Streit wegen Meyerbeer's »Emma« und »Alimelek«

[219] Gegen das Ende des Jahres 1819 hatte Meyerbeer's Oper, »Emma di Resburgo«, große Sensation in Venedig erregt. Weber, der Willens war, seinen Freund Meyerbeer, dessen Talente er ganz außerordentlich hoch schätzte, dem Dresdener Publikum in einem seiner besten Werke vorzuführen, hatte mit Einstudiren des, schon in Prag von ihm aufgeführten »Alimelek« begonnen, der ihm seiner vielen Vorzüge, besonders aber der Deutschheit des darin waltenden künstlerischen Grundcharakters wegen, lieb war.

»Emma di Resburgo«, kurz darauf in Berlin deutsch unter dem Titel »Emma von Roxburg«, in Wien als »Emma von Leicester« gegeben, war das Gegenstück hiervon.

Meyerbeer hatte die Oper in Venedig, unter dem Einflusse der dort herrschenden Musikrichtung und in der Absicht geschrieben, gleich Hasse und Naumann, den Italienern Wohlgefallen am Schaffen eines Meisters aus dem barbarischen Deutschland abzuringen, wenig dabei vom Libretto unterstützt. Mit der ihm eigenen großen Begabung für seine Beobachtung, taktvolle Auffassung fremder Individualität und seiner Geschicklichkeit im Behandeln des geistigen und technischen Apparats, hatte er ein ganz von italienischem Denken, Fühlen, Singen[219] und Klingen durchwehtes Werk geschaffen, das strenge Kenner indeß nicht frei von Reminiscenzen und allzustark italianisirendem Gewürz finden wollten.

So tief schmerzlich nun Weber auch davon berührt war, daß sein Freund, in dem er einen Pfeiler des deutschen Kunsttempels, an dem auch er baute, heranwachsen zu sehen gehofft hatte, diese ganz neue und fremde, von Weber fast über die Gebühr negirte Richtung eingeschlagen hatte, so stand er doch, in der Besorgniß, daß ihm der Vorwurf zu einseitiger Bevorzugung der rein deutschen Kunstbestrebungen gemacht werden könne, nicht an, sofort, gleichzeitig mit »Alimelek«, mit Einstudiren von »Emma di Resburgo« vorzugehen, als er hörte, daß es höhern Ortes der Wunsch sei, diese so viel Aufsehen erregende Oper in Dresden aufgeführt zu sehen. Er trieb die Selbstüberwindung so weit, die Oper, ebenfalls vernommenem Wunsche nach, sogar mit italienischem Texte einzustudiren und brachte sie, unter Mitwirkung der besten Kräfte der italienischen Oper, Cantu's, Benincasa's, Decavanti's, der Miksch und der Funk, nach vierzehn sorgsam geleiteten Proben, am 26. Januar zur Aufführung. »Alimelek« folgte ihr am 22. Febr. Beide Opern wurden glänzend, die italienische »Emma di Resburgo« sogar mit enthusiastischem Beifall aufgenommen. Weber wußte nicht, ob er darüber sich freuen oder betrüben sollte. Er schreibt am 27. Jan. an Lichtenstein:


»etc. Gestern habe ich Meyerbeers neueste Oper Emma di Resburgo italienisch gegeben. Sie wurde mit Enthusiasmus aufgenommen. Ich fürchte, daß dies in Berlin nicht so der Fall sein wird. Wir sind hier ganz italienisirt. Mir blutet das Herz, zu sehen, wie ein deutscher Künstler mit eigener Schöpfungskraft begabt, um des leidigen Beifalls der Menge willen, zum Nachahmer sich herabwürdigt. Ist das denn gar so schwer, den Beifall des Augenblicks, ich sage nicht – zu verachten, aber doch nicht als Höchstes anzusehen. – Kannst Du zufällig meinen Aufsatz über Meyerbeer in der Abendzeitung lesen, so thue es. Uebrigens bitte ich, dieß nur Dir gesagt sein zu lassen um der braven Eltern willen und in der Hoffnung, daß Meyerbeer selbst von seiner Verirrung zurückkehrt. etc.«[220]


Und an Treitschke in Wien am 29. Januar:


»etc. Den 26. Januar habe ich ›Emma von Resburgo‹ von Meyerbeer in Scene gebracht (italienisch), sie hat außerordentlich gefallen, fast jedes Stück wurde applaudirt. Eine große Seltenheit, bei unserm im Ganzen sehr frostigen Publikum! aber es hat auch das Rossini Fieber, und Meyerbeer hat fast bis zur Ungebühr diesem Mode-Unwesen gehuldigt. etc.«


Die Aufführung der italienischen Oper von Meyerbeer sollte für Weber noch andere unangenehme Empfindungen im Gefolge haben, als die, welche ihm der Blick auf den Abweg, den der Freund einschlug, bereitete.

Weber hatte nämlich derselben und dem »Alimelek« einen in Nr. 17 und 18 der Abendzeitung abgedruckten, einführenden Aufsatz vorausgeschickt (den wir im III. Bande vollständig geben), in dem er die von Meyerbeer bei Composition der »Emma« eingeschlagene Richtung beklagt und mißliebige Seitenblicke auf den Kunststandpunkt Italiens im Allgemeinen wirst. Unter Anderm sagt er darin:


»Es muß recht tief hinein böse sein mit dem Verdauungsvermögen der italienischen Kunstmägen, daß der gewiß aus eigener selbstständiger Kraft schaffen könnende Genius Meyerbeers es für nothwendig erkannte, nicht nur süße, üppig schwellende Früchte auf die Tafel setzen, sondern sie auch gerade mit diesen Modeformen verzuckern zu müssen.«


Dieser Aufsatz, diese Seitenblicke und Bemerkungen wurden von den Italienern, und Morlacchi an ihrer Spitze, ganz außerordentlich übel genommen und sie veranstalteten nicht allein eine fulminante, wahrscheinlich aus der Feder der mehrfach erwähnten Enthusiastin für italienische Musik, Fräulein a.d. Winkel, geflossene Abfertigung des Weber'schen Artikels, die sie in Nr. 13 des »Literarischen Merkurs« veröffentlichten, sondern sie beklagten sich sogar: »als in ihrer künstlerischen Ehre gekränkt«, officiell beim Grafen Einsiedel. Der Hauptinhalt dieser Abfertigung geht aus der, von uns im III. Bande in [221] extenso gegebenen Entgegnung Weber's hervor, hier nur so viel, daß der Artikel Verdächtigungen von Weber's Kunststreben in Dresden, der Motive seines Lebens und Treibens, scharfe Rüge seiner Tendenz, den Kunstgeschmack nach seinem Sinne leiten zu wollen, seine Vorliebe für deutsche, Abneigung gegen italienische Kunst und schließlich eine ziemlich hämische und persönlich kränkende Hindeutung auf seine kritische Thätigkeit im Gegensatze zu dem Wirken der alten Meister, »die das Publikum nicht durch Worte, sondern Werke bildeten«, nebst dem Rathe enthielt, »sich dem Vaterlande auch als Operncomponist werth zu machen, damit man ihn als Aristarchen erkennen könne.« (Diesem Rathe ist er ziemlich getreulich nachgekommen!)

Die Sache machte das größte Aufsehen, das ganze Theaterpersonal war in Bewegung. In allen geselligen Zirkeln der Stadt gruppirte sich die italienische und deutsche Theaterpartei schärfer als je zuvor.

In unserer, durch praktischere Ideenströme, Industrie, Politik, Handel und Technik bewegten Zeit kann man sich kaum mehr ein Bild davon machen, welche Bedeutung ein öffentlicher Kampf um Theaterangelegenheiten in jener gemüthlichen, von großen Bewegungen und Erschütterungen ausruhenden Zeit erhalten, wie er die Gemüther eben so tief und allgemein stürmisch aufregen konnte, wie jetzt eine Wahlschlacht oder eine wichtige Kammerdebatte.

