Rothe Waldameise (Formica rufa)

[262] Die rothe Waldameise, Hügelameise (Formica rufa, Fig. 1 bis 8), hat ein nicht ausgeran detes Kopfschild, fein gerunzeltes Stirnfeld, unbehaarte Augen, eine aufrechte, beinahe verkehrt herzförmige, schneidige Stielschuppe, einen braunrothen, beborsteten Mittelleib mit schwärzlichen Flecken, das Männchen dagegen einen durchaus braunschwarzen, infolge der Behaarung aber aschgrau schimmernden; dasselbe ist größer als das Weibchen (11 Millimeter), dieses nur 9,87, und der Arbeiter gar nur 4,5 bis 6,5 Millimeter. Die Gattungsmerkmale, welche der Art zukommen, bestehen in folgenden: Zwölf Glieder der Fühler beim Weibe, dreizehn beim Manne, diese unmittelbar hinter dem Kopfschilde eingelenkt, welches sich nicht zwischen ihre Schäfte fortsetzt, ein scharf abgegrenztes Stirnfeld und nach oben wenig auseinander gehende Stirnleisten; die Arbeiter haben Nebenaugen, wie die geflügelten Geschlechter, und die Männchen messerförmige Klappen an den großen Genitalien.

[262] Die Waldameise lebt in ganz Europa, in Asien bis Ostindien und in Nordamerika. Sie baut unter unseren heimischen Arten die mächtigsten Nester, indem sie in den Nadelwaldungen Hügel von vierundneunzig bis einhundertfünfundzwanzig Centimeter Höhe aus Blatttheilchen, Nadeln, Harzkrümchen, Erdklümpchen, Holzstückchen mit bewundernswürdiger Ausdauer und Kraftanstrengung zusammenschleppt und aufthürmt. Die Nester nehmen unter der Bodenfläche einen noch viel größeren Umfang an als am oberirdischen Theile. Zerstört man einen solchen Hügel, so kommen tausende von Arbeitern in dichtem Gewimmel zum Vorscheine. Für den erschöpften Wanderer kann es nichts Erquickenderes geben, als wenn er die flache Hand, mit welcher er einige rasche Schläge auf einen solchen Hügel führte, unter seine Nase hält. Es ist bei dieser Behandlungsweise Schnelligkeit als Vorsichtsmaßregel nothwendig, damit sich keins der hierdurch wüthend gemachten Thiere in die Hand einbeiße oder an den Körper krieche, weil es sonst durch sehr unangenehmes Zwicken sich empfindlich rächen würde. Einst klopfte ich ein solches Nest, welches am Rande eines Waldes etwas hoch lag, und zwar genau vor der im Scheiden begriffenen Sonne. Nachdem wir, meine mich begleitenden Damen und ich, den aromatischen Hauch von meiner Hand eingeschlürft hatten und uns im Weggehen nochmals nach den hörbar sehr unangenehm berührten, erzürnten Thierchen umsahen, genossen wir das einzige Schauspiel: hunderte von silbernen Fontänen, beleuchtet durch die Strahlen der sinkenden Sonne, sprudelten von allen Seiten bis zweiundsechzig Centimeter in die gewürzige Luft und lösten sich auf ihrem Rückwege in zarte Nebel auf. Eine Sekunde, und alles war vorüber, nur ein Geknister und Genistel zwischen dem aufgewühlten Baumaterial hörte man bei der abendlichen Feierstille auf viele Schritte Entfernung, die fortdauernde Aufregung der so unfreundlich in ihren verbrieften Rechten beeinträchtigten Thiere. Daß sie aus der Hinterleibsspitze die Ameisensäure von sich geben und so einem klopfenden Werkzeuge deren Geruch mittheilen, war mir bekannt, daß sie dieselbe aber mit solcher Gewalt zu solcher Höhe emporschleudern könnten, hatte ich nicht geahnet.

Das Innere dieser Nester enthält ein Gewirre von kreuz und quer sich vereinigenden Gängen und kleinen Höhlungen, in denen sich die Bewohner herumtummeln, und von welchen nach allen Seiten hin Haupt- und Nebenstraßen weit von dem Hügel weg führen, welche durch das ununterbrochene Herbeischaffen weiterer Pflanzentrümmer förmlich geglättet sind.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 262-263.
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