Efa (Echis arenicola)

[486] Die Efa (Echis arenicola, Vipera echis, Echis pavo, varia und frenata) ist eine kleine, aber niedliche Schlange von höchstens sechzig Centimeter Länge und vielfach wechselnder Sandfärbung, d.h. auf mehr oder minder licht braungelbem Grunde unregelmäßig dunkelbraun oder schwarz gebändert, gestrichelt, gepunktet und sonstwie gezeichnet, auf der Unterseite hingegen lichtgelb gefärbt und mit schwarzen, manchmal zu Streifen zusammenfließenden Punkten getüpfelt. Den Scheitel ziert ein gelber oder bräunlicher, dunkelbraun eingefaßter, mehr oder minder deutlich kreuzförmiger Fleck, die Rückenmitte eine Reihe kleinerer, länglich viereckiger oder eiförmiger, bräunlichgelber, dunkelbraun umrandeter, gleichweit von einander abstehender Flecke; längs jeder Seite endlich verläuft eine den Flecken gleichfarbige, braun gesäumte Wellenbinde. Mancherlei Abänderungen der Färbung und Zeichnung kommen auch bei dieser Viper vor.


Efa (Echis arenicola). 3/5 natürl. Größe.
Efa (Echis arenicola). 3/5 natürl. Größe.

Bis in die neueste Zeit unterschied man die in Indien [486] lebende und dort Afäe, in Sind Kuppur genannte Rauhotter (Echis carinata, Pseudoboa carinata, Boa Horatta, Scytale bizonatus, Vipera und Echis superciliosa) von der Efa, obwohl man als einziges Unterscheidungsmerkmal beider Arten einzig und allein die verschiedene Anzahl der Schwanzschilder anzugeben vermochte. Nach Günthers Untersuchungen sollte die Efa deren mindestens hundertunddreiundsechzig, die Afäe deren nicht über hundertdreiundfunfzig besitzen. Nachdem jedoch Anderson neuerlich in Indien Rauhottern mit mehr als hundertdreiundsechzig Schwanzschildern gefunden hat, dürfte der Beweis geliefert sein, daß beide Schlangen als gleichartig angesehen werden müssen.

Bekennt man sich zu dieser Auffassung, so ergibt sich, daß der Verbreitungskreis der Efa dem unserer Kreuzotter an Ausdehnung nicht viel nachsteht; denn man hat die Rauhotter als Bewohnerin ganz Nord-und Mittelafrikas, nach Süden hin bis Habesch und Kordofân, Palästinas, Arabiens, Persiens, der aralo-kaspischen Steppen und ebenso auf der Indischen Halbinsel kennen gelernt.

Wenn der Zug der Pilger nach der Stadt des Heils sich rüstet, und der erwählte Chalife oder Häuptling und Anführer der Pilger in Kairo seinen feierlichen Aufzug hält, finden sich regelmäßig tausende von Menschen zusammen, um den abziehenden Pilgern Segenswünsche zu spenden und sie bis vor die Thore der »Mutter der Welt« zu geleiten. Eine Festlichkeit eigener Art beginnt. Der Chalife, auf einem prächtigen, edlen Rosse sitzend, reitet vor allem Volke seines Weges dahin, aber nicht über den Erdboden, sondern über eine Brücke, welche im buchstäblichen Sinne des Wortes aus Menschen besteht. Von zwei reichgekleideten Reitknechten geführt, welche ebenfalls auf der Menschenbrücke wandeln, schreitet das verständige Roß sorgsam dahin; trotzdem aber geschieht es, daß einzelne der gläubigen Narren durch die Hufe des Pferdes verletzt werden: ein Beweis für[487] allmänniglich, daß der betreffende Verwundete noch nicht fest im Glauben war; da jeder, welcher fest glaubt, nicht bloß Berge zu versetzen vermag, sondern auch nicht verletzt oder überhaupt von einem Unglücke betroffen werden kann.

Für den Vorgeschrittenen hat der Anblick dieser glaubenstollen Menschen etwas ungemein abschreckendes, ja fast entmuthigendes. Er möchte verzweifeln an der Menschheit, wenn er diese »Ebenbilder Gottes« sich selbst unter das Vieh herabwürdigen sieht, und bemüht sich längere Zeit vergebens, die Ruhe des Weltweisen wieder zu gewinnen. Doch tragen einzelne der frommen Umzügler dazu bei, die Aufmerksamkeit von dem widrigen Schauspiele abzulenken, obgleich sich auch bei ihnen »die Bestialität ganz herrlich offenbart«. Der »Tus el Chalife«, wie dieser Ritt des Glaubensfürsten genannt wird, erhält nämlich regelmäßig besondere Verherrlichung durch die anwesenden Schlangenbeschwörer, welche heute beweisen, daß vor Allah kein Ding unmöglich ist, und Schaustellungen zum besten geben, wie man sie sonst nicht zu sehen bekommt.

