Hutaffe (Macacus sinicus)

[129] Minder häufig als der Makak gelangt uns der Hutaffe, Munga oder Malbruk der Inder (Macacus sinicus, Cynomolgus sinicus, Simia sinica), zu Gesichte. In der Größe steht dieser Affe seinen Verwandten um etwas nach. Seine Leibeslänge beträgt selten mehr als 45 Centim. seine Schwanzlänge ebenso viel. Der Leib ist ziemlich schmächtig, die zusammengedrückte Schnauze weiter vorgezogen als bei jenem, das Kopfhaar vom Scheitelpunkte aus strahlig ausgebreitet, die Stirn fast nackt, der Pelz ziemlich kurz, die Färbung der Oberseite ein fahles Grünlichgrau, welches durch den Gesammteindruck der grauen, schwarz- und gelbgeringelten Haare hervorgerufen wird, die der Unterseite weißlich; Hände und Ohren sind schwärzlich gefärbt.

Recht gemüthlich mag das Freileben des Hutaffen sein. Er bewohnt die dichteren Waldungen Malabars, ohne von irgend welchem Feinde behelligt zu werden. Die Eingeborenen betrachten ihn [129] als ein heiliges Wesen und erlauben ihm nicht bloß, in ihren Gärten nach Lust und Willkür zu schalten, sondern errichten ihm noch besonders Tempel und bauen Fruchtgärten für ihn an, um dem sauberen Heiligen ihre Ehrfurcht zu beweisen. Ob auch ihm ähnliche Heldenthaten zugeschrieben werden wie dem Hulman, ist mir unbekannt.

In seinem Wesen ist der Hutaffe ein echter Makak, d.h. wetterwendisch wie irgend ein anderer seiner Ordnung. Seine Launen wechseln ohne Ursache in jedem Augenblicke, und daher kommt es, daß man eigentlich niemals recht weiß, wie man mit ihm daran ist. Sein Muthwillen, die Munterkeit seines Wesens, seine Nachahmungssucht und seine Gelehrigkeit machen ihn jedoch zu einem gern gesehenen Gesellschafter und lassen seine Unarten und sein garstiges Gesicht vergessen.


Hutaffe (Macacus sinicus). Bunder (Macacus Rhesus). 1/10 natürl. Größe.
Hutaffe (Macacus sinicus). Bunder (Macacus Rhesus). 1/10 natürl. Größe.

Im allgemeinen darf man sagen, daß er sich in seinen Sitten und Gewohnheiten, in der Art und Weise seiner Bewegung, seines Gebarens, überhaupt des gesammten Auftretens wenig oder nicht von dem gemeinen Makaken unterscheidet. Entsprechend seinem absonderlichen Gesichte, welchem der auf die Stirn hereinfallende Haarschopf einen ganz eigenthümlichen Ausdruck verleiht, schneidet er vielleicht noch mehr als jener Grimassen und Fratzen; dies aber ist auch alles, was [130] ich zum Unterschiede anzugeben wüßte. Auf Ceilon steht er, beziehentlich sein nächster Verwandter (Macacus pileatus), welcher vielleicht nur als Spielart aufgefaßt werden darf, bei Jedermann in großer Gunst und ist der allgemeine Liebling und das Schoßthier der Eingeborenen wie der Europäer. Die Schlangenbeschwörer und andere Herumstreicher lehren ihn den Tanz und ähnliche Künste, kleiden ihn, wie die Affenführer früherer Jahrzehnte bei uns es zu thun pflegten, in auffallende Tracht, ziehen mit ihm von Dorf zu Dorfe, von Stadt zu Stadt und lassen durch ihn sich ernähren, so gut und schlecht es eben gehen will. Tennent, welcher die obigen Mittheilungen macht, fügt noch hinzu, daß er sich leicht an Tabaksrauch gewöhnen läßt, wozu ich zu bemerken habe, daß mir das in keiner Weise auffällig erscheint. Fast alle Affen, welche ich kenne, lieben den Tabaksrauch mit einer gewissen Leidenschaft. Einige gerathen in förmliches Entzücken, wenn man ihnen solchen zubläst, andere öffnen das Maul so weit als möglich, wenn man sie anraucht, und blasen dann den eingezogenen Rauch mit wirklichem Behagen von sich. Der Hutaffe macht also durchaus keine Ausnahme von der Regel.

