Briefliche Aeußerungen Weber's über Composition des »Freischützen« 1817

[118] »Dresden am 28. Mai 1817.


Mein vielgeliebter Mucks und Schneefuß.


Ich muß heute mit einem schweren Bekenntniß zu dir kommen, welches du wohl nie von deinem Carl erwartet hättest, und doch befiehlt mir meiner eigenen Ruhe wegen mein ehrliebendes Gefühl, dir Alles zu entdecken. Ja, liebe Lina, ich kann es nicht länger bergen daß mich seit ein paar Tagen eine andere unwiderstehliche Neigung abgehalten hat dir zu schreiben. Ein Mädchen, dessen Liebreiz ich dir[118] hier nicht zu erzählen im Stande bin, hat mich ganz gefesselt, und mit 2 Worten sey es gesagt, sie ist sogar meine Braut. Doppelt frevelhaft erscheint dieses Vergehen weil sie auch Braut eines Andern ist. Aber dies Alles hilft nicht nur nichts, sondern kettet mich unbegreiflicher Weise nur noch fester an sie. Ja! ich muß dir Alles entdecken. Nur sie lebt in meiner Phantasie, jeden Augenblick schwebt ihr Bild mir vor. Mit glühender Liebe umfasse ich sie, und auch ihre Gegenliebe scheint mir gewiß, denn sie geht mit mir schlafen und verläßt mich keinen Augenblick. Ja, sie hat ihres Vaters Haus verlassen um mir ganz anzugehören. Giebt es größere Beweise von Liebe? Ich erkenne es aber auch. In ihrer Blöße ist sie zu mir gekommen, ich will sie mit meinem Herzblut nähren, und kleiden mit dem Besten, das ich habe. Sie hat eine unwiderstehliche Neigung zum Theater, und ich will ihr dazu verhelfen, obwohl ich alle Gefahren kenne, die ihr da drohen; O meine geliebte Agathe, wirst du mir treu bleiben, rufe ich oft aus!

Du kennst nun meine ganze Schuld – richte, aber verdamme mich nicht. Wer kann für sein Gefühl, und wenn sie mich ganz umfangen hält, kann ich dann Briefe schreiben? O ich bitte um Verzweiflung! Alle Thränen, die ich für sie weine, fallen wie Schwerenoten auf's Papier – O!! O! – Nun!???

Etsch, Etsch, Etsch!! Ich sollte mich sehr wundern, wenn du nicht eine halbe Secunde lang ein ängstliches Gefühl gekriegt hättest! Nun, gieb mir nur Haue, es thut nichts, du thust mir nicht weh, und dann hast du doch gewiß gelacht! – Ja, es ist wahr, Mukin, die verdammte Jägersbraut spukt mir recht im Kopfe, und wie es mir immer geht, wenn ich so eine Riesen-Arbeit vor mir sehe, so verliere ich Anfangs allen Muth und verzweifle fast daran es zu Stande zu bringen, und komme mir wie ein Ochs vor, dem nichts einfallen will. Es geht aber dann doch immer am Ende, und diese so oft bewährte Erfahrung tröstet mich. Die Oper ist wirklich trefflich geworden durch die neue Bearbeitung. Kurz, gedrängt, schönes Finale und andere Ensemble Stücke, und nun glaube ich, daß in dieser Gattung noch keine existirt. Gott gebe seinen Seegen dazu, es sind entsetzliche Aufgaben[119] darin, und mein Kopferl wird mir oft brummen, schadet aber nichts. etc.«


»Den 21. Juni 1817.


etc. Da hast du Recht, Mucks, Lorbeerblätter haben wir wohl, aber sie reichen doch nicht hin nur einen Schweinskopf damit zu würzen. Ja, wenn alle die Lobpreisungen etc. sich in Butter und Schmalz, Würste, Eier etc. verwandelten, das wäre was werth, da könnte ich die Küche hübsch voll spielen. etc.«


»Den 11. Juni 1817.


etc. Aber es ist kurios, wie die Vorliebe zu allem, was nur in der entferntesten Beziehung auf meine Lina steht, sich so auffallend bewährt. Das Aennchen, das so ganz deine Rolle wäre, zieht mich vor allem au, und muß unwiderstehlich diese Sachen zuerst komponiren, wobei du mir immer lebhaft vor Augen schwebst. Du wirst also einst darin dein Portrait in einem neckischen, spitzbübischen Pumpernickel wiederfinden. Wenn ich nur einmal die erste Note niedergeschrieben hätte, damit ein Anfang da wäre, so lange das nicht geschehen ist graut mir entsetzlich vor der ungeheuern Arbeit. etc.«


»Den 16. Juni 1817.


etc. Mit meiner ›Jägerbraut‹ geht es so so, die vielen zerstreuenden Dienste, Geschäfte, besonders wenn man so ins Ungewisse hinein arbeitet, halten mich sehr ab, recht ordentlich daran zu kommen. Ich spielte gestern Kind die ersten paar Stücke vor, wovon er sehr erbaut war.3 Wenn ich bedenke daß ich bei meinen vielen Geschäften, Störungen, Korrespondenzen und der Unruhe im Gemüth, die statt die Zeit festzuhalten sie lieber weghezen möchte, eine deutsche, eine italienische Oper, und eine Messe bis zum Winter schreiben soll, so steht mir der Verstand still, wo er sich doch eigentlich recht bewegen sollte, um etwas zu Stande zu bringen. etc.«


»Den 6. July 1817.


etc. Ich gehe meinen Weg fort und lasse sie alle klaffen, [120] denkend, daß es überall so ist, hoffend, daß es besser werde, und wissend, daß das Gute und die redliche Handlungsweise immer doppelt siegreich hervorstrahlen muß.

Dabei habe ich mitunter ziemlich glückliche Augenblicke zu arbeiten, die mich erheitern und erfreuen. Kind kommt zuweilen und ich muß ihm vorspielen was ich ungefähr fertig habe, womit er sehr zufrieden scheint. Doch ist das noch kein großer Beweiß, denn die. Dichter sind bald befriedigt wenn sie ihre Verse nur klingen hören. Ich bin begierig was mein gebildetes Publikum – d.h. die Mukkin zu manchem sagen wird, und ob es ihm gefällt? ich glaube daß sich besonders viel liebliches darin entwickelt, was dann im Kontrast mit dem Schauerlichen desto wohlthätigere Wirkung thun wird. Das fatalste ist, daß ich mich noch ein bischen schonen muß, weil mein Hals es übel nimmt wenn ich ihm viel biete. Jetzt will ich ein bischen im Zimmerrum spazieren und sehen ob Gott mir gute Gedanken schenkt. etc.«


»Den 7. July.


etc. Warum schimpft Er meine Jägersbraut eine falsche Braut? he! das wäre ein schöner Streich wenn sie sich falsch gegen mich bewiese, nun das hoffe ich nicht. Sie macht mir Freude, da ich nach und nach in Zug komme, und sehe daß die Ideenquelle nicht ganz vertrocknet ist. etc.«


»Den 14. July.


etc. Den 11. Probe von Lodoiska, nach Tisch Briefe geschrieben. Abends Dichter Thee. Den 12. den ganzen Tag gearbeitet und das erste Duett zu Anfang des 2. Aktes zwischen den beiden Mädchen aufgeschrieben. Mittag im Engel. etc.«


»Den 6. August.


etc. Habe den Morgen keine Probe gehabt, und bin nicht überlaufen worden, so daß ich ganz ruhig sizzen und arbeiten konnte, was mir dann auch recht gut von der Hand ging, und da weißt du daß ich dann immer sehr vergnügt bin. Möchte gar zu gern vor meiner Reise den ersten Akt wenigstens fertig entworfen haben. Bei dem 2. und 3. hilfft du mir hernach, gelt? und da werden wir ja sehen ob du[121] fleißig bist, und die Oper noch diesen Winter auf die Bretter kommen kann. etc.«


»Den 18. August.


etc. Wegen der andern Braut ihren Rokkerle kannst du ganz sicher sein noch den größten Theil der Garderobe selbst mit zuschneiden helfen zu müssen, denn ich werde nicht gar viel in dieser Zeit zur Ausstattung helfen können. etc.«


»Den 21. August.


etc. Gestern den 20. den ganzen Vormittag gearbeitet und recht viel an dich gedacht, ich arbeite nämlich an einer Scene der Agathe, wo ich immer noch nicht das Feuer, die Sehnsucht, die Gluth erreichen kann, die mir dunkel dazu vorschwebt, sie heißt am Ende nämlich:


Alle meine Pulse schlagen

Und das Herz wallt ungestüm

Süß entzückt entgegen ihm!

Konnt ich das zu hoffen wagen? –

Ja! es wandte sich das Glück

Zu dem theuern Freund zurück,

Will sich morgen treu bewähren!

Ist's nicht Täuschung, ist's nicht Wahn? –

Himmel nimm des Dankes Zähren

Für dies Pfand der Hoffnung an!


Gelt das ist schön? ja, wenn's nur schon fertig wäre. Nun ade Fr. von Gramel Peter, will noch ein bischen warten, vielleicht kommt heute (das trifft vor 10 Uhr) noch ein Brieferl von dir, das besser und lustiger lautet als das vorliegende, so lange will ich den nicht zu machen und mich einstweilen rasiren.ade, etc.«


»Den 25. August.


etc. Ich weiß es leider wohl daß mein Sujet schon als Schauspiel4 bearbeitet ist, da ist aber weiter nichts zu machen. Es thut auch nicht viel, es ist ein junger, unbekannter Mann, und daß ich die[122] Oper schreibe, weiß ziemlich schon die ganze Welt, und wie's ihm in Mag ging5, ging's ihm schon hier und in Berlin wird's eben so kein, und die übrigen Theater sind nicht von Bedeutung. Doch muß ich eilen die Oper bald zu vollenden, damit es auch Geld und Ehre bringt, und nicht auf die lange Bank kommt. etc.«


»Den 30. August.


etc. Den 27. die Arie comp., deren letzte Strophe ich dir geschikt habe. Es soll etwas Feuer drin sein, und du sollst seiner Zeit darüber urtheilen. etc.« (Agathen-Arie, E dur.)


»Den 30. August.


etc. O Jägersbraut! spute dich und bringe recht viel Geld, damit die Andre wahre Braut schöne Sachen kriegt, und in ein freundliches Nestel kommt. Nun es wird schon werden, freilich den ›Silber-Zahnmuß man sich vor der Hand ausfallen lassen! etc.«


»Den 14. Mai 1818.


An Lichtenstein.


etc. Meine Oper die ›Jägersbraut‹ ist zur Hälfte entworfen und soll künftigen Winter in die Welt treten. Hoffentlich führt mich dieses Ereigniß auch in deine Arme lieber Bruder. etc.«


Mit diesen wenigen Zeilen ist so ziemlich Alles erschöpft, was Weber in der ersten Periode der Arbeit an der »Jägersbraut« oder dem »Freischützen« über dieselbe schriftlich geäußert hat. Diese Periode schließt mit dem Jahre 1817 und umfaßt die Composition des Duetts (A dur) zwischen Agathe und Aennchen, 3. Juli; die Arie (E dur) der Agathe, 25. und 27. August; und die Skizzirung von Nr. 2 der Oper, die Scene zwischen Max, Cuno und dem Chor, den 10. August. Erst Ende des Jahres 1818 finden wir ihn wieder mit der Oper beschäftigt.

Während Weber's amtliche Thätigkeit durch das Einstudiren der von ihm ungemein hochgestellten Cherubini'schen Oper »Lodoiska« (7. Aug. zum ersten Mal) und von Catel's »Vornehmen Wirthen«[123] (25. Sept. zum ersten Mal) in den Sommermonaten in Anspruch genommen wurde, brachte der in dieser Zeit stattfindende Durchzug der Fremden durch diese schöne Stadt ihm der angenehmen und störenden Abhaltung mancherlei. Das Dresdener Volksfest, die »Vogelwiese«, sah ihn lustig mit dem geheimen Rathe Welper aus Berlin, Achim von Arnim und dem Akustiker Buschmann ihre Zeltreihen durchlaufen; Salieri, Witte, Oehlenschläger, der im Liederkreise bis zur Uebersättigung vorlas, Wilhelm Müller, Holtei, der Sänger Siboni kamen und gingen, Anregung gebend und erhaltend.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 118-124.
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