3. Sippe: Makis (Lemur)

[247] Der Name Maki soll ein Klangbild des Geschreies der arten- und zahlreichsten Sippe unserer Familie sein, welcher die wissenschaftliche Bezeichnung Lemur geblieben ist. Vor fast allen Verwandten zeichnen sich die Makis aus durch gestreckten Fuchskopf mit mäßig großen Augen und mittellangen, stets reichlich, oft buschig behaarten Ohren, wohlgebildete, unter sich fast gleich lange Gliedmaßen, deren Hände und Füße auf der Oberseite eine schwache, nicht pelzige Behaarung zeigen, mehr als körperlangen Schwanz und sehr weichen, feinen, ausnahmsweise auch wohl wolligen Pelz. Die beiden oberen, stumpf kronigen Schneidezähne sind in der Regel klein, die drei unteren schmalen und zugespitzten dagegen lang und fast wagerecht gestellt, die scharfspitzigen kantigen Eckzähne seitlich zusammengedrückt, die Kronen der drei oberen Lückzähne dreiseitig, die drei unteren Mahlzähne undeutlich vierhöckerig und von vorn nach hinten an Größe abnehmend. In dem gestreckten, hinten gewölbten Schädel fällt der Schnauzentheil durch seine Länge auf. Das Gerippe zählt außer den Halswirbeln 10 Rücken-, 9 oder 10 Lenden-, 2 bis 4 Kreuz- und 22 bis 29 Schwanzwirbel und enthält 8 Paare wahrer und 4 Paare falscher, schmaler, kantiger Rippen. Unter den Weichtheilen verdient Erwähnung, daß der Magen einen großen Blindsack besitzt und der Blinddarm eine ansehnliche Größe erlangt.

Man hat viele Arten der Gruppe unterschieden, die neuzeitliche Forschung aber gelehrt, daß mehrere von diesen nur geschlechtliche Verschiedenheiten oder Spielarten anderer darstellen.

Erst durch Pollens treffliche Beobachtungen haben wir ein einigermaßen ausführliches Bild der freilebenden Maki's erhalten. Alle Arten der Sippe bewohnen die Waldungen Madagaskars und der Nachbareilande, bei Tage im tiefsten Dickicht der Waldungen sich aufhaltend, nachts unter lebhaften Bewegungen und lautem Geschrei ihrer Nahrung nachgehend. Ein von dem erwähnten Naturforscher beobachteter Maki, welcher Mayotte bewohnt (Lemur mayottensis), mag uns im allgemeinen mit dem Leben und Treiben seiner Verwandtschaft bekannt machen. Die Thiere leben in ansehnlichen Banden von sechs bis zwölf Stücken in den Urwaldungen der Insel, hauptsächlich von den Früchten wilder Dattelbäume sich nährend und ihnen zu Liebe von einem Theile des Waldes zum anderen wandernd. Man beobachtet sie ebenso wohl bei Tage als während der Nacht, in der Regel auf Bäumen, von denen sie jedoch von Zeit zu Zeit herabsteigen, um zu Boden gefallene Früchte aufzulesen. Kaum ist die Sonne niedergegangen, so vernimmt man ihr klägliches Geschrei, welches gewöhnlich von der ganzen Bande gleichzeitig ausgestoßen wird. Ihre Bewegungen sind wie die der Verwandten außerordentlich leicht, behend und gewandt: einmal munter geworden, durchfliegen sie förmlich die Baumkronen und führen dabei von einem Zweige zum anderen Sätze von überraschender Weite aus. Von Hunden verfolgt, flüchten sie sich in die höchsten Wipfel der [247] Bäume, heften ihre Augen auf den Feind, wiegen ihren Schwanz hin und her und knurren und grunzen dabei; sobald sie aber des Jägers ansichtig werden, flüchten sie eiligst dem Walde zu und machen es jetzt außerordentlich schwer, ihnen zu folgen oder sie zu erlegen. Verwundete vertheidigen sich wüthend gegen die Hunde, springen ihnen, wie Pollen selbst beobachtete, auf den Rücken und beißen sich in den Ohren oder in dem Halse fest. Auf Mayotte verwendet man zur Jagd gewöhnlich Bauernspitze, welche durch Bellen anzeigen, daß sie einen Maki gefunden haben, und gleichzeitig mit den Vorderbeinen an dem Baume, auf welchem der Halbaffe sitzt, emporspringen. Letzterer wendet dann seine Aufmerksamkeit mehr den Hunden als dem Jäger zu, und ermöglicht es diesem dadurch, sich zu nähern. Die Jagd selbst gewährt Vergnügen, ist aber in hohem Grade anstrengend, wahrscheinlich der Beschaffenheit der Waldungen wegen. Das Fleisch, welches im Geschmacke an das der Kaninchen erinnert, gilt als sehr wohlschmeckend und wird Anlaß zu lebhafter Verfolgung der sonst harmlosen Thiere, deren Verwandte auf anderen Inseln als unverletzbar angesehen werden.

Hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten erheben sich die Makis nicht über ihre Verwandten; dennoch ist ihr Wesen angenehm. Gewöhnlich zeigen sie sich sanft und friedlich; einzelne sind aber auch störrisch, wild und bissig. Sie lassen sich sehr gern schmeicheln, geben aber keine besondere Zuneigung gegen ihren Wärter kund, sondern sind entweder gegen Alle gleich gut oder gegen Alle gleich ungezogen.

Manche Arten kommen öfters nach Europa, dauern auch lange in Gefangenschaft aus. Dies bewies z.B. ein Vari, welcher neunzehn Jahre in Paris lebte. In den meisten Fällen werden sie bald zahm und gemüthlich. Auch lassen sie sich sehr leicht erhalten, denn sie gewöhnen sich rasch an allerlei Speisen. Ihre Nahrung nehmen sie gewöhnlich mit den Vorderhänden auf und führen sie dann zum Maule, heben das Futter aber auch gleich mit diesem auf. Wenn sie sich wohl befinden, knurren sie behaglich; gewöhnlich singen sie sich selbst in dieser Weise in den Schlaf.

Buffon besaß einen männlichen Maki, welcher durch seine raschen, gewandten und zierlichen Bewegungen erfreute, durch seine Unreinlichkeit und seinen Muthwillen aber oft ebenso lästig wurde. Er lief nicht selten in die Nachbarhäuser, stahl dort Obst, Zucker und dergleichen, öffnete auch, als echter Spitzbube, unter Umständen Thüren und Deckel von Schränken und Kisten. Man mußte ihn anbinden, und wenn er entwischt war, hatte man seine große Noth, ihn wieder zu fangen; denn er biß dann selbst diejenigen, welche er genau kannte und sonst zu lieben schien. Sehr gern leckte er die Hand seines Pflegers; wenn aber seine Zunge, rauh, wie die einer Katze, die Oberhaut der Hand geröthet hatte, biß er plötzlich, anstatt weiter zu lecken. Er murmelte beständig, ließ man ihn jedoch allein, dann schien er Langeweile zu haben und drückte dies durch froschartiges Quaken aus. Vor Kälte und Nässe fürchtete er sich ungemein und blieb deshalb während des Winters immer in der Nähe des Feuers, stellte sich auch öfters aufrecht, um sich besser zu erwärmen.

Der Maki, welcher so lange in Paris lebte, liebte das Feuer in demselben Grade und setzte sich regelmäßig in unmittelbare Nähe des Kamins; ja der arme frostige Südländer hielt nicht bloß die Hände, sondern auch sein Gesicht so nahe an die Flamme, daß er sich mehr als einmal den Schnurrbart verbrannte. Im Gegensatze zu dem oben erwähnten, war er reinlich, glänzte am ganzen Leibe und hütete sich sorgfältig, seinen Pelz zu beschmutzen. Außerdem war er ebenso lebendig und beweglich wie neugierig. Er untersuchte alles und jedes, warf es aber dabei entweder um oder zerriß und zerstreute es. Seine Freundlichkeit erzeigte er allen Personen, welche ihm schmeichelten, und auch ganz Fremden sprang er ohne alle Umstände in den Schoß. Gegen Abend hüpfte oder tanzte er wohl ein halbe Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er sich auf ein Bret über der Thüre und spann sich in Schlaf. In seiner Jugend fraß er alles Genießbare und trank auch Wein; in seinem Alter wurde er wählerischer und damit verständiger und stiller.

Von den weißstirnigen Makis besaß man zu Paris ein Paar, welches sich sehr lieb gewann und schließlich begattete. Nach viermonatlicher Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Rattengröße, welches mit offenen Augen zur Welt kam. Das Thierchen klammerte sich sogleich an die Mutter und zwar quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel so in die Höhe, [248] daß sie es fast ganz bedeckte und vor den Blicken verbarg. Wenn sich Menschen näherten, drehte sie denselben immer den Rücken zu, damit ihr Kind nicht gesehen werden solle. Sie war außerordentlich zahm gewesen; nachdem sie aber das Junge erhalten hatte, drohte sie Jedermann, der sich ihr nähern wollte, mit den Zähnen. Sechs Wochen nach seiner Geburt hatte das Thierchen schon ganz den Pelz und die Färbung wie seine Mutter.

Ein Vari des Pflanzengartens lebte mit einem seiner Gattungsverwandten lange Zeit ganz friedlich in einem Käfige, bis man beide zufällig an einen anderen Ort brachte. Hier änderte sich die Sache: der starke Vari tödtete seinen Gefährten in der ersten Nacht.

Das Nachfolgende wird vorstehende Mittheilungen noch hier und da ergänzen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CCXLVII247-CCXLIX249.
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