Als Beweis des Verstandes unseres Hutaffen und seines Vermögens, zu urtheilen und Schlüsse zu ziehen, mag nachstehende, mir von Schomburgk mitgetheilte Erzählung dienen. »In der thierkundlichen Abtheilung des Pflanzengartens von Adelaide wurde ein alter Hutaffe mit zwei jüngeren Artgenossen in demselben Käfige gehalten. Eines Tages griff er, übermüthig geworden durch die grausam gehandhabte Beknechtung seiner Mitaffen, vielleicht auch beeinflußt von der herrschenden heißen Witterung, seinen Wärter an, gerade als dieser das Trinkwasser für die gefangenen Affen erneuern wollte, und biß ihn so heftig in das Handgelenk des linken Armes, daß er nicht nur alle Sehnen, sondern auch eine Schlagader schwer verletzte und dem Manne ein längeres Krankenlager zuzog. Sofort, nachdem mir dies gemeldet worden war, verurtheilte ich den Schuldigen zum Tode, und früh am folgenden Morgen nahm ein anderer Wärter ein Gewehr, um meinen Befehl auszuführen. Ich muß erwähnen, daß Feuerwaffen in der Nähe der Käfige sehr oft gebraucht werden, um Katzen, Ratten usw. zu vertilgen; die Affen haben sich daran so gewöhnt, daß sie weder einer Flinte halber, noch wegen des Abfeuerns derselben im geringsten sich beunruhigen. Als der Wärter dem Käfige sich näherte, blieben die beiden jüngeren Affen wie gewöhnlich ruhig auf der Stelle; der verurtheilte Verbrecher dagegen floh in größter Eile in den Schlafkäfig und ließ sich durch keinerlei Lockungen und Ueberredungskünste bewegen, hervorzukommen. Das gewöhnliche Futter wurde gebracht: er sah, was er früher nie gethan hatte, ruhig zu, daß die Gefährten fraßen, bevor er selbst seinen Hunger gestillt hatte, und erst, als der Wärter mit dem Gewehre sich so weit vom Käfige zurückgezogen hatte, daß er von ihm nicht mehr gesehen werden konnte, kam er vorsichtig und ängstlich hervorgekrochen, ergriff etwas von dem Futter und lief in größter Eile in den Schlafkäfig zurück, um es dort zu verzehren. Nachdem er zum zweiten Male herausgekommen war, um sich ein anderes Stück Brod zu sichern, wurde die Thüre seines Zufluchtsortes rasch von außen geschlossen; als der arme Schelm nunmehr wiederum den Wärter mit der Todeswaffe auf den Käfig zukommen sah, fühlte er, daß er verloren sei. Zuerst stürzte er sich wie wahnsinnig auf die Thüre des Schlafkäfigs, um sie zu öffnen; als ihm dies aber nicht gelang, stürmte er durch den Käfig, versuchte durch alle Lücken und Winkel zu entwischen, und warf sich, keine Möglichkeit zur Flucht entdeckend, am ganzen Leibe zitternd auf den Boden nieder und ergab sich in das Schicksal, welches ihn schnell ereilte. Seine beiden Genossen zeigten keine Spur von Aufregung und blickten ihm voll Erstaunen nach.

Die Geschichte ist vollständig wahr und liefert ein bemerkenswerthes Beispiel für die Fähigkeit des Affen, Wirkung und Ursache zu verbinden.«

Die Ansichten über Heiligkeit sind sehr verschieden. Unter uns gebildeten Europäern gilt unter Umständen ein feister Mönch, welcher sein Lebelang nicht das geringste Nützliche gethan hat, als großer Heiliger; unter den Mohammedanern wird mit ungleich mehr Recht ein Geisteskranker [131] oder Blödsinniger für heilig erklärt; unter den Indern gelangt der Affe zu demselben Ansehen wie bei uns der Mönch, und zwar vielleicht aus denselben Gründen, weil er ebenso wenig wie jener der Menschheit irgend welchen Nutzen bringt.

Außer dem uns bekannten Hulman ehrt der Inder noch einen anderen Affen, den Bunder, in einer Art und Weise, welche das Maß der zur Heiligenverehrung erforderlichen kindlichen Einfalt noch erheblich übersteigt.

»In der Nähe von Bindrabun, zu Deutsch Affenwald«, erzählt Kapitän Johnson, »gibt es mehr als hundert wohlbestellte Gärten, in welchen alle Arten von Früchten gezogen werden, einzig und allein zum besten der Bunder, deren Unterhaltung den Reichen des Landes als großes Glaubenswerk erscheint. Als ich durch eine der Straßen in Bindrabun ging, folgte ein alter Affe mir von Baum zu Baume, kam plötzlich herunter, nahm mir meinen Turban weg und entfernte sich damit in kurzer Zeit, ohne wieder gesehen zu werden. Ich wohnte einst einen Monat in dieser Stadt, und zwar in einem großen Hause an den Ufern des Flusses, welches einem reichen Eingeborenen gehörte. Das Haus hatte keine Thüren; die Affen kamen daher oft in das Innere des Zimmers, in welchem ich mich aufhielt, und nahmen Brod und andere Dinge vor unseren Augen von dem Tische weg. Wenn wir in einer Ecke des Raumes schliefen, brandschatzten sie uns auch in anderer Hinsicht. Ich habe oft mich schlafend gestellt, um sie in ihrem Treiben zu beobachten, und dabei mich weidlich gefreut über ihre Pfiffigkeit und Geschwindigkeit. Sätze von vier bis fünf Meter von einem Hause zum anderen, mit einem, ja zwei Jungen unter ihrem Bauche und noch dazu beladen mit Brod, Zucker und anderen Gegenständen, schienen für sie nur Spaß zu sein.

Gelegentlich eines Ausfluges nach Jeckarry wurden unsere Zelte in einem großen Mangogarten aufgeschlagen und die Pferde in geringer Entfernung davon angepflöckt. Als wir bei Tische waren, kam der Reitknecht und erzählte, daß eines von den Pferden sich losgebrochen habe, weil es die Affen auf den Bäumen durch ihr Gezänk und das Herabwerfen von dürren Zweigen erschreckt hatten, und daß wahrscheinlich die übrigen Pferde dem Beispiele des einen folgen würden, wenn wir nicht Hülfe schafften. Sobald als das Essen vorüber war, ging ich mit meinem Gewehre hinaus, um sie wegzutreiben. Ich schoß auf einen mit schwachem Schusse, und er entfloh eilig zwischen die dichtesten Zweige des Baumes, blieb aber dann entkräftet sitzen und versuchte, das aus der Wunde rinnende Blut durch Auflegen seiner Hände zum Stocken zu bringen. Dies erschütterte mich so, daß ich an keine Jagd mehr dachte und zurückkehrte. Noch ehe ich den Vorfall meinen Freunden beschreiben konnte, kam ein Reitknecht zu uns und erzählte, daß der Affe zwar todt gewesen sei, aber von den anderen augenblicklich aufgenommen und fortgetragen worden wäre, Niemand wisse, wohin.

Ein glaubwürdiger Mann erzählte mir, daß die Ehrfurcht der Eingeborenen gegen den Bunder fast ebenso groß sei wie die gegen den Hulman. Die Eingeborenen von Baka lassen den Erntezehnten auf dem Acker für diese Affen zurück, welche alsbald von ihren Bergen herabsteigen, um sich die Steuern zu holen.«

