Strongylocentrotus Dröbachiensis

Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig. 9. a After, c Darm, d Magen, e Arme des Pluteus, m Mund, o Oesophagus, r Kalkstäbe, v Epauletten, w Wassergefäße.
Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig. 9. a After, c Darm, d Magen, e Arme des Pluteus, m Mund, o Oesophagus, r Kalkstäbe, v Epauletten, w Wassergefäße.

[433] Mit demselben Rechte, womit der Raupenzustand in die Lebensgeschichte des Schmetterlings aufgenommen wird, muß hier von den Echinodermenlarven die Rede sein. Die vollständigste Reihe von Beobachtungen einer Seeigelart verdanken wir in neuester Zeit Agassiz. Sie betrifft den sowohl an den nordeuropäischen als den nordamerikanischen (Ost-) Küsten lebenden Strongylocentrotus Dröbachiensis.

Das mikroskopische Ei umgibt sich mit einer Schichte von Zellen, welche an dem einen Pole sich einstülpt, tiefer und tiefer (s. Abbildung S. 432, Fig. 1, 2), bis jene Form erreicht ist, welche die neuere Entwickelungsgeschichte nach Haeckels Vorschlag mit dem Namen Gastrula belegt hat (Fig. 3). Wir sehen an der Umrißfigur eine nach unten gerichtete Oeffnung a und den Kanal d, die Anlage des Darmes. Schon in diesem Zustande durchbricht der Embryo das Ei und schwärmt vermittels eines kleinen Büschels von Wimpern, der am oberen Pole steht. Die Ausdehnung des Wimperbestandes auf allen künftigen Stufen ist durch v (Fig. 4) ersichtlich. Der Darmkanal sondert sich nun derart, daß die ursprüngliche Einstülpungsöffnung After bleibt, eine mittlere Magenhöhle d sich ausweitet und oben im Mund m durchbricht (Fig. 4 von der Seite, 5 von oben). Aber schon vor der Mundbildung zeigen sich zwei ohrenförmige Aussackungen, die wichtige Anlage des künftigen Ambulacral- und Wassergefäßsystemes (w). Auch erscheinen einige zierliche, symmetrisch gelagerte Kalkstäbchen, die nach und nach zu dem einem Zeltgestänge oder einer umgekehrten Staffelei ähnlichen Skelett der Larve werden. Es nähern sich nun die beiden unteren Wimperschnuranlagen so, daß die Afteröffnung unterhalb zu liegen kommt (Fig. 7, 8). Auch setzen sie sich mit den oberen Streifen in Verbindung, und bilden von jetzt an bis zum Ende des Larvenlebens eine einzige ununterbrochene Wimperschnur. Schon jetzt ist die Anlage der Zipfel und Fortsätze e, welche sich später so auffallend verlängern und nicht nur den Seeigeln, sondern auch den Seestern- und Schlangensternlarven zu ihrem so sonderbaren Aussehen verhelfen, auf das deutlichste ausgeprägt. Ein wichtiges Organ [433] unserer Larve ist auch der sich bei b öffnende Gang, welcher dem Wassergefäßsysteme das Wasser zuführt. In b kommt die Madreporenplatte des späteren Seeigels zu liegen. Die Larve in ihrer Vollendung zeigt Figur 10, wo auch die sogenannten Wimperepauletten ihren höchsten Staat erreicht haben. Diese stärker entwickelten, vorspringenden Theile der Wimperschnur empfingen ihren Namen von dem ersten Entdecker der Echinodermenlarven, dem unsterblichen Johannes Müller. Er wurde dazu veranlaßt, weil er und alle die nachfolgenden Beobachter, bis auf Agassiz, die natürliche Stellung der Larven verkannten, nämlich sie umgekehrt annahmen, die Enden der Fortsätze nach abwärts, die Epauletten nach aufwärts. Die Larve schwimmt aber, eben noch mit bloßem Auge zu erkennen, in der abgebildeten Lage. Sie zeigt während ihrer ganzen Entwickelung die fast vollkommenste Symmetrie, wie die in zwei seitliche Hälften zerfallenden, die bilateralen Thiere.


Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig. 10: Die Larve in ihrer Vollendung.
Entwickelung von Strongylocentrotus, Fig. 10: Die Larve in ihrer Vollendung.

Von dieser Larve geht nur der Magen mit dem Wassergefäßsysteme in den Seeigel über, dessen stacheliger Körper sich um den Magen der Larve herum bildet. Ist der kleine eigentliche Seeigelkörper, der zuerst flach dosenförmig ist, mit seinem neuen Munde und einem Kranze von verhältnismäßig großen Stacheln in der Larve angelegt, so gehen die zum neuen Baue nicht benutzten Theile zu Grunde. Schon während dieses Ueberganges hat das kleine, etwas über einen Millimeter im Durchmesser habende Thier seine Lebensweise völlig verändert. Mit dem Verschwinden der Wimpern ist es auf die kriechende Bewegung vermittels der Saugfüßchen und der Stacheln angewiesen. Wie lange es dauert, bis es völlig ausgewachsen, also je nach der Art einen Durchmesser von wenigen bis sechzehn und achtzehn Centimeter erreicht, ist unbekannt. Wichtiger ist der Nachweis von Agassiz, welche auffallende Umwandlungen die von ihm untersuchten zahlreichen Arten während des Wachsthumes bestehen. Er hat gezeigt, daß viele von den älteren Zoologen aufgestellte Arten und selbst Gattungen gestrichen werden müssen, weil sie nichts als Jugendzustände anderer bekannten Formen sind. Dies gilt nicht nur von den eigentlichen Seeigeln, [434] von denen wir eben Beispiele vorgeführt haben, sondern in vollem Maße auch von den gleich zu erwähnenden anderen Unterabtheilungen der Ordnung.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 433-435.
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