Mit einem zerrissenen Tuche um die Lenden geschürzt, übrigens nackend, tanzend und springend, die Geberden der Verrückten nachahmend, traben und hüpfen, laufen und rennen sie vor dem Zuge dahin und theilweise über die Menschenbrücke hinweg, jedem gläubigen Brückenklotze den verdienten Fußtritt auf die rechte Stelle versetzend, greifen bald mit der einen, bald mit der anderen Hand in einen über ihre Schultern hängenden Quersack, holen eine Anzahl von Schlangen hervor, schleudern sie mit wüthenden Handbewegungen hin und her, lassen sie sich um Arm und Hals schlingen, setzen sie sich an die Brust, gestatten ihnen, zu beißen, so gut sie das vermögen, packen plötzlich eine mit beiden Händen, beißen ihr den Kopf ab, fressen ihn oder reißen mit den Zähnen ein Stück aus der Mitte ihres Leibes heraus, stoßen dazwischen »Allah hu akbar« (Gott ist der größte) und ähnliche Glaubensseufzer hervor, bis sich der Schaum ihres Mundes mit dem Blute der Schlange vermischt und endlich das vollendete Vieh vor dem schier entsetzten Auge des Beschauers steht: alles zur Ehre Gottes und des Profeten!

Die Schlangen, welche bei diesem durch die inbrünstigste Gläubigkeit gewürzten Schau- oder richtiger Trauerspiele benutzt werden, sind Brillenschlangen und Efa-Vipern, die einen wie die anderen selbstverständlich nur solche Stücke, welche ihrer Giftzähne beraubt wurden. Denn das Possenspiel der Schlangenbeschwörer ist ein wohl berechnendes; das Volk, dessen Hirn durch das ganze Schauspiel umdüstert wird, zeigt sich geneigter als sonst, in den Säckel zu greifen, und der Haui gewinnt voraussichtlich gute Einnahme – daher denn seine besonderen Anstrengungen! Die mahammedanischen Glaubensverkündiger aber, ihren Chalifen an der Spitze, gestatten gern die abscheuliche Prellerei, weil auch unter den Muslimin Pfaffentrug und Gaukelei zusammengehen.

