Kemble's Besuch in Ems

[612] Plötzlich, am 8. August, erschien ein Brief von Kemble, sein Kommen anmeldend. Er selbst folgte dem Briefe auf dem Fuße und traf am 10. August mit Sir George Smart, dem Direktor der Royal-Musik-Band in London, dem edeln Manne, dem Weber später so viel Dank schuldig werden sollte, zu kurzem Besuche von wenig Stunden in Ems ein. Die persönliche Erscheinung der beiden Männer, ihr ruhiges, bestimmtes, echt britisch klares Wesen rief das gesunkene Vertrauen in Weber vollständig wieder wach. In athemloser Hast wurden die Stunden zu Besprechungen über die Oper, Weber's Kommen nach England etc. benutzt. Doch führte Weber's Drängen nach einem bestimmten Abschlusse, der Bezeichnung fester Summen und Honorare zu keinem Resultate, und sie ließen Weber bei ihrer, schon am Nachmittag wieder erfolgenden Abreise, in Nichts gefördert zurück, als in der Ueberzeugung, daß von Gewährung der von ihm verlangten, großen Summe keine Rede sein könne. Trotz alle dem hatte die persönliche Bekanntschaft mit den offnen Ehrenmännern Weber zu dem Entschlusse geleitet, auch ohne festen Contrakt, im Vertrauen auf ihre offenbare Ehrenhaftigkeit, die Reise nach England mit ihren ganzen Dependenzen zu wagen. Es ist unzweifelhaft, daß er von den beiden Herren, die unter dem Eindrucke der Wahrnehmungen seines ganzen Ruhms in Ems waren, dort vortheilhafte, feste Zusicherungen hätte erhalten können, wenn er nicht, durch früher im Vollgefühl seines Werths zu hoch gegriffene Anforderungen, die Standpunkte zu verschieden gesetzt und jetzt kleinmüthig, in der Sorge, die ganze Londoner Angelegenheit scheitern zu sehen, die Vortheile sich hätte entgehen lassen, die ihm jene Eindrücke auf die Engländer gewährten.[612]

Einen andern, mehr künstlerisch gefärbten Charakter, gewann das Leben in Ems für Weber durch die Ankunft seines alten Freundes, Pius Alexander Wolff, und der Frau Milder aus Berlin. Ersterer wohnte mit ihm im selben Hause und war, an gleichem Uebel mit Weber leidend, doch an Hoffnungen reicher. Frau Milder stolzirte im Anfange etwas als berühmte Frau, zeigte aber bald ihre große Liebenswürdigkeit, als dieß wenig bemerkt wurde. Die Kronprinzessin von Preußen zog die berühmten Ankömmlinge sofort in ihre Kreise. Wolff deklamirte in einer der Soiréen der Fürstin »die Braut von Korinth« und Weber begleitete die Worte melodramatisch in freier Phantasie auf dem Pianoforte. Die Wirkung auf das hochgebildete Auditorium war eine bedeutende, dieß mächtige Poem des Grabes mit unübertrefflicher Meisterschaft von zwei großen Menschen, die selbst unaufhaltsam dem nahen Tode zueilten, vortragen zu hören. Der Kronprinz dankte, den beiden kleinen, bleichen, schwarz gekleideten, gewaltigen Männern die Hände drückend, tief erschüttert, mit Thränen in den Augen.

Mit dem zu Ende gehen der Cur begann die gewöhnliche Heimathsehnsucht Weber wieder, trotz aller Mühen, die man sich gab, ihn zu fesseln, zu überwältigen..Er schreibt an Caroline:

»etc. Obwohl man mich buchstäblich auf den Händen trägt und Herrn und Damen des höchsten Ranges auf jeden Wink lauern, mir zu dienen, so ist mir doch Nirgends ganz wohl, als wo die Buben bläken, die Mukkin brummt, und ich die Mägde fortjagen und den Ali (den Jagdhund) hauen kann, wenn sie es zu toll machen.«

Man sieht aus den mitgetheilten Briefstellen, daß ihn, trotz allem körperlichen Leid, der Humor doch nie verließ, wenn er, ruhigen, gesammelten Geistes war und daß die tiefe, peinigende Melancholie ihn nur beschlich, wenn des Leibes Schwäche die Flügelkraft der starken Seele momentan paralysirte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 612-613.
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