Reise nach Wien 10. Febr. 1822

[390] Weber verließ Dresden am 10. Februar früh. Bei der Abreise übergab er Carolinen den nachfolgenden Brief versiegelt mit der Weisung, ihn nur im Falle seines Todes zu öffnen. Als neues Zeichen dafür, was ihm diese Gattin war, in welcher Ordnung er seine Verhältnisse jederzeit zurückließ, möge er hier eine Stelle finden:[390]


»Vor der Abreise nach Wien 1822.


An meine ewig und über Alles geliebte Lina.


Gott gebe, daß du diese Zeilen nicht zu lesen bekommst. Sollte es aber doch der Allmächtige beschlossen haben, so wird der Vater dir auch Kraft verleihen die Prüfung zu tragen. Ich kann dir nur innigst danken, für deine treue Liebe und Geduld, und Gott möge dich segnen, und das Andenken deines Carls dir eine liebe aber nicht schmerzliche Erinnerung seyn. Ich bin gesund und heiter indem ich dieses schreibe, aber ich halte es doch für meine Pflicht dir Alles auf zuschreiben was mir einfällt, und dir zu wissen nöthig seyn möchte.

Mein Testament ist gerichtlich deponirt. Den Schein darüber findest du in der kleinen Schublade dieses Schrankes links. Advokat Gehe kann dir Auskunft geben. Er hat es mir besorgt.

Was ich habe ist dein. Wollte Gott, ich hätte länger für dich sammeln können.

In meinem Buche wirst du die Theater verzeichnet finden, die schon den Freyschütz bezahlt haben. Dabei ein Verzeichniß derer, die noch schuldig sind, und mit wie viel. Ebenso mit Preziosa.

Schuldig bin ich Niemand etwas, und lasse dich durch keine Forderung irre machen.

Eine Uebersicht des Vermögensstandes findest du in meinem diesjährigen Tagebuche. Meine alten Tagebücher verbrenne ungelesen.

Und nun, Gott segne dich; mein Herz ist zu voll – ich kann nichts mehr sagen. Ewig, hier und dort, dein dich gewiß unendlich innigst liebender


Carl M. v. Weber.

Dresden am 10. Februar 1822.«


Von jedem Punkte längern Aufenthalts der Reise ließ er, wie immer, ein Blättchen heimwärts fliegen. Es ist schwer für Weber's Biographen, wenn er die Briefe an Caroline durchliest, die Weber's Herz und Seele in so unnachahmlicher Frische und Lebendigkeit malen, sie nicht alle der Einverleibung in seine Lebensbeschreibung für werth zu halten. Möge es daher, besonders dem Sohne, vergeben werden, wenn er sich hierin zuweilen vom Stoffe überwältigen ließ. Nur zwei[391] Zettel von der Reise nach Prag finden hier Platz, die so liebenswürdig die kleine Sphäre bezeichnen, in der Weber's Herz sich in der Heimath fühlte.


»Den 11. Februar 1822.


Gott grüß' dich, geliebte Mukkin, das Wetter ist herrlich, der Weg unvergleichlich, und dein Mann sitzt warm und ist wohlauf. Ich bitte und beschwöre dich, sey brav, sonst kommt die Polizei. Gott wird mich beschützen, und wenn ich dich nur ruhig weiß, werde ich recht fröhlich seyn, und gesund wiederkommen. Der Christel laß ich sagen, daß sie dich recht pflegen solle, damit du ihr gut Zeugniß geben kannst, wenn ich wiederkomme.

Grüße Ali und Schnuff und Alle. Behalte mich lieb. Sey heiter und glaube mit innigster, treuester Liebe


11 Uhr. 11. Februar.

Zehist.

Deinem Carl.

Gieb dem Postillon vier Groschen.«


»Teplitz den 11. Februar 1822.


Liebe gute Herzens Weibe!


Kaum 6 Uhr vorbei, da sizz' ich schon in Teplitz, und höre zu meiner großen Freude, daß Morgen die Post nach Dresden geht, und die Mukkin also bald weiß daß der Mann den fatalen Berg glücklich überstanden hat. Der Weg ist durchaus vortrefflich, es wird gut gefahren, die Chausseen sind breit; aber über den Nollendorfer Berg hätten der Hr. Inspektor doch ein bischen Angst gehabt, es war nämlich sehr glatt, aber wir bekamen Eisketten an die Räder, und da ging es sehr gut, in Peterswalde aß ich ein recht gutes Supperl und Kalbsbraten, und die Mauth war auch bald überstanden, ich bin nicht im geringsten fatiguirt, werde aber doch sehr bald in Betterl gehen, weil ich um 3 Uhr wieder auf muß; der scharfe Wind hörte gegen Mittag ganz auf, und die Fahrt war herrlich; geschlafen habe ich gar nicht, denn der Kopf war zu lebendig, wo du hoffentlich durch meine paar Zeilen von Zehist aus nach dem Mittagschläfchen solltest überrascht werden. Ich möchte dir wohl gerne predigen;[392] aber ich hoffe zu Gott du wirst selbst bedenken was du dem kleinen und großen Eß–el schuldig bist, und so heiter und thätig wie möglich des Wiedersehens harren.

Ich bin froh daß ich keinen Reisegefährten habe. Diese Stille und Einsamkeit, in der belebten Natur, ist mir recht wohlthätig und nothwendig, meinen Geist zu sammeln. Der Künstler muß wirklich manchmal aus dem gewöhnlichen bürgerlichen Weltleben herausgerissen und sich selbst gegeben werden. Du wirst sagen, nun da ists am besten man sperrt den Musje ein, in Loß? danke; so arg verbitt ich mirs, aber so nach Hosterwitz mit Frau und Kind und allen Bequemlichkeiten ins Elend (Exil) geschickt; da bitt ich drum. Jetzt gute Mukkin ordne ich mein Tagebuch, rassire mich vielleicht, damit ich Morgen Abend in Prag nicht gar zu scheußlich aussehe, mampfle dann Supperl und gehe in Bett. Gebe gute †††, drücke dich innig aus Herz und bitte Gott, dich heiter und gesund zu machen.


Ewig Dein

Carl.

Millionen Bußerl.«


Den 13. in Prag Abends ankommend, fand er die Stadt mit Fremden überfüllt, und erhielt in der »Stadt Wien« ein so miserables Zimmer, daß er es darin nicht aushalten konnte und in's Theater lief.

An jenem Abende sah Weber Henriette Sonntag, die ihm später seine »Euryanthe« so herrlich deutsch jungfräulich verkörperte, zum ersten Male. Sie sang den »Genius Böhmens« in einem von Schießler gedichteten, von Weber's Nachfolger, Triebensee, componirten Festspiele zur Feier des Geburtstags des Kaisers.

Weber war nicht sehr entzückt von der kleinen, reizenden Person, der damals wohl große Schüchternheit einen beschränkten Ausdruck geben mochte, denn er schreibt über sie:

»Die Sonntag sang recht artig. Hübsches Mädchen, aber – noch ganz Anfängerin, und auch wohl etwas gansig. –«

Weber hatte sich darauf gefreut, den für den andern Abend angesetzten »Freischütz« in Prag von seinem alten Orchester zuhören. Jetzt wurde er vom Direktor Holbein, den Capellmitgliedern und[393] Sängern bestürmt, ihn selbst zu dirigiren, und gab widerstrebend nach. Der Erfolg zeigte ihm, in wie gutem Andenken er in Prag stand, mit wie viel Liebe man noch an ihm im Kreise des Theaters hing. Er schildert selbst die Kundgebungen wie folgt:


»etc. Das war ein Jubel gestern! wie ich ins Orchester trat, wollte der Jubel, Schreien und Klatschen gar kein Ende nehmen, und so drei Mal. Das Haus war zum Brechen voll trotz der vielen Bälle. Fast nach jeder Nr. applaudirt. Jägerchor da capo und am Ende mich herausgerufen mit gehörigem ›Ungestüm‹. Die Vorstellung ging sehr gut. Orchester sehr gut. voll Liebe und Feuer. ebenso die Chöre. Die Sonntag (Agathe) sehr lieblich, die Wohlbrück (Aennchen) fatal. Max hübsch gesungen. Kainz (Caspar) recht brav. Eremit schauderhaft. alles übrige gut. die Wolfschlucht ganz anders als bei uns, aber ganz vortrefflich. Da ist Phantasie drinn!«


Am 15. Morgens fuhr Weber nach Wien ab, wo er am 17. Abends anlangte und sich in dem, von der Administration des Theaters für ihn bei dem alten Schauspieler Schwarz, der als Präsident der »Ludlams Höhle« einen drolligen literarischen Ruhm erlangt hat, in der Grünangerstraße Nr. 838, gemietheten Zimmer einquartierte. Nach drei anstrengenden Reisetagen verfügte sich der schwächliche Mann, ohne auszuruhen, in's Kärnthnerthortheater, hörte den »Waldemar« von Weigl, und durchstrich dann noch mit Duport die Säle der großen Redoute bis 1 Uhr Nachts!

Am 18. hörte er seinen so entsetzlich verstümmelten »Freischütz«. In seinem Tagebuche giebt er dem Schmerze, den er dabei empfinden mußte, sein Werk in der, von ihm so hochgehaltenen, Metropole der Tonkunst so entstellt zu sehen, nur dadurch Ausdruck, daß er ein dreifach unterstrichenes »Der Freischütz! ach Gott!« hinschreibt. Ausführlicher berichtet er darüber an Caroline am 20. Februar:


»Wien den 20. Februar.


etc. Abends endlich war mein Freyschütz. Was soll ich dir sagen? wo anfangen? Nicht zwei Tempos waren richtig. Alles überjagt oder[394] geschleppt. So recht ohne alle künstlerische Weihe und Nüancen von Weigl einstudirt. Ich saß im Fieber – es war sehr voll, die 25ste Vorstellung und Faschingdienstag. Uebrigens ging alles gut. Die Chöre vortrefflich. Die Dekorationen sehr schön, aber meist ganz unzweckmäßig. Die elendesten Regiesachen nicht berücksichtigt, nicht einmal dunkel zu Ende des I. Aktes u.s.w. wo sollte ich anfangen und aufhören, dir alles zu erzählen. Ouvertüre, übereilt. Introduktion, gut. Kilians Lied, einen Vers gestrichen. Das Ensemble-Stück vortrefflich und ergreifend vom Chor gesungen. Rosner, Max – ich fange an mit Bergmann zufriedener zu werden. Forti, brav – nimmt den Charakter anders, aber es ist ein Ganzes, und singt vortrefflich. Weinmüller, gut. Schröder, hübsch; herrliche Stimme, zweckmäßiges Spiel, reine Intonation, aber freilich zur Sängerin fehlt noch viel. Madlle. Vio ohne alle Laune; das Duett entsetzlich langsam. Der schlanke Bursch, ganz schnell. Die große Arie, das Gebet, schnell und alles übereilt, aber doch nicht ohne Ausdruck. Das Terzett auch so holterpolter. Die Wolfsschlucht nur – zusammengefegt, aber allerlei Hübsches in Dekorationen. Die Cavatine der Agathe, das Einzige was ganz gut war. Romanze, ohne Bratsche, und bei Nero, aus! Finale, Kopf und Schwanz. Nun mündlich erst ordentlich. Dazu mußte ich nun aus Politik gute Miene machen, und alles schön finden. Ich begreife nicht, daß die Oper gefallen konnte. – Ich bitte dich, erstlich dich nicht zu ärgern, und dann auch nicht von meiner Unzufriedenheit zu sprechen. Man muß vorsichtig seyn, und am Ende haben doch Alle gethan, was sie konnten, und der Enthusiasmus für die Oper ist wirklich grenzenlos. –«


Welcher Balsam war es für ihn dabei, daß das Werk trotz alle dem so außerordentlichen Erfolg hatte!

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 390-395.
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