trio, das zugleich das Finale bildete. Ein Streit zwischen zwei Sängerinnen, welche jede von sich behauptet, die erste und beste Sängerin zu sein, bildete den ganzen Inhalt des Stückes; was aber dieser dramatischen Kleinigkeit ein ziemlich pikantes Interesse verlieh, war der Umstand, daß Mlle. Cavaglieri und Mad. Lange, Mozart's ehemalige geliebte Aloysia, sich selbst unter den fingirten Namen von Herz und Silberklang darstellten. Sie waren die beiden ersten Sängerinnen Wiens, das heißt, jede war die erste in ihrem Genre und die zweite in dem ihrer Rivalin. Das Stück, welches sie in Schönbrunn zusammen dem Hofe vorführten, diente gleichsam zum Urtheilsspruche in letzter Instanz in dem großen Processe, in welchem das Tribunal des Publicums zu keiner Entscheidung gelangen konnte, weil die Richter unter sich uneins waren. Die Pflicht gebot dem Componisten bei dieser merkwürdigen Gelegenheit, die Wage ganz gleich zu halten, keinen Theil dem andern gegenüber zu bevorzugen, sondern, so viel er konnte, die Mittel jeder der beiden Sängerinnen gehörig geltend zu machen. Mozart erfüllte diese Pflicht mit so ängstlicher Gewissenhaftigkeit, daß aus der Musik unmöglich zu errathen ist, ob die Herz oder die Silberklang seine Verwandte, und ach! ehemals der Gegenstand seines Herzens war. Mlle. Cavaglieri hatte eine Arie, Madame Lange ebenfalls eine, beide Numern hatten ihre Andante und Allegro; beide waren gleich schön, obgleich in verschiedenem Charakter gehalten. Im Terzett ist Gesang und Bravour mit mathematischer Genauigkeit ausgetheilt; Achtel, Sechzehntel, Viertelpausen, Achtelpausen, Alles war mit dem Cirkel abgemessen. Nur wenn es an die Rouladen und die aufsteigenden Tonleitern kommt, sieht sich der unbestechliche Compositeur genöthigt, sich in den Grenzen der Stimmmittel zu halten, und diese Grenzen waren nicht gleich. Die Stimmen [169] steigen, steigen und gehen nur herab, um einen Anlauf zu nehmen, um dann noch höher zu steigen; ein Klettermast, an dem sich zwei gleich gewandte und kräftige Turner versuchen. Endlich gelangte die Silberklang zum hohen D; aber in demselben Augenblicke nimmt die Herz in einer kühnen Terze das hohe F. Sie hat den Preis, welcher an der Spitze des Mastes befestigt ist. Die Herz hat gesiegt! Welche war aber die Herz, Mlle. Cavaglieri oder Mad. Lange? Ich bin außer Stande, es positiv auszusprechen. Allein ich meine, es müsse Mad. Lange gewesen sein, weil die Arien in der Entführung und in Davidde penitente, welche für die Cavaglieri geschrieben sind, nur bis in's hohe D, also bis zu dem Tone gehen, mit welchem die Passagen der Silberklang schließen25.

Quelle:
Alexander Ulibischeff: Mozart's Leben und Werke. Stuttgart 2[1859], S. 162-170.
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