Herbst-Grasmilbe (Leptus autumnalis)

[678] Einen höchst überraschenden Anblick gewähren bisweilen die Aeste, besonders die Stämme alter Linden, wenn sie, ihrer Blätter beraubt, von oben bis unten auf der Sonnenseite mit einem wie Eis glitzernden Gespinstüberzuge versehen sind. Bei genauerer Betrachtung findet man Millionen gelber Milben unter diesem Seidengewebe, welche daselbst zu überwintern beschlossen haben. Sie sind schon im Sommer vorhanden, leben dann aber an der Unterseite der Blätter von deren Safte und hinter einem Gespinstüberzuge; hier kann man zu dieser Zeit hunderte an einem Blatte auf allen Altersstufen nebst Eiern beobachten, auch bespinnen sie, wenn sie in so bedeutenden Mengen vorhanden sind, die Aeste, fallen aber wegen des Laubes weniger in die Augen. Die Milbenspinne (Tetranychus telarius oder tiliarum oder socius), um welche es sich hier handelt, ist kaum 1,12 Millimeter lang, orangegelb von Farbe, an den Seiten des eirunden Leibes mit je einem rostgelben Fleckchen verziert und fein behaart. Die Kieferfühler sind nadelförmig, die Kiefertaster kurz, mit dicker Klaue versehen. Die beiden vordersten Beinpaare, deren erstes das längste ist, stehen von den beiden hintersten weit ab. Am vorderen Rückentheile bemerkt man, alles natürlich nur bei starker Vergrößerung, zwei kleine Augen. Wie Linné behauptet, soll diese Milbe bisweilen an Treibhauspflanzen lästig fallen; da jedoch viele Pflanzen auf der Unterseite ihrer Blätter in dieser, wenn auch nicht immer so auffälligen Weise befallen werden, so ist wohl anzunehmen, daß hier mehrere, noch nicht zur Genüge unterschiedene Arten in Betracht kommen, welche eine Krankheit (la grise der Franzosen) an den Pflanzen erzeugen, die sich durch Matt- und Grauwerden der Blätter ankündigt und außer den Milben noch andere Urheber, wie die früher erwähnten Blasenfüße, die Rosencikade usw., haben dürfte. Möglich, daß die sogenannte Herbst-Grasmilbe (Leptus autumnalis), die man nur mit sechs Beinen beobachtet hat, als Larvenform zur genannten Gattung gehört. Im Juli bis September lebt sie als rothes Pünktchen in großen Mengen an dürrem Grase, Getreidehalmen usw. und gelangt an den Körper der Schnitter oder solcher Leute, welche sich unvorsichtig auf von jenen bewohnte Grasplätze niedergelassen haben.

[678] Gleich den Zecken bohren sie sich mit dem Schnabel ein und erzeugen ein unleidliches Fressen und Jucken. Durch Benzin oder Tabaklauge werden sie leicht fortgeschafft und getödtet. White fand Kieselsteine mit den Eiern dieser Milbe überzogen und bei näherer Untersuchung derselben, daß sie früher als eine verborgenblütige Pflanze (Craterium pyriforme) beschrieben worden sind.

Hierher dürften auch diejenigen Milben zu verweisen sein, deren Gattungsname Phytoptus durch Verstümmelung von Phytocoptes entstanden ist. Sie erzeugen an den verschiedenartigsten Pflanzen durch ihren Stich gallenartige Mißbildungen, die sich meist durch einen Filz von fleischigen Haaren auf ihrer Oberfläche auszeichnen und zum Theil früher für Pilzgebilde angesprochen worden sind. Die mikroskopischen Milben selbst hat man noch viel zu wenig untersucht, um sie jetzt schon als Arten unterscheiden zu können.

Alle diese und noch sehr viele ähnliche Milben, welche hinsichtlich der klauen- oder nadelförmigen Kieferfühler, der kurzen und gedrungenen, in zwei scherenartig gegenüberstehende Endglieder auslaufenden Kiefertaster, der plumpen Gangbeine und des weichhäutigen, meist lebhaft gefärbten Körpers übereinstimmen, bilden die Familie der Lauf-, Land-oder Pflanzenmilben (Trombididae). Sie halten sich an Pflanzen oder an der Erde auf, laufen meist sehr schnell und schmarotzen zum Theil in ihrer Jugend als nur sechsbeinige Spinnen an anderen Gliederfüßlern ihrer nächsten Umgebung. Die Pflanzenbewohner stimmen vielfach in ihrer Lebensweise überein, wie die meisten Blattläuse in der ihrigen. Sie fertigen nämlich einen sehr zarten Seidenüberzug über die Unterseite der Blätter und treiben unter dieser silberglänzenden Decke ihr Unwesen, das heißt: sie saugen Saft, vermehren sich und erzeugen obige Krankheitserscheinungen, wenn die Kolonie an Kopfzahl bedeutend zugenommen hat, oder die gallenartigen Auswüchse als ihre Wohnstätten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 678-679.
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