Erste Ordnung: Die Einpaarfüßler, Lippenfüßler [620] (Hundertfüßler, Chilopoda oder Syngnatha)

Ein plattgedrückter, langer Körper, dessen Glieder fast ohne Ausnahme je ein seitwärts weit heraustretendes Fußpaar tragen, und ein schildförmiger, wagerecht stehender Kopf charakterisiren die Hundertfüßler. Unter dem Stirnrande sind die vierzehn- bis zwanziggliederigen schnurförmigen oder oft aus viel zahlreicheren Gliedern zusammengesetzten und dann fadenförmigen Fühler eingelenkt. Von den Freßwerkzeugen ist das Kinnbackenpaar mäßig entwickelt, und der Mitteltheil der Mundklappe auf zwei kleine, nebeneinander stehende Stämme beschränkt, während die seitlichen Theile aus einem größeren Grundstücke und einer zweigliederigen, mit schräg abgestutzter, schwammiger Endfläche versehenen Lade bestehen. In den beiden vordersten Fußpaaren (1 und 2 der Abbildung, S. 622) erhalten die Mundtheile wichtige Hülfswerkzeuge. Das vorderste, nur schwach entwickelt, bekommt durch Verwachsung seiner Hüfttheile das Ansehen einer zweiten Unterlippe, an welcher die übrigen, freibleibenden Enden jederseits gewissermaßen wie Taster erscheinen. Die beiden folgenden Füße (3) gleichen einer kräftigen Zange, deren klauenartige Spitzen aus einer feinen [620] Durchbohrung ein Gift in die Wunde fließen lassen, welches für Menschen schmerzliche Entzündung, wenn auch nicht den Tod, herbeiführt. Alle übrigen Füße sind bis auf die beiden letzten Paare in der Regel einander gleich und sämmtlich mehr nach hinten gerichtet. Das vorletzte Paar erscheint länger, in noch erhöhterem Maße aber das über die Hinterleibsspitze gerade hinausstehende letzte, an dessen kräftigem Schenkeltheile meist zahlreiche Zähne sitzen, so daß durch Bewehrung und Richtung diese Beine das Ansehen eines Fangwerkzeuges annehmen, als welches sie unter Umständen auch verwendet werden. Jeder Körperring besteht aus einer Rücken- und einer Bauchplatte, welche beide an den Seiten durch eine weiche Haut, die gleichzeitige Trägerin für die Beine, und an einem Gliede um das andere für die Luftlöcher, verbunden werden. Der weibliche Eierstock tritt als einzelner, sehr langer und darmartiger Schlauch auf, dem bald ein, bald zwei kurze Eileiter entspringen, welche jedoch mit doppelter Samentasche versehen sind; ihr Ausgang befindet sich am letzten Hinterleibsgliede, wie die männlichen Geschlechtswerkzeuge, denen äußere Haftorgane behufs der Paarung fehlen. Eine solche erfolgt nach Fabre's Beobachtung auch nicht, sondern die Männchen setzen ihre Samenflüssigkeit an Fäden, die sie nach Spinnenart am Erdboden ziehen, ab, damit sie von den Weibchen in die Geschlechtsöffnung aufgenommen werden könne. Die Chilopoden bewegen sich unter schlangenförmigen Biegungen ihres Körpers sehr schnell auf den Beinen dahin, wenn sie in ihren Verstecken aufgescheucht werden, und suchen sofort die Dunkelheit von neuem auf. Ihre Nahrung besteht vorzugsweise aus Spinnen, Milben, kleinen Kerfen aller Art, welche sich in ihrer Nachbarschaft umhertreiben und schnell von ihrem giftigen Bisse sterben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 620-621.
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