Antillenfrosch (Hylodes martinicensis)

[565] Einer von diesen ist der Antillenfrosch, wie wir ihn nennen wollen (Hylodes martinicensis, Eleutherodactylus martinicensis), Vertreter der Sippe der Blattfrösche (Hylodes), nach der Ansicht Günthers aber einer besonderen Familie (Hylodinidae) oder Unterfamilie (Hylodina), deren Kennzeichen in den freien, oben T-förmig gestalteten Fingern und Zehen und dem Mangel an Ohrdrüsen zu suchen sind. Besagter Laubfrosch, welcher mit seinen Sippschaftsgenossen durch die kleinen Haftscheiben an den Zehen, das bezahnte Pflugscharbein und die kleinen eustachischen Trompeten sich auszeichnet, ist ein unscheinbares Thierchen von fünf Centimeter Länge, grauweißlicher Grundfärbung und einer aus braunen Flecken bestehenden, vielfach abändernden Zeichnung. Ein großer brauner Fleck deckt den Hinterkopf, kleinere unregelmäßige zeichnen die Seiten des Oberrückens, welcher rechts und links durch zwei weiße, schon an der Nasenspitze beginnende, von hier über Auge und Ohr sich ziehende und bis zu den Hinterschenkeln herablaufende Streifen von gelblichweißer Färbung begrenzt ist; Arme, Schenkel und Beine sind abwechselnd braun und schmutzigweiß quer gestreift, die Untertheile weißlich.

Der Antillenfrosch wurde auf der Insel Martinique entdeckt, kommt aber, wie spätere Beobachtungen ergaben, auch auf Hayti, Portorico, St. Vincent und Barbados vor, scheint nirgends selten zu sein und ist überall unter dem Namen Coqui bekannt. Ueber sein Thun und Treiben fehlen eingehende Beobachtungen; dagegen haben wir in neuerer Zeit Mittheilungen über seine Fortpflanzung erhalten, welche in hohem Grade merkwürdig sind. Vor nunmehr sechs Jahren (1871) theilte Dr. Bello mit, daß die Jungen des Coqui schon in vollständig ausgebildetem Zustande und für das Leben an der Luft fähig aus den Eiern kommen, also keine Verwandlung außerhalb des Eies zu durchleben haben. »Im Jahre 1870«, sagt er, »beobachtete ich im Garten einen Laubfrosch dieser Art auf einem Lilienblatte, an welchem ungefähr dreißig in einer baumwollartigen Hülle befindliche Eier angeklebt waren. Die Mutter hielt sich in ihrer Nähe, als ob sie die Eier bebrüten wolle. Wenige Tage darauf fand ich die kleinen, sechs bis sieben Millimeter langen, eben geborenen Frösche, mit vier vollkommen ausgebildeten Füßen, mit einem Worte, als vollständig ausgebildete Thiere vor, springend und das Leben in der Luft genießend; binnen wenigen Tagen wuchsen sie zu ihrer natürlichen Größe heran. Der Garten ist von einer zwei Meter hohen Mauer umgeben, und es befand sich kein Wasser in demselben. Nur die genannte Lilie enthält immer etwas davon in der Blattachsel, ist aber keine Wasserpflanze.« Martens, dem wir die Mittheilung dieser Nachricht verdanken, glaubte mit Recht hinzufügen zu müssen, daß das wirkliche Ausschlüpfen aus den Eiern bis dahin noch nicht gesehen worden zu sein scheine, und in den wenigen Tagen, welche zwischen der Beobachtung der Eier und der jungen Frösche liegen, doch möglicherweise eine abgekürzte äußere Verwandlung stattgefunden haben könne, um so mehr, als auch das fernere Wachsthum ungewöhnlich rasch vor sich gehen solle. Die Sache verhält [565] sich jedoch wirklich genau so, wie Bello angab. Denn Gundlach, der von mir so oft erwähnte, treffliche Beobachter, bestätigt in einem an Peters gerichteten Briefe den Inhalt jener Worte vollständig. »Am vierzehnten Mai 1876«, so schreibt er, »hörte ich sonderbare Töne, wie die eines jungen Vogels, und ging dem Tone nach. Zwischen zwei großen Orangeblättern sah ich einen Frosch, griff zu und fing drei Männchen und ein Weibchen des Coqui. Ich steckte sie in ein naß gemachtes Glas mit durchlöchertem Stöpsel. Bald saß ein Männchen auf dem Weibchen und hielt es umklammert. Nicht lange darauf, ich sah immer nach wenigen Minuten hin, hatte das Weibchen funfzehn bis zwanzig Eier gelegt, welche aber bald bis auf drei wieder verschwunden waren. Es wurden nun funfzehn runde, mit einer durchsichtigen Schale versehene Eier gelegt, welche ich absonderte und auf nassen Schlamm bettete.


Entwickelung des Antillenfrosches. 1 bis 4 Keimling im Ei. 5, 6, 7 Das Fröschchen am ersten Tage seines Lebens. Dreimal vergrößert.
Entwickelung des Antillenfrosches. 1 bis 4 Keimling im Ei. 5, 6, 7 Das Fröschchen am ersten Tage seines Lebens. Dreimal vergrößert.

Die innere Dottermasse ist weißlich oder blaß strohfarbig, zieht sich aber immer etwas zusammen, und dann sieht man durch die durchsichtige Schale den sich bildenden Schwanz, welcher nach acht Tagen deutlich wahrzunehmen war. Auch sah man die Augen und die rothen, pulsirenden Blutgefäße, zuletzt ebenso deutlich die Spur von Beinen. Ich verreiste nun auf einige Tage, und als ich am sechsten Juni zurückkehrte, sah ich abends noch die Eilein, aber am folgenden Tage die ausgeschlüpften Jungen, welche noch den Rest eines Schwänzchens hatten.

Später erhielt ich zwischen den Blättern einer großen Amaryllidee einen Haufen von mehr als zwanzig Eiern, auf denen die Mutter saß. Ich schnitt das eine Blatt mit den Eiern ab, worauf die Mutter entsprang, und steckte das Blattstück in ein Glas, dessen Boden mit nasser Erde bedeckt wurde, um eine feuchte Atmosphäre zu erhalten. Etwa am vierzehnten Tage früh Morgens sah ich nach den Eiern. Um neun Uhr, als ich von einem Ausfluge zurückkehrte, waren sie alle ausgeschlüpft, und an den Kleinen bemerkte ich nur noch ein weißes Schwänzchen, welches nachmittags aber bereits nicht mehr vorhanden war.«

Gundlach sandte vier Eier mit Keimlingen an Peters ein. Die Eier bilden, nach Schilderung des letztgenannten, eine durchsichtige Blase von vier bis fünf Millimeter Durchmesser, welcher theilweise eine undurchsichtige, flockige, eiweißartige Masse anhaftet. Die Blase ist angefüllt mit einer wasserklaren Flüssigkeit, welche alle Theile des in derselben schwimmenden Keimlings deutlich erkennen läßt. Letzterer ist wie bei dem der Säugethiere nach der Bauchseite hin zusammengekrümmt, so daß der Kopf den Hintergliedern sich nähert. Diese sind ebenso wie die vorderen unter dem Bauche zusammengeschlagen und liegen dicht dem Körper an. Der Schwanz ist ebenfalls nach unten umgeklappt, entweder nach rechts oder nach links gebogen und verdeckt einen Theil der Hinterglieder. In drei Eiern waren die Gliedmaßen vollständig entwickelt, zeigten auch schon die[566] Haftscheiben an den Zehenspitzen; in einem vierten Eie bildeten alle vier Gliedmaßen erst kurze Stummel und zeigten noch keine Spur von Zehen, wogegen bekanntlich sonst bei den Froschlurchen die hinteren Gliedmaßen und Zehen, und zwar die Fußenden zuerst, zum Vorscheine kommen. Weder von Kiemen noch von Kiemenlöchern fand sich eine Spur; der Schwanz dagegen war bei diesem Keimling merklich größer als bei den übrigen und lag mit seiner breiten Fläche der inneren Wand der Blase dicht an, war auch so gefäßreich, daß seine Thätigkeit als Athemwerkzeug keinem Zweifel unterliegen dürfte. Bei fortschreitender Entwickelung wird der am Bauche vorspringende Dotter und ebenso der Schwanz immer kleiner, so daß der letztere, wenn das von der Schnauze bis zum After fünf Millimeter lange Thierchen die Eiblase durchbricht, nur noch 1,8 Millimeter, wenige Stunden später nur 0,3 Millimeter lang ist und im Laufe desselben Tages ganz aufgesaugt wird. Andere Eier desselben Geleges, welche erst acht Tage nach ihrer Geburt in Weingeist aufbewahrt wurden, haben eine Länge von 7 bis 7,5 Millimeter, woraus hervorgehen dürfte, daß das Wachsthum derselben nicht schneller vor sich geht als bei anderen Arten von Froschlurchen.


Flugfrosch (Rhacophorus Reinhardtii). Natürliche Größe.
Flugfrosch (Rhacophorus Reinhardtii). Natürliche Größe.

»Die Entwickelung dieses Laubfrosches«, schließt Peters, »ohne Verwandlung, ohne Kiemen, mit gleichzeitiger Bildung der vorderen und hinteren Gliedmaßen, wie bei den Wirbelthieren innerhalb einer der Keimblase und dem Fruchtwasser ähnlichen Blase und Flüssigkeit ist höchst merkwürdig und steht vielleicht weniger vereinzelt da, als man bis jetzt annehmen zu müssen glaubte.«


*


»Einer der seltensten und beachtenswerthesten Lurche,« erzählt Wallace, »den ich auf Borneo fand, war ein großer Laubfrosch, welchen mir ein chinesischer Arbeiter brachte. Er erzählte, daß er ihn in querer Richtung von einem hohen Baume gleichsam fliegend habe hinunterkommen sehen. Als [567] ich ihn näher untersuchte, fand ich die Zehen sehr groß und bis zur äußersten Spitze behäutet, so daß sie ausgebreitet eine viel größere Oberfläche darboten als der Körper. Die Finger der Vorderfüße waren ebenfalls durch Häute vereinigt, und der Leib endlich konnte sich beträchtlich aufblähen. Der Rücken und die Glieder zeigten eine schimmernde, tiefgrüne Färbung, die Unterseite und das Innere der Zehen waren gelb, die Schwimmhäute schwarz und gelb gestreift. Die Länge des Körpers betrug ungefähr zehn Centimeter, wogegen die vollständig ausgebreiteten Schwimmhäute jedes Hinterfußes eine Oberfläche von achtundzwanzig, und die Schwimmhäute aller Füße zusammen eine Fläche von ungefähr einundachtzig Geviertcentimetern bedeckten. Da die Enden der Zehen große Haftscheiben zum Festhalten haben, welche das Thier zu einem wahren Laubfrosche stempeln, so ist es nicht gut denkbar, daß diese große Zehenhaut nur zum Schwimmen dient, und die Erzählung des Chinesen, daß der Frosch vom Baume herunterflog, gewinnt an Glaubwürdigkeit.


Steppenfrosch (Acris gryllus). 2/3 natürl. Größe.
Steppenfrosch (Acris gryllus). 2/3 natürl. Größe.

Dies ist, so viel ich weiß, das erste Beispiel eines fliegenden Frosches, und verdient wohl die allgemeinste Beachtung, da es zeigt, daß die Veränderlichkeit der Zehen, welche schon zum Schwimmen und zum Klettern umgewandelt sein konnten, auch sich vortheilhaft erweisen kann, um eine verwandte Art zu befähigen, gleich einer fliegenden Eidechse durch die Luft zu streichen.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Siebenter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Erster Band: Kriechthiere und Lurche. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 565-568.
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