Die Efa wird wahrscheinlich deshalb besonders gern von den Schlangenbeschwörern benutzt, weil jeder Kahiriner sie als Giftschlange kennen gelernt hat. Das Thier ist häufig in ganz Egypten und nicht bloß in Einöden oder in der Wüste, sondern auch in den Ortschaften, häufig in der Stadt Kairo selber, und nicht selten kommt es vor, daß hier jemand von ihr gebissen wird. Wer ein Haus bezieht, welches längere Zeit unbewohnt war, thut wohl, zuvörderst eine gründliche Reinigung desselben vorzunehmen, und darf sich immerhin gefaßt machen, eine dieser Giftschlangen hier aufzufinden. Mehr als einmal habe ich die Efa in unserem Hause in Chartum entdeckt und erschlagen, mehr als einmal beim Wegnehmen des Teppichs, auf welchem ich die Nacht verbracht, eine bemerkt, welche sich unter der Decke ein Versteck gesucht hatte. Einmal bin ich des Nachts auf einem dunklen Gange in unserer Wohnung auf eine getreten, welche mich bloß deshalb nicht beißen konnte, weil sie eben beschäftigt war, unser Hausschwälbchen zu verschlingen, dessen sie sich bemächtigt, ich weiß mir heute noch nicht zu erklären, wie; ein anderes Mal fand ich sogar ein Pärchen unter den Kissen, welche die Rückenlehne des Diwân bildeten. Weit mehr als die Brillenschlange haben wir diese kleine Viper gefürchtet, weit mehr als irgend ein anderes Thier, den aufdringlichen Hausgenossen Skorpion nicht ausgenommen, sie gehaßt, verwünscht, verflucht und unerbittlich verfolgt, ja, mit wahrem Behagen getödtet; eine eigene Marter hätten wir erfunden und in Anwendung [488] gebracht, hätte uns die Gefährlichkeit der Schlange selbst nicht bestimmt, sie stets so schnell als möglich todtzuschlagen. Zu so rascher und sicherer Vernichtung eines derartigen unwillkommenen Eindringlings in das Innere des Hauses entschließt sich der Türke oder Egypter aber selten oder nie. Entsetzen ergreift alle Hausbewohner, wenn es ruchbar wird, daß eine Schlange sich eingenistet, und er glaubt nun nichts klügeres thun zu können, als sich an einen Haui zu wenden, damit dieser den gefährlichen Gast durch seine Zauberkunst herauslocke und entferne. Hieraus zieht der Gaukler selbstverständlich möglichst Vortheil; er läßt sich seine Arbeit, wie recht und billig, gut bezahlen und hilft unter Umständen seinem Gewerbe noch dadurch auf, daß er vorher eine Schlange freiläßt, dem Hausherrn anzeigt, er habe vermöge seiner hohen Wissenschaft vom Vorhandensein einer solchen in jenes Besitzthume Kunde erlangt, worauf dann der Preis für die Säuberung festgesetzt wird und die Kammerjägerei beginnt. Schon Geoffroy erzählt ein hierauf bezügliches, recht niedliches Geschichtchen. Um zu erfahren, ob die Schlangenbeschwörer Betrüger seien oder nicht, befahl der französische Anführer, also wohl Bonaparte, es solle ein solcher eine Schlange locken, welche sich in den unteren Räumen des Palastes aufhalte. Geoffroy selbst erhielt den Auftrag, ihn zu überwachen. Man zog ihn nackend aus, um alle seine Kleider zu untersuchen und ließ ihn, nachdem man nichts gefunden, seine Arbeit beginnen. Der Mann fühlte sich augenscheinlich höchst unbehaglich und rief einmal über das andere aus: »Wenn aber keine Schlange da ist, was soll ich dann thun?« Es wurde ihm geantwortet, daß er nur locken möge, er auch durch eine Gabe möglichst beruhigt. Nun ging er ans Werk und suchte vorzüglich auf feuchten Oertlichkeiten, hier bald stark und laut, wie die männlichen, bald dumpf und leise wie die weiblichen Schlangen zischend, Nach zwei Stunden endlich antwortete wirklich eine Schlange und kam zum Vorscheine. Der vorher trostlose und ängstliche Haui stieß ein lautes Freudengeschrei aus, richtete sich stolz auf und schaute die umstehenden an, als ob er andeuten wolle, daß er nunmehr denn doch seine Zauberkunst glänzend bewährt habe. Wie vor Jahren ist es noch heutigentages: wer es sich eine geringe Geldsumme kosten lassen will, kann sich je nach Belieben von dem Gaukler betrügen oder ergötzen lassen.

So klein die Efa, eine so reizbare, jähzornige und gefährliche Viper ist sie. In einzelnen Provinzen Indiens, namentlich in Sind, schreibt man ihr die meisten von allen Todesfällen zu, welche durch Schlangen verursacht werden; insbesondere die Feldarbeiter haben viel von ihr zu leiden. Sie ist für ihre Größe außerordentlich wüthend und angriffslustig und selbst, wenn sie nur auf ihre Vertheidigung bedacht scheint, jederzeit geneigt, an dem Gegner, und wäre es der größte und mächtigste, ihre Giftfänge zu erproben. Sobald sie sich bedroht glaubt, ringelt auch sie sich zusammen, nicht aber in der Weise anderer Vipern, sondern indem sie ihren Leib zweimal halbmondförmig biegt und in der Mitte der Innenseite dieses Halbmondes den Kopf zum Bisse bereit hält. Dabei bleibt sie jedoch keinen Augenblick ruhig, schiebt vielmehr den Leib fortwährend hin und her und erzeugt dadurch und aus den gleichen Ursachen ein ähnliches Geräusch, wie man es von der Cerastes vernimmt. So lange ein Mensch oder Thier in ihrer Nähe sich aufhält, verweilt sie in dieser Angriffsstellung, geräth, wie die Kreuzotter, immer mehr in Wuth und beißt nach jedem Gegenstande, welchen man ihr vorhält, soll auch, bis reichlich zur Hälfte der Länge ihres Leibes sich vorwerfen können. Fayrer bezeichnet sie als die bei weitem lebhafteste und kampflustigste aller Giftschlangen, welche er jemals kennen gelernt hat, und die übrigen Beobachter stimmen in dieser Beziehung mit ihm überein. Wie gefährlich ihr Biß, geht aus den Versuchen des genannten hervor. Ein von der Efa gebissenes Huhn verendete nach vier Minuten, ein anderes in zwei Minuten, ein Hund in vier Stunden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 486-489.
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