2. An Henriette Voigt in Leipzig.

[327] (Leipzig, im Sommer 1834.)


Verehrteste Frau,


Das Benehmen – ich weiß nicht, ob das Wort trifft – ich meine die Art, wie ich die mannigfachen Beweise Ihrer Theilnahme an mir Geringem, oft angenommen und abgelehnt, bildet ein so sonderbares Räthsel polarischer Anziehung und Abstoßung, daß ich mich jetzt schon über Einzelnes vor Ihrem Auge in ein günstigeres Licht setzen möchte. Doch gehen jetzt die Constellationen so durcheinander, mein Leben bricht[327] sich in diesem Augenblick in so eigenen Farben, daß ich Ihnen noch Antwort schuldig bleiben muß bis auf Zeiten, wo die Verhältnisse klarer und ruhiger geworden sind. Ich sage Ihnen das, meine verehrte Freundin, Niemanden weiter, – dürfte ich glauben, daß das Geständniß und die Versicherung der innigsten Mitleidenschaft an Allem, was Sie betrifft, Ihnen etwas werth sein könnte, so wäre das ein Trost, wenn auch keine Entschuldigung für mich, da es mit der Weise, wie ich meine Theilnahme gezeigt, im Widerspruch zu stehen scheint: Jedenfalls – beurtheilen Sie mich mild, wenn Sie anders noch können – ich bitte Sie darum! Ihr letzter Brief ist mir sehr werth: ich hab' ihn oft gelesen und mich im Stillen auf die künftige Belehrung gefreut, die ich Ihnen darüber geben soll. Dürfte man Eusebius trauen, dem bei Lesung Ihrer Zeilen sein Versprechen (eigentlich Pflicht) einfiel, den angefangenen Aufsatz über Berger, auf den Ihre Reflexionen nicht minder anzuwenden sind, zu vollenden.

Als Florestan den Brief vorlas, machte der Zufall ein recht sinnig Anagramm – Sie schreiben nämlich »Rochlitz, der seit langen Jahren jedem strebenden Künstler treu zur Seite gestanden u.s.w.« – Florestan las aber »jedem sterbenden« – Das, meine ich, bezeichnet R. recht, als liebender Vater, der, so oft unter Schmerzensthränen manchem hohen Menschen das Auge zugedrückt und an seinem Grabe sprach. Florestan setzte hinzu, er denke auch hier an Lafayette, der immer aufrecht stand beim letzten Athemzug eines Volkes als Beschützer der Leiche – »Wohin geräthst Du, Florestan«, sprach ich. Das gäbe sa eine Brücke zu den Papillons: denn über dem zerstäubten Leib denken wir gern die Psyche emporflattern. – Manches können Sie von mir darüber erfahren, wenn es nicht Jean Paul besser thäte. Haben Sie einmal eine freie Minute, so bitt' ich Sie, das letzte Capitel der Flegeljahre zu lesen, wo Alles schwarz auf weiß steht bis auf den Riesenstiefel in Fis-moll (beim Schluß der Flegeljahre ist's mir, als würde das Stück [allerdings] geschlossen, als fiele aber der Vorhang nicht herunter). – Ich erwähne noch, daß ich den Text der Musik untergelegt habe, nicht umgekehrt – sonst scheint es mir »ein thöricht Beginnen«. Nur der letzte, den der spielende Zufall zur Antwort auf den ersten gestaltete, wurde durch Jean Paul erweckt. Noch eine Frage: Sind Ihnen die Papillons nicht an sich klar? Es ist mir interessant, dies zu erfahren.

Nehmen Sie diese wenigen Zeilen, die nur matt das copiren, was[328] ich Ihnen Alles zu sagen hätte, mit dem Wohlwollen auf, auf das ich stolz wäre, wenn ich es mir besser verdient hätte.

Robert Schumann.


Eine Bitte! Ich habe Ernestinen ein Theaterbillett zu heute Abend zu besorgen versprochen, bin aber genöthigt, einen größern Ausflug über's Land zu machen, so daß es mir unmöglich wird, es ihr selbst an übergeben – wollen Sie so gütig sein, es auf irgend eine Weise an befördern?

A propos – von heute an nenn' ich Sie nicht mehr Eleonore, sondern Aspasia. In den Davidbündlern bleibt jedoch Eleonore stehen ich möchte den Aufsatz über Berger mit Ihrem Brief schließen – darf ich? – – Ja?

R. S.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 327-329.
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