Ohrschnecke (Limnaea auricularis)

[243] Die große Schlammschnecke (Limnaea stagnalis), welche überall in stehenden Gewässern sehr gemein ist, erreicht eine Gehäuslänge von 6 bis 7 Centimeter. Das Thier ist schmutzig gelblichgrau bis dunkel olivengrün, mit gelblichen Pünktchen bestreut; die Sohle ist stets dunkler mit hellem Rande. Von größtem Einflusse hierauf sind die Altersverschiedenheiten. Gleich der Farbe ist auch die Form des Gehäuses großen Veränderlichkeiten unterworfen, so daß man sich die Güte gethan hat, nicht weniger als sechs dieser Varietäten mit besonderen lateinischen Namen zu belegen. Sogar der dünne schwarze Schmutzüberzug verleitete die eifrigen Konchyliologen, die große Schlammschnecke eines gewissen Teiches zu einer besonderen Art zu stempeln. Dieselben Lokalitäten wie die obige Art, bewohnen noch mehrere andere, wie die Sumpf-Schlammschnecke und die gemeine Schlammschnecke, welche sich in der Form des Gehäuses der Limnaea stagnalis enger anschließen, während eine andere ausgezeichnete Art, die Ohrschnecke (Limnaea auricularis), sich durch ihr aufgetrieben blasenförmiges, fast stets von gitterförmig gestellten Eindrücken narbiges, Gehäuse auszeichnet. Alle Limnäen legen ihre Eier als zusammenhängende wurmförmige oder ovale Laiche an allerlei Gegenstände im Wasser ab, meist auf die Unterseite der auf dem [243] Wasser schwimmenden Blätter der Wassergewächse. Solcher Laiche setzen sie vom Mai bis August oft gegen zwanzig, deren jeder zwanzig bis einhundertunddreißig Eier enthält. Sowohl das Laichen selbst als auch die Entwickelung der mit Hülfe von Flimmerorganen sich umdrehenden Embryonen kann man leicht an den in Gläsern gehaltenen Exemplaren beobachten.

Wir haben oben einige Beispiele angeführt, woraus man die Beziehungen der Schalenform zur Lebensweise erkennen konnte. Döring bemerkt jedoch, daß auch bei den Vertretern der Gattung Limnaea sich jene Wechselbeziehungen zwischen Lebensweise und relativer Mündungsgröße in sehr belehrender Weise verfolgen lassen. Der Repräsentant der einen der beiden parallel neben einander verlaufenden Formenreihen, die man zu unterscheiden hat, ist die große Schlammschnecke (Limnaea stagnalis); die der anderen Reihe, die Ohrenschnecke (L. auricularis). Jene gehören mehr dem stagnirenden, morastigen, diese mehr den fließenden Gewässern an. Da jedoch die Trennung der fließenden und stehenden Gewässer keine scharfe, so kann es nicht ausbleiben, daß bei den zwei verschiedenen Formenreihen jener Gegensatz in der Lebensweise nicht konstant auftreten wird, sondern daß häufig beide neben einander vorkommen und dabei ihren bisherigen Formentypus mit geringen Veränderungen beibehalten können.


Limnaea elongata. L. palustris. L. stagnalis. L. minuta. L. peregra. L. vulgaris. L. ovata. L. auricularis. Verschiedene Formen der Gattung Limnaea.
Limnaea elongata. L. palustris. L. stagnalis. L. minuta. L. peregra. L. vulgaris. L. ovata. L. auricularis. Verschiedene Formen der Gattung Limnaea.

Wenn man indessen ein großes Material von Angaben verschiedener Beobachter vergleicht, so läßt sich gewissermaßen statistisch nachweisen, daß die eine Form mehr in dem stagnirenden, die andere mehr im fließenden Wasser vorzukommen pflegt, eine Erscheinung, die vielleicht nicht so sehr befremdend ist. Denken wir uns eine Limnaea stagnalis (Fig. 3) in ein stark fließendes Wasser versetzt, so wird das lang ausgezogene Gewinde wie ein langarmiger Hebel gegenüber der Wasserströmung erscheinen, von dieser wie ein Spielball bald auf die eine, bald auf die andere Seite geworfen werden und dem dieser Strömung gegenüber machtlosen Thiere das größte Hindernis bei seiner Fortbewegung in den Weg legen – ein Mißverhältnis, welches sich bei dem in vollkommen ausgebildeter Gestalt auf eine Halbkugel zusammengedrückten Gewinde der Form L. auricularis (Fig. 8) nicht vorfindet. Daher beobachtet man L. stagnalis niemals in dem rasch und kräftig strömenden Wasser größerer Flüsse, wohl aber L. auricularis. Dagegen steht der [244] letzteren kein Hindernis bei einer etwaigen Uebersiedelung in stehende Gewässer entgegen, und sie wird dort sehr häufig, wenn auch meist in veränderter Gestalt, vorgefunden. Nun ist schon seit langer Zeit von gewissen Limnäen-Formen bekannt gewesen, daß sie mit besonderer Vorliebe häufig das Wasser verlassen, um längere oder kürzere Zeit außerhalb desselben auf dem Trockenen zu leben. Es ist dies unter echten Limnäen vor allem die Form L. elongata (Fig. 1), welche an manchen Orten konstant auf morastigen Wiesen lebt. Dieselbe Neigung, das Wasser zu verlassen, zeigt die ihr sehr nahe stehende Form L. silesiaca. Weit seltener schon verläßt L. palustris (Fig. 2) das Wasser, niemals aber L. stagnalis (Fig. 3). Also zeigt sich auch hier wieder, daß nur die mit verhältnismäßig kleinster Schalenmündung versehenen Formen außerhalb des Wassers zu existiren vermögen. Dieselbe Erscheinung findet sich bei der Untergattung Gulnaria, wo nur die Formen L. minuta (Fig. 4) und L. peregra (Fig. 5), selten L. vulgaris (Fig. 6) und L. ovata (Fig. 7), niemals aber L. auricularis außerhalb des Wassers ausdauern. Den Umschlag in das andere Extrem, die Anpassung an die ausschließliche Wasserathmung, werden wir unten kennen lernen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 243-245.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon