Bühne und Publikum zu Brühl's Zeit

[292] Unter solchen Auspicien konnte es nicht Wunder nehmen, daß sich die Berliner Bühne unter Brühl's rührigen Händen in kurzer Zeit zu einem Institute von bis dahin ungeahntem Glanze erhob, das, vermöge seiner specifisch deutschen Tendenz, auch gesund in einem Volke wurzelte, das eben einen Kampf auf Tod und Leben mit dem Auslande geschlagen hatte und dem Ausländisches und Reaktion gleichbedeutende Begriffe geworden waren, insoweit nicht der kosmopolitische Kern des deutschen Kunstsinns die eigenthümliche Schönheit fremdländischer Schöpfungen seinem Wesen assimilirt hatte.

Man hörte entzückt Boyeldieu und Rossini, aber es wäre unmöglich gewesen, die Opern französisch oder italienisch zu geben.

Mozart's Werke, Gluck's »Alceste«, »Armide« und »Iphigenie«, Beethoven's »Fidelio«, Hoffmann's »Undine«, Meyerbeer's »Emma von Roxburg«, Spohr's »Jessonda«, Cherubini's »Wasserträger« und »Abenceragen«, Boyeldieu's »Weiße Dame«, Spontini's und Rossini's Opern folgten in glänzenden Darstellungen aufeinander, während das Schauspielhaus von Göthe's, Shakespeare's, Calderon's, Moreto's, Werner's, Kleist's, Houwald's, Müllner's, Schiller's, Oehlenschläger's, ja sogar des Terenz und Plautus besten Dramen tönte.

Ludwig Devrient, die Milder, das Wolff'sche Ehepaar, die Wranitzky-Seidler, die Rogée-Holtei, die Schulz-Kilitschky, Eduard Devrient, Bader, Krüger, Unzelmann, die Willmann wurden gewonnen und bildeten, mit dem schon Vorhandenen, eine Kunstgenossenschaft, deren Gleichen die Geschichte der Bühnen wenige aufweist. War aber Brühl in seinem Streben der edelsten einer in seiner Art, so ist doch nicht zu läugnen, daß ihm eine Schwäche anhaftete, die oft genug seine Begabung als Leiter und Direktor beeinträchtigte. Es war dieß das allen Enthusiasten eigene »zu Hochrichten« seiner Geschosse, das Ueberschießen des Ziels!

Einen guten Zweck vor Augen konnte es ihm geschehen, daß er, mit cavaliermäßig leichtem Sinne, die Mittel zur Erreichung desselben[292] nicht scrupulös erwog, rascher als besonnener, edler als klug handelte.

In den bis dahin frei dahinfließenden Strom des specifisch deutschen Kunststrebens der Brühl'schen Theaterleitung war im Jahre 1819 ein Wehr gebaut worden, das ihn zum Theil von seiner Bahn ablenkte, zum Theil die Kraft seines Laufs schwächte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 292-293.
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