Zweite Familie: Seekühe

[667] »Am ganzen Strande der Insel, sonderlich, wo Bäche in die See fließen und alle Arten Seewier am häufigsten sind, hält sich zu allen Jahreszeiten die von unseren Russen Morskaja- Korowa genannte Meerkuh in großer Menge und herdenweise auf. Da uns durch die Verscheuchung der Seebiber von der nördlichen Seite die Versorgung mit Nahrungsbedarf beschwerlich zu werden anfing, sannen wir auf Mittel, uns dieser Thiere zu bemeistern und unsere Nahrung, weil sie uns nahe waren, auf eine leichtere Art davon zu ziehen. Ich stellte deswegen am 21. Mai den ersten Versuch an, mit einem verfertigten großen eisernen Haken, woran ein starkes und langes Seil befestigt wurde, dieses mächtige und große Seethier anzuhauen und ans Land zu schleppen, allein vergebens; denn die Haut war zu zähe und der Haken viel zu stumpf. Man änderte ihn auf verschiedene Art und stellte mehrere Proben an, die aber noch schlechter ausfielen, so daß uns die Thiere mit dem Haken und daran befestigtem Seile in die See entliefen. Endlich zwang uns die Noth, zum Harpunieren Anstalt zu machen. Man besserte zu dem Ende gegen Ausgang des Junius das Jollbot, so im Herbste auf den Felsen sehr beschädigt worden war, aus, setzte einen Harpunier nebst Steuermann und vier Ruderern darauf und gab jenem eine Harpune nebst einem sehr langen, wie beim Walfischfange in Ordnung gelegtes Seil in die Hand, von welchem das andere Ende am Strande von den übrigen vierzig Mann gehalten wurde. Nun ruderte man ganz stille auf die Thiere los, welche in größter Sicherheit herdenweise an den Ufern ihrer Weide im Seegrunde nachgingen. Sobald dann der Harpunier eines derselben angehauen hatte, zogen die am Lande solches allmählich nach dem Strande, die in der Jolle befindlichen fuhren indessen auf dasselbe zu und machten es durch ihre Bewegungen noch matter, und wenn es entkräftet schien, so stießen sie ihm allenthalben mit großen Messern und Bajonnetten in den Leib, so daß es fast alles Blut, welches wie Springbrunnen aus den Wunden quoll, verloren hatte, und so bei vollem Wasser auf den Strand [667] gezogen und befestigt werden konnte. Sowie dann das Wasser wieder ablief, und das Thier auf trockenem Strande lag, schnitt man allenthalben das Fleisch und den Speck stückweise herunter und trug es in voller Freude nach den Wohnungen, wo das Fleisch in großen Fässern verwahrt, der Speck aber auf hohe Böcke aufgehängt wurde. Und nun sahen wir uns bald in einen solchen Ueberfluß von Nahrung versetzt, daß wir den Bau unseres neuen Fahrzeuges, welches das Mittel zu unserer Rettung werden sollte, ohne Hindernisse fortsetzen konnten.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 667-668.
Lizenz:
Kategorien: