Rossini's Einfluß

[409] Weg und Bahn zu allen Herzen fand sich daher seinem Einflusse geebnet und geöffnet, als 1817 der Liebling der Grazien, der Genius Rossini's, in Wien erschien. Er wurde begrüßt, wie der Messias des Wohllauts, der Schönheit und vor allem der heitern, echt wienerischen Opernunterhaltung. Versprach er doch die Unbequemlichkeit der anstrengenden Aufmerksamkeit aus dem Hause der Schaubühne zu verjagen.

Was Winter, Paër, Cimarosa, Fioravanti etc. angebahnt hatten, das vollendete das Goldkind des Glücks, dieser musikalische Zauberer, fast durch sein bloßes Erscheinen. Unwiderstehlich schmeichelte er die Klänge seines Vaterlandes, die dem Wiener nie mit solchem festlichen Glanze, mit solcher Lieblichkeit, solcher Schönheit, bei solcher Faßlichkeit erklungen waren, in alle Herzen. Die Massen seiner Produktionen übergossen die Hörer mit einem Blumenregen von immer neuen Klängen, die Lust schien sich mit den geflügelten Genieen[409] Rossini'scher Melodien zu erfüllen, sie waren überall, wo ein Ohr zu hören war, sie tönten überall, wo es ein Herz, ein Blut gab, das entzückende, wollüstige Tonwellen zittern und wallen machen konnten.

Die vornehme Welt, die ganze Schicht der Bevölkerung Wiens, die nur den Genuß der Schönheit in der Kunst suchte, konnte nicht anders, als den musikalischen Liebesgott mit offenen Armen empfangen, der sein absolutes Regiment mit solchem Recht an alle Herzen antrat. Mehr als jemals jauchzte man, nach dem Drucke der Kriegsjahre, den Bringern heitern Lebensgenusses entgegen, die Niemand anders waren, als im kaiserlichen Theater am Kärnthnerthor der Schwan von Pesaro, und unten in der Leopoldstadt: Korntheuer, Raimund, Schuster, die Ennöckl und die Krones, Sartori's etc.

Je mehr aber die bequeme Freude in den Theatern gesucht, je mehr die italienische Musik wieder die herrschende, vornehme Modekunst wurde, je mehr gegen den deutschen Geist in den Tempeln der dramatischen Kunst gesündigt wurde, um so eifriger eilte man auch, diese süßen Sünden im Ernste des Concertsaales zu sühnen. In den Quartetten der Gebrüder Schuppanzigh, den Gebauer'schen Concerts spirituels, den Concerten in den Sälen zum »Römischen Kaiser«, »der Landstände«, des »Vereins der Musikfreunde« und des Conservatoriums der Musik, dem Redoutensaale, bei den Musiken in der Augustinerkirche etc., wurden den Genien Mozart's, Haydn's, Händel's, Spohr's, Cherubini's, Vogler's, Bach's, Naumann's, Albrechtsberger's, Fesca's, Eybler's und fast aller andern klassischen deutschen Componisten, Sühnopfer der edelsten Art dargebracht, ohne die Italiener, von Palestrina an bis auf Marcello, Zingarelli, Portogallo, Pucitta, zu vergessen. Der Gott des Tages aber war hier Beethoven.

Dem Sinn für technische Leistung that ein solche Fluth von Virtuosenconcerten Genüge, daß die Stimmung des Publikums, nachdem dessen Enthusiasmus sich Hummel, Moscheles, Spohr, Clementi und Romberg gegenüber gegipfelt hatte, für solche Produktionen zu Anfang der zwanziger Jahre sehr wesentlich zu ermatten begann.

Es war auch um diese Zeit, als das Publikum, in seinen musikalisch geläuterten Schichten, des vierjährigen Rossinijubels müde, und[410] der Monotonie seiner Formen, bei allem Reichthume seiner Ideen inne zu werden begann, die sich in ununterbrochener Aufeinanderfolge der Aufführungen des »Othello«, der »Cenerentola«, »Eduard und Cristina«, »Diebische Elster«, »Moses«, des »Barbier«, der »Italienerin in Algier«, »Ricciardo und Zoraide«, »Torvaldo und Dorliska«, »Türke in Italien« etc. bis zum Ueberdrusse kund gab.

Die unterhaltende Wirkung seiner Melodien nahm ab, neue Reizungen wurden erwünscht.

Die Stimmen nach deutscher Musik durften sich wieder vernehmen lassen. Ja die musikalische Zeitung, unter des geistvollen Kanne Leitung, rief laut nach Weber, Kreuzer und Spohr.

Inzwischen war der Hof der Leitung der Theater wieder müde geworden, aber man hatte mit der Verpachtung derselben an Mitglieder der hohen Aristokratie zu wenig gute Geschäfte gemacht, mit der Wiederübernahme der Verwaltung aus den Händen der edeln Pächter zu viel Ungelegenheiten gehabt, um auf's Neue an ein Arrangement dieser Art zu denken. Man beschloß vielmehr, von der Erfahrung und der Nothwendigkeit über den einzigen Weg belehrt, auf dem zu einer Reduktion des ungeheuern Theater-Budgets zu gelangen sein konnte, Versuche mit Verpachtung der Theater an gewiegte Geschäftsleute und Männer vom Fache anzustellen, und mit solchen, erforderlichen Falls, das Geschäft unter sehr günstigen Bedingungen für die Pächter abzuschließen. Als die annehmbarsten Aspiranten zu demselben präsentirte sich ein wunderliches Paar, dessen Zusammensetzung aber die bedeutsamsten Garantien zu bieten schien.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 409-411.
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