Weber, kränkelnd und reizbar, ließ sich durch die Vorgänge weit über ihren wirklichen Werth hinaus aufregen und in fieberischer Hitze verleiten, den oben erwähnten (im III. Bande unterm 15. Febr. 1820 gegebenen) Aufsatz zu schreiben, der, kaum gemäßigteren Tones als die Angriffe seiner Gegner gehalten, nicht allenthalben das Recht und die öffentliche Meinung auf seine Seite brachte.

Graf Einsiedel hatte die Klage der Italiener richtig gewürdigt und wohl gesehen, daß sich auf solche thörigte, allgemeine und in der Luft schwebende Beschuldigungen kein Recht sprechen lasse. Wahrscheinlich nöthigte ihm das Ganze ein Lächeln ab. Er forderte aber Weber auf, ihm die Zeitungsblätter, welche den bösen Streit enthielten, zu übermitteln. Weber sandte ihm dieselben mit nachstehendem Briefe:[222]


»etc. Aus den Blättern des ›litterarischen Merkurs‹, die ich hierbei, Eurer Excellenz Wunsch gemäß, Ihnen zu übersenden wage, werden hochderselbe ersehen, bis zu welchen ehrenrührigen Persönlichkeiten die italienische Parthei ihre gehässige Gesinnung gegen mich zu treiben sucht. Ein wirklich durch meine Aufsätze in der Abendzeitung aufgereizter Deutscher würde sich nicht drei Wochen lang besonnen haben, seinen Unwillen an den Tag zu fördern. Es mußte aber so natürlich Jemand gefunden werden, der sein Deutsch dazu herlieh und das brauchte Zeit.

Da es nun, seitdem ich nicht das Glück gehabt habe E. E. persönlich zu verehren, fast zur Gewißheit geworden ist, daß man es auch gewagt hat, das Ohr S. Maj. des Königs zu erreichen und natürlich, wenigstens durch Halbheiten die Sache zu verunstalten, so unterstehe ich mich nochmals dringend zu bitten, mich durch E. E. hohen Schutz von dem drückenden Gefühle zu befreien, daß ungeahndet jeder Uebelwollende den ehrlichen Mann in Anklagezustand versetzen und über ihn als einen scheinbar Zurechtgewiesenen triumphiren kann. etc.«


Die Oeffentlichkeit der Sache machte sie dem Grafen, der nichts mehr haßte, als die Publicität, nach und nach überaus verdrießlich, und wohl sehend, daß es leicht thunlich sein werde, das Ganze in der trüben Fluth des Amtsgeheimnisses aufzulösen, wenn Weber zum Schweigen gebracht und begütigt sei, ließ er diesen rufen, empfing ihn sehr freundlich, versicherte ihn der besondern Zufriedenheit des Königs, die nicht ermangeln werde, demnächst auch sichtliche Kundgebung zu erhalten, versprach die Italiener zurechtzuweisen und bat ihn endlich, die Sache nicht weiter zu verfolgen, indem, wie er mit Recht hinzufügte, derselben kein Ende abzusehen sei und er ja doch das letzte Wort behalten habe.

Weber, den eine freundliche Ansprache stets leicht gefangen nahm, sagte zu und – damit hüllte sich Alles in Schweigen, aus dem nur dann und wann ein schadenfrohes Gekicher der Italiener hervorklang, die allenthalben verbreiteten, Weber habe vom Minister wegen des Aufsatzes über Meyerbeer's Opern eine »tüchtige Nase« erhalten und halte sich jetzt ganz kleinlaut still.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 219-223.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Casanovas Heimfahrt

Casanovas Heimfahrt

Nach 25-jähriger Verbannung hofft der gealterte Casanova, in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren zu dürfen. Während er auf Nachricht wartet lebt er im Hause eines alten Freundes, der drei Töchter hat... Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

82 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon