Sippe: Gitterthierchen (Clathrulina)

[572] Eine Erklärung dieser niedrigen Wassertemperatur glaubt der englische Naturforscher in der Ungleichheit der Verdampfung auf der nördlichen und südlichen Erdhälfte zu finden. Es scheint, daß im Norden ungleich mehr Wasser verdampft, als durch die Niederschläge ersetzt wird, während auf der südlichen Halbkugel die Verdampfung so weit von den Niederschlägen übertroffen wird, daß ein ununterbrochener Abfluß kalten Wassers nach der nördlichen Hemisphäre stattfinden muß. Indessen kennen wir die unterseeischen kalten Strömungen der südlichen Oceane im besonderen noch viel zu wenig. Eine etwas genauere Kenntnis besitzen wir nur über gewisse nord-südliche Kälteströme des Eismeeres und des Atlantischen Oceanes, welche nordisches unterseeisches Thierleben weit in die seichteren, gemäßigteren Meeresstriche hineinschieben, jedoch nicht im Stande sind, die Wohlthaten der nach Norden gerichteten Zweige des Golfstromes aufzuheben.


Gitterthierchen (Clathrulina elegans). 350mal vergrößert.
Gitterthierchen (Clathrulina elegans). 350mal vergrößert.

Es gibt im süßen Wasser ziemlich viele mikroskopische Organismen, nackt oder mit starrem kieseligen oder einem aus biegsamem Stoffe bestehenden Gehäuse, welche in ihrem ganzen Aussehen an die Radiolarien erinnern und wirklich von einigen Naturforschern »Süßwasser-Radiolarien« genannt worden sind. Allein allen unter diesem Namen zusammengestellten Wesen fehlt die für die echten Radiolarien charakteristische Binnenkapsel. Als Beispiel wählen wir das zierliche Gitterthierchen. Der Weichkörper mit Kern und veränderlichen Fortsätzen baut sich als Gehäus eine gefensterte Hohlkugel, welche mittels eines Stieles irgendwo festwächst. Es liebt als Aufenthaltsort kleinere stehende, schattige Gewässer, welche im Herbste von den fallenden Blättern erfüllt werden. Greef, dem wir eine genauere Beschreibung dieser und verwandter Formen verdanken, macht darauf aufmerksam, daß sehr häufig das ursprünglich auf einem fremden Gegenstande angesiedelte Gitterthier einen [572] oder mehrere Artgenossen trägt, und möchte diese Art von Geselligkeit oder Koloniebildung nicht für bloßen Zufall halten.

Man kennt eine zweifache Fortpflanzung der Clathrulina. Im ersten Falle theilt sich der Weichkörper innerhalb der Gitterkugel in zwei Hälften. Die eine bleibt im Besitz des Gehäuses, die andere drängt sich durch eine der Maschen heraus und verwandelt sich nach Verlauf etwa einer Stunde durch Ausscheidung von Schale und Stiel aus dem nackten Zustande in die vollkommene Clathrulina. Gerade bei dieser Art der Vermehrung mag es häufig vorkommen, daß die auswandernde Hälfte sich auf der Mutterhälfte festsetzt.

Im anderen Falle gibt der Weichkörper das Material zu einer größeren Anzahl, acht bis zehn, von Theilsprößlingen, die sich innerhalb der Gitterkugel je mit einer harten Hülle umgeben, dann aus dieser ausschlüpfen und die Gitterkugel verlassen. Sie sind nun mit Wimperorganen versehen, doch dauert das Schwärmstadium nicht lange.


Leuchtthierchen (Noctiluca miliaris.) 150mal vergrößert.
Leuchtthierchen (Noctiluca miliaris.) 150mal vergrößert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 572-573.
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