Bereitwillig zahlt jeder Hindu diese Abgabe und zeigt hierin eine Mildthätigkeit und Barmherzigkeit, welche, trotzdem sie fast lächerlich erscheint, ihm doch so zur Ehre gereicht, daß wir sie uns in vieler Hinsicht zum Vorbilde nehmen könnten. Auch in dem Schutze, welchen sie den von ihnen gepflegten Thieren Fremden gegenüber gewähren, kann ich nichts Lächerliches oder Unpassendes finden; mir will es vielmehr höchst achtbar vorkommen, daß dort die Menschen noch die Thiere gegen jeden Frevel in Schutz nehmen. Freilich gehen die Indier etwas zu weit; denn sie rauben dem Menschen, welcher einen Affen tödtete, das Leben. Zwei junge britische Offiziere begingen auf einem Jagdzuge die Unvorsichtigkeit, einen Bunder zu schießen. Die Eingeborenen erhoben sich in Masse gegen sie und versuchten, sie zu steinigen. Der Elefant, auf welchem die Offiziere ritten, suchte dem zu entgehen, indem er nach dem Flusse rannte und mit seiner Last in ihm abwärts schwamm. Er erreichte auch eine Meile unter der Stadt, welche die Briten in Aufruhr gesetzt hatten, das Land, allein seine Reiter waren beide ertrunken.

[132] Dem Fremden wird es freilich schwer, mit unseren Affen zusammenzuleben, ohne mit ihnen in Feindschaft zu gerathen. Es ist fast unmöglich, sich einen Garten oder eine Pflanzung anzulegen: die geduldeten Halbgötter vernichten oder brandschatzen ihn wenigstens in der allernachdrücklichsten Weise. Falls man Wachen ausstellt, um sie zu verscheuchen, kommt man nicht zum Ziele; denn wenn man die zudringlichen Gäste auf der einen Seite weggejagt hat, erscheinen sie auf der anderen wieder. Brennende Feuer, Schreckensbilder und dergleichen stören sie nicht im geringsten, und die ihnen wirklich angethane Gewalt gefährdet das eigene Leben.

Ein dort wohnender Engländer wurde, wie man erzählt, durch Bunder zwei Jahre lang in dieser Weise bestohlen und geärgert und wußte sich gar nicht mehr vor ihnen zu retten, bis er endlich auf ein wirklich sinnreiches Mittel verfiel. Er hatte gesehen, daß seine herrliche Zuckerrohrpflanzung von Elefanten, Schweinen, vor allem aber von den Affen verwüstet wurde. Erstere wußte er in kurzer Zeit durch einen tiefen Graben mit einem Spitzpfahlzaune abzuwehren; die Affen aber fragten wenig oder gar nichts nach Wall oder Graben, sondern kletterten in aller Gemüthsruhe auch über den Zaun hinweg und raubten nach wie vor. Der Pflanzer sah seine Ernte verschwinden: da kam er auf einen glücklichen Gedanken. Er jagte eine Bande Affen auf einen Baum, fällte denselben mit Hülfe seiner Diener, fing eine Menge von den Jungen und nahm sie mit sich nach Hause. Hier hatte er sich bereits eine Salbe zurecht gemacht, in welcher Zucker, Honig und Brechweinstein die Hauptbestandtheile waren. Mit dieser Salbe wurden die jungen Affen eingerieben und dann wieder freigelassen. Die ängstlichen Eltern hatten sorgend nach ihrer Nachkommenschaft gespäht und waren froh, als sie die lieben Kinder erblickten. Aber o Jammer, wie kamen sie zurück! Unsauber, beschmutzt, beschmiert, kaum mehr kenntlich. Natürlich, daß sofort eine gründliche Reinigung vorgenommen wurde. Die Beschwerde der Säuberung schien sich zu lohnen; denn zuckersüß war die Schmiere, welche den Körper bedeckte. Beifälliges Grunzen ließ sich vernehmen, doch nicht lange Zeit: der Brechweinstein zeigte seine tückische Wirkung, und ein Fratzenschneiden begann, wie niemals früher, als die Affen sich anschickten, mit heißem Flehen den »heiligen Ulrich« anzurufen. Nach dieser bitteren Erfahrung kamen sie nie wieder in die Nähe des Verräthers und ließen sein Hab und Gut fortan unbehelligt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CXXIX129-CXXXIII133.
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