3. Sippe: Bourguetticrinus

[445] Eine andere höchst interessante Entdeckung war schon 1864 von dem um die nordische Zoologie hochverdienten Sars gemacht worden. Er fand in dreihundert Faden Tiefe bei den Lofoten-Inseln eine etwa vierzehn Centimeter lange, zarte Crinoide, die er nach den reichlich entwickelten feinen Wurzeln, mit welchen der Stamm sich befestigt, den Wurzelhaarstern (Rhizocrinus) nannte. Dasselbe Thier wurde von allen späteren Expeditionen, welche sich mit der Untersuchung des Atlantischen Oceanes abgaben, bis zur Küste von Florida gefischt. Für den Zoologen und Paläontologen ist es nebst anderen, von uns zum Theile schon erwähnten Genossen, die mit ihm die Tiefen theilen, von hohem Interesse, weil es einer Familie angehört, die man seit der Kreideformation für ausgestorben hielt. Das sind die Apiocriniten. Unserem Rhizocrinus steht die Kreidesippe Bourguetticrinus am nächsten, und auch diese zeigt schon verschiedene Merkmale, welche auf einen Verfall, ein Aussterben der Familie deuten. Der Körper ist klein, die Arme schmal und kurz, der Stamm unverhältnismäßig lang, ein Mißverhältnis, das aufgestörter Ernährung zu beruhen scheint. Diese Erscheinungen wiederholen sich nun bei dem Wurzelhaarsterne, der geradezu ein weiter verkümmerter Bourguetticrinus genannt werden kann, eines jener ziemlich zahlreichen Wahrzeichen, daß die Meere aus den Zeiten der Kreidebildung sich ununterbrochen und nur mit allmählicher Aenderung und Umformung ihrer Thierwelt in unsere heutigen Meere fortgesetzt haben.

So eröffnen uns diese an sich sehr armseligen, ihr Leben im Verborgenen fristenden Wesen einen Einblick in die Geschichte der Erdbildung, indem sie die Gegenwart mit den Millionen von Jahren hinter uns liegenden Perioden verbinden und uns die Beschaffenheit der damaligen Meere und die Bildung und das Aussehen des Meeresbodens thatsächlich vor Augen rücken. Es ist anzunehmen, daß die meisten jener Thiere, die wir als lebende Repräsentanten entschwundener Urzeiten auf die Tiefen der Oceane zurückgezogen finden, sonst zur Blütezeit ihrer Sippen und Familien der Oberfläche näher angesiedelt waren.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 445-446.
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